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Über Christian Klar in der Schule des Kapitals
Nachsitzen!
Von Hermann L. Gremliza
Christian Klar im TV-Interview mit Günter Gaus, November 2001
Foto: RBB
Die „Frankfurter Allgemeine“ sprach zum Sonntag das Wort gelassen aus: „Eine etwaige Begnadigung von Herrn Klar vor 2009 ist ein politischer Vorgang und darf und muß deswegen auch von der Politik diskutiert werden.“ Die radikale Sprache des Delinquenten, sagte Bayerns Ministerpräsident, zeige, daß er nichts aus seinen menschenverachtenden Taten gelernt habe und deshalb am besten für immer hinter Gittern bleiben solle. Sein Innenminister begründete die Absicht, den Gefangenen nicht freizulassen, mit dessen „aggressivem Ton“ und „ideologischer Verbohrtheit „. Der Innenexpertin der CDU im Bundestag stand der Häftling zu „eindeutig nicht auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung „, als daß er in Freiheit kommen dürfe.
Auch der sozialdemokratische Vizepräsident des Bundestags meinte, eine Entlassung setze eine „deutliche selbstkritische Einsicht“ voraus, zu der Klar „weder bereit noch fähig“ sei. Der Vorsitzende der FDP bemerkte, daß der Gefangene nicht „geläutert“ sei: „Wer Gnade vor Recht erbittet, aber unsere Grundordnung nicht anerkennt, hat keine Gnade verdient „, während die Grüne Vollmer ihren umgekehrten Stiefel daraus machte: „Ich fände es richtig, wenn diese ganze Zeit mit einem politischen Schlußwort des Bundespräsidenten beendet würde.“ Sie empfahl gleichzeitig eine Selbstverpflichtung der Medien, auf Talkshows und Interviews mit den Freigelassenen zu verzichten. Vielleicht wollte sie den Entlassenen das Maul stopfen, vielleicht aber fürchtete sie nur um ihre Einladungen.
Christian Klar, der die übliche Strafe für Tötungsdelikte bald zweimal abgesessen haben wird, bleibt also in Haft wegen radikaler Sprache, ideologischer Verbohrtheit und mangelnder Liebe zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Er ist, was er stets behauptet hat: ein politischer Gefangener. Und die Politik gibt es ihm zu. Wie konnte das geschehen?
Aus seinem süddeutschen Knast hatte das seit 24 Jahren inhaftierte ehemalige Mitglied der RAF eine „Würdigung der Inspiration“ verfaßt, „die seit einiger Zeit von verschiedenen Ländern Lateinamerikas ausgeht. Dort wird nach zwei Jahrzehnten sozial vernichtender Rezepte der internationalen Besitzerklasse endlich den Rechten der Massen wieder Geltung gegeben und darüber hinaus an einer Perspektive gearbeitet.“ Zwei Wochen später sollte der Bundespräsident auf seiner Reise durch Südamerika klagen: „Die Oberschicht Brasiliens geht erstaunlich nachlässig mit der Armut um.“ Während jedoch Köhler zur Rettung der Massen eher an ein höheres Wesen denken dürfte, das auf den Namen Peter Hartz oder so hört, scheint Klar sich leider etwas von den Herren Chávez, Ahmadinedschad und Lafontaine zu versprechen, um „die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen“.
