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Lokales
Dellbrücker Forum: Was tun gegen Jugendgewalt?
„Tatort Veedel“
Von Klaus Jünschke
Auf dem rein männlich besetzten Podium waren: Udo Behrendes, Kölner Polizeidirektor und Leiter des Präventionsprojekts gegen Gewalt an Kölner Schulen, Franco Clemens, Streetworker in Köln-Finkenberg und Straßenmusiker (Magic Street Voices), Jürgen Hollstein, Kölner Landtagsabgeordneter der CDU, und Professor Christian Pfeiffer, Chef des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsens. Weitere Teilnehmer saßen im Publikum: drei Jugendliche mit Migrationshintergrund aus Köln-Finkenberg, die mit Franco Clemens gekommen waren, und Tim Stinauer, der Polizeireporter des Kölner Stadt-Anzeiger, der zum Thema Medien und Kriminalität sprechen sollte. Humorvoll moderiert wurde die Diskussion von Arnd Henze, leitender Fernsehredakteur beim WDR.
In der Berichterstattung der Kölner Medien (siehe auch www.dellbruecker-forum.de) wurde betont, dass die Christuskirche bis zum letzten Platz besetzt war, aber über die Zusammensetzung des Publikums wurde nicht informiert. Obwohl Jugendgewalt das Thema war, waren die meisten Anwesenden deutlich über 40 Jahre. Und obwohl im Flyer zur Veranstaltung gefragt wurde „welche Rolle spielt die Wahrnehmung, dass jugendliche Migranten besonders häufig an solchen Gewalttaten beteiligt sind“, waren im Publikum so gut wie keine Migranten.
In der Diskussion ist dieses Problem am Beispiel der Elternabende an den Schulen kurz reflektiert worden. Es wurde gesagt, dass immer die Falschen kämen, d.h. nicht die Eltern, die Kinder mit Schwierigkeiten haben, sondern diejenigen, die eh schon hoch motiviert sind, noch mehr für ihre Kinder zu tun. Und es wurde betont, dass man zu den Eltern hingehen müsse, die den Weg zum Elternabend nicht finden. Leider wurde nicht diskutiert, warum auf dem Podium nicht ein Jugendlicher saß. Wie glaubwürdig ist eine Veranstaltung, wenn es keine gleichberechtigte Beteiligung derjenigen gibt, um die es geht?
Moderiert von Arnd Henze – Teilnehmer des des Streitgesprächs
Foto: Christina von Haugwitz bei report-K
Trotz des Erschreckens über die Zustände in den Jugendgefängnissen, die durch das Tötungsdelikt in der JVA Siegburg öffentlich wurden, gab es bis heute keine öffentliche Veranstaltung, in der inhaftierte oder verurteilte Jugendliche zu Wort kamen. Dabei darf gerade dem Dellbrücker Forum unterstellt werden, dass es diese Podiumsdiskussion unmittelbar auch im Interesse der von Kriminalisierung bedrohten Jugendlichen organisiert hatte und keineswegs, um einen weiteren Beitrag für die repressive Trendwende in der Kriminalpolitik zu leisten.
Für diese Law-and-Order-Position saß CDU-Landtagsabgeordnete Jürgen Hollstein auf dem Podium. Er hatte den Leitantrag „Jugend schützen. Gewalt bekämpfen. Härter durchgreifen“ vor sich auf dem Tisch liegen, über den auf dem CDU-Parteitag am 5. Mai 2007 in Siegburg abgestimmt werden soll, und er bezog sich immer mal wieder darauf. Immerhin hatte Polizeidirektor Behrendes irgendwann genug davon und wies ihn darauf hin, dass „härter durchgreifen“ nicht mit den Grundrechten zu vereinbaren ist. Bei den Delikten von Jugendlichen gehe es um ein angemessenes Reagieren. Und damit es keine Missverständnisse gab, wiederholte er: „Reagieren, nicht unbedingt Sanktionieren.“ Angesichts der Begeisterung im Saal für diese überraschende polizeiliche Intervention versuchte der CDU-Landtagsabgeordnete zwar zunächst, seine Position zu rechtfertigen, meinte aber am Ende, dass „angemessen reagieren“ doch die bessere Formulierung sei.
