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Aktueller Online-Flyer vom 21. November 2024  

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Krieg und Frieden
Die gemeinsame Vision von EU und UN
Battle-Groups mit UN-Mandat
Von Christoph Marischka

Militärmissionen unter mittlerweile fast ausschließlich robustem Mandat der UN haben seit Beginn der 90er Jahre massiv zugenommen. Insbesondere seit 2003 bemüht sich die EU als Regionalorganisation um eine enge Zusammenarbeit mit der UN, was häufig als „Bekenntnis zum Multilateralismus" interpretiert wird. Betrachtet man diese Zusammenarbeit jedoch näher, so wird deutlich, dass es der EU um einen größtmöglichen Einfluss auf die UN geht und dass sie diesen nutzen will, um sich ihre Weltordnungspolitik legitimieren zu lassen.
Europäische Weltordnungspolitik

Im September 2003 übermittelte die EU-Kommission an Rat und Parlament eine Mitteilung zum Stand und zu den Perspektiven der EU-UN-Beziehungen: „Es ist an der Zeit, die Rolle der EU im UN-System generell zu überdenken." Die EU solle mehr Einfluss erreichen und die Mitgliedsstaaten ihr Handeln gegenüber den UN abstimmen, denn: „Zwar spricht die EU in den UN-Debatten allmählich immer mehr mit einer Stimme, doch ihr echter Einfluss und ihre Fähigkeit zur Vermittlung europäischer Werte auf der Weltbühne bleiben hinter ihrem wirtschaftlichen und politischen Gewicht und auch hinter ihrem finanziellen Beitrag zu den UN-Einrichtungen zurück."


Javier Solana zu Besuch bei 'Operation Artemis'
Quelle:
The Council of the European Union

Im Januar 2004, im Anschlus an die erfolgreiche Probemission Artemis in der Demokratischen Republik Congo (DRC), zog das Europäische Parlament (EP) mit der Annahme des „Berichts über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinten Nationen" nach. Das Dokument ist beseelt von dem Gedanken einer Weltordnungspolitik der EU: „Europa ist ein Beitrag zur besseren Welt." Der Verfasser des Berichts, der deutsche CDU-Politiker Armin Laschet, betont in der „Zeitschrift für die Vereinten Nationen" zudem, dass eine Steigerung des Einflusses der EU ohne zusätzliches Engagement der EU nicht denkbar ist: „(…) die UN können nur das leisten, was ihre Mitgliedstaaten zu leisten bereit sind. Bei der Um- und Durchsetzung der Entscheidungen der Vereinten Nationen trägt die EU eine besondere Verantwortung."


Mehrfach beschwert sich der Laschet-Bericht jedoch darüber, dass dem EP in außenpolitischen Fragen keine Entscheidungsgewalt zugebilligt werde. Dieser Vorwurf ist durchaus gerechtfertigt, denn die Fakten wurden bereits außerhalb des Parlaments geschaffen.

Artemis als Katalysator

Der erste autonome Militäreinsatz der EU im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) fand 2003 in der Demokratischen Republik Congo (DRC) statt. Vorausgegangen waren ihm eine Anfrage und ein Mandat der UN, konkreter Inhalt war die vorübergehende Sicherung der Stadt Bunia, um Austausch und Aufstockung der in der DRC ebenfalls – aber langfristig – stationierten Soldaten der UN-Truppe MONUC zu ermöglichen. Dieser Einsatz „Artemis" wurde als Geburtsstunde der ESVP gefeiert denn er demonstrierte erstmals die vollständige militärische Handlungsfähigkeit der EU und diente zudem als praktische Übung für multilaterale Einsätze unter der neuen politischen Kommandostruktur.

 
Doch auch für die Zusammenarbeit zwischen EU und UN war er wegweisend: Im September 2003, noch ehe die letzten Soldaten abgezogen wurden, unterzeichneten beide Organisationen eine „gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit von EU und UN beim Krisenmanagement". Die EU wurde dabei vom Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSC) vertreten. Es prüft in Frage kommende ESVP-Missionen, erarbeitet für diese Konzepte, die es dem Rat vorlegt, und übernimmt im Falle eines tatsächlichen Einsatzes die politische und strategische Leitung.

