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Inland
Aufklärung und Kulturkritik – oder:
Andere Kulturen, andere Sitten
Von Arzu Toker
Die deutsche Geschichte hat viele Menschen so nachdenklich gemacht, dass sie hinter jedweder kritischen Auseinandersetzung mit anderen Kulturen und Religionen gleich Rassismus und Ablehnung wittern. So geht es offensichtlich vielen Linken in Köln im Zusammenhang mit der hier heftig diskutierten Moschee-Bauplanung in Ehrenfeld. Wenn es jedoch um ihre eigene Kultur und Gesellschaft geht, sind sie unbarmherzig. Trotzdem räumen sie uns Menschen aus anderen Kulturen nicht ein, dass auch wir das Bedürfnis haben, uns mit „unseren“ Herkunftskulturen und Religionen kritisch-aufklärerisch auseinander zu setzen. Diese Haltung gibt dann wiederum den so genannten konservativen Migranten, den rechten Migranten, den Nährboden, auf dem sie – befreit von der natürlichen gesellschaftlichen Gegenposition – agieren können.
Arzu Toker (links) und Mina Ahadi,
Vorsitzende des Zentralrats der Exmuslime
Foto: ex-muslime
Europäische Version des Islam?
Bei der Frage nach dem Warum findet sich die Antwort wieder im Eurozentristischen. Denn schließlich kommt die Idee des Kulturrelativismus aus der Anthropologie. Von ihr stammt die Idee, dass Moralprinzipien nur innerhalb einer bestimmten Kultur gültig seien. Sozusagen „Jedem Äffchen seine Banane“ oder in Kölsch: „Jeder Jeck ist anders“ Die freiheitlichen Gesetze und Moralkodici in Europa sind ihrer Meinung nach europäische Erfindungen und gelten nur für Europäer. Diese Einstellung erleichtert es, rassistisch zu sein, ohne als Rassist erkannt zu werden. Würden wir die Kulturrelativisten ernst nehmen, müssten wir die universellen Menschenrechte abschaffen, schließlich gelten sie ja nicht für alle Menschen. Das wäre auch im Sinne der Islamisten und der konvertierten organisierten Deutschen, die versuchen, der Öffentlichkeit weiszumachen, dass es eine europäische Version des Islam geben könne. Und das wiederum hat ein Gericht in Berlin dazu gebracht, das deutsche Grundrecht zu unterhöhlen, indem es muslimischen Mädchen erlaubte, aus religiösen Gründen dem Sportunterricht fernbleiben zu können.
Hier treffen sich die Interessen der radikalen Islamisten, der Kulturrelativisten und der Rassisten. Die Einen wollen, dass die Fremden fremd bleiben und sich – entgegen einem menschlichen Grundbedürfnis – keineswegs entwickeln, womit sie noch fremder werden. Die Anderen wollen ihre Andersartigkeit in Parallelgesellschaften behalten und dies rechtlich legitimieren, das Recht so lange verbiegen, bis am Ende ihr Recht übrig bleibt: die Scharia. Deshalb ist es den Kulturrelativisten ziemlich lästig, von arrangierten Ehen, Ehrenmorden und anderen Menschenrechtsverletzungen in Verbindung mit dem Islam zu hören. Sie verstehen die Darstellung negativer Aspekte als eine Ablehnung des Islam. Der Erhalt des Islam aber ist in ihrem Interesse, denn er garantiert ihnen, dass „jene Fremden“ fremd bleiben und sich nicht unter „ihresgleichen“ mischen werden.
Entwurf der in Köln auch von der Linken verteidigten Moschee
Foto: NRhZ-Archiv
Die Linke und die Kölner DITIB-Moschee
Die Linke in Deutschland tendiert gleichzeitig dazu, einen verkappten Größenwahn zu pflegen in dem Sinne, dass sie den Rest der Welt und insbesondere alle „kritisierten Minderheiten“ als Opfer betrachtet, die sie zu schützen hat. Selbstverständlich sind die Opfer nicht in Frage zu stellen. Aber was in der aktuellen Diskussion über die Kölner DITIB-Moschee abläuft, ist schon merkwürdig: Da werfen Leute, die ihre christlichen Kirchen mit Recht kritisieren, diese zum Teil deshalb längst verlassen haben und deshalb wohl kaum für einen Kirchenneubau auf die Straße gehen würden, gleichzeitig Kritikern des geplanten Moschee-Neubaus Schüren von Islamophobie vor. Als Islamophobie gilt jedwede Kritik an der islamischen Welt, den Palästinensern und den islamischen Migranten. Hier sind sich die Linken mit den Rechten einig: Es handelt sich bei beiden um Varianten von Antisemitismus. Ihre Befürwortung der Moschee in Ehrenfeld verstecken die Linken unter dem Protest gegen die Rechte und nutzen die historischen Gewissensbisse der Ehrenfelder Bevölkerung aus.
