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Inland
Rücktritt des Frankfurter Polizeipräsidenten gefordert
Polizei, Nazis, Videos
Von Dr. Hans Christian Stoodt

„Das wirklich Unangenehme an den Faschisten sind die Antifaschisten...". Nein, das hat er nicht wörtlich so gesagt, der Frankfurter Polizeipräsident Dr.Achim Thiel. Aber so ähnlich schon. Und gehandelt hat er genau so, als wäre dieser Satz Grundprinzip seines Vorgehens rund um den Frankfurter Nazi-Aufmarsch am 7. Juli gewesen. In einem FAZ-Gespräch wenige Tage zuvor meinte Thiel: Die Nazi-Demonstration kann man „begleiten". Die „eigentliche Herausforderung", das sind die „linksextremen Gegendemonstranten".
20 Millionen Euro zum Schutz der Nazis


Um diesem Weltbild folgen zu können, fuhr Thiel in Abstimmung mit dem Hessischen Innenministerium alles auf, was gut und teuer ist: 8.000 PolizeibeamtInnen aus 10 Bundesländern (zum Vergleich: rund um den G8-Gipfel waren 16.000 PolzistInnen eingesetzt), mindestens vier Bundespolizei-Helikopter zum schnellen Verlegen von ganzen Einheiten, Bundespolizei, Hundestaffeln, Wasserwerfer, berittene Einheiten, jede Menge Absperrgitter, die Verbarrikadierung der Ufer des Flüßchens Nidda auf einer Länge von mehreren hundert Metern mit NATO-Draht, mindestens zwei mobile Abhörwagen und vieles mehr. Kein „Tornado", soviel wir wissen, vermutlich aber Bundeswehr im Rahmen der "Zivil-Militärischen Zusammenarbeit". Kostenpunkt nach Angaben der antifaschistischer Umtriebe ganz unverdächtigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung (9. Juli): 20 Millionen Euro. Dieser unglaublichen Zahl hat bislang niemand öffentlich widersprochen. Es zahlt das Bundesland Hessen – und damit der Steuerzahler.


Durch Zeugen bestätigt: Völlig überzogener Polizeieinsatz
Foto: H. Pflaume, arbeiterfotografie.com

Zusätzlich zu diesem großkalibrigen Aufwand personeller und materieller Mittel zum Schutz einer Nazi-Demonstration hat Dr. Thiel darüber hinaus auch das Mittel der gezielten Desinformation vor und nach der Demonstration virtuos zu handhaben versucht. Dies wird ihm nun Stück für Stück nachgewiesen.

Beispiele für gezielte Desinformation

Zwei besonders drastische Beispiele: entgegen seiner ausdrücklichen Behauptung, sein operatives Konzept sehe nicht vor, die Nazis zu ihrem Schutz in Sonderfahrten von Transportmitteln des ÖPNV vom Frankfurter Hauptbahnhof zu ihrem Sammelpunkt in der Nähe des Westbahnhofs karren zu lassen, geschah, wie absehbar und deshalb vorher ausdrücklich gefragt worden war, genau dies. Zu viel versprochen also. Und: als wenige Tage vor dem 7. Juli ein Mobilisierungsvideo der NPD auftauchte, in dem eine vermummte Aktivistin mit einem Molotowcocktail zu sehen ist, ließ Polizeisprecher Linker verlauten, dabei handele es sich möglicherweise um ein Antifa-Fake. Das übernahm die FAZ sofort. Inzwischen steht durch Fotografien und Internetrecherchen zweifelsfrei belegt fest: die Domain, auf der das Video zuerst veröffentlicht wurde, gehört dem hessischen NPD-Vorsitzenden Marcel Wöll. Die Nazi-Aktivistin, die mit Molli in der Hand für die Demonstration „Volksgemeinschaft statt Globalisierung" wirbt, gehört zum Umfeld von Wöll.


Behördlich genehmigte Amtshilfe
Cartoon: Lurusa Gross

Sie hat an der Demonstration am 7. Juli auf Seiten der Nazis teilgenommen und wurde dabei mehrfach fotografiert. Nach der Demonstration meinte Herr Dr. Thiel treuherzig in die Kamera des TV-Hessenjournal am 9. Juli: „Es waren keine vermummten NPD’ler dabei, es wurden auch nicht entsprechende verbotene Lieder gesungen, es wurden auch keine Steine geworfen. Wir haben in Absprache mit der Staatsanwaltschaft fortlaufend sehr eng kontrolliert, ob alle Auflagen eingehalten werden.[…] wir haben sehr aufgepaßt…" - eine Aussage, die entweder von bemerkenswerter Ignoranz zeugt oder eine glatte Lüge war.