Die knapp gehaltene gemeinsame Erklärung verweist auf die Fortschritte beim gemeinsamen Krisenmanagement in Bosnien, sowie in der DRC, wo gerade eine weitere Polizeimission mit UN-Mandat geprüft wurde. Konkret sprachen sich beide Seiten dafür aus, einen Abstimmungsmechanismus zwischen der EU und den UN auf der Arbeitsebene einzurichten. Im sogenannten EU-UN Lenkungsausschuss treffen sich nun seit 2004 mindestens halbjährlich Vertreter des EU-Ratssekretariats und des 1992 gegründeten und mit der Planung von UN-Einsätzen beauftragten UN Department for Peacekeeping Operations (DPKO), um Verbindungsbeamte auszutauschen, vergangene Einsätze auszuwerten und die logistischen Anforderungen anstehender Missionen zu besprechen. Hier wurden auch die konkreten Vorschläge für die Umsetzung der Kooperation im Bereich militärischer Kriseneinsätze ausgearbeitet, die bereits im Juni 2004 als Implementierungsprogramm vom Rat angenommen wurden.


Quelle: pixelio - Foto: Chris Bayer

Katalog der Kooperationen

Die EU betont in diesem Programm die Autonomie der Mitgliedsstaaten, selbst darüber zu entscheiden, wie viele Soldaten sie für Einsätze unter dem Kommando der UN zur Verfügung stellen. Eine deutliche Präferenz der EU deutet sich allerdings für die andere Option an, UN-Einsätze durch ESVP-Missionen unter der politischen Kontrolle und strategischen Leitung der EU selbst zu unterstützen. In diesem Fall kann die EU entweder das gesamte Mandat einer UN-Resolution ausfüllen oder die Verantwortung für eine bestimmte Komponente, etwa die Reform des Sicherheitssektors, im Rahmen einer UN-Mission übernehmen.


Mit Verweis auf das Europäische Rüstungsziel zum Jahr 2010 und die damals noch nicht einmal beschlossenen Battle-Groups werden insbesondere die europäischen Kapazitäten bei der schnellen Krisenreaktion angepriesen. Tatsächlich ist das Konzept der Battle-Groups exakt hierauf ausgerichtet. Bei den meisten der mittlerweile bereitstehenden Battle-Groups handelt es sich um multinationale Verbände mit etwa 1.500 Soldaten, die innerhalb von fünf bis zehn Tagen verlegbar und dann dreißig Tage autonom einsatzfähig sind. Wird in dieser Zeit Nachschub organisiert, lässt sich ihr Einsatz auf 120 Tage ausdehnen, innerhalb derer eine weitere EU- oder UN-Mission vorbereitet werden kann. Der EU-Einsatz endet mit der Übergabe der Verantwortung an die UN, verpflichtet die EU zuvor aber auch zu politischen Anstrengungen, damit auch dem folgenden Einsatz ein ausreichendes Mandat und ausreichende Kapazitäten zur Verfügung stehen.

Als letzte Variante wird das „Stand-by-model" vorgeschlagen. Hierbei würde die EU außerhalb des eigentlichen Einsatzgebiets Truppen bereithalten, die im Falle einer Lageverschärfung kurzfristig eingreifen und die UN-Einheiten unterstützen oder beispielsweise evakuieren können. Inwieweit solche Einsätze realisierbar seien, müsse jedoch noch geklärt werden und hinge von einer engen Kooperation zwischen EU und UN bereits bei der Planung der UN-Mission ab.

African Peace Facility

Ebenfalls 2003 richtete die Europäische Union eine „African Peace Facility" mit einem Budget von 250 Mio. Euro für die Afrikanische Union (AU) ein. Die Hälfte des Betrags wird direkt aus dem Europäischen Entwicklungsfond bereitgestellt, die andere Hälfte müssen die afrikanischen Staaten anteilig von den Geldern, die sie im Rahmen des Cotonou-Abkommens aus demselben Topf erhalten, beisteuern. Will die AU jedoch eine Mission durchführen und diese Mittel abrufen, muss sie eine entsprechende Anfrage an die Europäische Kommission machen, die daraufhin die EU-Mitgliedsstaaten einlädt, Einfluss auf die operationelle Planung zu nehmen. Unterstützt die EU die Pläne, bemüht sie sich im UN-Sicherheitsrat um ein Mandat. Bislang muss ein solches Mandat außerdem den Einsatz von Kräften aus Drittstaaten umfassen, da die AU selbst über keine ausreichende Logistik verfügt.


