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Globales
Ziel deutscher Außenpolitik: die Zerstückelung Jugoslawiens
Bei den Serben im Kosovo – Teil III
Von Eckart Spoo
III
Velika Hoca ist ein Dorf im Süden Kosovos, wo wir über Ostern bei dem Bauern Bogoljub Stasic Quartier gefunden haben. Auf dem Hof geht es an diesem Ostersonntagmorgen 2007 so lebhaft zu wie an jedem Morgen: Hühner gackern, Hähne krähen, Tauben gurren, zwei kleine Schweine quieken und grunzen in ihrem Verschlag, und die Hunde bellen. Zur vollen Stunde, wenn die Glocke in der benachbarten St. Stefanskirche bimmelt, jaulen die Hunde, und ihr Jaulen dauert genau so lange wie das Bimmeln, keine Sekunde länger. Im Hof blühen die Obstbäume. Strahlendes Blütenweiß unter blauem, wolkenlosem Himmel. Das Dorf ist rings umgeben von Hügeln mit Weinfeldern. Aus der Ferne leuchtet von Osten, Süden und Westen der Schnee von über 2000 Meter hohen Felsmassiven. Man könnte sich kein friedlicheres, freundlicheres Bild vorstellen, wenn man nicht wüßte, daß die Weinhänge von Stacheldrahtrollen durchzogen sind. Und wenn man nicht auf einem Hügel den großen Wach- und Schießstand sähe, auf dem die Fahnen mehrerer fremder Länder aufgezogen sind. Es ist ein Schießstand der Kosovo Forces (KFOR).
RolfBecker, Peter Handke und der Bürgermeister von Velika Hoca Foto: Gabriele Senft
An die 700 Serben leben hier noch in einer Enklave, und auch in der vier Kilometer entfernten Stadt Orahovac (albanisch: Rahovec) besteht noch ein serbisches Wohnviertel. Es sind zwei der letzten serbischen Enklaven in einer Region, die völkerrechtlich nach wie vor zu Serbien gehört, aber nach dem Willen der NATO und des finnischen Diplomaten Ahtissari unabhängig werden soll.
In der Frühe des Ostersonntags bringt unser Gastgeber Bogoljub uns nach Landessitte gefärbte Eier ins Zimmer. Seine Frau Vidosava hat feine alte Muster mit Wachs aufgetragen, die Eier dann mit roter Farbe bestrichen und schließlich das Wachs entfernt. Jedes Ei ein Kunstwerk. Bogoljub und sein behinderter Sohn Vladica bringen uns auch frisches Wasser zum Trinken, Kaffee und Halva, rot und süß. Mit Vladica als Dolmetscher können wir uns verständigen. Wir erfahren: Bogoljub und Vidosava hatten etwa neun Hektar Land, bevor der Krieg begann, der Bombenkrieg der NATO gegen Serbien. Neun Hektar – das reichte ihnen. Aber nun liegt etwa ein Drittel dieser Fläche in dem Gebiet, das die Albaner besetzt haben; und die haben inzwischen Häuser darauf gebaut. Das verbliebene Land reicht den Stasićs nicht mehr. Das Leben ist schwerer geworden. Für den Verlust ihres Eigentums wurden sie nicht entschädigt. Die beiden älteren Söhne, Stanislaw und Dalibor, die in Belgrad studieren sollten, versuchen jetzt, sich dort irgendwie durchzuschlagen.
