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Krieg und Frieden
Türkischer Kriegsdienstverweigerer erneut von Inhaftierung bedroht
Osman Murat Ülke bleibt draußen!
Von Bernd Drücke
Kriegsdienstverweigerung in der Türkei
Nein zum Krieg!
Foto: Bernd Drücke
In der Türkei gibt es nach wie vor keine gesetzliche Regelung zur Kriegsdienstverweigerung. Kriegsdienstverweigerer werden als Deserteure behandelt. Osman Murat Ülke befasste sich mit dem Thema erstmals 1990 während des Studiums. Damals erklärten die beiden ersten Kriegsdienstverweigerer in der Türkei ihre Verweigerung – eine Sensation in einem Land, das nach den blutigen Militärputschen 1960, 1971 und 1980 de facto noch immer vom Militär dominiert wird. Osman Ülke, damals 20 Jahre alt, sammelte Unterschriften für die Verweigerer, zwei Jahre später gründete er gemeinsam mit Freundinnen und Freunden in Izmir den ersten und – bis zu seiner Auflösung 2002 – einzigen legalen Verein für Kriegsdienstverweigerer und KriegsgegnerInnen.
Mitte der 1990er erklärte Ülke selbst öffentlich seine Verweigerung und wurde 1995 vor dem Militärgericht in Ankara wegen „Entfremdung des Volkes vom Militär“ angeklagt. Er wurde freigesprochen, aber direkt aus dem Gefängnis zum Rekrutierungsbüro gebracht. „Danach habe ich dann die Militärpapiere, die mir gegeben wurden, am 1. September, dem Weltfriedenstag, verbrannt und meine Kriegsdienstverweigerung erklärt. Nach 1995 erwarteten wir eigentlich eine sofortige Verhaftung, aber die Militärstaatsanwaltschaft hat dann noch über ein Jahr auf sich warten lassen.“ Im Oktober 1996 wurde Ülke dann festgenommen und blieb mit Unterbrechungen bis März 1999 in Haft.
In der Türkei gibt es nach wie vor kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Verweigerer können theoretisch ihr Leben lang immer wieder inhaftiert werden. Deshalb hatten sich türkische AntimilitaristInnen 1997 an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt: Es ging ihnen um die gesetzliche Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung und ein Ende der wiederholten Kriminalisierung für ein und dieselbe „Tat“. Im Januar 2006 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Entscheidung gegen die Türkei. Mit dem neuen Haftbefehl gegen Ülke stellt sich die türkische Militärjustiz aber gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (die NRhZ berichtete), in dem Ülkes Leben im Versteck als „ziviler Tod“ gegeißelt wird. Damit sabotiert sie zugleich die Bemühungen der türkischen Regierung um einen EU-Beitritt.
Die Armee schwimmt
Quelle: Armee der Türkei
Immer die Angst im Nacken
Als Illegalisierter kann Ülke nur durch Nebengassen gehen, immer mit der Angst im Nacken, einem der unzähligen Kontrollposten von Militär und Polizei in die Arme zu laufen. Die Türkei ist eine Militärdemokratur und ein Polizeistaat, in dem ständig und überall Kontrollen stattfinden. Ülkes Pass ist bereits vor acht Jahren abgelaufen.
„Da, wo ich wohne, bin ich nicht angemeldet, womit ich verhindere, dass ich sozusagen von ganz normalen Polizeibeamten inhaftiert werde. Ich will ja gar nicht fliehen, als Kriegsdienstverweigerer ist meine Tat offen und ich stehe dazu. Wenn man mich finden will, dann kann man das auch. Ich will aber nicht, dass das zufällig passiert. Deswegen bin ich nirgends eingetragen, habe kein Konto, bin nicht versichert, kann keine offizielle Arbeit aufnehmen. Ich bin nicht eingetragen als der Vater meines Sohnes.“
Trotzdem war es bislang relativ einfach, sich mit Ülke zu treffen. Obwohl ein Haftbefehl gegen ihn vorlag, vermied es der türkische Staat, ihn festzunehmen. So sollte wohl verhindert werden, dass das Thema Kriegsdienstverweigerung wieder öffentlich diskutiert wird. Zu befürchten ist, dass sich das durch den neuen Haftbefehl geändert hat. Unter der unerträglichen Situation leiden auch Ülkes Lebensgefährtin und sein vierjähriger Sohn. Immer wieder setzen Gendarmen und Polizisten auch Ülkes herzkranken Vater unter Druck und fragen, wo der fahnenflüchtige Sohn sich „versteckt“. „Wobei das nur Schikane ist. Eigentlich bin ich im Menschenrechtsbereich sehr aktiv und deswegen ist es kein Geheimnis, wo ich bin.“
Ülke fordert die Aufhebung aller Prozesse gegen Kriegsdienstverweigerer, die Re-Legalisierung aller Kriegsdienstverweigerer und die Neuregelung der Kriegsdienstverweigerung. Er ist ein gewaltfreier Anarchist und wie fast alle Kriegsdienstverweigerer in der Türkei versteht er sich als Totalverweigerer, der Zwangsdienste grundsätzlich ablehnt.
