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Globales
Interview mit Jan Tamas, Sprecher von „Nein zu US-Basen in Tschechien“
„Neuauflage des SDI-Programms“
Von Carl H. Ewald

Jan Tamaš ist ein vielbeschäftigter Mann. Seit die Pläne der US-Regierung publik wurden, in Polen und Tschechien Militärbasen aufzubauen, klingelt sein Telefon ununterbrochen. Jan Tamaš, ist Sprecher von „Ne Základnám“, einem breiten Bündnis gegen die geplanten Basen in Tschechien. Mehr als 50 Organisationen haben sich dazu zusammengeschlossen. Obwohl die Aktivisten über 35.000 Unterschriften für ein Referendum gesammelt haben, will die tschechische Regierung das Vorhaben gegen den Willen des Volkes durchpeitschen. Carl Ewald sprach am Rande des G8-Gegengipfels in Rostock mit Jan Tamaš.

Carl Ewald: Herr Tamaš, wie verhält es sich mit dem Bau der Militärbasen in der Tschechischen Republik?
 
Jan Tamaš: Die Vereinigten Staaten wollen in der Tschechischen Republik und in Polen im Rahmen ihres „nationalen Raketenabwehrsystems“ neue Militärbasen aufbauen. Diese Idee kam ursprünglich von Ronald Reagan und ist schon mehr als zwanzig Jahre alt; sie war Teil des amerikanischen „SDI-Programms“. Die USA wollten die Möglichkeit haben, überall auf der Welt Kriege oder Angriffe durchführen zu können, und zwar mittels einer ganzen Reihe untereinander verknüpfter Satelliten, gerichteter Laser sowie land- und seegebundener Radarsysteme. Damals konnten sie ihr Projekt nicht verwirklichen – aber heute, 2007, ist es ganz offensichtlich, dass sie es weltweit durchsetzen wollen.
 
Jan Tamaš auf Prager Kundgebung zum „Besuch“ von George W. Bush
Jan Tamaš auf Prager Kundgebung zum „Besuch“ von George W. Bush
Foto: www.nezakladnam.cz


Interessanterweise hat das Ganze in den USA als ein „nationales“ Abwehrsystem angefangen. Um den gesamten Erdball kontrollieren und jeden beliebigen Ort innerhalb nur einer halben Stunde angreifen zu können, brauchen sie allerdings auch einige Radarbasen außerhalb ihres Landes: Um Informationen über anfliegende Raketen zu erhalten oder eben ihre Missiles auf weit entfernt liegende Ziele zu richten. Diese Politik wird in den USA öffentlich diskutiert. So sind sie also nach Europa gekommen, um hier bei uns zwei neue Basen zu errichten. Als die US-Experten letztes Jahr im Juli in Tschechien waren, um nach geeigneten Orten für das Radarsystem zu suchen, war die tschechische Bevölkerung vollkommen aufgebracht.
 
Und so hat sich ein großes Bündnis aus den verschiedensten Organisationen und Parteien gegen das US-Radar gebildet. Die Humanistische Bewegung war einer der Initiatoren, und nun sind wir mehr als zehn Monate in der Kampagne gegen die US-Basen aktiv. Wir haben verschiedene Großdemonstrationen organisiert. Unsere Petition für ein Referendum über die US-Basen haben schon 35.000 Menschen unterschrieben. Wir glauben an die Demokratie, und es ist klar, dass nur das Volk selbst über diese Frage entscheiden kann.
 
Altes System, alte Köpfe, neue Basen
 
Wie kommt Ihrer Meinung nach die US-Regierung dazu, das SDI-Programm in neuer Form wieder aufzunehmen?
 
Also, ich glaube, dass die Kräfte, die das alte Projekt durchsetzen wollten, die vergangenen 20 Jahre daran gearbeitet haben. Ihr Problem war, dass sie sich nicht durchgehend an den Schalthebeln der Macht befanden.
 