Ob er sich dafür auch auf dem CDU-Parteitag einsetzen wird, bleibt abzuwarten, denn Ministerpräsident Rüttgers hatte am Wochenende davor in der „Bild am Sonntag“ in einem Gastbeitrag geschrieben, wie er sich die Auseinandersetzung mit der Gewalt unter Jugendlichen vorstellt: Wiedereinführung der geschlossenen Heimunterbringung für Kinder, die nicht hören wollen und verpflichtende Erziehungskurse für „schlechte Eltern“. Mit seiner „Null Toleranz“-Haltung bezog er sich auf die angeblich zunehmende Jugendgewalt.
Die Polizei: „Mein Freund, ich helf Dir.“
Auch hierzu kamen von Polizeidirektor Behrendes einige relativierende Sätze: In Köln z.B. wurde für jede der 250 Schulen ein Polizeibeamter abgestellt, der in die Klassen geht, um mit den Schülern über Gewalt zu diskutieren, Schülersprechstunden abhält und auf dem Schulhof großzügig seine Visitenkarten verteilt. Und bei all diesen Aktivitäten ermuntert er die SchülerInnen Anzeigen zu stellen, wenn sie Opfer von Gewalt oder Zeuge von gewalttätigen Auseinandersetzungen werden. Ergebnis dieser „Vertrauensarbeit“: Heute werden auch kleine Schulhofrangeleien angezeigt. Und die ließen die Zahl der Anzeigen im Bereich der Gewaltdelikte in die Höhe schnellen. Mit anderen Worten: es kann nicht davon ausgegangen werden, dass an den Schulen mehr geprügelt wird, sondern fest steht nur, dass mehr angezeigt wird. Das „Hellfeld“ der der Polizei bekannt gewordenen Delikte ist größer geworden. Für die Polizei bedeutet das, dass dadurch ihre Aufklärungsquote in die Höhe ging, denn die Schüler, die eine Anzeige machen, liefern in der Regel den oder die Tatverdächtigen gleich mit, handelt es sich doch bei diesen Delikten fast ausschließlich um Rangeleien unter Gleichaltrigen, die sich kennen.
Der Kriminologe Christian Pfeiffer konnte aufgrund seiner Forschungen sogar noch weiter gehen: Während die Zahl der Anzeigen an den Schulen gestiegen ist, weil die Sensibilisierung gegen Gewalt gewachsen ist, haben Rückfragen bei den Versicherungen ergeben, dass die schweren Delikte mit Krankenhausaufenthalt oder einem Arztbesuch weniger geworden sind. Von einer immer brutaler werdenden Jugend kann folglich nicht die Rede sein.
Da der Satz des Straf- und Völkerrechtlers Franz von Liszt, wonach eine gute Sozialpolitik die beste Kriminalpolitik ist, seit 100 Jahren die Reformdiskussion in der Jugendhilfe mitbestimmt, ist allerdings aufklärungsbedürftig, warum es der Polizei möglich ist, 250 Beamtinnen und Beamte für die Schulen freizustellen und nicht dem Sozial- und Jugendamt. Für jugendliche Delinquenz sollten JugendsozialarbeiterInnen zuständig sein und die PolizeibeamtInnen sollten sich den erwachsenen Straftätern widmen. Vielleicht kommt es dann eines Tages auch zu Jahresberichten des Polizeipräsidiums Köln, in denen über die Wirtschaftskriminalität mehr als zehn Zeilen steht.
Ausnahmsweise mal in der Kirche - Jugendliche aus Finkenberg
Foto: Dellbrücker Forum
Schnell reagieren?
Ein anderes Vorurteil ist in der Öffentlichkeit und in der Dellbrücker Diskussion die angeblich so dringend nötige schnelle und prompte Sanktion, die einer Tat auf dem Fuß folgen müsse. Dabei wird nicht nur ignoriert, dass die meisten Taten gar nicht bekannt werden, also auch ohne Sanktion bleiben, sondern vor allem, dass es keine Beweise dafür gibt, dass die Schnelligkeit und Promptheit einer Reaktion oder Sanktion deren Vernunft und Effektivität verbürgt. Aus dem Publikum hat Rechtsanwalt Lukas Pieplow dazu aus einer aktuellen Gerichtsverhandlung berichtet. Sein Mandant galt als „Intensivtäter“, hat aber seit über einem Jahr keinerlei Delikt mehr begangen. Er wies eindringlich darauf hin, dass aus seiner Kenntnis der Person seines Mandanten das Gegenteil geschehen sei: wenn vor einem Jahr hart und schnell reagiert worden wäre, wäre sein Mandant nicht zur Einsicht fähig gewesen.