Ülke: „Aber wir sind uns natürlich darüber klar, dass die Totale Kriegsdienst-verweigerung noch nicht durchgesetzt werden kann. Deshalb muss es, wenn es ein Gesetz zu Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst gibt, eine Mindestforderung sein, dass der Zivildienst so organisiert wird, dass er keinen bestrafenden Charakter hat, dass man sich zumindest an die europäischen Standards hält.“
Osman Murat Ülke mit seinem Sohn, Juli 2007
Foto: Bernd Drücke
Es reicht!
Osman Murat Ülkes Fall hat eine weltweite Ausstrahlung. Die IPPNW hat ihm Anfang des Jahres den Clara-Immerwahr-Preis verliehen. Durch sein Beispiel, seine Standhaftigkeit, durch den großen Mut, den er beweist, ist er ein Vorbild.
Es ist die Aufgabe aller humanistisch und friedensbewegten Menschen weltweit, sich dafür einzusetzen, dass Ülke auf keinen Fall wieder inhaftiert wird.
Er darf keinen einzigen Tag mehr ins Gefängnis! Durch weltweiten öffentlichen Druck muss von unten durchgesetzt werden, dass er als freier Mensch durch die Weltgeschichte gehen und ein menschenwürdiges Leben führen kann.
Die jetzt drohende Haftstrafe muss abgewendet werden. Das geht, wenn eine weltweite Öffentlichkeit hergestellt wird, wenn Druck auf die Türkei ausgeübt wird.
Dafür müssen wir uns einsetzen. (YH)
Online-Flyer Nr. 111 vom 05.09.2007
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Krieg und Frieden
Türkischer Kriegsdienstverweigerer erneut von Inhaftierung bedroht
Osman Murat Ülke bleibt draußen!
Von Bernd Drücke
Kriegsdienstverweigerung in der Türkei
Nein zum Krieg!
Foto: Bernd Drücke
Mitte der 1990er erklärte Ülke selbst öffentlich seine Verweigerung und wurde 1995 vor dem Militärgericht in Ankara wegen „Entfremdung des Volkes vom Militär“ angeklagt. Er wurde freigesprochen, aber direkt aus dem Gefängnis zum Rekrutierungsbüro gebracht. „Danach habe ich dann die Militärpapiere, die mir gegeben wurden, am 1. September, dem Weltfriedenstag, verbrannt und meine Kriegsdienstverweigerung erklärt. Nach 1995 erwarteten wir eigentlich eine sofortige Verhaftung, aber die Militärstaatsanwaltschaft hat dann noch über ein Jahr auf sich warten lassen.“ Im Oktober 1996 wurde Ülke dann festgenommen und blieb mit Unterbrechungen bis März 1999 in Haft.
In der Türkei gibt es nach wie vor kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Verweigerer können theoretisch ihr Leben lang immer wieder inhaftiert werden. Deshalb hatten sich türkische AntimilitaristInnen 1997 an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt: Es ging ihnen um die gesetzliche Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung und ein Ende der wiederholten Kriminalisierung für ein und dieselbe „Tat“. Im Januar 2006 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Entscheidung gegen die Türkei. Mit dem neuen Haftbefehl gegen Ülke stellt sich die türkische Militärjustiz aber gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (die NRhZ berichtete), in dem Ülkes Leben im Versteck als „ziviler Tod“ gegeißelt wird. Damit sabotiert sie zugleich die Bemühungen der türkischen Regierung um einen EU-Beitritt.