Wir wollen uns waschen, aber aus der Leitung kommt kein Tropfen Wasser. „Die Albaner haben es abgestellt“, klagt Bogoljub. „Immer wieder. Es ist eine Katastrophe.“ Für ihn hat alles Unglück im Leben nur noch einen Namen: „die Albaner“. Er hat keinerlei Kontakt zu ihnen. Viele von ihnen hat er auch früher nicht gekannt, nicht kennen können, denn sie sind neu angesiedelt worden. Zu Hunderttausenden sind sie aus Albanien zugewandert. Die Besatzungsmächte haben es geschehen lassen. So sieht Bogoljub nun für sich und vor allem für seine Söhne hier im Heimatort keinerlei Perspektive mehr. Er bittet uns: „Helft uns, Asyl in Deutschland zu finden. Die ganze Familie will auswandern.“ Er hat sich schon an die deutsche Botschaft in Belgrad gewandt, wurde aber mit der Bemerkung zurückgeschickt, er habe nicht die richtigen Papiere.
Der österreichische Dichter Peter Handke nennt diese Enklaven den „Elendstrichter Europas“. Den noch hier lebenden Menschen – „beschützt und bewacht von jenen Staaten, den westeuropäischen, die ihnen mit Bombengewalt den eigenen Staat = Jugoslawien geraubt, geraubschatzt haben“ (Handke) – hat er die 50.000 Euro zugedacht, mit denen der ihm verliehene Berliner Heinrich-Heine-Preis dotiert ist. An diesem Ostersonntag reicht er das Preisgeld weiter an den Bürgermeister des Ortes, Dejan Baljoševic. Der Ortsname Velika Hoća bedeutet: viele Väter. Handke wünscht dem Dorf viele Kinder. Zukunft.
Eigentlich sollte Handke im vergangenen Jahr den Düsseldorfer Heinrich-Heine-Preis erhalten. Eine unabhängige Jury von Literaturkennern hatte ihm diese Auszeichnung in Heines Geburtsstadt zuerkannt. Aber gleich nach der Entscheidung erhob sich Geschrei bei der Mehrheit der Kommunalpolitiker, bei Christdemokraten, Freidemokraten und vor allem auch bei Sozialdemokraten und Grünen, denn im Winter 1998/99 hatten diese beiden Parteien die Bundesregierung gebildet, und ihr Kanzler Gerhard Schröder war noch nicht vereidigt worden, als er dem damaligen US-Präsidenten Clinton schon zusagte, Deutschland werde sich am Bombenkrieg gegen Jugoslawien beteiligen. Daß dies ein Verbrechen war, wollen sie bis heute nicht eingestehen, sondern halten sich an den Lügen und Greuelmärchen fest, die damals von den Kriegspropagandisten in Bonn und Brüssel ersonnen wurden.
Handke, der den Krieg in Jugoslawien unmittelbar miterlebte, das Land schon vorher gut kannte und auch seitdem immer wieder besuchte, worüber er in mehreren Büchern anschaulich berichtet hat, wurde in Düsseldorf als „Serbenfreund“ diffamiert, vor allem weil er es gewagt hatte, den früheren serbischen und jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosević in der Haftanstalt in Den Haag zu besuchen und später sogar einige Abschiedsworte an dessen Grab zu sprechen. Er forderte „Gerechtigkeit für Serbien“ und machte sich damit verhaßt. Nicht nur in Deutschland. Auch in Frankreich, wo er meistens lebt. Die Comédie Française setzte ein Handke-Stück vom Spielplan ab.
Das Gezeter der Düsseldorfer Kommunalpolitiker, verstärkt durch Tiraden in den Medien, machte es Handke unmöglich, den dortigen Preis anzunehmen. Daraufhin ersannen Autoren der Berliner Zeitschrift „Ossietzky“, Künstler und Wissenschaftler spontan den Berliner Heinrich-Heine-Preis und sammelten bei mehr als 500 Spendern das stattliche Preisgeld von 50.000 Euro, wobei von vorn herein klar war, daß Peter Handke das Geld nicht für sich behalten, sondern an die Menschen im „Elendstrichter“ weitergeben wollte – was nun an diesem Ostersonntag geschieht. Überschwenglich dankt ihm der Bürgermeister von Velika Hoca: daß es in Europa doch Menschen gebe, die sich der Serben im Kosovo erbarmen.