Hier wird ein Phänomen thematisiert, das in der Jugendkriminalrechtspflege seit 100 Jahren bekannt ist: Franz von Liszt hatte schon zu Beginn des vorigen Jahrhunderts belegen können, dass Jugendliche mit den Verurteilungen auf den Weg der Kriminalität gestoßen werden und dass der Rückfall umso rascher erfolgt, je härter die Vorstrafe gewesen ist. Er folgerte daraus: wenn man einen straffällig gewordenen Jugendlichen laufen lässt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er wieder straffällig wird, geringer, als wenn man ihn bestraft.
In dieser Tradition kann ein Forschungsergebnis gesehen werden, von dem Christian Pfeiffer berichtete: Erziehung zu einem Leben ohne Straftaten findet hinter Gittern so gut wie nicht statt. Wobei er ausdrücklich das Personal der Justizvollzugsanstalten lobte, aber Erziehung durch Gefängnishaft funktioniert einfach nicht.
Jugendlicher: kriminell oder kriminalisiert?
Foto: Steffen Hellwig/pixelio.de
Wer das heutzutage thematisiert, trifft auf eine Bevölkerung, die mehrheitlich überzeugt ist, dass die Gesellschaft von immer mehr Jugendkriminalität bedroht ist. Diese Überzeugung ist so fest, dass sie sich scheinbar selbst gegen jede Korrektur immunisiert. Gerade hat die „Forschungsgruppe Wahlen“ für das ZDF-Politbarometer das wieder bestätigt: 65 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass in Deutschland für die Bekämpfung der Kriminalität nicht genug getan wird. Und der „Express“ verkündet diese Nachricht mit der Schlagzeile „Deutsche für härtere Gangart gegen Kriminalität“. Dass das unmittelbar Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen ist, kann sich jeder auf deren homepages und in ihren print-Medien ansehen. Wie Antisemitismus und Rassismus ist „law-and-order“ Kernbestand rechtsextremer Ideologien. Davon gibt es kein gesellschaftliches Bewusstsein.
Der kritische Kriminologe Fritz Sack spricht das seit Jahren an: Die angeblich gestiegene Kriminalität ist nicht als Ursache und Begründung, sondern als Rationalisierung für eine schärfere und repressivere Kriminalpolitik anzusehen.
Tatsächlich wissen wir, dass in unserer Gesellschaft Kinder und Jugendliche mehr Opfer von Gewalt durch Erwachsene sind – genau wie es die Erwachsenen sind, die mehr Delikte als Jugendliche begehen und größere materielle Schäden anrichten. Wie es aussieht, hat die maßlose Beschäftigung mit Jugendkriminalität die Funktion, genau davon abzulenken. Man erinnere sich an die erregten Reaktionen als die Kölner Grünen mit Plakaten und Postkarten die Frage „Wem gehört die Stadt?“ ins öffentliche Bewusstsein zu bringen versuchten. Da ist es doch viel bequemer, der Öffentlichkeit einzureden, all diese Kids ohne Schulabschluss, ohne Arbeit seien dabei, sich zu Gangs zu organisieren, die ganze Straßenzüge, ja ganze Stadtteile unter ihre Kontrolle bringen würden. Wie eines der Boulevardblätter mal ganz dummdreist titelte: „Die Klau-Kids klauen ganz Köln leer“.
Das Thema in Dellbrück war „Tatort Veedel“. Und als es darum ging, nach Lösungen für die Gewalt unter Jugendlichen zu suchen, wurden auch eine Reihe Vorschläge gemacht, die im Rahmen des Stadtteils umgesetzt werden können – zum Beispiel kann und muss die bewährte Konfliktregulierung an den Schulen weiter ausgebaut werden. Ein Psychologe aus dem Publikum machte deutlich, dass die Eltern von jugendlichen Delinquenten in der ganzen Auseinandersetzung oft vergessen werden. Sie zu unterstützen, ihnen zu helfen, könnte Ressourcen entwickeln, die weder von Polizei noch von der Schule zu erwarten seien.