Beispiele für Kulturrelativismus gibt es zuhauf: Minderheiten werden so lange romantisiert, bis sie sich auf deutschen Autobahnen für ein „Vaterland“ verbrennen und dadurch unangenehme Staus verursachen. Aber auch dann wird nicht etwa Kritik geübt, sondern geschwiegen. Als ich damals in einem Fernsehkommentar die Gesinnung, sich fürs Vaterland zu verbrennen, kritisierte, wurde ich mit Nazis verglichen.
Eine große Enttäuschung für die Kulturrelativisten und Machos war der Brandanschlag in Krefeld 1997, dem zwei junge Mädchen und ihre Mutter zum Opfer fielen. Solange der Verdacht bestand, dass das eine Tat von Rechtsradikalen gewesen sei, wurde protestiert: auch Türken und Kurden prügelten sich, um die eigene Fahne auf den Särgen ausbreiten zu können. Opfer werden geliebt, Opfer wollte man sein. Der Protest hörte jedoch schlagartig auf, als aufflog, dass der eigene Vater bzw. der Ehemann der Täter war. Und das milde Urteil im Zusammenhang mit der Hinrichtung von Hatun Sürücü durch ihren jüngsten Bruder ist die brutale gerichtliche Version des Kulturrelativismus. Die Kölner SPD-Abgeordnete und Islambeauftragte Lale Akgün brachte es sogar so weit, dass sie uns vom Zentralrat der Ex-Muslime in einer türkischen Zeitung beschuldigte, die Islamfeindlichkeit zu schüren und gab uns somit als Feindbild zum Angriff frei. Sie sprach so den Menschen, die nicht mehr mit dem Islam identifiziert werden wollen, das Recht ab, sich zu organisieren.
Islamisch legitimierte Männerherrschaft nicht thematisiert
Obwohl zahlreiche Untersuchungen seit vierzig Jahren immer wieder darauf hinweisen, dass die Ursachen der Integrationsmißstände in der religiös, d.h. islamisch legitimierten Männerherrschaft zu finden sind, wurde diese nicht öffentlich thematisiert und kritisiert. An der Kölner Uni gibt es tausende Diplomarbeiten über türkische Frauen, die sich gegenseitig wiederholen. Ursache: islamische Männerherrschaft. Nur zwei über Männer. Wie ist das möglich? Die Antwort für die Kulturrelativisten ist einfach: Andere Kulturen andere Sitten.
Die Kulturrelativisten wissen es besser. Sie wissen mehr über die Kultur der „Fremden" als diese selber. Besonders, wenn Menschen, die aus alten Kulturen herausgewachsen sind und das gleiche Recht auf Aufklärung und Emanzipation einfordern, das jede/r EuropäerIn selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt. Dabei merken die Kulturrelativisten nicht, wie sie die Rolle der kolonialistischen Rückständigen spielen, da sie – obwohl Teil einer anderen, der herrschenden Kultur – sich in die „fremde" Kulturentwicklungsdynamik einmischen. Meist sind sie in renommierten Institutionen beschäftigt und halten uns aus Veranstaltungen, Tagungen, Publikationen raus. Stattdessen laden sie Persönlichkeiten aus den Heimatländern ein und nehmen gern die Gelegenheit zu Reisen auf Kosten öffentlicher Kassen wahr. Sie kooperieren mit dem konservativen Flügel unter den Minderheiten. Das geht so lange gut, bis wir nicht mehr zu überhören sind. Aber selbst dann sind nicht wir die ebenbürtigen Gesprächspartner, sondern sie lassen sich neue Forschungsaufträge geben und formulieren, was wir seit Jahrzehnten kritisierten, als das Ergebnis ihrer eigenen Forschungen. Kulturrelativisten reagieren auf unsere Kritik an unserer Herkunftskultur oder am Islam beleidigt, als ob wir sie persönlich angegriffen hätten und zeigen sofort auf ihre Freunde, die doch nicht so sind, oder auf den einen oder anderen Professor oder Schriftsteller, der doch berühmt sei und nicht unsere Meinung vertritt, da unsere Kritik nur Unruhe und Ablehnung schaffe.
