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Globales
Erinnerungen an den Bombenkrieg der NATO gegen Serbien
Bei den Serben im Kosovo - Teil V
Von Eckart Spoo
Frieden und Wohlstand in Kosovo, auf dem ganzen Balkan wie überall auf der Welt hängen davon ab, daß die Menschen sich nicht nach Aussehen, Sprache, Religion, nationaler oder sozialer Herkunft auseinanderdividieren lassen, daß sie sich nicht gegeneinanderhetzen lassen, sondern ihre gemeinsamen Interessen wahrnehmen.
Die Jugoslawen hatten unter Tito und auch unter Milosevic Beachtliches zur Verständigung geleistet. Ein Symbol war der Radio- und Fernsehsender in Novi Sad, der Programme in etlichen Sprachen ausstrahlte und für sein Verständigungswerk mit einem europäischen Friedenspreis ausgezeichnet wurde. Im Bombenkrieg der NATO gegen Serbien wurde er total zerstört. Ein Bruch des Völkerrechts. Rolf Becker und ich waren damals mit einer Gruppe gewerkschaftlich organisierter Kriegsgegner in dem überfallenen Land. Was wir in jenem Mai 1999 erlebten und erfuhren, widersprach allem, was deutsche, holländische, französische, britische oder US-amerikanische Zeitungen berichteten. Bis auf minimale Ausnahmen verbreiteten die westeuropäischen und nordamerikanischen Medien nur das, was die NATO in Brüssel und die Regierungen der Mitgliedstaaten verlautbarten, und das war mehr oder weniger frei erfunden. Völlig falsch war zum Beispiel die immer wieder verbreitete Propaganda-Behauptung, zivile Ziele würden nicht bombardiert; würden dennoch einzelne getroffen, dann seien das bedauerliche „Kollateralschäden“. In Wahrheit wurden beispielsweise fast alle industriellen Arbeitsplätze in Rest-Jugoslawien zerstört, auch Chemie-Kombinate, Kraftwerke, Brücken, Schulen, Wohnviertel.
Damals trafen wir in Belgrad den Korrespondenten der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD), Klaus Below. Man hätte annehmen können, daß er während des Krieges täglich auf den deutschen Fernseh-Bildschirmen zu sehen wäre. Aber von ihm war wenig zu hören und zu sehen. Denn alles, was er zu berichten wußte, widersprach der NATO-Propaganda. Wir trafen ihn voller Bitterkeit und Wut über pervertierte deutsche Medien.
Das serbische Fernsehen (RTS) zeigte das Ausmaß der Zerstörungen. Es hätte als Informationsquelle genutzt werden können. Aber das deutsche Außenministerium intervenierte bei der Zentrale des europäischen Satellitenfernsehens in London und erreichte, daß das RTS-Signal abgestellt wurde.
Ljiljana Milanovic
Bombardiert wurde damals auch die Zentrale des RTS mitten in Belgrad. 16 Menschen wurden getötet, 130 verletzt. Ein schweres Kriegsverbrechen. Die NATO hätte dafür zur Verantwortung gezogen werden müssen. Aber die Sieger des einseitigen Bombenkriegs schoben die Schuld den Besiegten zu. Sie verlangten, daß RTS-Direktor Dragoljub Milanovic vor Gericht gestellt und verurteilt wurde. Begründung: Er hätte damals, als die Bomben fielen, den Sendebetrieb einstellen, die Beschäftigten nach Hause schicken sollen. Die gewendete serbische Justiz folgte diesem Verlangen – ähnlich wie die Sieger und ein von ihnen initiiertes Sondertribunal in Den Haag die Auslieferung des jugoslawischen Präsidenten Milosevic erreichten. Milosevic starb in der Haft an einer vom Gefängnisarzt falsch behandelten Herzkrankheit; in dem nicht beendeten Prozeß war es der Anklage nicht gelungen, ihm eine einzige Straftat nachzuweisen.
Ruine des Senders RTS in Belgrad 2007
RTS-Direktor Milanovic wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt – ein schändliches Urteil.