Aber es wurde auch deutlich, dass es gesamtgesellschaftlicher politischer und wirtschaftlicher Veränderungen bedarf, um die Situation der Jugendlichen zu verbessern. Pfarrerin Eva Schaaf kritisierte alle im Bundestag vertretene Parteien, dass sie es bis heute nicht geschafft haben, wenigstens die Abschiebung von straffällig gewordenen Jugendlichen abzuschaffen. Im Kölner Stadt-Anzeiger waren dafür auch schon – selten genug, aber immerhin – grundsätzliche Lösungsansätze thematisiert worden.
Unter dem Titel „So, wie Murat ist, wird man nicht geboren“ schrieb Marianne Quorin am 13.4. 2002: „Wenigstens in einem sind sich die Fachleute einig: Es gibt keine Patentlösung, sondern nur den Kampf um jedes einzelne Kind. Wie soll er geführt werden, wenn die Zahl der Sozialhilfeempfänger unter Kinder stetig wächst, gleichzeitig aber Länder und Kommunen die Ausgaben für Jugendarbeit extrem kürzen? Wer aber jetzt an Hilfsprojekten für Kinder und Jugendliche spart, wird freilich später einen hohen Preis bezahlen. Denn je mehr die sozialen Gegensätze wachsen, ganze Stadtviertel veröden und verarmen, desto stärker steigt die Gewalt unter Kindern – mit unvorhersehbaren Konsequenzen für die Gesellschaft.“
In der Diskussion in der Christuskirche gab es davon durchaus ein Bewusstsein. Mit den stärksten Beifall des Abends gab es für die Forderung von Christian Pfeiffer, Ganztagsschulen für alle Kinder einzurichten. Eine Gesellschaft die zu den Veränderungen bereit ist, die zur Überwindung sozialer Gegensätze nötig sind, kann auf die Figur „unverbesserlicher Intensivtäter“ verzichten.
Klaus Jünschke hat gerade zusammen mit Christiane Ensslin und Jörg Hauenstein im konkret-Literaturverlag das Buch „Popshop. Gespräche mit Jugendlichen in Haft“ herausgegeben. Mit dem Kölner Appell gegen Rassismus e.V. hat er am 20. April die Ausstellung „Europa verhaftet“ gestartet. Sie ist bis zum 4. Juni im Kalk-Karree am Ottmar Pohl-Platz 1 werktags ab 8 Uhr zu besichtigen.
Siehe www.jugendliche-in-haft.de
Online-Flyer Nr. 92 vom 25.04.2007
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Dellbrücker Forum: Was tun gegen Jugendgewalt?
„Tatort Veedel“
Von Klaus Jünschke
Auf dem rein männlich besetzten Podium waren: Udo Behrendes, Kölner Polizeidirektor und Leiter des Präventionsprojekts gegen Gewalt an Kölner Schulen, Franco Clemens, Streetworker in Köln-Finkenberg und Straßenmusiker (Magic Street Voices), Jürgen Hollstein, Kölner Landtagsabgeordneter der CDU, und Professor Christian Pfeiffer, Chef des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsens. Weitere Teilnehmer saßen im Publikum: drei Jugendliche mit Migrationshintergrund aus Köln-Finkenberg, die mit Franco Clemens gekommen waren, und Tim Stinauer, der Polizeireporter des Kölner Stadt-Anzeiger, der zum Thema Medien und Kriminalität sprechen sollte. Humorvoll moderiert wurde die Diskussion von Arnd Henze, leitender Fernsehredakteur beim WDR.
In der Berichterstattung der Kölner Medien (siehe auch www.dellbruecker-forum.de) wurde betont, dass die Christuskirche bis zum letzten Platz besetzt war, aber über die Zusammensetzung des Publikums wurde nicht informiert. Obwohl Jugendgewalt das Thema war, waren die meisten Anwesenden deutlich über 40 Jahre. Und obwohl im Flyer zur Veranstaltung gefragt wurde „welche Rolle spielt die Wahrnehmung, dass jugendliche Migranten besonders häufig an solchen Gewalttaten beteiligt sind“, waren im Publikum so gut wie keine Migranten.
In der Diskussion ist dieses Problem am Beispiel der Elternabende an den Schulen kurz reflektiert worden. Es wurde gesagt, dass immer die Falschen kämen, d.h. nicht die Eltern, die Kinder mit Schwierigkeiten haben, sondern diejenigen, die eh schon hoch motiviert sind, noch mehr für ihre Kinder zu tun. Und es wurde betont, dass man zu den Eltern hingehen müsse, die den Weg zum Elternabend nicht finden. Leider wurde nicht diskutiert, warum auf dem Podium nicht ein Jugendlicher saß. Wie glaubwürdig ist eine Veranstaltung, wenn es keine gleichberechtigte Beteiligung derjenigen gibt, um die es geht?