Keine islamische Initiative hilft Gewaltopfern
Um sich einen Spielraum für eventuelle Kritik zu schaffen, sprechen sie von einem „politischen Islam“, der von gewaltbereiten Gruppen benutzt werde, die die Religion instrumentalisieren würden. Obwohl sie sonst den Anspruch auf Scharfsinn erheben, merken sie aber beispielsweise nicht, dass es in den gläubigen Kreisen keine einzige islamische Initiative gibt, die den Opfern der Gewalt und deren Familien helfen würde. Nicht bei ermordeten Ingenieuren der Entwicklungshilfe, nicht nach den Attentaten. Schon gar nicht bei den Selbstbombern in Israel.
In meinen Diskussionsveranstaltungen über Religion versuchen sie das Alter von Aischa, die Mohammed mit sechs geheiratet und mit neun „verehelicht“ hat, zu erhöhen oder mit der damaligen Zeit zu legitimieren. Sie bemühen den absurden Vergleich von europäische Königinnen, die als Kinder verheiratet wurden. Darin steckt Rassismus, da sie den Vergleich, ob sie ihre eigene sechs- oder neunjährige Tochter mit einem über 50-jährigen Mann verheiraten könnten, als eine Beleidigung von sich weisen. Die Kulturrelativisten, die oft und gern psychologisieren, machen, wenn es um den Islam geht, keinen Gebrauch von ihrer psychologischen Feinfühligkeit. So sind sie auch unfähig zu hinterfragen, welche Psyche der Mann haben muss, um mit einem Kind zu schlafen, eine Frau zu schlagen oder zu akzeptieren, dass seine Zeugenaussage der Aussage zweier Frauen entspricht und dass das Haar der Frauen bedeckt sein muss, damit er sexuell nicht gereizt werde und etwa unkontrolliert reagiert.
Jeder Mensch hat das Recht auf individuelle Freiheit und Andersartigkeit. Aber die Grenze jeder persönlichen Freiheit und „Andersartigkeit" muss im Grundgesetz liegen, das für Alle gleichermaßen gültig ist. Das Grundgesetz darf nicht zugunsten irgendeiner Religion unterschiedlich angewendet werden. Weder die Menschenwürde noch die sich daraus ableitbaren Grundrechte individueller Selbstbestimmung und Freiheit sind teilbar. Sie stehen nicht zur Disposition.
Arzu Toker, 1952 in Halfeti/Ostanatolien geboren, arbeitete zunächst als Näherin in der Türkei. Sie stammt aus einer liberalen Familie und lebte bereits in den siebziger Jahren alleine in Istanbul. Nach dem zweiten Militärputsch 1971 wurden viele ihrer Freunde festgenommen. 1974 wanderte sie nach Deutschland aus und lebt seitdem in Köln. Ausgestattet mit einem, wie sie selbst formuliert, „ungeheuren Freiheitsdrang“, kritisierte sie bereits früh die Frauenfeindlichkeit des Islam und arbeitete als Journalistin auch zu diesem Thema für die Medien. Aufsehen erregte dabei u.a. ihr Hörfunkfeature Die Frau im Islam, eine psychoanalytische Annäherung an Mohammed als Ehemann. Neben ihrer journalistischen Arbeit ist Arzu Toker auch als Schriftstellerin, Pädagogin, Dolmetscherin und Übersetzerin tätig. Von 1985-1997 war sie als Ausländervertreterin Mitglied des Rundfunkrates des WDR. 1997 erhielt Toker für die Herausgabe des „griechisch-deutsch-türkischen Lesebuchs“ Kalimerhaba den Abdi Ipekçi-Preis für Frieden und Freundschaft. Auf der Gründungsversammlung des Zentralrats der Ex-Muslime im Januar 2007 wurde sie zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Im Herbst 2007 wird im Alibri Verlag das von ihr übersetzte und herausgegebene Werk „Frauen sind eure Äcker!“ Frauen – Scharia – Islam -erscheinen. Zurzeit führt sie ein Projekt für und mit Jugendlichen an Schulen durch. (PK)
Online-Flyer Nr. 107 vom 08.08.2007
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Aufklärung und Kulturkritik – oder:
Andere Kulturen, andere Sitten
Von Arzu Toker
Die deutsche Geschichte hat viele Menschen so nachdenklich gemacht, dass sie hinter jedweder kritischen Auseinandersetzung mit anderen Kulturen und Religionen gleich Rassismus und Ablehnung wittern. So geht es offensichtlich vielen Linken in Köln im Zusammenhang mit der hier heftig diskutierten Moschee-Bauplanung in Ehrenfeld. Wenn es jedoch um ihre eigene Kultur und Gesellschaft geht, sind sie unbarmherzig. Trotzdem räumen sie uns Menschen aus anderen Kulturen nicht ein, dass auch wir das Bedürfnis haben, uns mit „unseren“ Herkunftskulturen und Religionen kritisch-aufklärerisch auseinander zu setzen. Diese Haltung gibt dann wiederum den so genannten konservativen Migranten, den rechten Migranten, den Nährboden, auf dem sie – befreit von der natürlichen gesellschaftlichen Gegenposition – agieren können.
