Lokales
Verarmung als politisches Ziel von Rot-Grün-Schwarz-Gelb
Die neue Armut kam aus Köln
Von Helga Spindler
Ich wohne hier in Köln und beobachte seit vielen Jahren, wie in dieser Stadt immer wieder als Erfolg ausgegeben wird, wenn früher den Sozialhilfeempfängern und heute den Hartz IV- Empfängern die Leistungen gekürzt und vor allem ihre sozialen Rechte außer Kraft gesetzt werden.
Prof. Dr. Spindler: „wachsendes Heer von Arbeitern der 3. Klasse"
Köln hatte in vielen Punkten eine Vorreiterrolle für die Hartz -Gesetze übernommen, ohne dass das am Ort wahrgenommen und kritisiert wurde. Das hiesige Zeitungsmonopol hat daran eine Mitverantwortung, die auch durch unabhängigere Journalisten nicht aufgebrochen werden konnte. Köln war schon in den 90er Jahren kommunales Versuchslabor für die Senkungen von einmaligen Beihilfen und der Freibeträge für Niedriglohnbezieher in der Sozialhilfe.
Dass mit der Hartz-Reform selbst noch die Leistungen der ehemaligen Sozialhilfe, wie die Regelsätze für schulpflichtige Kinder, die Anteile für Strom, Verkehrkosten, Gesundheitsausgaben empfindlich gekürzt worden sind, dass seitdem die Beihilfen für Schule und Ausbildung weggefallen sind – über all das hat man in der gesamten Presse wenig erfahren, und die Kürzungen wurden so raffiniert versteckt, dass heute immer noch Leute behaupten , Hartz IV- Bezieher bekämen mehr Geld als vorher in der Sozialhilfe. Gerade noch hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 16. August wieder grob irreführend behauptet: "...es gibt keinen sozialen Kahlschlag,.vielmehr steht Hartz IV für den großen Ausbau des deutschen Sozialstaats."
Wenn heute das Geld noch nicht einmal für die Ernährung der Schulkinder reicht, dann ist das keine höhere Gewalt und keine Folge der Milchpreiserhöhung, sondern Ergebnis der bewussten Kürzungen der Bedarfsanteile in den Regelsätzen durch die damalige rot-grün-schwarze Hartz-Koalition 2004.
Zorn vor dem Kölner Dom
1999 hat Köln die so genannten Sprungbrettmaßnahmen für Menschen unter 25 Jahren eingeführt und hat sie in Arbeitsmaßnahmen gedrängt, in denen sie keinerlei Rechte mehr hatten und noch nicht einmal ausreichenden Lohn bekamen. Das Jobcenter Köln ist, wie wir inzwischen wissen, zum direkten Vorbild für die Hartz Kommission und Hartz IV geworden. Das Chaos, das bis heute in den Jobcentern herrscht, ist hier vorbereitet worden. Die Schattenseiten wusste man allerdings gut zu verschweigen.
Leider hat sich fast niemand darum gekümmert, dass die Erfolge in Köln weniger in einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt liegen, denn nach wie vor der Reform gibt es in Köln überdurchschnittlich viele Arbeitslose. Der Haupterfolg liegt – wie bei den Sprungbrettmaßnahmen – darin, dass immer wieder viele mit fragwürdigen Methoden aus der Statistik verschwinden, entweder indem ihre Anträge nicht angenommen oder nicht richtig bearbeitet werden oder indem sie in Maßnahmen gezwungen werden, die keinen Sinn machen. Oder sie werden in Arbeitsplätze gezwungen, die weder dauerhaft noch ausreichend bezahlt sind.
Besonders gefördert werden sollten die Arbeitslosen mit der neuen Reform. Aber wo sind sie geblieben, die vielen Weiterbildungen, Umschulungen, ABM Maßnahmen, Lohnkostenzuschüsse, die es früher einmal gegeben hat? Weg sind sie.Auch die Programme "Arbeit statt Sozialhilfe" sind längst gestrichen.
Was übrig geblieben ist, sind ist die Mehraufwandsbeschäftigungen, die so genannten Ein Euro Jobs, die es früher nur in begrenzter Zahl für Sozialhilfebezieher gab. Inzwischen gibt es sie für ehemalige Arbeitslosenhilfebezieher und selbst für berufserfahrene und qualifizierte Menschen.
Viele sagen: Hauptsache die Leute arbeiten wieder. Und auch viele Arbeitslose sagen: Hauptsache ich habe überhaupt wieder Arbeit. Sie sollten alle aufpassen: Es geht nicht um Arbeit um jeden Preis, es kommt nämlich darauf an, welche Arbeit zu welchen Bedingungen angeboten wird. Menschenwürdige Arbeit bedeutet in unserer Gesellschaft, dass sinnvolle und notwendige Arbeit im Rahmen eines Arbeitsvertrags geleistet wird, bei dem auch die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigt und Tarife ausgehandelt werden.
Wir hätten auch genügend Arbeit, von der Stadtreinigung angefangen bis zur Kinderbetreuung, in der Pflege und in der Ganztagsschule, in Krankenhäusern, in Jugend- und in Arbeitslosenzentren . Aber statt solche Arbeitplätze zu finanzieren, werden sie überall abgebaut.
Beschleunigt wird die Verdrängung von Arbeitsplätzen durch den Einsatz von Ein Euro Jobbern durch Wohlfahrtsverbände und die großen Kölner Beschäftigungsträger, die ihren Geschäftsbereich immer mehr ausweiten z.B. auf das Betreiben von Bürgerzentren. Es gibt hier tatsächlich ein Bürgerzentrum, das zwar von den meisten Bürgern noch freiwillig besucht wird, dem aber arme Bürger als Arbeitskräfte zwangsweise zugewiesen werden.
Forderungen zum Überleben
Fotos: H.-D. Hey, arbeiterfotografie.com
Diese Träger maßen sich Praktiken an, die nicht einmal im Gesetz vorgesehen sind, z.B. das Arbeitslosengeld II nicht zu Beginn sondern erst im Folgemonat auszuzahlen oder statt einer Teilzeitbeschäftigung – wie im Gesetz vorgesehen – eine Vollzeitbeschäftigung zu verlangen. Sie beschäftigen die Menschen auch nicht mehr nur selber, sondern verleihen sie in wachsendem Umfang an andere Verbände und Firmen. So sollen sich alle langsam daran gewöhnen, ein wachsendes Heer von Arbeitern der 3. Klasse zu haben.
Die wichtigsten aktuellen Forderungen im Moment sind die Erhöhung der Regelsätze, die Reduzierung der Ein Euro Jobs, keine zwangsweise Zuweisung und vor allem kein Arbeitskräfteverleih von Ein Euro Jobbern und die Ausweitung von regulären Arbeitsangeboten mit tariflicher Vergütung im kommunalen, sozialen und Bildungsbereich. (HDH)
Online-Flyer Nr. 109 vom 22.08.2007
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