Moderiert von Arnd Henze – Teilnehmer des des Streitgesprächs
Foto: Christina von Haugwitz bei report-K
Trotz des Erschreckens über die Zustände in den Jugendgefängnissen, die durch das Tötungsdelikt in der JVA Siegburg öffentlich wurden, gab es bis heute keine öffentliche Veranstaltung, in der inhaftierte oder verurteilte Jugendliche zu Wort kamen. Dabei darf gerade dem Dellbrücker Forum unterstellt werden, dass es diese Podiumsdiskussion unmittelbar auch im Interesse der von Kriminalisierung bedrohten Jugendlichen organisiert hatte und keineswegs, um einen weiteren Beitrag für die repressive Trendwende in der Kriminalpolitik zu leisten.
Für diese Law-and-Order-Position saß CDU-Landtagsabgeordnete Jürgen Hollstein auf dem Podium. Er hatte den Leitantrag „Jugend schützen. Gewalt bekämpfen. Härter durchgreifen“ vor sich auf dem Tisch liegen, über den auf dem CDU-Parteitag am 5. Mai 2007 in Siegburg abgestimmt werden soll, und er bezog sich immer mal wieder darauf. Immerhin hatte Polizeidirektor Behrendes irgendwann genug davon und wies ihn darauf hin, dass „härter durchgreifen“ nicht mit den Grundrechten zu vereinbaren ist. Bei den Delikten von Jugendlichen gehe es um ein angemessenes Reagieren. Und damit es keine Missverständnisse gab, wiederholte er: „Reagieren, nicht unbedingt Sanktionieren.“ Angesichts der Begeisterung im Saal für diese überraschende polizeiliche Intervention versuchte der CDU-Landtagsabgeordnete zwar zunächst, seine Position zu rechtfertigen, meinte aber am Ende, dass „angemessen reagieren“ doch die bessere Formulierung sei.
Ob er sich dafür auch auf dem CDU-Parteitag einsetzen wird, bleibt abzuwarten, denn Ministerpräsident Rüttgers hatte am Wochenende davor in der „Bild am Sonntag“ in einem Gastbeitrag geschrieben, wie er sich die Auseinandersetzung mit der Gewalt unter Jugendlichen vorstellt: Wiedereinführung der geschlossenen Heimunterbringung für Kinder, die nicht hören wollen und verpflichtende Erziehungskurse für „schlechte Eltern“. Mit seiner „Null Toleranz“-Haltung bezog er sich auf die angeblich zunehmende Jugendgewalt.
Die Polizei: „Mein Freund, ich helf Dir.“
Auch hierzu kamen von Polizeidirektor Behrendes einige relativierende Sätze: In Köln z.B. wurde für jede der 250 Schulen ein Polizeibeamter abgestellt, der in die Klassen geht, um mit den Schülern über Gewalt zu diskutieren, Schülersprechstunden abhält und auf dem Schulhof großzügig seine Visitenkarten verteilt. Und bei all diesen Aktivitäten ermuntert er die SchülerInnen Anzeigen zu stellen, wenn sie Opfer von Gewalt oder Zeuge von gewalttätigen Auseinandersetzungen werden. Ergebnis dieser „Vertrauensarbeit“: Heute werden auch kleine Schulhofrangeleien angezeigt. Und die ließen die Zahl der Anzeigen im Bereich der Gewaltdelikte in die Höhe schnellen. Mit anderen Worten: es kann nicht davon ausgegangen werden, dass an den Schulen mehr geprügelt wird, sondern fest steht nur, dass mehr angezeigt wird. Das „Hellfeld“ der der Polizei bekannt gewordenen Delikte ist größer geworden. Für die Polizei bedeutet das, dass dadurch ihre Aufklärungsquote in die Höhe ging, denn die Schüler, die eine Anzeige machen, liefern in der Regel den oder die Tatverdächtigen gleich mit, handelt es sich doch bei diesen Delikten fast ausschließlich um Rangeleien unter Gleichaltrigen, die sich kennen.