Die Reaktion der Politiker war ihren Intellektuellen peinlich. Daß sie aus dem Kapitalverbrecher einen Verbrecher am Kapital gemacht hatten, konfrontierte sie schmerzhaft mit ihrer eigenen Geschichte. Fast alle, die heute vom Herrscherlob leben, waren einst Rädelsführer oder Mitläufer irgendeiner sich auf Marx, Lenin, Trotzki, Mao berufenden Partei oder Gruppe gewesen – nur die Dümmeren standen in ihrer Jugend schon, wo die anderen erst ankommen sollten, sogar der Justizminister Goll von der FDP will ja einst ein ganz gefährlicher Kapitalismuskritiker gewesen sein –, und so leben sie in der Furcht, es könne auch ihre Vergangenheit, in der sie als Mitglieder einer Wohngemeinschaft den Beschluß gefaßt hatten, dem Andreas Baader, wenn er anklopfte, den Unterschlupf nicht zu verwehren, einmal bewältigt werden. Natürlich ist die Furcht ganz unbegründet, der Bourgeoisie ist das Vorleben ihres intellektuellen Gesindes ziemlich wurst, solange es bei Fuß geht, aber Renegaten sind nun mal so.
Im Feuilleton der „Zeit“ traten zwei von ihnen als Doppelpack auf: Der eine dichtete vor: „Lust an Gewalt. Die RAF fasziniert noch heute. Viele glauben, sie habe aus politischen Motiven gehandelt. Das ist ein Irrtum. Tatsächlich waren ihre Taten von Größenwahn und Machtgier geprägt.“ Und: „Es handelt sich darum, daß es so etwas wie ›Motive‹ nicht gibt ... Was wir Motive nennen, sind Selbst- und Fremdzuschreibungen.“
Der andere dichtete nach: „Todeskult, Größenwahn, Eitelkeit: Osama Bin Ladens Terroristen und die RAF haben vieles gemeinsam ... Wenn man heute, aus 30jährigem Abstand, auf die von der RAF und den Brigate Rosse selber angeführten Motive ihrer Mordtaten zurückblickt, so bleibt von diesen Gründen kaum mehr übrig als Halluzinationen.“
Zweitens gibt es so etwas wie Motive nicht, und erstens hatten sie keine, sondern waren getrieben von Eitelkeit, Todeskult, Größenwahn, Machtgier, Halluzinationen. So betrachtet, scheidet mancher aus der Politik aus – um nur ein paar Namen zu nennen: Caesar, Peter der Große, Napoleon, Lincoln, Lenin, Merkel.
Mit der Gewalt aber verhält es sich so, daß sie das Fundament jedes Staates ist, der deshalb ein Monopol auf sie beansprucht. Solange man das durch den bürgerlichen Staat herrschende Kapital in Frieden akkumulieren läßt, bleibt der Knüppel im Sack, in den der Bürger ab und an einen kurzen Blick werfen darf – aus pädagogischen Gründen. Der gute Herr droht mit Gewalt, der böse wütet mit ihr. Was die Bourgeoisie, und nicht nur die deutsche, deren Lied ihre Denker so inbrünstig singen, mit ihrem Gewaltpotential anstellt, wenn ihre Herrschaft in Gefahr gerät, war von 1933 bis 1945 zu besichtigen. Mit Osama Bin Ladens Terroristen, dahin muß man Peter Schneiders Gedanken folgen, hat die Bourgeoisie aber so gut wie nichts gemeinsam, nicht einmal Auschwitz.
Wie schwer Politikern und ihren Denkern diese Geschichte im Nacken sitzt, läßt sich an dem Eifer erkennen, mit dem beide, die so viel von den Opfern der RAF im allgemeinen und vom Leid der Familie Schleyer im besonderen reden, jede Erwähnung der Rolle vermeiden, die Hanns-Martin Schleyer in den Jahren gespielt hat, da er als Untersturmführer der SS und Arisierer der böhmischen Industrie in Prag wirkte. Das war nicht immer so. 1978 etwa, Schleyer war noch kein Jahr tot, erzählte Daniel Cohn-Bendit über die Verbindung des von der RAF Ermordeten zu Reinhard Heydrich, dem Vorgesetzten von Adolf Eichmann: „Dieser Herr Heydrich pflegte an jedem Tag mit einem anderen Herrn gemeinsam in seinem Auto zu fahren ... Dieser andere Herr hieß Schleyer.“ Aber der war kein Verbrecher am Kapital, im Gegenteil.