Arzu Toker (links) und Mina Ahadi,
Vorsitzende des Zentralrats der Exmuslime
Foto: ex-muslime
Europäische Version des Islam?
Bei der Frage nach dem Warum findet sich die Antwort wieder im Eurozentristischen. Denn schließlich kommt die Idee des Kulturrelativismus aus der Anthropologie. Von ihr stammt die Idee, dass Moralprinzipien nur innerhalb einer bestimmten Kultur gültig seien. Sozusagen „Jedem Äffchen seine Banane“ oder in Kölsch: „Jeder Jeck ist anders“ Die freiheitlichen Gesetze und Moralkodici in Europa sind ihrer Meinung nach europäische Erfindungen und gelten nur für Europäer. Diese Einstellung erleichtert es, rassistisch zu sein, ohne als Rassist erkannt zu werden. Würden wir die Kulturrelativisten ernst nehmen, müssten wir die universellen Menschenrechte abschaffen, schließlich gelten sie ja nicht für alle Menschen. Das wäre auch im Sinne der Islamisten und der konvertierten organisierten Deutschen, die versuchen, der Öffentlichkeit weiszumachen, dass es eine europäische Version des Islam geben könne. Und das wiederum hat ein Gericht in Berlin dazu gebracht, das deutsche Grundrecht zu unterhöhlen, indem es muslimischen Mädchen erlaubte, aus religiösen Gründen dem Sportunterricht fernbleiben zu können.
Hier treffen sich die Interessen der radikalen Islamisten, der Kulturrelativisten und der Rassisten. Die Einen wollen, dass die Fremden fremd bleiben und sich – entgegen einem menschlichen Grundbedürfnis – keineswegs entwickeln, womit sie noch fremder werden. Die Anderen wollen ihre Andersartigkeit in Parallelgesellschaften behalten und dies rechtlich legitimieren, das Recht so lange verbiegen, bis am Ende ihr Recht übrig bleibt: die Scharia. Deshalb ist es den Kulturrelativisten ziemlich lästig, von arrangierten Ehen, Ehrenmorden und anderen Menschenrechtsverletzungen in Verbindung mit dem Islam zu hören. Sie verstehen die Darstellung negativer Aspekte als eine Ablehnung des Islam. Der Erhalt des Islam aber ist in ihrem Interesse, denn er garantiert ihnen, dass „jene Fremden“ fremd bleiben und sich nicht unter „ihresgleichen“ mischen werden.
Entwurf der in Köln auch von der Linken verteidigten Moschee
Foto: NRhZ-Archiv
Die Linke und die Kölner DITIB-Moschee
Die Linke in Deutschland tendiert gleichzeitig dazu, einen verkappten Größenwahn zu pflegen in dem Sinne, dass sie den Rest der Welt und insbesondere alle „kritisierten Minderheiten“ als Opfer betrachtet, die sie zu schützen hat. Selbstverständlich sind die Opfer nicht in Frage zu stellen. Aber was in der aktuellen Diskussion über die Kölner DITIB-Moschee abläuft, ist schon merkwürdig: Da werfen Leute, die ihre christlichen Kirchen mit Recht kritisieren, diese zum Teil deshalb längst verlassen haben und deshalb wohl kaum für einen Kirchenneubau auf die Straße gehen würden, gleichzeitig Kritikern des geplanten Moschee-Neubaus Schüren von Islamophobie vor. Als Islamophobie gilt jedwede Kritik an der islamischen Welt, den Palästinensern und den islamischen Migranten. Hier sind sich die Linken mit den Rechten einig: Es handelt sich bei beiden um Varianten von Antisemitismus. Ihre Befürwortung der Moschee in Ehrenfeld verstecken die Linken unter dem Protest gegen die Rechte und nutzen die historischen Gewissensbisse der Ehrenfelder Bevölkerung aus.
