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Globales
Unabhängiger Gewerkschaftsdachverband im Westjordanland gegründet
„Demokratische Standards wahren"
Von Endy Hagen
Bildung für Organisierung und Veränderung
Eingeladen hatte zu der Konferenz das Democracy and Workers Rights Center, DWRC. „In der ganzen arabischen Welt erleben wir einen Mangel an qualifizierten Gewerkschaftsführern. Die haben dann Probleme, Arbeitsrechte auch praktisch umzusetzen, so dass Tarifverträge keine zusätzlichen Verbesserungen für die Beschäftigten bringen, sondern schlicht die Arbeitsgesetze wiedergeben“, erklärte sein Leiter, Hasan Bargouthi, im Vorfeld der Konferenz gegenüber internationalen Gewerkschaftern. Deshalb biete seine Organisation in Gaza und Westbank Veranstaltungen zu Arbeits- und Menschenrechtsthemen an, berate, schule und helfe den Beschäftigten bei der Organisierung und der Durchsetzung ihrer individuellen und kollektiven Rechte.
Foto: Martina Schwarz
Für praktische Initiativen stelle das Center seine Infrastruktur zur Verfügung, führe Untersuchungen durch und evaluiere deren Ergebnisse für die Arbeiter. „Wir evaluieren z.B., wie die finanzielle Situation eines Unternehmens aussieht. Die Pharma-Unternehmen in der Westbank etwa haben trotz der schwierigen Situation ordentlichen Gewinn gemacht. Wir haben das Betriebskomitee geschult, dem es dann gelungen ist, gute Verträge auszuhandeln.“, fügte Mahmoud Zyadeh hinzu, der beim DWRC arbeitet und als Vertreter dessen Angestelltenkomitees an der Gründungsversammlung des neuen Verbandes teilnahm.
Basis gegen Überbau
„Palästinensische Gewerkschaften waren ursprünglich ein aufgesetztes Phänomen“, meinte Bargouthi, „die dazugehörige Arbeiterschaft gab es ja gar nicht. Heute ist das anders, 600.000 Arbeiter leben in den Besetzten Gebieten. Aber die Gewerkschaften haben wenig Kontakt zur Basis, weil sie sich nicht aus ihr entwickelt haben, sondern von oben eingesetzt wurden.“
In den vergangenen Jahren sind daher zahlreiche neue Gewerkschaften und Betriebskomitees entstanden, die sich von den bestehenden Arbeiterorganisationen nicht vertreten fühlen. Diese seien hierarchisch strukturiert und parteipolitisch gebunden. Ihre Funktionäre würden von der jeweils stärksten politischen Fraktion innerhalb der Gewerkschaft ernannt; in der PGFTU z.B., der Palestinian General Federation of Trade Unions, hätten schon seit 1988 keine Wahlen mehr stattgefunden. Auch Finanzberichte würden – trotz mehrfacher Aufforderung – nicht vorgelegt.
Abdel Hakim, Vorsitzender der Finanzgewerkschaft
Quelle: www.dwrc.org
Nach Meinung der Arbeitervertreter hätte in den vergangenen Jahren viel Kraft aufgewendet werden müssen, um sowohl nach innen als auch nach außen, einen Staat aufzubauen – die palästinensischen Gewerkschaften aber seien passiv geblieben. „Wegen ihrer Parteibindung haben sie die Regierung immer als ihre eigene betrachtet und daher keinen Grund gesehen, Missstände anzugreifen und die Gesellschaft zu gestalten.“ Aus diesem Grund werde eine Organisation gebraucht, deren Anführer sich ganz und gar den Arbeiterrechten widmen und nicht Parteipolitik machen.
Federation of Independent Unions - Palestine
Aus diesem Grund haben sich am 27. Juli in Ramallah 95 Delegierte aus dreizehn unabhängigen Gewerkschaften und Betriebskomitees zusammengesetzt und den neuen Verband, die Federation of Independent Unions – Palestine, gegründet. Sie sind von den über 50.000 Beschäftigten, die sie vertreten, demokratisch gewählt worden. Einige Delegierte repräsentierten große Organisationen wie die Palästinensische Gewerkschaft für Telekommunikation und Informationstechnologie. Andere stehen für kleine Betriebskomitees z.B. von privaten Krankenhäusern. Alle von ihnen sind im Vorstand repräsentiert.
Drei der fünfzehn Vorstandsmitglieder sind Frauen. Hanan Bannoura, die die Betriebskomitees in den Privatkrankenhäusern vertritt, legt besonderen Wert auf die Tatsache, keine „Quotenfrau“ zu sein: „Langsam akzeptieren sie jetzt auch Frauen in der Gewerkschaftsbewegung. Ich bin so froh, dass sie uns nicht wegen einer Quote gewählt, haben, weil wir Frauen sind, sondern weil wir gute Delegierte sind und für ihre Rechte eintreten."