Polizei: Keine Notwendigkeit, gegen Rechtsverstöße vorzugehen
Foto: D. Treber, arbeiterfotografie.com

Nazi-Rechtsverstöße toleriert

Denn was bekam nun die Öffentlichkeit zum Preise von 20 Millionen Euro am 7. Juli an Sicherheitsmaßnahmen geboten? Hier eine kleine Blütenlese: für den Aufmarsch von 550 Nazis nach Polizeischätzung wurde von Freitagabend bis Sonntagmorgen ein gesamter Stadtteil vom ÖPNV abgetrennt. Die Route wurde auf polizeiliche „Empfehlung" von allen antifaschistischen Transparenten gesäubert, um nur ja die Nazis nicht zu provozieren (Frankfurter Neue Presse vom 7. Juli). Die Demonstrationsroute wurde hermetisch abgeriegelt – sie bekam dadurch den Charakter eines Paralleluniversums, in dem unter völligem Ausschluß der Öffentlichkeit andere Gesetze galten als sonst überall. Denn während des Aufmarsches tolerierte die Polizei aktiv eine Vielzahl von Auflagen- und Rechtsverstößen der faschistischen DemonstrantInnen: Vermummung, Tätowierungen mit „H8", „Blut und Ehre„, Totenköpfen, Uniformteilen, einheitlicher Kleidung, ein T-Shirt mit einem Konterfei des Wehrmachtsoffiziers im Berliner Wachbatallion „Großdeutschland" und Schlächters der Widerständler vom 20. Juli 1944 sowie späteren SRP-Aktivisten Otto Ernst Remer, Skandieren von „Nie wieder Israel!", „BRD-Judenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt!", „Juden raus von deutschen Straßen", den Gruß „Sieg Heil" für den selbstverständlich anwesenden Frankfurter Alt-Nazi Otto Riehs. – Bei all dem stand die Polizei daneben, wurde auf Auflagen- und Rechtsverstöße ausdrücklich hingewiesen und tat – nichts. Zwei  „Kameraden" wurden wegen Steinwürfen kurzfristig festgenommen. Als sich daraufhin die Nazidemonstration in einen Sitzstreik begab, ließ die Polizei die beiden steinewerfenden „Kameraden" wieder frei. Man stelle sich dies einmal bei einer antifaschistischen Demonstration vor!


Demonstranten friedlich gegen Neozazis
Foto: D. Treber, arbeiterfotografie.com

Zweierlei Maß

Diese Art des Vorgehens nach zweierlei Maß zieht sich am 7. Juli wie ein roter Faden durch das polizeiliche Handeln. Während bei AntifaschistInnen penible Ausweis- und  Gepäck-Vorkontrollen u.a. solch gefährliche Bewaffnung wie T-Shirts zum Wechseln zutage förderten und dies belegbar für Platzverweis oder gar Gewahrsamnahme des Delinquenten ausreichte, wurden die Nazis an ihrem Sammelpunkt unter der Frankfurter Breitenbachbrücke polizeilich weder kontrolliert noch durchsucht. Hinzu kommen, wie der Frankfurter Anwaltsnotdienst und EA am Tage nach der Demonstration nachwies, eine Vielzahl von rechtswidrigen Verhaltensweisen der Polizei bei Einkesselungen, Ingewahrsamnahmen und im Polizeipräsidium. Etwa 3.000 AntifaschistInnen, seit Monaten auf einer bis dahin beispiellos breit getragenen politischen Grundlage gemeinsam und koordiniert mobilisiert von der Frankfurter Anti-Nazi-Koordination und der autonomen antifa, bemühten sich stellenweise mit viel Erfolg, Sand ins Getriebe dieses staatlich gewollten Ablaufs einer Nazi-Demonstration zu streuen, deren antisemitische und NS-verherrlichende Ziele schon lange vorher nie in Frage standen. Jede hatte sich anhand der Werbematerialien auf den Seiten www.antikap.de und www.arbeit-statt-dividende.de seit etwa April 2007 davon überzeugen können, dass hier FaschistInnen am Werk waren, die für den „nationalen Sozialismus" und die „Volksgemeinschaft" trommeln und sich seit kurzem auch offensiv selber Nazis nennen – letzteres wohl ein Novum für eine Demonstration, deren Anmelder Marcel Wöll, NPD-Landesvorsitzender in Hessen und zugleich Hauptfigur der „Freien Nationalisten Rhein-Main" war. Es gelang trotz riesiger Polizeipräsenz, durch Gleisblockaden an verschiedenen Bahnhöfen entlang der Strecke des Nazi-Antransports den Beginn des Aufmarsches der Nazis um mehr als zwei Stunden zu verzögern. Es gelang einer Gruppe, einige hundert Meter auf der Nazi-Demonstrationsroute gegen die Braunen zu demonstrieren, nachdem diese schon durchgezogen waren. Es gelang nicht, die Route an so vielen Stellen dauerhaft so zu blockieren, daß die faschistische Demonstration abgepfiffen werden mußte.


