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Medien
Sat 1 soapt an den Schauplätzen deutscher Kolonialvergangenheit
Köstlich amüsiert
Von Hans Georg

Mit einer neuen TV-Serie über den Zusammenprall verschiedener Kulturen ("Wie die Wilden - Deutsche im Busch") erobert der Privatsender Sat.1 ein Millionenpublikum und punktet unter Jugendlichen. Die sechsteilige Staffel führt deutsche Familien nach Afrika und Asien, wo sie das "Stammesleben" indigener "Völker" teilen und mit seltsamen Sitten konfrontiert werden.

Die Doku-Soap erreichte am vergangenen Mittwoch (30. August) 2,34 Millionen Zuschauer und konnte sich einen Marktanteil von über elf Prozent im Segment der 14- bis 49-jährigen sichern. "Wie die Wilden - Deutsche im Busch" setzt eine Unterhaltungswelle fort, die an den Orten heutiger oder früherer Kolonialkriege spielt und die einheimische Bevölkerung als Fremde vorführt. Speisevorlieben ("Fledermäuse bis zu Maden") sowie exotisches Sexualverhalten ("Geschlechtsverkehr im Hühnerstall") bekräftigen eine elementare Kulturdifferenz, in der die "Locals" die Rolle von Unterlegenen einzunehmen haben. Einen Zusammenhang zwischen ethnizistischer Fernsehunterhaltung und westlichen Militäroperationen in Ressourcenstaaten könne er nicht erkennen, sagt einer der TV-Protagonisten im Gespräch mit german-foreign-policy.com.

Die Sat.1-Serie läuft jeweils mittwochs an prominenter Stelle im deutschen Abendprogramm (21.15 Uhr) und führt die Zuschauer unter anderem nach Namibia (ehemals "Deutsch-Südwest"), Togo (ehemals deutsches "Schutzgebiet") und nach Indonesien (ehemals niederländische Kolonie). Diesen Drehorten entspricht das Verbreitungsgebiet der Serie: Außer in der Bundesrepublik wird sie auch in den Niederlanden gezeigt (dort unter dem Titel "Ticket to the Tribes") und deckt die früheren Kolonialgebiete beider Länder ab. Diesen politischen Bezug erwähnt der Sender weder im Presse- noch im Werbematerial seiner PR-Abteilung.[1]

Witz

Im ehemaligen "Deutsch-Südwest" wird die deutsche Familie Düvel aus Wesel (Nordrhein-Westfalen) beim "halbnomadischen Stamm der Himba" beobachtet. Dort erleben "Vater Heinz (54), Oberstudienrat, Mutter Gabi (52), Lehrerin" sowie drei Kinder einen inszenierten Zusammenprall der Kulturen. Ähnliches hat die Familie Fröhlich zu absolvieren, die von Berlin zum "Stamm der Tamberma in Togo" reisen muss. Auf der Insel Siberut (Indonesien) stellt sich die Familie Sauerzapf-Koch aus Kassel zur Verfügung ("Vater Makler, Mutter Familientherapeutin") und wird mit dem "Dschungelvolk" der Mentawai konfrontiert. Die scheinbar absurde Konstruktion, Durchschnittsdeutsche aus dem Bildungsbürger- und Kleinunternehmertum in einem kontrollierten Experiment zu den "Wilden" ziehen zu lassen, habe eine TV-Serie "voller Spannung, ursprünglichem Witz und Aha-Momenten" entstehen lassen, wirbt der Sender.