Beispiele für Kulturrelativismus gibt es zuhauf: Minderheiten werden so lange romantisiert, bis sie sich auf deutschen Autobahnen für ein „Vaterland“ verbrennen und dadurch unangenehme Staus verursachen. Aber auch dann wird nicht etwa Kritik geübt, sondern geschwiegen. Als ich damals in einem Fernsehkommentar die Gesinnung, sich fürs Vaterland zu verbrennen, kritisierte, wurde ich mit Nazis verglichen.
Eine große Enttäuschung für die Kulturrelativisten und Machos war der Brandanschlag in Krefeld 1997, dem zwei junge Mädchen und ihre Mutter zum Opfer fielen. Solange der Verdacht bestand, dass das eine Tat von Rechtsradikalen gewesen sei, wurde protestiert: auch Türken und Kurden prügelten sich, um die eigene Fahne auf den Särgen ausbreiten zu können. Opfer werden geliebt, Opfer wollte man sein. Der Protest hörte jedoch schlagartig auf, als aufflog, dass der eigene Vater bzw. der Ehemann der Täter war. Und das milde Urteil im Zusammenhang mit der Hinrichtung von Hatun Sürücü durch ihren jüngsten Bruder ist die brutale gerichtliche Version des Kulturrelativismus. Die Kölner SPD-Abgeordnete und Islambeauftragte Lale Akgün brachte es sogar so weit, dass sie uns vom Zentralrat der Ex-Muslime in einer türkischen Zeitung beschuldigte, die Islamfeindlichkeit zu schüren und gab uns somit als Feindbild zum Angriff frei. Sie sprach so den Menschen, die nicht mehr mit dem Islam identifiziert werden wollen, das Recht ab, sich zu organisieren.
Islamisch legitimierte Männerherrschaft nicht thematisiert
Obwohl zahlreiche Untersuchungen seit vierzig Jahren immer wieder darauf hinweisen, dass die Ursachen der Integrationsmißstände in der religiös, d.h. islamisch legitimierten Männerherrschaft zu finden sind, wurde diese nicht öffentlich thematisiert und kritisiert. An der Kölner Uni gibt es tausende Diplomarbeiten über türkische Frauen, die sich gegenseitig wiederholen. Ursache: islamische Männerherrschaft. Nur zwei über Männer. Wie ist das möglich? Die Antwort für die Kulturrelativisten ist einfach: Andere Kulturen andere Sitten.
Die Kulturrelativisten wissen es besser. Sie wissen mehr über die Kultur der „Fremden" als diese selber. Besonders, wenn Menschen, die aus alten Kulturen herausgewachsen sind und das gleiche Recht auf Aufklärung und Emanzipation einfordern, das jede/r EuropäerIn selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt. Dabei merken die Kulturrelativisten nicht, wie sie die Rolle der kolonialistischen Rückständigen spielen, da sie – obwohl Teil einer anderen, der herrschenden Kultur – sich in die „fremde" Kulturentwicklungsdynamik einmischen. Meist sind sie in renommierten Institutionen beschäftigt und halten uns aus Veranstaltungen, Tagungen, Publikationen raus. Stattdessen laden sie Persönlichkeiten aus den Heimatländern ein und nehmen gern die Gelegenheit zu Reisen auf Kosten öffentlicher Kassen wahr. Sie kooperieren mit dem konservativen Flügel unter den Minderheiten. Das geht so lange gut, bis wir nicht mehr zu überhören sind. Aber selbst dann sind nicht wir die ebenbürtigen Gesprächspartner, sondern sie lassen sich neue Forschungsaufträge geben und formulieren, was wir seit Jahrzehnten kritisierten, als das Ergebnis ihrer eigenen Forschungen. Kulturrelativisten reagieren auf unsere Kritik an unserer Herkunftskultur oder am Islam beleidigt, als ob wir sie persönlich angegriffen hätten und zeigen sofort auf ihre Freunde, die doch nicht so sind, oder auf den einen oder anderen Professor oder Schriftsteller, der doch berühmt sei und nicht unsere Meinung vertritt, da unsere Kritik nur Unruhe und Ablehnung schaffe.