Der Kriminologe Christian Pfeiffer konnte aufgrund seiner Forschungen sogar noch weiter gehen: Während die Zahl der Anzeigen an den Schulen gestiegen ist, weil die Sensibilisierung gegen Gewalt gewachsen ist, haben Rückfragen bei den Versicherungen ergeben, dass die schweren Delikte mit Krankenhausaufenthalt oder einem Arztbesuch weniger geworden sind. Von einer immer brutaler werdenden Jugend kann folglich nicht die Rede sein.
Da der Satz des Straf- und Völkerrechtlers Franz von Liszt, wonach eine gute Sozialpolitik die beste Kriminalpolitik ist, seit 100 Jahren die Reformdiskussion in der Jugendhilfe mitbestimmt, ist allerdings aufklärungsbedürftig, warum es der Polizei möglich ist, 250 Beamtinnen und Beamte für die Schulen freizustellen und nicht dem Sozial- und Jugendamt. Für jugendliche Delinquenz sollten JugendsozialarbeiterInnen zuständig sein und die PolizeibeamtInnen sollten sich den erwachsenen Straftätern widmen. Vielleicht kommt es dann eines Tages auch zu Jahresberichten des Polizeipräsidiums Köln, in denen über die Wirtschaftskriminalität mehr als zehn Zeilen steht.
Ausnahmsweise mal in der Kirche - Jugendliche aus Finkenberg
Foto: Dellbrücker Forum
Schnell reagieren?
Ein anderes Vorurteil ist in der Öffentlichkeit und in der Dellbrücker Diskussion die angeblich so dringend nötige schnelle und prompte Sanktion, die einer Tat auf dem Fuß folgen müsse. Dabei wird nicht nur ignoriert, dass die meisten Taten gar nicht bekannt werden, also auch ohne Sanktion bleiben, sondern vor allem, dass es keine Beweise dafür gibt, dass die Schnelligkeit und Promptheit einer Reaktion oder Sanktion deren Vernunft und Effektivität verbürgt. Aus dem Publikum hat Rechtsanwalt Lukas Pieplow dazu aus einer aktuellen Gerichtsverhandlung berichtet. Sein Mandant galt als „Intensivtäter“, hat aber seit über einem Jahr keinerlei Delikt mehr begangen. Er wies eindringlich darauf hin, dass aus seiner Kenntnis der Person seines Mandanten das Gegenteil geschehen sei: wenn vor einem Jahr hart und schnell reagiert worden wäre, wäre sein Mandant nicht zur Einsicht fähig gewesen.
Hier wird ein Phänomen thematisiert, das in der Jugendkriminalrechtspflege seit 100 Jahren bekannt ist: Franz von Liszt hatte schon zu Beginn des vorigen Jahrhunderts belegen können, dass Jugendliche mit den Verurteilungen auf den Weg der Kriminalität gestoßen werden und dass der Rückfall umso rascher erfolgt, je härter die Vorstrafe gewesen ist. Er folgerte daraus: wenn man einen straffällig gewordenen Jugendlichen laufen lässt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er wieder straffällig wird, geringer, als wenn man ihn bestraft.
In dieser Tradition kann ein Forschungsergebnis gesehen werden, von dem Christian Pfeiffer berichtete: Erziehung zu einem Leben ohne Straftaten findet hinter Gittern so gut wie nicht statt. Wobei er ausdrücklich das Personal der Justizvollzugsanstalten lobte, aber Erziehung durch Gefängnishaft funktioniert einfach nicht.
Jugendlicher: kriminell oder kriminalisiert?
Foto: Steffen Hellwig/pixelio.de
Wer das heutzutage thematisiert, trifft auf eine Bevölkerung, die mehrheitlich überzeugt ist, dass die Gesellschaft von immer mehr Jugendkriminalität bedroht ist. Diese Überzeugung ist so fest, dass sie sich scheinbar selbst gegen jede Korrektur immunisiert. Gerade hat die „Forschungsgruppe Wahlen“ für das ZDF-Politbarometer das wieder bestätigt: 65 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass in Deutschland für die Bekämpfung der Kriminalität nicht genug getan wird. Und der „Express“ verkündet diese Nachricht mit der Schlagzeile „Deutsche für härtere Gangart gegen Kriminalität“. Dass das unmittelbar Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen ist, kann sich jeder auf deren homepages und in ihren print-Medien ansehen. Wie Antisemitismus und Rassismus ist „law-and-order“ Kernbestand rechtsextremer Ideologien. Davon gibt es kein gesellschaftliches Bewusstsein.
