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Arbeit und Soziales
Bahn-Chef ist bei seinem Angriff auf die Grundrechte nicht allein
Mehdorns heimliche Gehilfen
Von Hans-Dieter Hey
1991 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass Überprüfungen der Verhältnismäßigkeit der Mittel in Arbeitskämpfen bei den Gerichten nichts zu suchen haben. In Sachen des Streiks der Lokführer aber setzen sich jetzt Gerichte über diese höchstrichterliche Entscheidung hinweg - wie das Arbeitsgericht Chemnitz im Freistaat Sachsen und vorher das in Nürnberg im Freistaat Bayern.
Frank Schmidt vom Bezirksvorstand der GDL in NRW:
„Da verstehe ich die Gerichte wirklich nicht."
Quelle: Gewerkschaft GDL
Willige Richter im Sinne des Kapitals hat Mehdorn da gefunden, denn sie begründen ihre Urteile mit den wirtschaftlichen Risiken eines Streiks. Sie unterscheiden auch zwischen Nah- und Fernverkehr, denn im Nahverkehr sei Streik erlaubt, im Fernverkehr aber nicht. Frank Schmidt, Bezirksvorsitzender der GDL in Nordrhein-Westfalen, erklärt gegenüber der NRhZ: „Da verstehe ich die Gerichte wirklich nicht. In ihrer Begründung machen sie die Berufspendler zu Fahrgästen dritter Klasse, weil wir nur im Nahbereich streiken dürfen. Wir hätten gern auch im Güterverkehr gestreikt, nun sind die Berufspendler betroffen". Tatsächlich ist ja das grundrechtlich geschützte Ziel eines Streiks, Unternehmen wirtschaftlich unter Druck zu setzen, um mit den Gewerkschaften Forderungen für die Beschäftigten durchzusetzen.
Ähnlich fragwürdig sind auch die einstweiligen Verfügungen, mit denen die Bahn AG gegen die Lokführergewerkschaft ins Feld zieht. Mit ihrer Hilfe kann man Streikaktivitäten leicht aushebeln, ohne dass sie jemals als vorläufige Entscheidungen einer weiteren Rechtsprüfung unterliegen werden. Die Folge: Streiks wären dadurch jederzeit zu durchkreuzen, wenn vor jedem Gericht, in dessen Nähe sich ein vom Streik betroffener Bahnhof befindet, geklagt wird. Diese Taktik der Bahn AG ruft deshalb auch andere Gewerkschaften auf den Plan. Sollten solche Urteile künftig in Deutschland Schule machen, würden die demokratischen Grundrechte weiter ausgehöhlt und das Streikrecht letztlich obsolet. Frank Bsirske, Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di, dazu in seiner Grundsatzrede vom Wochenende: „Das Nürnberger Urteil und – wir kennen den Text noch nicht – allem Anschein nach auch das Chemnitzer Urteil ist ein Angriff auf das verfassungsmäßig geschützte Grundrecht des Streiks. Es handelt sich dabei um einen Fall willkürlicher Behinderung von Streiks, und diese Sorte von Klassenjustiz ist unter keinen Umständen hinnehmbar". Bsirske weiß, wovon er redet. Im vergangenen Jahr hatte das Kölner Arbeitsgericht gegen einen Streik von kommunalen Beschäftigten „Recht gesprochen“ und diesen behindert, bis es von der nächsten Instanz zurück gepfiffen wurde.
Stehn demnächst die Räder still,
weil Hartmut Mehdorn es so will?
Quelle: arbeiterfotografie
Obwohl die Lokführer-Gewerkschaft bisher ausgesprochen vorsichtig vorging - vergangenen Freitag spitzte sie zwar die Lippen, ließ die Streikenden aber lediglich drei Stunden pfeifen - orakelten anschließend Wirtschaft und Mainstream-Medien in gewohnter Leier den Untergang des Abendlandes durch Vernichtung von Arbeitsplätzen und Beschädigung von Standorten herbei. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt wünschte sich, dass vor allem kleineren Gewerkschaften die scharfen Zähnchen gezogen werden sollten. „Es muss sichergestellt werden, dass grundsätzlich auch in Zukunft für ein Unternehmen nur ein Tarifvertrag gilt“, sagte er dem Handelsblatt. Dazu Frank Schmidt von der GDL: „Jahrelang hat Herr Hundt gegen den Flächentarifvertrag gekämpft, und nun spielt er sich als dessen Verteidiger auf. Das kann ja wohl nicht wahr sein."
