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Aktueller Online-Flyer vom 26. Dezember 2024  

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Sport
Wie ich lernte Gladbach zu hassen
Modeclubs
Von Hermann

Manchmal gehe ich fremd. Ich mache aber kein Geheimnis daraus, sondern stehe offen und ehrlich dazu: Ich habe einen Zweitverein. Wenn es meine Zeit zulässt, besuche ich Spiele des FC St. Pauli. Das ist in Köln nichts Besonderes, finden sich hier doch einige Menschen, die die ehemalige Fanfreundschaft im Privaten weiterleben lassen, die den 1.FC Köln einst mit dem Hamburger Stadtteilclub verband. So kam ich diese Saison in den Genuss, mit Düsseldorf, Leverkusen und Mönchengladbach den größten Rivalen meines Vereins einen Besuch abzustatten. Bei den zwei letztgenannten handelte es sich natürlich um die Amateurabteilungen, da die ersten Mannschaften (noch) in der ersten Liga zu finden sind.
Tribüne
Im Reich der zweiten Mannschaften
Foto: Hermann


Die Vorteile eines Zweitvereins liegen klar auf der Hand: Mit diesem Niederlagen zu erleben (Düsseldorf, Leverkusen) nagt nicht so lange an einem, als wären sie dem eigenen Verein widerfahren, Siege zu feiern (Gladbach) bringt aber uneingeschränkten Spaß mit sich. Obwohl ich zugeben muss, dass meine Abneigung gegen Borussia Mönchengladbach eigentlich nicht natürlich gewachsen ist, sondern mir von außen nahegebracht wurde. Als ich die dritte Schulklasse besuchte, bekamen wir einen neuen Schüler dazu, der mit seiner Familie vom Niederrhein nach Köln-Sülz gezogen und großer Fußballfan war. Und Marcos (Name leicht geändert) Verein war angesprochene Borussia.

Anscheinend sind Kinder manchmal extrem tolerant, denn obwohl in Sülz der 1.FC Köln neben dem Katholizismus die einzige anerkannte Religion war, freundete ich mich mit Marco an und ging mit ihm, wenn er unter starkem Fußballentzug litt, zur Fortuna ins Südstadion. Dann kam eines Tages Marcos Geburtstag und er bekam zwei Karten für das Spiel Gladbach gegen Bayern geschenkt. Wen nahm er wohl zum Spiel mit? Natürlich seinen einzigen Stadionfreund in der neuen Heimat: mich. Völlig angst- und vorurteilfrei besuchte ich mit ihm den Bökelberg und würde ich behaupten, ich hätte mich nicht amüsiert, würde ich glatt lügen. Später dann kam Marco auch mit zum FC, machte aber den großen Fehler, einen Borussia-Schal für adäquate Bekleidung in der Südkurve zu halten. Darauf wurde er mehrfach eindringlich und nicht immer freundlich hingewiesen und gab künftig einem vereinsneutralen Äußeren bei weiteren Stadionbesuchen in Köln den Vorzug.

Dieser Rückblick in die Kindheit soll zeigen, dass ich einst problemlos das Existenzrecht Mönchengladbachs akzeptierte. Als ich dann älter wurde, lernte ich allerdings mehr und mehr in meiner Heimatstadt lebende Gladbach-Fans kennen. Natürlich wusste ich damals schon, dass die Abneigung ihrerseits gegenüber meinem Verein keine einseitige ist, vermutlich sogar daher rührt, dass die Kölner in den 70er Jahren Schwierigkeiten hatten zu akzeptieren, dass ihnen ein Dorfverein den Rang als das Maß der Dinge im Deutschen Fußball abgelaufen hatte und auf Europäischer Ebene sogar noch einen draufsetzte. So tief dieser Stachel noch heute im Fleisch der Kölner sitzt, so tief ist wohl auch der Komplex in vielen Borussen verankert, den die Erkenntnis ausgelöst hat, dass Mönchengladbach in etwa die Strahlkraft einer mäßig interessanten, niederrheinischen Mittelstadt hat, was daran liegt, dass es sich hierbei um nichts anderes handelt.

Das ist wohl auch der Grund, warum es die Gladbach-Fans, als sie ihre Heimatdörfer verließen, vorzogen, in der schönen Domstadt ihre Zelte aufzuschlagen. Diese bevölkern jetzt die Kölner Kneipen und erklären jedem, der es nicht hören will, was für ein lächerlicher Haufen der FC nebst Anhang ist. Wenn sich ein Deutscher Tourist bei Urlaubsreisen in die dritte Welt über die katastrophalen hygienischen Bedingungen beschwert, ist vermutlich jeder klar denkende Mensch der Ansicht, der dumme Prolet sollte seine Ferien doch besser im Sauerland verbringen. Aber jeder zugezogene Spinner glaubt, er würde unglaublich weise klingen, wenn der über die gewachsene Fußballkultur seiner Wahlheimat schimpft.