Der kritische Kriminologe Fritz Sack spricht das seit Jahren an: Die angeblich gestiegene Kriminalität ist nicht als Ursache und Begründung, sondern als Rationalisierung für eine schärfere und repressivere Kriminalpolitik anzusehen.
Tatsächlich wissen wir, dass in unserer Gesellschaft Kinder und Jugendliche mehr Opfer von Gewalt durch Erwachsene sind – genau wie es die Erwachsenen sind, die mehr Delikte als Jugendliche begehen und größere materielle Schäden anrichten. Wie es aussieht, hat die maßlose Beschäftigung mit Jugendkriminalität die Funktion, genau davon abzulenken. Man erinnere sich an die erregten Reaktionen als die Kölner Grünen mit Plakaten und Postkarten die Frage „Wem gehört die Stadt?“ ins öffentliche Bewusstsein zu bringen versuchten. Da ist es doch viel bequemer, der Öffentlichkeit einzureden, all diese Kids ohne Schulabschluss, ohne Arbeit seien dabei, sich zu Gangs zu organisieren, die ganze Straßenzüge, ja ganze Stadtteile unter ihre Kontrolle bringen würden. Wie eines der Boulevardblätter mal ganz dummdreist titelte: „Die Klau-Kids klauen ganz Köln leer“.
Das Thema in Dellbrück war „Tatort Veedel“. Und als es darum ging, nach Lösungen für die Gewalt unter Jugendlichen zu suchen, wurden auch eine Reihe Vorschläge gemacht, die im Rahmen des Stadtteils umgesetzt werden können – zum Beispiel kann und muss die bewährte Konfliktregulierung an den Schulen weiter ausgebaut werden. Ein Psychologe aus dem Publikum machte deutlich, dass die Eltern von jugendlichen Delinquenten in der ganzen Auseinandersetzung oft vergessen werden. Sie zu unterstützen, ihnen zu helfen, könnte Ressourcen entwickeln, die weder von Polizei noch von der Schule zu erwarten seien.
Aber es wurde auch deutlich, dass es gesamtgesellschaftlicher politischer und wirtschaftlicher Veränderungen bedarf, um die Situation der Jugendlichen zu verbessern. Pfarrerin Eva Schaaf kritisierte alle im Bundestag vertretene Parteien, dass sie es bis heute nicht geschafft haben, wenigstens die Abschiebung von straffällig gewordenen Jugendlichen abzuschaffen. Im Kölner Stadt-Anzeiger waren dafür auch schon – selten genug, aber immerhin – grundsätzliche Lösungsansätze thematisiert worden.
Unter dem Titel „So, wie Murat ist, wird man nicht geboren“ schrieb Marianne Quorin am 13.4. 2002: „Wenigstens in einem sind sich die Fachleute einig: Es gibt keine Patentlösung, sondern nur den Kampf um jedes einzelne Kind. Wie soll er geführt werden, wenn die Zahl der Sozialhilfeempfänger unter Kinder stetig wächst, gleichzeitig aber Länder und Kommunen die Ausgaben für Jugendarbeit extrem kürzen? Wer aber jetzt an Hilfsprojekten für Kinder und Jugendliche spart, wird freilich später einen hohen Preis bezahlen. Denn je mehr die sozialen Gegensätze wachsen, ganze Stadtviertel veröden und verarmen, desto stärker steigt die Gewalt unter Kindern – mit unvorhersehbaren Konsequenzen für die Gesellschaft.“
In der Diskussion in der Christuskirche gab es davon durchaus ein Bewusstsein. Mit den stärksten Beifall des Abends gab es für die Forderung von Christian Pfeiffer, Ganztagsschulen für alle Kinder einzurichten. Eine Gesellschaft die zu den Veränderungen bereit ist, die zur Überwindung sozialer Gegensätze nötig sind, kann auf die Figur „unverbesserlicher Intensivtäter“ verzichten.
Klaus Jünschke hat gerade zusammen mit Christiane Ensslin und Jörg Hauenstein im konkret-Literaturverlag das Buch „Popshop. Gespräche mit Jugendlichen in Haft“ herausgegeben. Mit dem Kölner Appell gegen Rassismus e.V. hat er am 20. April die Ausstellung „Europa verhaftet“ gestartet. Sie ist bis zum 4. Juni im Kalk-Karree am Ottmar Pohl-Platz 1 werktags ab 8 Uhr zu besichtigen.
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