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Aktueller Online-Flyer vom 21. November 2024  

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Kultur und Wissen
Bleibt die Stadt Wuppertal weiter ihrem braunen Baron treu - oder:
Wer hat Angst vor Else Lasker-Schüler?
Von Heiner Bontrup

Wuppertal ist die einzige Stadt Deutschlands, die mit einem aus öffentlichen Mitteln finanzierten Kulturpreis einen Namensgeber ehrt, der aktives Mitglied in der NSDAP war. Doch nun regt sich Widerstand - angeregt durch die Mitglieder der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft.

Eduard von der Heydt, nach dem der Preis benannt ist, hatte sich als Kunstsammler einen internationalen Ruf erworben. Als Mäzen schenkte er seiner Heimatstadt  in den 5Oer Jahren Kunstwerke, von denen einige heute zu den Inkunabeln der Klassischen Moderne zählen und in dem nach seinen Eltern benannten von-der-Heydt-Museum hängen. Dass Eduard von der Heydt ein überzeugter Nazi war, hätte eigentlich in Wuppertal  bekannt sein müssen: Bereits 1926, also ohne Not, trat der Bankier in die NSDAP ein und schwadronierte von der "Verjudung der deutschen Finanz und Öffentlichkeit". Für Frankreich wünschte er sich einen "kleinen französischen Hitler" und in der Zeit des Tausendjährigen Reiches finanzierte er mit illegalen Transaktionen die "Abwehr" des "Dritten Reichs". Exilanten konnten so durch seine Devisengeschäfte bespitzelt werden. Der braune Baron war der verlängerte Arm des "Reichs" in der Schweiz, wo er eilig dem "Bund treuer Eidgenossen nationalsozialistischer Weltanschauung" beigetreten war.

Trotz einiger honoriger Forschungsarbeiten zu Eduard von der Heydt blieb die dunkle Vergangenheit des scheinbar so segensreichen Mäzens in der Schwebebahnstadt so gut wie unbekannt. Man konnte den Eindruck haben, als sei der Schatten des Schweigens, der sich bleiern über die Vergangenheit des braunen Barons gelegt hatte, der Stadt gerade recht.

Doch nun regt sich Widerstand in der Schwebebahn-Stadt. So fordert die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft durch Mitgliederbeschluss die Stadt Wuppertal auf, den Eduard von der Heydt-Kulturpreis wieder in "Kulturpreis der Stadt Wuppertal" umzubenennen. Kulturdezernentin Marlies Drewermann (SPD) indes sieht keinen Handlungsbedarf. Erst wenn erwiesen sei, "dass Eduard von der Heydt nicht nur Mitläufer, sondern aktiver Täter" gewesen sei, müsse sich die Stadt von dem Namensgeber distanzieren. Damit liegt Drewermann derzeit noch auf der politischen Linie des von einer großen Koalition (CDU und SPD) der Uneinsichtigkeit beherrschten Stadtrates.  Ein Antrag der PDS auf Umbenennung in "Else Lasker-Schüler-Preis" war bereits mit großer Mehrheit abgeschmettert worden.

Dabei haben sich inzwischen prominente Unterstützer dieser Initiative gefunden.  Für eine Umbenennung ausgesprochen haben sich die Preisträger Peter Brötzmann, Wolf Erlbruch, Ulrich Leyendecker und Helmut Hirsch. Preisträger Hermann Schulz nennt die Umbenennung "vernünftig". Die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, die Autoren Reiner Kunze, Edgar Hilsenrath, Ralph Giordano und Ingrid Bachér sowie die Theaterleute Holk Freitag, Jürgen Flimm und Angela Winkler halten sie für notwendig. In Wuppertal selbst sind bereits mehr als 400 Menschen dem Aufruf zur Umbenennung des Preises gefolgt.





Dass die Grenzlinie zwischen Mitläufer und Täter kein geeignetes Kriterium für einen Entscheid sein kann, machte Professor Michael Brumlik in einer von der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft öffentlich einberufenen Diskussion deutlich. In einem intellektuell beeindruckenden Vortrag unterschied er, moralphilosophisch den gedanklichen Spuren Walter Benjamins folgend, Erinnerung und Gedächtnis. Erinnerung bleibe, so Brumlik, stets subjektiv, in dem kollektiven Gedächtnis aber sei das "Eingedenken" die Voraussetzung für die Erlösung. Eingedenken und Erlösung strukturieren die Verantwortung für die Verstummten sowohl vergangener Generationen als auch für diejenigen, die im politischen Feld keine Stimme haben. Im Eingedenken an die Verstorbenen konstituiere sich das kollektive Gewissen und der Wertehorizont einer Gemeinschaft.  Mit einem Preis ehre eine Stadt nicht nur den Namenspatron, sondern immer auch sich selbst. Etwas von dem, für das der Namensgeber stehe, ginge stets auch auf das Werteverständnis derer über, die den Preis auslobten. Vor diesem Hintergrund könne die Frage nicht unter rein juristischen Gesichtspunkten erörtert werden, sondern müsse in der Perspektive einer "Ethik des Eingedenkens" entschieden werden. Eine solche Ethik aber müsse sich stets vor dem Postulat Theodor W. Adornos verantworten können, dass das Ziel aller Pädagogik sei, "dass sich Auschwitz nicht wiederhole".

So bestand große Einigkeit unter allen Diskutanten, die ein breites politisches Spektrum von der CDU bis zur PDS abdeckten, für eine Umbenennung des Kulturpreises. "Wir können den Preis ja noch nicht einmal an einen Juden vergeben, weil der ihn unmöglich annehmen kann", sagte Ulrich Föhse, Hauptschulrektor und CDU-Stadtverordneter. Zu einer Umbenennung bekannte sich auch eine Stadtverordnete der Grünen. Es ist also zu hoffen, dass der Beton, den interessierte Stadtpolitiker angerührt hatten, bröckelt, und dass sich die "Stadt kultureller Helden" (Nick Dmitriev), die eine Else Lasker-Schüler, einen Armin T. Wegner oder einen Friedrich Engels hervor gebracht hat, nicht länger mit einem peinlichen braunen Baron "schmücken" muss. Vielleicht ließen sich ja die "Vorbilder" eher bei den zuletzt Genannten finden, auf die die Stadt zu Recht stolz sein kann. Doch wer hat Angst vor Else Lasker-Schüler?



Online-Flyer Nr. 70  vom 14.11.2006

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