Echt

Der dramaturgische Plot verkehrt die Fremdheit deutscher Afrika- und Asienreisender in das Fremde der Einheimischen. Ihre seltsame Andersartigkeit macht sich an sexuellen Zumutungen fest. "Bei den Himba" in Namibia kommt "Mutter Gabi" (aus Wesel) "so gut an", dass die Wilden "überlegen, sie kurzfristig mit einem ledigen Himba-Mann zu verheiraten." Auch in Indonesien herrschen seltsame Sitten und empören die deutschen Soap-Darsteller: wegen der "schamlosen Kleidung der Einheimischen". In Togo schließlich ist das europäische Paarungsverhalten derart unbekannt, dass dem Sohn der Familie Fröhlich (Berlin) "eine echte Tamberma-Frau geschenkt" wird - und das "zur Begrüßung". Die Darstellung zivilisatorischer Primitivität bedient voyeurhafte Quoteninteressen und wird um Merkwürdigkeiten aus der Ethno-Küche ergänzt: Bei den Wilden stehen "auch Hunde (...) auf dem Speiseplan".

Nicht falsch

Das ethnizistische Spiel mit den Fremden, die an den Drehorten nicht fremd, sondern zu Hause sind, stützt die zunehmende deutsche Politunterhaltung kolonialen und neokolonialen Zuschnitts. So zeigten die öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten in kurzer Abfolge mehrere Fernsehspiele und Spielfilmserien, als deren Kulissen das frühere Deutsch-Südwest und das heutige Südafrika herhalten müssen ("Endloser Horizont"; "Einmal so wie ich will").[2] Dabei kommt es immer häufiger zu örtlichen Überschneidungen im Nachrichten- und Unterhaltungsbereich: Auf Doku-Clips über afrikanische Kriegsereignisse in den aktuellen Abendinformationen folgen Dokumentationen über afrikanische Schauplätze der deutschen Kolonialvergangenheit, Fernsehspiele mit afrikanischen Onkel-Tom-Charakteren sowie Survival-Shows im Kral von Wilden. Darin mehr als Zufälle zu sehen, hält der Sat.1-Serien-Protagonist aus Kassel für abwegig. "Auf gar keinen Fall" seien Zusammenhänge zwischen den aktuellen deutschen Afrika-Serien und den Afrika-Operationen der Berliner Außenpolitik zu erkennen, meint der 50-jährige Makler im Gespräch mit dieser Redaktion. "Dass die Bundeswehr jetzt im Kongo hilft, um die Wahlen zu sichern", löse zwar "gemischte Gefühle" aus, aber sei dennoch "nicht falsch".[3] Die Kasseler Makler-Familie hielt sich für zwei Wochen beim "Dschungelvolk" [4] der Mentawai auf - ohne jegliche Vorbereitung auf die indigenen Gastgeber und begleitet von einem bis zu zwölfköpfigen europäischen Aufnahmeteam, berichtet der Sat.1-Protagonist.

Erhaben

Der technische Blick europäischer Unterhaltungsspezialisten auf das angeblich Primitive ist selbst Ausdruck einer primitiven Kultur, die den Zusammenprall mit Unterlegenen sucht, heißt es in Protesten deutscher und afrikanischer Zuschauer.[5] Ganz anders urteilt die linksliberale deutsche Presse. "Das alles ist so schön peinlich, dass man sich beim Zuschauen köstlich amüsiert", schreibt das grüne Multi-Kulti-Blatt "tageszeitung".[6] Der ebenfalls multikulturelle "Spiegel" empfindet für die deutschen Busch-Urlauber "Respekt" [7]: "Ihr Anpassungswillen ans Fremde ist über jeden Kolonialherrendünkel erhaben."
Bitte lesen Sie auch unser EXTRA-Dossier Festung Europa.

[1] Pressefolder "Wie die Wilden - Deutsche im Busch"; Sat.1 Kommunikation/PR, August 2006
[2] s. dazu In den Weiten des Raums und Verschiebung
[3] s. auch Tödliche Gewalt: Exzessiv, Negerjagd und Positive Stimmung
[4] Pressefolder "Wie die Wilden - Deutsche im Busch"; Sat.1 Kommunikation/PR, August 2006
[5] Appell zum Protest; Berlin 27.08.2006
[6] Es ist etwas im Busch; die tageszeitung 23.08.2006
[7] Stammgäste in Not; Der Spiegel 23.08.2006

www.german-foreign-policy.com

Online-Flyer Nr. 60  vom 05.09.2006

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