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Kultur und Wissen
Lauter junge digitale Migranten in der Deutzer Brücke
„Übermn Fluss“
Von Dr. Peter V. Brinkemper
Junge bildende Künstler, Architekten, Wissenschaftler und Musiker aus 13 verschiedenen Ländern verwandeln den Ort in ein schwereloses, dreibögiges Luft-Beton-und-Stahl-Terrain mit seinem donnernden Verkehrssound in kompakte Komplettinstallationen. Rasch wird die Brücke als Prototyp der einfachen und komplexen Übersetzung überboten durch formale, fraktale, modulare und intermediale Modelle der Kommunikation. Zwischen regionaler Kulturalität und ihrer Transformation durch die globale Ökonomie im Spannungsfeld von ökologischen Imperativen und losgetretener Kriegskonsumpolitik.
Wer in den Raum gelangt, wird gleich eingenommen von der Arbeit des Japaners Kaneyuki Shimooskao. „Digital Rhine“ ist ein riesiges zerborstenes Puzzle, abgeleitet aus einer digital bearbeiteten Fotografie der gekräuselten Wasseroberfläche des Rheines. Von hier aus verzweigen sich die Ideen, Themen und Formen: Lina Mas chinesische Symbol-Formation mit gerolltem Papier auf dem Boden wird kontrapunktiert von Syuan-Fu Yu, Taiwan, mit seinem von der Decke hängenden transparenten Papierwald: „Bamboo“. Auch im folgenden wird der Naturgedanke immer wieder aufgenommen: Behrang Karimi und Rodrigo Lopez-Klingenfuss, Iran/Argentinen/Deutschland, bieten mit „Garden“ ein schwarz verhangenes, akustisch gedämpftes Interieur, echter Fichtengeruch mit dem Schauer eines David-Lynch-Films.
Lucy Gallwey, Großbritannien führt uns in „Garden, neglected“ ins verwunschene Archiv der Natur: Fotos, Zeichnungen, Skulpturen, Gedichte. Auf den Bildern Ringe, die um Osterglocken und andere Blumensorten, wie letzte Markierungen gelegt/geworfen sind. Eine Referenz an Goethe und die schottische Gartenkultur zwischen Aufklärung, Empfindsamkeit und europäischer Romantik.
May Lo, Mayte Espinosa Saldivar, Mexiko und Lucy Letcher USA präsentieren Sill-Photographien und ein Video von den Scottish Lochs, den Bergseen, auf denen runde Spiegel treiben, mit Wasserspuren und Zeichen einer mehrfach überlagerten Identität.
Manfred Rücker („Ketonge“) und Florian Dietz (beide Deutschland) entwerfen eine Fantasiemaschine: „Schalldruckwandler mit Kondensatorbecken“, innenbeleuchtet und mit Sound ausgestattet, so dass die Musik als Teil der bildenden Kunst auftritt und dem Pappmaché das eigenwillig brummende und sirrende Leben einer Apparatur einhaucht.
An der Schnittstelle zwischen Technik und Urbanistik arbeitet auch Yan Ting Ni, China: Magic Space. Eine Serie von Torbögen oder Brückenträgern, in Rot und mit funkelnden Lichtspots ausgestattet, in verschiedenen Maßstäben, im Hell und Dunkel hintereinander gestaffelt.
Eine politische Zuspitzung erfährt die Thematik Leben, Kunst und Konsum bei Sebastian Karbowiak und Pierre Galic (Deutschland). Sie parodieren Werbe-Displays der heute gängigen Stadtreklame-„Möblierung“ durch improvisierte Stelen, übrigens von innen mit Schmelzeis als Metapher der Coolness angefüllt. Auf Schlauchbooten mit Abwasserröhren stehend werben sie entweder für Markenprodukte, versorgen uns mit endlos aufplakatierten Telefonbuchlisten oder zeigen uns die übereinander gelagerten Sprühschriftbilder von Graffiti-Künstlern im allseitigen Kampf um den öffentlichen Raum. Und Kenichiro Egami, Japan, zeigt Video-(Doppelbild)-Projektionen, in denen im Jacques-Tati-Stil Verkehrszeichen und Verkehrsverhalten im öffentlichen Raum zwischen Konstruktion und Destruktion vorgeführt werden.
Die Fantasie der Transformation driftet in eine systematische Richtung, wenn ganze Netzwerke und riesige Flächenbilder oder evolutionäre Systeme entstehen: Hildur Steinthorsdottir, Island/Wien: „VorwärtsRückwärts“, schafft eine großformatige Wand- und Deckeninstallation mit reflektierendem Scotchlite-Tape. Animiert durch Handlampen ergeben sich für aktive Zuschauer die Kippstrukturen einer virtuellen Kartographie zwischen 2-D und 3-D.