Ende der 80er begannen Gorbatschow und Reagan mit ihren Abrüstungsverhandlungen. In dieser Zeit war es unmöglich, öffentlich über ein Aufrüstungsvorhaben wie das SDI-Programm zu sprechen. Besagte Kräfte hatten überhaupt keine Möglichkeit, solch ein riesiges Militärprojekt durchzubringen, das ihnen Milliarden und Abermilliarden Dollars beschert – was natürlich eins ihrer Hauptmotive ist.

„Nein zu US-Basen in Tschechien“ – ein breites buntes Bündnis
„Nein zu US-Basen in Tschechien“ – ein breites buntes Bündnis
Foto: www.nezakladnam.cz
 


Heute sind die USA für 48 Prozent der Rüstungsausgaben weltweit verantwortlich: Allein im Jahre 2005 waren es 540 Milliarden Dollar, die natürlich in den Taschen derjenigen landen, die die Waffen herstellen. Sie brauchen Konflikte und Kriege, denn all diese Raketen und anderen Waffen müssen auch abgefeuert werden. Und deshalb werden die Medien von eben dieser Waffenindustrie benutzt, um die Leute – die natürlich Frieden und nicht in einem Krieg sterben wollen – davon zu überzeugen, dass es einen Kriegsgrund und eine ganz konkrete Bedrohung gibt...
 
Um auf die Tschechische Republik und den Vorwand der USA zurückzukommen, mit dem sie den Bau der Basis rechtfertigen: Sie sprechen von einer angeblich von Nordkorea und dem Iran ausgehenden „Bedrohung“.
 
Man sollte sich aber lieber fragen, wie viele Staaten in den letzten zehn Jahren von Nordkorea oder dem Iran angegriffen wurden: interessanterweise überhaupt keine! Auf der anderen Seite muss man sich nur vor Augen halten, wie viele Staaten in der letzten Zeit von den USA angegriffen wurden: Da gab es im Jahre 2001 Afghanistan, 2003 den Irak und jetzt vor kurzem Somalia.
 
„Ein internationaler Konflikt wird wahrscheinlicher...“
 

Worin sehen Sie die Auswirkungen des geplanten Radarschilds auf die Weltpolitik?
 
Unserer Meinung als Europäer und Weltbürger nach geht das in die genau entgegengesetzte Richtung als jene, in die es eigentlich gehen sollte: Wenn wir eine sichere und friedlichere Welt wollen, müssen wir rigoros abrüsten und dürfen auf keinen Fall neue Militärbasen, neue Waffensysteme oder Ausrüstungen anschaffen. Das ist doch klar, das wird nur zur Eskalation internationaler Spannungen führen. Es wird die anderen Supermächte zwingen, darauf zu reagieren, und es führt jetzt schon zu einer neuen weltweiten Phase der Aufrüstung. Es ist mehr als verständlich, dass sich Russland von diesen geplanten Militärbasen bedroht fühlt. Das ist so, als würde Russland eine neue Militärbasis in Mexiko bauen. Damit wird ein internationaler Konflikt wahrscheinlicher, vermutlich ein Atomkrieg. Und der wird sicher nicht in den USA oder in Russland ausgetragen, sondern dazwischen: in Europa.

Großdemonstration durch die Prager Innenstadt
Großdemonstration durch die Prager Innenstadt
Foto: www.nezakladnam.cz
 


Deshalb geht es nicht alleine um eine neue US-Basis in Tschechien. Und uns ist auch klar, dass, wenn wir tatsächlich den Kampf gegen die geplante Militärbasis gewinnen, die USA immer noch das ganze System einfach in Polen oder in Rumänien oder sonst wo bauen könnten. Deshalb sehen wir die Notwendigkeit, uns europaweit zu vernetzen, zumal schon jetzt in Europa fast 500 Atomsprengköpfe lagern.

Hinterrücks Verhandlungen mit den Amerikanern
 
Wie hat die tschechische Regierung auf Ihre Kampagne reagiert?
 