Keine islamische Initiative hilft Gewaltopfern
Um sich einen Spielraum für eventuelle Kritik zu schaffen, sprechen sie von einem „politischen Islam“, der von gewaltbereiten Gruppen benutzt werde, die die Religion instrumentalisieren würden. Obwohl sie sonst den Anspruch auf Scharfsinn erheben, merken sie aber beispielsweise nicht, dass es in den gläubigen Kreisen keine einzige islamische Initiative gibt, die den Opfern der Gewalt und deren Familien helfen würde. Nicht bei ermordeten Ingenieuren der Entwicklungshilfe, nicht nach den Attentaten. Schon gar nicht bei den Selbstbombern in Israel.
In meinen Diskussionsveranstaltungen über Religion versuchen sie das Alter von Aischa, die Mohammed mit sechs geheiratet und mit neun „verehelicht“ hat, zu erhöhen oder mit der damaligen Zeit zu legitimieren. Sie bemühen den absurden Vergleich von europäische Königinnen, die als Kinder verheiratet wurden. Darin steckt Rassismus, da sie den Vergleich, ob sie ihre eigene sechs- oder neunjährige Tochter mit einem über 50-jährigen Mann verheiraten könnten, als eine Beleidigung von sich weisen. Die Kulturrelativisten, die oft und gern psychologisieren, machen, wenn es um den Islam geht, keinen Gebrauch von ihrer psychologischen Feinfühligkeit. So sind sie auch unfähig zu hinterfragen, welche Psyche der Mann haben muss, um mit einem Kind zu schlafen, eine Frau zu schlagen oder zu akzeptieren, dass seine Zeugenaussage der Aussage zweier Frauen entspricht und dass das Haar der Frauen bedeckt sein muss, damit er sexuell nicht gereizt werde und etwa unkontrolliert reagiert.
Jeder Mensch hat das Recht auf individuelle Freiheit und Andersartigkeit. Aber die Grenze jeder persönlichen Freiheit und „Andersartigkeit" muss im Grundgesetz liegen, das für Alle gleichermaßen gültig ist. Das Grundgesetz darf nicht zugunsten irgendeiner Religion unterschiedlich angewendet werden. Weder die Menschenwürde noch die sich daraus ableitbaren Grundrechte individueller Selbstbestimmung und Freiheit sind teilbar. Sie stehen nicht zur Disposition.
Arzu Toker, 1952 in Halfeti/Ostanatolien geboren, arbeitete zunächst als Näherin in der Türkei. Sie stammt aus einer liberalen Familie und lebte bereits in den siebziger Jahren alleine in Istanbul. Nach dem zweiten Militärputsch 1971 wurden viele ihrer Freunde festgenommen. 1974 wanderte sie nach Deutschland aus und lebt seitdem in Köln. Ausgestattet mit einem, wie sie selbst formuliert, „ungeheuren Freiheitsdrang“, kritisierte sie bereits früh die Frauenfeindlichkeit des Islam und arbeitete als Journalistin auch zu diesem Thema für die Medien. Aufsehen erregte dabei u.a. ihr Hörfunkfeature Die Frau im Islam, eine psychoanalytische Annäherung an Mohammed als Ehemann. Neben ihrer journalistischen Arbeit ist Arzu Toker auch als Schriftstellerin, Pädagogin, Dolmetscherin und Übersetzerin tätig. Von 1985-1997 war sie als Ausländervertreterin Mitglied des Rundfunkrates des WDR. 1997 erhielt Toker für die Herausgabe des „griechisch-deutsch-türkischen Lesebuchs“ Kalimerhaba den Abdi Ipekçi-Preis für Frieden und Freundschaft. Auf der Gründungsversammlung des Zentralrats der Ex-Muslime im Januar 2007 wurde sie zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Im Herbst 2007 wird im Alibri Verlag das von ihr übersetzte und herausgegebene Werk „Frauen sind eure Äcker!“ Frauen – Scharia – Islam -erscheinen. Zurzeit führt sie ein Projekt für und mit Jugendlichen an Schulen durch. (PK)
Online-Flyer Nr. 107 vom 08.08.2007
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