Online-Flyer Nr. 91 vom 18.04.2007
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Über Christian Klar in der Schule des Kapitals
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Von Hermann L. Gremliza
Christian Klar im TV-Interview mit Günter Gaus, November 2001
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Die „Frankfurter Allgemeine“ sprach zum Sonntag das Wort gelassen aus: „Eine etwaige Begnadigung von Herrn Klar vor 2009 ist ein politischer Vorgang und darf und muß deswegen auch von der Politik diskutiert werden.“ Die radikale Sprache des Delinquenten, sagte Bayerns Ministerpräsident, zeige, daß er nichts aus seinen menschenverachtenden Taten gelernt habe und deshalb am besten für immer hinter Gittern bleiben solle. Sein Innenminister begründete die Absicht, den Gefangenen nicht freizulassen, mit dessen „aggressivem Ton“ und „ideologischer Verbohrtheit „. Der Innenexpertin der CDU im Bundestag stand der Häftling zu „eindeutig nicht auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung „, als daß er in Freiheit kommen dürfe.
Auch der sozialdemokratische Vizepräsident des Bundestags meinte, eine Entlassung setze eine „deutliche selbstkritische Einsicht“ voraus, zu der Klar „weder bereit noch fähig“ sei. Der Vorsitzende der FDP bemerkte, daß der Gefangene nicht „geläutert“ sei: „Wer Gnade vor Recht erbittet, aber unsere Grundordnung nicht anerkennt, hat keine Gnade verdient „, während die Grüne Vollmer ihren umgekehrten Stiefel daraus machte: „Ich fände es richtig, wenn diese ganze Zeit mit einem politischen Schlußwort des Bundespräsidenten beendet würde.“ Sie empfahl gleichzeitig eine Selbstverpflichtung der Medien, auf Talkshows und Interviews mit den Freigelassenen zu verzichten. Vielleicht wollte sie den Entlassenen das Maul stopfen, vielleicht aber fürchtete sie nur um ihre Einladungen.
Christian Klar, der die übliche Strafe für Tötungsdelikte bald zweimal abgesessen haben wird, bleibt also in Haft wegen radikaler Sprache, ideologischer Verbohrtheit und mangelnder Liebe zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Er ist, was er stets behauptet hat: ein politischer Gefangener. Und die Politik gibt es ihm zu. Wie konnte das geschehen?
Aus seinem süddeutschen Knast hatte das seit 24 Jahren inhaftierte ehemalige Mitglied der RAF eine „Würdigung der Inspiration“ verfaßt, „die seit einiger Zeit von verschiedenen Ländern Lateinamerikas ausgeht. Dort wird nach zwei Jahrzehnten sozial vernichtender Rezepte der internationalen Besitzerklasse endlich den Rechten der Massen wieder Geltung gegeben und darüber hinaus an einer Perspektive gearbeitet.“ Zwei Wochen später sollte der Bundespräsident auf seiner Reise durch Südamerika klagen: „Die Oberschicht Brasiliens geht erstaunlich nachlässig mit der Armut um.“ Während jedoch Köhler zur Rettung der Massen eher an ein höheres Wesen denken dürfte, das auf den Namen Peter Hartz oder so hört, scheint Klar sich leider etwas von den Herren Chávez, Ahmadinedschad und Lafontaine zu versprechen, um „die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen“.