Die AU ist eine Regionalorganisation, der alle Staaten Afrikas außer Marokko angehören. Ursprüngliches Ziel war es, durch Kooperation ein größeres Gewicht Afrikas in internationalen Organisationen und bei der Gestaltung der Globalisierung zu erlangen. Mittlerweile wird die AU aber immer häufiger für riskantere UN-mandatierte Missionen in afrikanischen Staaten eingesetzt. Indem die EU die Finanzierung und Logistik dieser Einsätze stellt, nimmt sie massiven Einfluss auf die Militärpolitik in Afrika, ohne unmittelbar sichtbar zu sein und größere Risiken einzugehen.



Stand by?
Quelle: pixelio - Foto:
Roland Krol 


EUFOR DRC


Zur intensiven militärischen und strategischen Zusammenarbeit kam es aber erst wieder 2006, nachdem der „Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" der EU, Javier Solana, gegenüber der UN Bereitschaft für ein erneutes Engagement in der DRC signalisiert hatte und von der UN eine offizielle Anfrage an die EU ergangen war. Die EU sollte und wollte während der Wahlen im Sommer eine eigene Mission nach Kinshasa entsenden, um die dort bereits stationierte UN-Truppe MONUC erneut bei der Absicherung der Wahlen zu unterstützen.


„Kern" der Mission war die im ersten Halbjahr 2006 von Deutschland gestellte Battle-Group, welche damals jedoch noch nicht für „voll einsatzfähig" erklärt worden war. Im Anschluss an den Einsatz in der DRC und die Übung European Endeavour im 1. Halbjahr 2007 erreichte diese jedoch die „Full Operational Capability". Die an den Einsatz anschließende deutsche Ratspräsidentschaft nutzte die BRD für die Aufarbeitung der erneuten engen Kooperation mit der UN. Bereits im Februar empfing das Auswärtige Amt in Berlin den neuen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und eine Woche später die damalige Präsidentin der Generalversammlung der Vereinten Nationen, Sheika Haya Rashed Al Khalifa. Am 2. März diskutierten die EU-Verteidigungsminister auf ihrem informellen Treffen in Wiesbaden unter deutschem Vorsitz die Kooperation mit der UN. Im selben Monat wurde in Berlin bei einem vom Verteidigungsministerium initiierten Seminar ein besserer Austausch zwischen beiden Organisationen in Militärfragen angemahnt und ein gemeinsames Vorgehen bei „Fact-Finding-Missions" besprochen. Im Juni, am Rande des G8-Gipfels in Heiligendamm, unterzeichneten der deutsche Außenminister Steinmeier als Vertreter der EU-Ratspräsidentschaft und der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon erneut eine Kooperationserklärung. Insbesondere soll es zu einem regelmäßigen Austausch zwischen dem Generalsekretariat der UN und dem Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSC) der EU kommen.

Die kommenden Kriege

Ein solcher fand bereits am 17. Juli statt. Der stellvertretende UN-Sekretär für Friedensmissionen, Jean-Marie Guehenno, war zu Gast beim PSC und bat dort die Vertreter der Mitgliedsstaaten um eine hochmobile Truppe für den Tschad, wo sich angeblich 230.000 Flüchtlinge aus dem Sudan aufhielten. Die UN plane gemeinsam mit der Afrikanischen Union (AU) eine Polizeimission, die zeitgleich im vierten Quartal 2007 beginnen solle. Die Regierung des Tschads sei einverstanden. Die Mission sei Teil der Bemühungen, das angrenzende Darfur zu stabilisieren.

Am selben Tag informierte der portugiesische Vertreter des PSC Mitglieder des Verteidigungsausschusses des Europäischen Parlaments darüber, dass gegenwärtig eine ESVP-Mission in Guinea-Bissau erwogen werde. Ziel des Militäreinsatzes "könnte unter anderem" der zunehmende Drogenhandel in Westafrika sein, außerdem hätten sich einige Mitgliedsstaaten besorgt über die dortige Sicherheitslage gezeigt, ein konkreterer Anlass für den Einsatz von Soldaten wurde jedoch nicht genannt.


In dem kleinen Land an der westafrikanischen Küste mit knapp 1.5 Mio. Einwohnern gibt es unerschlossene Erdölvorkommen. (YH)

Die Langfassung des Artikels ist bei der Informationsstelle Militarisierung erschienen.


Online-Flyer Nr. 111  vom 05.09.2007

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