Ziviler Ungehorsam: Gelungene Gleisblockade der Antifa
Foto: H. Pflaume, arbeiterfotografie.com

Trotzdem: Kein schlechtes Ergebnis für die Antifa

Es gelang aber auch den Nazis gerade aufgrund des eben darum in sich absurden Sicherheitskonzepts nicht, die Öffentlichkeit zu erreichen. Gerade dieses angeblich legitime, offenbar mindestens legale „kommunikative Anliegen" der Propaganda für Antisemitismus, Mord und Totschlag aber hatte den Hessischen Verwaltungsgerichtshof am Vortage der Demonstration dazu bewogen, den Nazis eine gegenüber den Auflagen der Stadt Frankfurt deutlich verlängerte Route und eine günstigere und verlängerte Demonstrationszeit (13 - 19 Uhr statt 9 - 12 Uhr) zuzugestehen. Die Exekutive ging damit wie beschrieben um: niemand, weder Freund noch Feind der NPD konnte beim besten Willen auf diese Route gelangen. Das heißt: auch wenn die Polizei sich erfolgreich gegen antifaschistische Blockadeversuche durchsetzen konnte, sperrte sie gerade damit die Öffentlichkeit selbst aus. Man kann also durchaus sagen: in Frankfurt am Main können trotz gigantischen Polizeiaufgebots Nazis nur unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes und unter Ausschluß der Öffentlichkeit aufmarschieren. Kein völlig zufriedenstellendes, aber auch kein ganz schlechtes Ergebnis für die Frankfurter AntifaschistInnen.

Botschaft des Innenministeriums

Es dürfte umgekehrt der politische Kern des polizeilichen Anliegens gewesen sein, ihrerseits den demonstrativen Nachweis zu führen, daß es unmöglich ist, gegen den Willen der Exekutive eine faschistische Demonstration zu behindern. Dem radikaleren Teil der Zivilgesellschaft sollte Macht demonstriert werden: die Macht der Exekutive, selber und exklusiv die Grenzen für antifaschistisches Engagement definieren zu können. Mehr als deklaratorische Symbolik ist nicht erlaubt und unerwünscht - basta! - das war und ist die Botschaft des Hessischen Innenministeriums zum 7. Juli.

Warum ausgerechnet Thiel?

Dafür hatte man in dem Frankfurter Polizeipräsidenten Dr. Achim Thiel ein geeignetes Werkzeug gefunden. Als Thiel Polizeipräsident in Frankfurt wurde, rätselten viele darüber, wie er sich für diesen Job qualifiziert habe. In seiner politischen und beruflichen Vita klaffen für die öffentliche Wahrnehmung weiße Flecken, über die nicht viel bekannt ist. Immerhin ist klar: er gehörte auf dessen ausdrücklichen Wunsch im Libanon zum Ermittlerteam von Staatsanwalt Detlev Mehlis im Mordfall Rafik Hariri. Thiel ist also sicher als politisch ambitionierter Beamter mit guten Geheimdienstkontakten einzustufen. Um welche politische Präferenz es sich bei seinem Tun handeln dürfte, hat er vor und nach dem 7. Juli auf Wunsch seiner Vorgesetzten im Innenministerium gezeigt: 20 Millionen Euro für ein Sicherheitskonzept, das sich über bindende Vorgaben des höchsten hessischen Verwaltungsgerichts in der Praxis völlig hinwegsetzte und gleichzeitig jede Menge Rechts- und Auflagenverstöße von Nazis souverän ignorierte – bis hin zum militanten Antisemitismus.

Die Frankfurter Anti-Nazi-Koordination fordert deshalb den Rücktritt des Polizeipräsidenten Dr. Achim Thiel. 


Dr. Hans Christoph Stoodt
Foto: D. Treber, arbeiterfotografie.com

Dr. Hans Christoph Stoodt, geb. 1954, ist evangelischer Schulpfarrer an der Frankfurter Schule für Bautechnik. Seit ihrer Gründung im Jahr 2001 ist er einer von drei SprecherInnen der Frankfurter Anti-Nazi-Koordination www.antinazi.wordpress.com. (PK)
 

Online-Flyer Nr. 105  vom 25.07.2007

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