Die Reaktion der Politiker war ihren Intellektuellen peinlich. Daß sie aus dem Kapitalverbrecher einen Verbrecher am Kapital gemacht hatten, konfrontierte sie schmerzhaft mit ihrer eigenen Geschichte. Fast alle, die heute vom Herrscherlob leben, waren einst Rädelsführer oder Mitläufer irgendeiner sich auf Marx, Lenin, Trotzki, Mao berufenden Partei oder Gruppe gewesen – nur die Dümmeren standen in ihrer Jugend schon, wo die anderen erst ankommen sollten, sogar der Justizminister Goll von der FDP will ja einst ein ganz gefährlicher Kapitalismuskritiker gewesen sein –, und so leben sie in der Furcht, es könne auch ihre Vergangenheit, in der sie als Mitglieder einer Wohngemeinschaft den Beschluß gefaßt hatten, dem Andreas Baader, wenn er anklopfte, den Unterschlupf nicht zu verwehren, einmal bewältigt werden. Natürlich ist die Furcht ganz unbegründet, der Bourgeoisie ist das Vorleben ihres intellektuellen Gesindes ziemlich wurst, solange es bei Fuß geht, aber Renegaten sind nun mal so.
Im Feuilleton der „Zeit“ traten zwei von ihnen als Doppelpack auf: Der eine dichtete vor: „Lust an Gewalt. Die RAF fasziniert noch heute. Viele glauben, sie habe aus politischen Motiven gehandelt. Das ist ein Irrtum. Tatsächlich waren ihre Taten von Größenwahn und Machtgier geprägt.“ Und: „Es handelt sich darum, daß es so etwas wie ›Motive‹ nicht gibt ... Was wir Motive nennen, sind Selbst- und Fremdzuschreibungen.“
Der andere dichtete nach: „Todeskult, Größenwahn, Eitelkeit: Osama Bin Ladens Terroristen und die RAF haben vieles gemeinsam ... Wenn man heute, aus 30jährigem Abstand, auf die von der RAF und den Brigate Rosse selber angeführten Motive ihrer Mordtaten zurückblickt, so bleibt von diesen Gründen kaum mehr übrig als Halluzinationen.“
Zweitens gibt es so etwas wie Motive nicht, und erstens hatten sie keine, sondern waren getrieben von Eitelkeit, Todeskult, Größenwahn, Machtgier, Halluzinationen. So betrachtet, scheidet mancher aus der Politik aus – um nur ein paar Namen zu nennen: Caesar, Peter der Große, Napoleon, Lincoln, Lenin, Merkel.
Mit der Gewalt aber verhält es sich so, daß sie das Fundament jedes Staates ist, der deshalb ein Monopol auf sie beansprucht. Solange man das durch den bürgerlichen Staat herrschende Kapital in Frieden akkumulieren läßt, bleibt der Knüppel im Sack, in den der Bürger ab und an einen kurzen Blick werfen darf – aus pädagogischen Gründen. Der gute Herr droht mit Gewalt, der böse wütet mit ihr. Was die Bourgeoisie, und nicht nur die deutsche, deren Lied ihre Denker so inbrünstig singen, mit ihrem Gewaltpotential anstellt, wenn ihre Herrschaft in Gefahr gerät, war von 1933 bis 1945 zu besichtigen. Mit Osama Bin Ladens Terroristen, dahin muß man Peter Schneiders Gedanken folgen, hat die Bourgeoisie aber so gut wie nichts gemeinsam, nicht einmal Auschwitz.
Wie schwer Politikern und ihren Denkern diese Geschichte im Nacken sitzt, läßt sich an dem Eifer erkennen, mit dem beide, die so viel von den Opfern der RAF im allgemeinen und vom Leid der Familie Schleyer im besonderen reden, jede Erwähnung der Rolle vermeiden, die Hanns-Martin Schleyer in den Jahren gespielt hat, da er als Untersturmführer der SS und Arisierer der böhmischen Industrie in Prag wirkte. Das war nicht immer so. 1978 etwa, Schleyer war noch kein Jahr tot, erzählte Daniel Cohn-Bendit über die Verbindung des von der RAF Ermordeten zu Reinhard Heydrich, dem Vorgesetzten von Adolf Eichmann: „Dieser Herr Heydrich pflegte an jedem Tag mit einem anderen Herrn gemeinsam in seinem Auto zu fahren ... Dieser andere Herr hieß Schleyer.“ Aber der war kein Verbrecher am Kapital, im Gegenteil.
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