Der frisch gewählte Vorstand - Quelle: www.dwrc.org
Die Föderation sieht sich nicht als Konkurrenz zu den bestehenden Gewerkschaften. “Wir begrüßen den Zusammenschluss aller Gewerkschaften unter dem Dach eines, durch demokratische Wahlen legitimierten und nicht von politischen Parteien eingesetzten Verbands“, betonte Muhamad Abu Zeid, der in Ramallah die Palestinian Federation of University Professors and Employees Trade Unions vertrat.
Parteilich nur für die Arbeiter
Die Delegierten setzen große Hoffnungen in den neuen Verband. „Dass wir diesen Zusammenschluss gründen konnten, war ein großer Traum, und ich hoffe, dass wir mit unserem Ziel, eine demokratische Gewerkschafts- bewegung in Palästina zu schaffen, Erfolg haben werden“, gestand Hanan Bannoura. Und Nabil Jinawi, ebenfalls frisch gewähltes Vorstandsmitglied und Vorsitzender der Telekommunikationsgewerkschaft: „Er soll (…) aktiv allen Arbeitern in den von ihm vertretenen Bereichen dienen, demokratische Standards wahren und das Leben der Arbeiter verbessern.“
Derzeit liegt die Arbeitslosigkeit bei 38,5 %, in den vergangenen zehn Jahren ist sie stetig gestiegen und der Trend hält an. 65 % der Bevölkerung in der Westbank leben unter der Armutsgrenze, 80 % sind es in Gaza. Das ist u.a. Ergebnis der jahrelangen Paralysierung der palästinensischen Wirtschaft durch die Besatzung, aber auch der internen Misswirtschaft.
Quelle: www.dwrc.org
Darum betonte Abdel Hakim, Vorsitzender der Gewerkschaft im nationalen Finanzsektor, auf der Konferenz die Bedeutung des Dachverbands für die Stärkung der Zivilgesellschaft sowie die Möglichkeit, auf diesem Wege auch positiven Einfluss auf den aktuellen Konflikt nehmen zu können.: „Hätten wir eine starke Zivilgesellschaft gehabt, hätten wir uns erhoben und die Gewalt zwischen Fatah und Hamas beendet. Doch weil die Gewerkschaften mit den politischen Parteien zusammenhängen, waren sie Partei, statt für die Rechte der Arbeiter einzutreten. Das Bestehen politisch unabhängiger Gewerkschaften stärkt die Zivilgesellschaft und beendet das politische Töten.” (YH)
Online-Flyer Nr. 108 vom 15.08.2007
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Globales
Unabhängiger Gewerkschaftsdachverband im Westjordanland gegründet
„Demokratische Standards wahren"
Von Endy Hagen
Bildung für Organisierung und Veränderung
Eingeladen hatte zu der Konferenz das Democracy and Workers Rights Center, DWRC. „In der ganzen arabischen Welt erleben wir einen Mangel an qualifizierten Gewerkschaftsführern. Die haben dann Probleme, Arbeitsrechte auch praktisch umzusetzen, so dass Tarifverträge keine zusätzlichen Verbesserungen für die Beschäftigten bringen, sondern schlicht die Arbeitsgesetze wiedergeben“, erklärte sein Leiter, Hasan Bargouthi, im Vorfeld der Konferenz gegenüber internationalen Gewerkschaftern. Deshalb biete seine Organisation in Gaza und Westbank Veranstaltungen zu Arbeits- und Menschenrechtsthemen an, berate, schule und helfe den Beschäftigten bei der Organisierung und der Durchsetzung ihrer individuellen und kollektiven Rechte.
Foto: Martina Schwarz
Für praktische Initiativen stelle das Center seine Infrastruktur zur Verfügung, führe Untersuchungen durch und evaluiere deren Ergebnisse für die Arbeiter. „Wir evaluieren z.B., wie die finanzielle Situation eines Unternehmens aussieht. Die Pharma-Unternehmen in der Westbank etwa haben trotz der schwierigen Situation ordentlichen Gewinn gemacht. Wir haben das Betriebskomitee geschult, dem es dann gelungen ist, gute Verträge auszuhandeln.“, fügte Mahmoud Zyadeh hinzu, der beim DWRC arbeitet und als Vertreter dessen Angestelltenkomitees an der Gründungsversammlung des neuen Verbandes teilnahm.
Basis gegen Überbau
„Palästinensische Gewerkschaften waren ursprünglich ein aufgesetztes Phänomen“, meinte Bargouthi, „die dazugehörige Arbeiterschaft gab es ja gar nicht. Heute ist das anders, 600.000 Arbeiter leben in den Besetzten Gebieten. Aber die Gewerkschaften haben wenig Kontakt zur Basis, weil sie sich nicht aus ihr entwickelt haben, sondern von oben eingesetzt wurden.“
In den vergangenen Jahren sind daher zahlreiche neue Gewerkschaften und Betriebskomitees entstanden, die sich von den bestehenden Arbeiterorganisationen nicht vertreten fühlen. Diese seien hierarchisch strukturiert und parteipolitisch gebunden. Ihre Funktionäre würden von der jeweils stärksten politischen Fraktion innerhalb der Gewerkschaft ernannt; in der PGFTU z.B., der Palestinian General Federation of Trade Unions, hätten schon seit 1988 keine Wahlen mehr stattgefunden. Auch Finanzberichte würden – trotz mehrfacher Aufforderung – nicht vorgelegt.