Trine Petersen, Dänemark, inszeniert eine musikalische Collage aus Farbschichten und Überlagerungen, nach dem Motto: „And there is always music in the air“. Noten, die ein Panorama verschiedener Formen, Elemente, Figurationen und Konstellationen überfliegen, angedeutete Gondeln über Rheinpark, Stadt und Strom. Und Julia Martin, Berlin, führt mit dem Keltischen Knoten eine alte Idee neu ein. Dazu fertigt sie eine delikat ausbalancierte Konstruktion; von der Seite anzusehen als ein Labyrinth aus Brücken, die dennoch konsequent aus einer Linie, einem Mythos heraus konstruiert sind. Handelt es sich hierbei um eine magische oder moderne Formel, ein organisches oder ein anorganisches Modell der Weltenbildung und Weltbebilderung?
Wie also verläuft nun die Migration und die Globalisierung im Mikro- und Makro-Bereich: als Katastrophe, als entropisches Rauschen oder als sinnhafte, in sich gewundene Linie hin zu einer nächsten Evolutionsstufe? In der Deutzer Brücke tasten wir diesen Fragen und möglichen Antworten mit Ohren und Augen immer weiter nach...
Dr. Peter V. Brinkemper,Germanist, Philosoph, Studium in Bonn, lebt in Köln und ist als Journalist u.a. bei www.telepolis.de tätig – außerdem als Kritiker in den Bereichen Kunst, Kultur, Medien und Gesellschaft.
Lina Ma, China, fernöstliche Symbolik auf dunklem Rollpapier und als Aufmarsch im Raum
Sebastian Karbowiak, Pierre Galic (Deutschland): Schmelzeisgefüllte Werbe-, Graffiti- und Adressensäulen im urbanen Clinch
Yao Pang-Wang (Taiwan): Tao-Eisbären in der „Schilderg-r-asse“, Tourismuspark Cologne
Behrang Karimi und Rodrigo Lopez-Klingenfuss, (Iran/Argentinen/Deutschland): Überm Abgrund ein akustisch gedämpftes Fichten-Garten-Interieur
Hildur Steinthorsdottir (Island/Wien): Interaktive Erlebniswand mit reflektierendem Scotchlite-Tape
Kei Sakurai (Kobe, Japan): Erotisch-ornamental verschlungene Collage-Körper
Fotos: Peter Bach (1-3), Aburrimento (4-6)
Online-Flyer Nr. 88 vom 28.03.2007
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Kultur und Wissen
Lauter junge digitale Migranten in der Deutzer Brücke
„Übermn Fluss“
Von Dr. Peter V. Brinkemper
Junge bildende Künstler, Architekten, Wissenschaftler und Musiker aus 13 verschiedenen Ländern verwandeln den Ort in ein schwereloses, dreibögiges Luft-Beton-und-Stahl-Terrain mit seinem donnernden Verkehrssound in kompakte Komplettinstallationen. Rasch wird die Brücke als Prototyp der einfachen und komplexen Übersetzung überboten durch formale, fraktale, modulare und intermediale Modelle der Kommunikation. Zwischen regionaler Kulturalität und ihrer Transformation durch die globale Ökonomie im Spannungsfeld von ökologischen Imperativen und losgetretener Kriegskonsumpolitik.
Wer in den Raum gelangt, wird gleich eingenommen von der Arbeit des Japaners Kaneyuki Shimooskao. „Digital Rhine“ ist ein riesiges zerborstenes Puzzle, abgeleitet aus einer digital bearbeiteten Fotografie der gekräuselten Wasseroberfläche des Rheines. Von hier aus verzweigen sich die Ideen, Themen und Formen: Lina Mas chinesische Symbol-Formation mit gerolltem Papier auf dem Boden wird kontrapunktiert von Syuan-Fu Yu, Taiwan, mit seinem von der Decke hängenden transparenten Papierwald: „Bamboo“. Auch im folgenden wird der Naturgedanke immer wieder aufgenommen: Behrang Karimi und Rodrigo Lopez-Klingenfuss, Iran/Argentinen/Deutschland, bieten mit „Garden“ ein schwarz verhangenes, akustisch gedämpftes Interieur, echter Fichtengeruch mit dem Schauer eines David-Lynch-Films.
Lucy Gallwey, Großbritannien führt uns in „Garden, neglected“ ins verwunschene Archiv der Natur: Fotos, Zeichnungen, Skulpturen, Gedichte. Auf den Bildern Ringe, die um Osterglocken und andere Blumensorten, wie letzte Markierungen gelegt/geworfen sind. Eine Referenz an Goethe und die schottische Gartenkultur zwischen Aufklärung, Empfindsamkeit und europäischer Romantik.