Ich meine hier um Himmels willen keine gebürtigen Mönchengladbacher wie Marco, der im Alter von acht Jahren natürlich unfreiwillig verzog und dem Kölner Fußball mit dem nötigen Respekt begegnete, sondern jene, die sich bei Zeiten, genauer gesagt bei erfolgreichen Zeiten, für Gladbach als ihren Lieblingsverein, ungeachtet ihrer Herkunft, entschieden haben. Und das taten nicht wenige, denn im Prinzip ist die Borussia der erste richtige Modeverein gewesen. Nicht nur für damalige Kinder, die geblendet von den Erfolgen der Fohlen-Elf auch ein wenig vom süßen Nektar des Ruhmes naschen wollten, sondern auch für Gelehrte und kritische Zeitgenossen, da jene Mannschaft von damals einen besonders progressiven Ruf genoss, der ihr einen gewissen avantgardistischen Glanz im sonst so schmierigen Geschäft Fußball verlieh. Wo die Ursache für diesen Ruf liegt, weiß heute nicht einmal Günter Netzer zu sagen, der den angeblichen Unterschied damals zwischen den konservativen Bayern und den fortschrittlichen Gladbachern mit der Frage aufzuheben versuchte, wo denn seiner Zeit Berti Vogts und wo Paul Breitner gespielt hätte.

Trotzdem finden sich heute immer noch haufenweise in die Jahre gekommene Akademiker, für die es damals eine Selbstverständlichkeit war, gegen Pershing, für Zusammenlegung und natürlich auch für Borussia Mönchengladbach zu sein. Nur die Wenigsten haben vermutlich je ein Stadion von innen gesehen. Bei aller Zuneigung musste ich allerdings feststellen, dass der FC St. Pauli durch eine ähnliche Entwicklung (ohne die Tage im Europapokal versteht sich) über eine Fangemeinde verfügt, in der das Kennen der Abseitsregel mitunter nicht ganz so weit verbreitet ist. Soll heißen, dass der Kult um den Verein gelegentlich ebenso viele Leute ins Stadion treibt, wie die Erwartung auf das Geschehen auf dem Rasen. Eine Kollegin erklärte mir einst, sie habe zwar mit Fußball nichts zu tun, sie sei aber Fan von St. Pauli und Brasilien. Genau so gut hätte sie sagen können, dass sie Golf GTI und Napfkuchen super findet. Man muss nicht unbedingt auf der Seite des Kiezclubs sein, nur weil man früher einmal einen ‚Häring – Drecksau’-Aufkleber verklebt hat. Man kann aber natürlich. Denn dadurch, dass der Verein einen so großen Sog auf eher unangepasste Kreise ausübt, verlebt man recht entspannte Touren zu den Spielen und trifft für Fußballverhältnisse überdurchschnittlich viele wirklich nette Leute. In Leverkusen lernte ich einen lustigen Punker kennen, der gestand, erst zum zweiten Mal in seinem nicht mehr ganz jungen Leben ein Stadion zu besuchen. Sein erstes Fußballspiel war DDR – Irland und lag somit schon einige Zeit zurück. Ich traf ihn kurz darauf in Gladbach wieder. Vermutlich ist er inzwischen sogar mit dem Regelwerk vertraut.

Nun habe ich aber lange genug auf andere Vereine gezeigt und mit dem Begriff ‚Modeclub’ um mich geworfen. Vor wenigen Wochen interviewte unser Stadionsprecher in Müngersdorf ein pubertierendes Mädchen mit den Worten: „Na, Jennifer, du hast mir vorhin erzählt, du bist schon länger FC-Fan?“ Und ihre Antwort war: „Ja, schon fast drei Jahre.“ Ich hatte ganz übersehen, dass auch mein Verein durch das Aufsehen um Poldi und die WM zum Modeclub wurde. Wie sonst lassen sich 40.000 Zuschauer in der zweiten Liga erklären? Günter Netzer, Volker Ippig, Lukas Podolski, falls Jennifer nicht weiß, was Abseits ist, trifft euch keine Schuld.

p.s. ‚Häring – Drecksau’-Aufkleber wird außerhalb Kölns kaum jemand kennen. Diese zielten auf den damaligen Polizeipräsidenten ab, der hier nicht ganz so hohe Popularitätswerte wie Lukas Podolski verbuchen konnte.



Online-Flyer Nr. 95  vom 16.05.2007

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