Die Armee schwimmt
Quelle: Armee der Türkei
Immer die Angst im Nacken
Als Illegalisierter kann Ülke nur durch Nebengassen gehen, immer mit der Angst im Nacken, einem der unzähligen Kontrollposten von Militär und Polizei in die Arme zu laufen. Die Türkei ist eine Militärdemokratur und ein Polizeistaat, in dem ständig und überall Kontrollen stattfinden. Ülkes Pass ist bereits vor acht Jahren abgelaufen.
„Da, wo ich wohne, bin ich nicht angemeldet, womit ich verhindere, dass ich sozusagen von ganz normalen Polizeibeamten inhaftiert werde. Ich will ja gar nicht fliehen, als Kriegsdienstverweigerer ist meine Tat offen und ich stehe dazu. Wenn man mich finden will, dann kann man das auch. Ich will aber nicht, dass das zufällig passiert. Deswegen bin ich nirgends eingetragen, habe kein Konto, bin nicht versichert, kann keine offizielle Arbeit aufnehmen. Ich bin nicht eingetragen als der Vater meines Sohnes.“
Trotzdem war es bislang relativ einfach, sich mit Ülke zu treffen. Obwohl ein Haftbefehl gegen ihn vorlag, vermied es der türkische Staat, ihn festzunehmen. So sollte wohl verhindert werden, dass das Thema Kriegsdienstverweigerung wieder öffentlich diskutiert wird. Zu befürchten ist, dass sich das durch den neuen Haftbefehl geändert hat. Unter der unerträglichen Situation leiden auch Ülkes Lebensgefährtin und sein vierjähriger Sohn. Immer wieder setzen Gendarmen und Polizisten auch Ülkes herzkranken Vater unter Druck und fragen, wo der fahnenflüchtige Sohn sich „versteckt“. „Wobei das nur Schikane ist. Eigentlich bin ich im Menschenrechtsbereich sehr aktiv und deswegen ist es kein Geheimnis, wo ich bin.“
Ülke fordert die Aufhebung aller Prozesse gegen Kriegsdienstverweigerer, die Re-Legalisierung aller Kriegsdienstverweigerer und die Neuregelung der Kriegsdienstverweigerung. Er ist ein gewaltfreier Anarchist und wie fast alle Kriegsdienstverweigerer in der Türkei versteht er sich als Totalverweigerer, der Zwangsdienste grundsätzlich ablehnt.
Ülke: „Aber wir sind uns natürlich darüber klar, dass die Totale Kriegsdienst-verweigerung noch nicht durchgesetzt werden kann. Deshalb muss es, wenn es ein Gesetz zu Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst gibt, eine Mindestforderung sein, dass der Zivildienst so organisiert wird, dass er keinen bestrafenden Charakter hat, dass man sich zumindest an die europäischen Standards hält.“
Osman Murat Ülke mit seinem Sohn, Juli 2007
Foto: Bernd Drücke
Es reicht!
Osman Murat Ülkes Fall hat eine weltweite Ausstrahlung. Die IPPNW hat ihm Anfang des Jahres den Clara-Immerwahr-Preis verliehen. Durch sein Beispiel, seine Standhaftigkeit, durch den großen Mut, den er beweist, ist er ein Vorbild.
Es ist die Aufgabe aller humanistisch und friedensbewegten Menschen weltweit, sich dafür einzusetzen, dass Ülke auf keinen Fall wieder inhaftiert wird.
Er darf keinen einzigen Tag mehr ins Gefängnis! Durch weltweiten öffentlichen Druck muss von unten durchgesetzt werden, dass er als freier Mensch durch die Weltgeschichte gehen und ein menschenwürdiges Leben führen kann.
Die jetzt drohende Haftstrafe muss abgewendet werden. Das geht, wenn eine weltweite Öffentlichkeit hergestellt wird, wenn Druck auf die Türkei ausgeübt wird.
Dafür müssen wir uns einsetzen. (YH)
Online-Flyer Nr. 111 vom 05.09.2007
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