Online-Flyer Nr. 96 vom 23.05.2007
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Ziel deutscher Außenpolitik: die Zerstückelung Jugoslawiens
Bei den Serben im Kosovo – Teil III
Von Eckart Spoo
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Velika Hoca ist ein Dorf im Süden Kosovos, wo wir über Ostern bei dem Bauern Bogoljub Stasic Quartier gefunden haben. Auf dem Hof geht es an diesem Ostersonntagmorgen 2007 so lebhaft zu wie an jedem Morgen: Hühner gackern, Hähne krähen, Tauben gurren, zwei kleine Schweine quieken und grunzen in ihrem Verschlag, und die Hunde bellen. Zur vollen Stunde, wenn die Glocke in der benachbarten St. Stefanskirche bimmelt, jaulen die Hunde, und ihr Jaulen dauert genau so lange wie das Bimmeln, keine Sekunde länger. Im Hof blühen die Obstbäume. Strahlendes Blütenweiß unter blauem, wolkenlosem Himmel. Das Dorf ist rings umgeben von Hügeln mit Weinfeldern. Aus der Ferne leuchtet von Osten, Süden und Westen der Schnee von über 2000 Meter hohen Felsmassiven. Man könnte sich kein friedlicheres, freundlicheres Bild vorstellen, wenn man nicht wüßte, daß die Weinhänge von Stacheldrahtrollen durchzogen sind. Und wenn man nicht auf einem Hügel den großen Wach- und Schießstand sähe, auf dem die Fahnen mehrerer fremder Länder aufgezogen sind. Es ist ein Schießstand der Kosovo Forces (KFOR).
RolfBecker, Peter Handke und der Bürgermeister von Velika Hoca Foto: Gabriele Senft
An die 700 Serben leben hier noch in einer Enklave, und auch in der vier Kilometer entfernten Stadt Orahovac (albanisch: Rahovec) besteht noch ein serbisches Wohnviertel. Es sind zwei der letzten serbischen Enklaven in einer Region, die völkerrechtlich nach wie vor zu Serbien gehört, aber nach dem Willen der NATO und des finnischen Diplomaten Ahtissari unabhängig werden soll.
In der Frühe des Ostersonntags bringt unser Gastgeber Bogoljub uns nach Landessitte gefärbte Eier ins Zimmer. Seine Frau Vidosava hat feine alte Muster mit Wachs aufgetragen, die Eier dann mit roter Farbe bestrichen und schließlich das Wachs entfernt. Jedes Ei ein Kunstwerk. Bogoljub und sein behinderter Sohn Vladica bringen uns auch frisches Wasser zum Trinken, Kaffee und Halva, rot und süß. Mit Vladica als Dolmetscher können wir uns verständigen. Wir erfahren: Bogoljub und Vidosava hatten etwa neun Hektar Land, bevor der Krieg begann, der Bombenkrieg der NATO gegen Serbien. Neun Hektar – das reichte ihnen. Aber nun liegt etwa ein Drittel dieser Fläche in dem Gebiet, das die Albaner besetzt haben; und die haben inzwischen Häuser darauf gebaut. Das verbliebene Land reicht den Stasićs nicht mehr. Das Leben ist schwerer geworden. Für den Verlust ihres Eigentums wurden sie nicht entschädigt. Die beiden älteren Söhne, Stanislaw und Dalibor, die in Belgrad studieren sollten, versuchen jetzt, sich dort irgendwie durchzuschlagen.