Wir treffen in Belgrad auf der Rückreise aus dem Kosovo Milanovics Frau Ljiljana. Sie war Redakteurin des RTS, wurde nach der Verhaftung ihres Mannes entlassen. Kürzlich hat sie ein Buch fertiggestellt, in dem der Fall dokumentiert ist. In den Belgrader Buchhandlungen liegt es nicht aus. Der Fall ist peinlich, man spricht nicht darüber – über diese Demütigung des von NATO-Bomben besiegten serbischen Volkes. Doch! Etliche namhafte serbische Kulturschaffende unterschrieben im vergangenen Jahr eine Petition für Dragoljub Milanovic. Aber Ministerpräsident Kostunica weigerte sich, die Delegation zu empfangen, die ihm die Petition überbringen wollte – so berichtet uns Ljiljana Milanovic, die jetzt noch fünf Jahre warten muß, bis ihr Mann aus der Haft entlassen wird.
Ljiljana Milanovic – Frau des in Haft genommenen RTS Direktors und Tochter Tijana
Fotos: Gabriele Senft
„Gerechtigkeit für Serbien!“ forderte schon 1996 der österreichische Dichter Peter Handke. Mit mehreren Büchern versuchte er, seinen Lesern in Westeuropa die Wahrheit über dieses schöne Land, dieses leidende Volk nahezubringen, und er wurde daraufhin selber in westeuropäischen Medien beschimpft und verspottet. Jetzt bangt er um die Provinz Kosovo, die nach dem Willen Deutschlands und anderer NATO-Mächte von Serbien abgespalten werden soll. In diesen „Elendstrichter Europas“, wie er sagte, gab er das Preisgeld des ihm verliehenen Berliner Heinrich-Heine-Preises und verband mit dieser großzügigen Geste die Hoffnung, „ein nicht nur episodisches Aufmerksamwerden“ zu bewirken. Aber er weiß, wie schwierig das ist in unserer Medienwelt. Voriges Jahr bei Slobodan Milosevics Beerdigung in dem serbischen Städtchen Pozarevac sagte er: „Die Welt, die vermeintliche Welt, weiß alles über Slobodan Milosevic. Die vermeintliche Welt kennt die Wahrheit. Eben deshalb ist die vermeintliche Welt heute nicht anwesend, und nicht nur heute und hier. Ich kenne die Wahrheit auch nicht. Aber ich schaue. Ich begreife. Ich empfinde. Ich erinnere mich. Ich frage. Eben deshalb bin ich heute hier zugegen.“ Eben deshalb waren einige Kollegen und ich Ostern mit Peter Handke im Kosovo.
Online-Flyer Nr. 98 vom 06.06.2007
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Erinnerungen an den Bombenkrieg der NATO gegen Serbien
Bei den Serben im Kosovo - Teil V
Von Eckart Spoo
Frieden und Wohlstand in Kosovo, auf dem ganzen Balkan wie überall auf der Welt hängen davon ab, daß die Menschen sich nicht nach Aussehen, Sprache, Religion, nationaler oder sozialer Herkunft auseinanderdividieren lassen, daß sie sich nicht gegeneinanderhetzen lassen, sondern ihre gemeinsamen Interessen wahrnehmen.
Die Jugoslawen hatten unter Tito und auch unter Milosevic Beachtliches zur Verständigung geleistet. Ein Symbol war der Radio- und Fernsehsender in Novi Sad, der Programme in etlichen Sprachen ausstrahlte und für sein Verständigungswerk mit einem europäischen Friedenspreis ausgezeichnet wurde. Im Bombenkrieg der NATO gegen Serbien wurde er total zerstört. Ein Bruch des Völkerrechts. Rolf Becker und ich waren damals mit einer Gruppe gewerkschaftlich organisierter Kriegsgegner in dem überfallenen Land. Was wir in jenem Mai 1999 erlebten und erfuhren, widersprach allem, was deutsche, holländische, französische, britische oder US-amerikanische Zeitungen berichteten. Bis auf minimale Ausnahmen verbreiteten die westeuropäischen und nordamerikanischen Medien nur das, was die NATO in Brüssel und die Regierungen der Mitgliedstaaten verlautbarten, und das war mehr oder weniger frei erfunden. Völlig falsch war zum Beispiel die immer wieder verbreitete Propaganda-Behauptung, zivile Ziele würden nicht bombardiert; würden dennoch einzelne getroffen, dann seien das bedauerliche „Kollateralschäden“. In Wahrheit wurden beispielsweise fast alle industriellen Arbeitsplätze in Rest-Jugoslawien zerstört, auch Chemie-Kombinate, Kraftwerke, Brücken, Schulen, Wohnviertel.