In Meinungsumfragen haben sich mehr als 61 Prozent gegen dieses angebliche „Abwehrsystem“ ausgesprochen, immerhin eine große Mehrheit des Volkes. Aber die Regierung treibt die Sache weiter voran... Als die USA offiziell angefragt hatten, ist sie ohne Scham mit ihnen in Verhandlungen eingetreten.
 
Mit einer „Demokratie“ hat das nur noch sehr wenig zu tun: In einer Demokratie wählt man Volksvertreter, die die Wähler und ihre Interessen vertreten und nicht einfach über deren Köpfe hinweg mit den USA über ein Raketensystem verhandeln. So wie es auch in anderen Ländern passiert ist: Ungarn hat sich geweigert, an dieser „Neuauflage des SDI-Programms“ teilzunehmen, genauso Kanada. Das ist unserer Regierung anscheinend ganz egal – obwohl sie sich nicht einmal auf eine Mehrheit im Parlament stützt. Sie versucht, etwas gegen den ausdrücklichen Willen der Bevölkerung durchzusetzen – das erinnert mich vielmehr an eine Diktatur!

Tamaš bei Rede auf dem G8 Gegengipfel am Flughafen Laage
Tamaš bei Rede auf dem G8 Gegengipfel am Flughafen Laage
Foto: Rudolf Heuveling 

In diesem Zusammenhang ist sehr interessant, dass die Verhandlungen zwischen den USA und der damaligen sozialdemokratischen Regierung Tschechiens schon zwischen 2001 und 2002 begonnen hatten – ohne dass die Öffentlichkeit auch nur einen blassen Schimmer davon hatte.

Volkes Stimme in einer Mediakratie
 
Ist es denn nicht Aufgabe der Medien über ein derart wichtiges Unterfangen zu informieren?
 
Die gleiche Frage habe ich während eines Interviews dem tschechischen Fernsehen gestellt. Die entgegneten lapidar, sie hätten 2002 doch einmal darüber berichtet... als ob das bewiese, dass sie über den Raketenabwehrschild grundlegend informiert oder gar aufklärt hätten. Selbstverständlich reicht ein einminütiger Bericht in vier Jahren nicht aus, die Öffentlichkeit zu informieren. Das ist schlichtweg ungenügend, wenn die Zukunft, die Souveränität und der Frieden unseres Landes auf dem Spiel stehen.
 
Herr Tamaš, wie sieht die Zukunft Ihres Bündnisses aus?
 
Im Februar dieses Jahres haben wir auf einer internationalen Konferenz zum Bau der US-Basis in Prag eine europaweite Initiative namens „Europe for Peace“ ins Leben gerufen. Und die Erklärung zur Kampagne ist schon ein ganz guter Anfang zu einer europäischen Zusammenarbeit: Persönlichkeiten wie Noam Chomsky, Michail Gorbatschow und Prominente aus Russland, Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien und vielen anderen Ländern haben sie unterschrieben – für ein atomwaffenfreies Europa, für ein Europa, das frei ist von fremden Militärbasen. Und wir fordern auch von unseren Regierungen, dass sie die Truppen aus den Besatzungsgebieten abziehen, denn die Verbindung zum Krieg im Irak beispielsweise ist offensichtlich. Wir sehen genauso, dass diese Kriege zu einer neuen Welle des Terrorismus geführt haben. Sie machen die Welt nicht sicherer – im Gegenteil, sie machen die Welt unsicherer. Und wenn wir ein sicheres Europa wollen, sollten wir unsere Regierungen dazu auffordern, sich aus allen Besatzungsgebieten zurückzuziehen.
 
Vielen Dank für dieses Interview!
  
Weitere Informationen unter:
www.europeforpeace.eu
www.nezakladnam.cz (tschechisch/englisch, multimedial)
Jan Tamaš bei Arte als „Europäer der Woche“


 

Online-Flyer Nr. 99  vom 13.06.2007

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