Wir wollen uns waschen, aber aus der Leitung kommt kein Tropfen Wasser. „Die Albaner haben es abgestellt“, klagt Bogoljub. „Immer wieder. Es ist eine Katastrophe.“ Für ihn hat alles Unglück im Leben nur noch einen Namen: „die Albaner“. Er hat keinerlei Kontakt zu ihnen. Viele von ihnen hat er auch früher nicht gekannt, nicht kennen können, denn sie sind neu angesiedelt worden. Zu Hunderttausenden sind sie aus Albanien zugewandert. Die Besatzungsmächte haben es geschehen lassen. So sieht Bogoljub nun für sich und vor allem für seine Söhne hier im Heimatort keinerlei Perspektive mehr. Er bittet uns: „Helft uns, Asyl in Deutschland zu finden. Die ganze Familie will auswandern.“ Er hat sich schon an die deutsche Botschaft in Belgrad gewandt, wurde aber mit der Bemerkung zurückgeschickt, er habe nicht die richtigen Papiere.
Der österreichische Dichter Peter Handke nennt diese Enklaven den „Elendstrichter Europas“. Den noch hier lebenden Menschen – „beschützt und bewacht von jenen Staaten, den westeuropäischen, die ihnen mit Bombengewalt den eigenen Staat = Jugoslawien geraubt, geraubschatzt haben“ (Handke) – hat er die 50.000 Euro zugedacht, mit denen der ihm verliehene Berliner Heinrich-Heine-Preis dotiert ist. An diesem Ostersonntag reicht er das Preisgeld weiter an den Bürgermeister des Ortes, Dejan Baljoševic. Der Ortsname Velika Hoća bedeutet: viele Väter. Handke wünscht dem Dorf viele Kinder. Zukunft.
Eigentlich sollte Handke im vergangenen Jahr den Düsseldorfer Heinrich-Heine-Preis erhalten. Eine unabhängige Jury von Literaturkennern hatte ihm diese Auszeichnung in Heines Geburtsstadt zuerkannt. Aber gleich nach der Entscheidung erhob sich Geschrei bei der Mehrheit der Kommunalpolitiker, bei Christdemokraten, Freidemokraten und vor allem auch bei Sozialdemokraten und Grünen, denn im Winter 1998/99 hatten diese beiden Parteien die Bundesregierung gebildet, und ihr Kanzler Gerhard Schröder war noch nicht vereidigt worden, als er dem damaligen US-Präsidenten Clinton schon zusagte, Deutschland werde sich am Bombenkrieg gegen Jugoslawien beteiligen. Daß dies ein Verbrechen war, wollen sie bis heute nicht eingestehen, sondern halten sich an den Lügen und Greuelmärchen fest, die damals von den Kriegspropagandisten in Bonn und Brüssel ersonnen wurden.
Handke, der den Krieg in Jugoslawien unmittelbar miterlebte, das Land schon vorher gut kannte und auch seitdem immer wieder besuchte, worüber er in mehreren Büchern anschaulich berichtet hat, wurde in Düsseldorf als „Serbenfreund“ diffamiert, vor allem weil er es gewagt hatte, den früheren serbischen und jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosević in der Haftanstalt in Den Haag zu besuchen und später sogar einige Abschiedsworte an dessen Grab zu sprechen. Er forderte „Gerechtigkeit für Serbien“ und machte sich damit verhaßt. Nicht nur in Deutschland. Auch in Frankreich, wo er meistens lebt. Die Comédie Française setzte ein Handke-Stück vom Spielplan ab.
Das Gezeter der Düsseldorfer Kommunalpolitiker, verstärkt durch Tiraden in den Medien, machte es Handke unmöglich, den dortigen Preis anzunehmen. Daraufhin ersannen Autoren der Berliner Zeitschrift „Ossietzky“, Künstler und Wissenschaftler spontan den Berliner Heinrich-Heine-Preis und sammelten bei mehr als 500 Spendern das stattliche Preisgeld von 50.000 Euro, wobei von vorn herein klar war, daß Peter Handke das Geld nicht für sich behalten, sondern an die Menschen im „Elendstrichter“ weitergeben wollte – was nun an diesem Ostersonntag geschieht. Überschwenglich dankt ihm der Bürgermeister von Velika Hoca: daß es in Europa doch Menschen gebe, die sich der Serben im Kosovo erbarmen.
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