Damals trafen wir in Belgrad den Korrespondenten der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD), Klaus Below. Man hätte annehmen können, daß er während des Krieges täglich auf den deutschen Fernseh-Bildschirmen zu sehen wäre. Aber von ihm war wenig zu hören und zu sehen. Denn alles, was er zu berichten wußte, widersprach der NATO-Propaganda. Wir trafen ihn voller Bitterkeit und Wut über pervertierte deutsche Medien.
Das serbische Fernsehen (RTS) zeigte das Ausmaß der Zerstörungen. Es hätte als Informationsquelle genutzt werden können. Aber das deutsche Außenministerium intervenierte bei der Zentrale des europäischen Satellitenfernsehens in London und erreichte, daß das RTS-Signal abgestellt wurde.
Ljiljana Milanovic
Bombardiert wurde damals auch die Zentrale des RTS mitten in Belgrad. 16 Menschen wurden getötet, 130 verletzt. Ein schweres Kriegsverbrechen. Die NATO hätte dafür zur Verantwortung gezogen werden müssen. Aber die Sieger des einseitigen Bombenkriegs schoben die Schuld den Besiegten zu. Sie verlangten, daß RTS-Direktor Dragoljub Milanovic vor Gericht gestellt und verurteilt wurde. Begründung: Er hätte damals, als die Bomben fielen, den Sendebetrieb einstellen, die Beschäftigten nach Hause schicken sollen. Die gewendete serbische Justiz folgte diesem Verlangen – ähnlich wie die Sieger und ein von ihnen initiiertes Sondertribunal in Den Haag die Auslieferung des jugoslawischen Präsidenten Milosevic erreichten. Milosevic starb in der Haft an einer vom Gefängnisarzt falsch behandelten Herzkrankheit; in dem nicht beendeten Prozeß war es der Anklage nicht gelungen, ihm eine einzige Straftat nachzuweisen.
Ruine des Senders RTS in Belgrad 2007
RTS-Direktor Milanovic wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt – ein schändliches Urteil.
Wir treffen in Belgrad auf der Rückreise aus dem Kosovo Milanovics Frau Ljiljana. Sie war Redakteurin des RTS, wurde nach der Verhaftung ihres Mannes entlassen. Kürzlich hat sie ein Buch fertiggestellt, in dem der Fall dokumentiert ist. In den Belgrader Buchhandlungen liegt es nicht aus. Der Fall ist peinlich, man spricht nicht darüber – über diese Demütigung des von NATO-Bomben besiegten serbischen Volkes. Doch! Etliche namhafte serbische Kulturschaffende unterschrieben im vergangenen Jahr eine Petition für Dragoljub Milanovic. Aber Ministerpräsident Kostunica weigerte sich, die Delegation zu empfangen, die ihm die Petition überbringen wollte – so berichtet uns Ljiljana Milanovic, die jetzt noch fünf Jahre warten muß, bis ihr Mann aus der Haft entlassen wird.
Ljiljana Milanovic – Frau des in Haft genommenen RTS Direktors und Tochter Tijana
Fotos: Gabriele Senft
„Gerechtigkeit für Serbien!“ forderte schon 1996 der österreichische Dichter Peter Handke. Mit mehreren Büchern versuchte er, seinen Lesern in Westeuropa die Wahrheit über dieses schöne Land, dieses leidende Volk nahezubringen, und er wurde daraufhin selber in westeuropäischen Medien beschimpft und verspottet. Jetzt bangt er um die Provinz Kosovo, die nach dem Willen Deutschlands und anderer NATO-Mächte von Serbien abgespalten werden soll. In diesen „Elendstrichter Europas“, wie er sagte, gab er das Preisgeld des ihm verliehenen Berliner Heinrich-Heine-Preises und verband mit dieser großzügigen Geste die Hoffnung, „ein nicht nur episodisches Aufmerksamwerden“ zu bewirken. Aber er weiß, wie schwierig das ist in unserer Medienwelt. Voriges Jahr bei Slobodan Milosevics Beerdigung in dem serbischen Städtchen Pozarevac sagte er: „Die Welt, die vermeintliche Welt, weiß alles über Slobodan Milosevic. Die vermeintliche Welt kennt die Wahrheit. Eben deshalb ist die vermeintliche Welt heute nicht anwesend, und nicht nur heute und hier. Ich kenne die Wahrheit auch nicht. Aber ich schaue. Ich begreife. Ich empfinde. Ich erinnere mich. Ich frage. Eben deshalb bin ich heute hier zugegen.“ Eben deshalb waren einige Kollegen und ich Ostern mit Peter Handke im Kosovo.
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