May Lo, Mayte Espinosa Saldivar, Mexiko und Lucy Letcher USA präsentieren Sill-Photographien und ein Video von den Scottish Lochs, den Bergseen, auf denen runde Spiegel treiben, mit Wasserspuren und Zeichen einer mehrfach überlagerten Identität.
Manfred Rücker („Ketonge“) und Florian Dietz (beide Deutschland) entwerfen eine Fantasiemaschine: „Schalldruckwandler mit Kondensatorbecken“, innenbeleuchtet und mit Sound ausgestattet, so dass die Musik als Teil der bildenden Kunst auftritt und dem Pappmaché das eigenwillig brummende und sirrende Leben einer Apparatur einhaucht.
An der Schnittstelle zwischen Technik und Urbanistik arbeitet auch Yan Ting Ni, China: Magic Space. Eine Serie von Torbögen oder Brückenträgern, in Rot und mit funkelnden Lichtspots ausgestattet, in verschiedenen Maßstäben, im Hell und Dunkel hintereinander gestaffelt.
Eine politische Zuspitzung erfährt die Thematik Leben, Kunst und Konsum bei Sebastian Karbowiak und Pierre Galic (Deutschland). Sie parodieren Werbe-Displays der heute gängigen Stadtreklame-„Möblierung“ durch improvisierte Stelen, übrigens von innen mit Schmelzeis als Metapher der Coolness angefüllt. Auf Schlauchbooten mit Abwasserröhren stehend werben sie entweder für Markenprodukte, versorgen uns mit endlos aufplakatierten Telefonbuchlisten oder zeigen uns die übereinander gelagerten Sprühschriftbilder von Graffiti-Künstlern im allseitigen Kampf um den öffentlichen Raum. Und Kenichiro Egami, Japan, zeigt Video-(Doppelbild)-Projektionen, in denen im Jacques-Tati-Stil Verkehrszeichen und Verkehrsverhalten im öffentlichen Raum zwischen Konstruktion und Destruktion vorgeführt werden.
Die Fantasie der Transformation driftet in eine systematische Richtung, wenn ganze Netzwerke und riesige Flächenbilder oder evolutionäre Systeme entstehen: Hildur Steinthorsdottir, Island/Wien: „VorwärtsRückwärts“, schafft eine großformatige Wand- und Deckeninstallation mit reflektierendem Scotchlite-Tape. Animiert durch Handlampen ergeben sich für aktive Zuschauer die Kippstrukturen einer virtuellen Kartographie zwischen 2-D und 3-D.
Trine Petersen, Dänemark, inszeniert eine musikalische Collage aus Farbschichten und Überlagerungen, nach dem Motto: „And there is always music in the air“. Noten, die ein Panorama verschiedener Formen, Elemente, Figurationen und Konstellationen überfliegen, angedeutete Gondeln über Rheinpark, Stadt und Strom. Und Julia Martin, Berlin, führt mit dem Keltischen Knoten eine alte Idee neu ein. Dazu fertigt sie eine delikat ausbalancierte Konstruktion; von der Seite anzusehen als ein Labyrinth aus Brücken, die dennoch konsequent aus einer Linie, einem Mythos heraus konstruiert sind. Handelt es sich hierbei um eine magische oder moderne Formel, ein organisches oder ein anorganisches Modell der Weltenbildung und Weltbebilderung?
Wie also verläuft nun die Migration und die Globalisierung im Mikro- und Makro-Bereich: als Katastrophe, als entropisches Rauschen oder als sinnhafte, in sich gewundene Linie hin zu einer nächsten Evolutionsstufe? In der Deutzer Brücke tasten wir diesen Fragen und möglichen Antworten mit Ohren und Augen immer weiter nach...
Dr. Peter V. Brinkemper,Germanist, Philosoph, Studium in Bonn, lebt in Köln und ist als Journalist u.a. bei www.telepolis.de tätig – außerdem als Kritiker in den Bereichen Kunst, Kultur, Medien und Gesellschaft.
Lina Ma, China, fernöstliche Symbolik auf dunklem Rollpapier und als Aufmarsch im Raum
Sebastian Karbowiak, Pierre Galic (Deutschland): Schmelzeisgefüllte Werbe-, Graffiti- und Adressensäulen im urbanen Clinch
Yao Pang-Wang (Taiwan): Tao-Eisbären in der „Schilderg-r-asse“, Tourismuspark Cologne
Behrang Karimi und Rodrigo Lopez-Klingenfuss, (Iran/Argentinen/Deutschland): Überm Abgrund ein akustisch gedämpftes Fichten-Garten-Interieur
Hildur Steinthorsdottir (Island/Wien): Interaktive Erlebniswand mit reflektierendem Scotchlite-Tape
Kei Sakurai (Kobe, Japan): Erotisch-ornamental verschlungene Collage-Körper
Fotos: Peter Bach (1-3), Aburrimento (4-6)
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