Abdel Hakim, Vorsitzender der Finanzgewerkschaft
Quelle: www.dwrc.org
Nach Meinung der Arbeitervertreter hätte in den vergangenen Jahren viel Kraft aufgewendet werden müssen, um sowohl nach innen als auch nach außen, einen Staat aufzubauen – die palästinensischen Gewerkschaften aber seien passiv geblieben. „Wegen ihrer Parteibindung haben sie die Regierung immer als ihre eigene betrachtet und daher keinen Grund gesehen, Missstände anzugreifen und die Gesellschaft zu gestalten.“ Aus diesem Grund werde eine Organisation gebraucht, deren Anführer sich ganz und gar den Arbeiterrechten widmen und nicht Parteipolitik machen.
Federation of Independent Unions - Palestine
Aus diesem Grund haben sich am 27. Juli in Ramallah 95 Delegierte aus dreizehn unabhängigen Gewerkschaften und Betriebskomitees zusammengesetzt und den neuen Verband, die Federation of Independent Unions – Palestine, gegründet. Sie sind von den über 50.000 Beschäftigten, die sie vertreten, demokratisch gewählt worden. Einige Delegierte repräsentierten große Organisationen wie die Palästinensische Gewerkschaft für Telekommunikation und Informationstechnologie. Andere stehen für kleine Betriebskomitees z.B. von privaten Krankenhäusern. Alle von ihnen sind im Vorstand repräsentiert.
Drei der fünfzehn Vorstandsmitglieder sind Frauen. Hanan Bannoura, die die Betriebskomitees in den Privatkrankenhäusern vertritt, legt besonderen Wert auf die Tatsache, keine „Quotenfrau“ zu sein: „Langsam akzeptieren sie jetzt auch Frauen in der Gewerkschaftsbewegung. Ich bin so froh, dass sie uns nicht wegen einer Quote gewählt, haben, weil wir Frauen sind, sondern weil wir gute Delegierte sind und für ihre Rechte eintreten."
Der frisch gewählte Vorstand - Quelle: www.dwrc.org
Die Föderation sieht sich nicht als Konkurrenz zu den bestehenden Gewerkschaften. “Wir begrüßen den Zusammenschluss aller Gewerkschaften unter dem Dach eines, durch demokratische Wahlen legitimierten und nicht von politischen Parteien eingesetzten Verbands“, betonte Muhamad Abu Zeid, der in Ramallah die Palestinian Federation of University Professors and Employees Trade Unions vertrat.
Parteilich nur für die Arbeiter
Die Delegierten setzen große Hoffnungen in den neuen Verband. „Dass wir diesen Zusammenschluss gründen konnten, war ein großer Traum, und ich hoffe, dass wir mit unserem Ziel, eine demokratische Gewerkschafts- bewegung in Palästina zu schaffen, Erfolg haben werden“, gestand Hanan Bannoura. Und Nabil Jinawi, ebenfalls frisch gewähltes Vorstandsmitglied und Vorsitzender der Telekommunikationsgewerkschaft: „Er soll (…) aktiv allen Arbeitern in den von ihm vertretenen Bereichen dienen, demokratische Standards wahren und das Leben der Arbeiter verbessern.“
Derzeit liegt die Arbeitslosigkeit bei 38,5 %, in den vergangenen zehn Jahren ist sie stetig gestiegen und der Trend hält an. 65 % der Bevölkerung in der Westbank leben unter der Armutsgrenze, 80 % sind es in Gaza. Das ist u.a. Ergebnis der jahrelangen Paralysierung der palästinensischen Wirtschaft durch die Besatzung, aber auch der internen Misswirtschaft.
Quelle: www.dwrc.org
Darum betonte Abdel Hakim, Vorsitzender der Gewerkschaft im nationalen Finanzsektor, auf der Konferenz die Bedeutung des Dachverbands für die Stärkung der Zivilgesellschaft sowie die Möglichkeit, auf diesem Wege auch positiven Einfluss auf den aktuellen Konflikt nehmen zu können.: „Hätten wir eine starke Zivilgesellschaft gehabt, hätten wir uns erhoben und die Gewalt zwischen Fatah und Hamas beendet. Doch weil die Gewerkschaften mit den politischen Parteien zusammenhängen, waren sie Partei, statt für die Rechte der Arbeiter einzutreten. Das Bestehen politisch unabhängiger Gewerkschaften stärkt die Zivilgesellschaft und beendet das politische Töten.” (YH)
Online-Flyer Nr. 108 vom 15.08.2007
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