Schützenhilfe im vorauseilenden Gehorsam bekam Hundt natürlich sofort vom wirtschaftspolitischen Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Michael Fuchs: „Notfalls ist dann auch der Gesetzgeber gefordert, eine solche Entwicklung zu unterbinden.“ Und Karl-Heinz Daehre, Verkehrsminister von Sachsen-Anhalt, will auch an der Streikschraube drehen: „Alle Länder haben im Nahverkehr Verträge mit der Bahn. Wenn sich der Streik hinzieht, muss man in der Politik darüber sprechen." Und der wirtschaftspolitische Sprecher der zu Gelb mutierten ehemaligen Grünen, Winfried Hermann teilte Spiegel-online am Freitag mit: "Da kann man die Dinge nicht sehenden Auges laufen lassen. Es kann der Regierung nicht egal sein, wenn der Schienenverkehr lahm gelegt wird." Im europäischen Ausland wird solcher Unsinn nur mit ungläubigem Kopfschütteln bewertet.
Karikatur: Lurusa
Mehdorns Auftritt als bundesweiter Klagehansel mit politischer Schützenhilfe und seine Sturheit könnten allerdings auch nach hinten losgehen. Dann nämlich, wenn die Urteile der Vorinstanzen kassiert werden und das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass es für die Forderung nach Einheitstarifen keine grundgesetzliche Voraussetzung gibt. So jedenfalls schätzt es der bekannte Arbeitsrechtsexperte Wolfgang Däubler ein. Dem Tagesspiegel teilte er schon im August mit: "Koalitionsfreiheit und Streikrecht haben Vorrang vor dem ungeschriebenen und immer fragwürdiger werdenden Prinzip der Tarifeinheit." Und weiter: „Es kann nicht sein, dass eine Organisation ein Monopol besitzt, nur weil sie zuerst einen Tarifvertrag abgeschlossen hat. Wenn das richtig wäre, müsste die GDL komplett außen vor bleiben, sie wäre eine Art Gewerkschaft zweiter Klasse."
Genau das möchte GDL-Chef Manfred Schell aus Frankfurt auf keinen Fall. Die Lokführergewerkschaft hat jedenfalls zu erkennen gegeben, dass sie den Gang nach Karlsruhe nicht scheut. Hartmut Mehdorn sollte sich also sehr überlegen, ob er dieses Blockadespiel noch weiter treiben will oder ob er nicht doch besser endlich mit akzeptablen Angeboten an den Verhandlungstisch zurück kehrt. Am Wochenende machten die Lokführer ihm jedenfalls schon mal klar, dass sie auch ohne vorherige Ankündigung streiken wollen. (HDH)
Online-Flyer Nr. 116 vom 10.10.2007
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Arbeit und Soziales
Bahn-Chef ist bei seinem Angriff auf die Grundrechte nicht allein
Mehdorns heimliche Gehilfen
Von Hans-Dieter Hey
1991 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass Überprüfungen der Verhältnismäßigkeit der Mittel in Arbeitskämpfen bei den Gerichten nichts zu suchen haben. In Sachen des Streiks der Lokführer aber setzen sich jetzt Gerichte über diese höchstrichterliche Entscheidung hinweg - wie das Arbeitsgericht Chemnitz im Freistaat Sachsen und vorher das in Nürnberg im Freistaat Bayern.
Frank Schmidt vom Bezirksvorstand der GDL in NRW:
„Da verstehe ich die Gerichte wirklich nicht."
Quelle: Gewerkschaft GDL
Willige Richter im Sinne des Kapitals hat Mehdorn da gefunden, denn sie begründen ihre Urteile mit den wirtschaftlichen Risiken eines Streiks. Sie unterscheiden auch zwischen Nah- und Fernverkehr, denn im Nahverkehr sei Streik erlaubt, im Fernverkehr aber nicht. Frank Schmidt, Bezirksvorsitzender der GDL in Nordrhein-Westfalen, erklärt gegenüber der NRhZ: „Da verstehe ich die Gerichte wirklich nicht. In ihrer Begründung machen sie die Berufspendler zu Fahrgästen dritter Klasse, weil wir nur im Nahbereich streiken dürfen. Wir hätten gern auch im Güterverkehr gestreikt, nun sind die Berufspendler betroffen". Tatsächlich ist ja das grundrechtlich geschützte Ziel eines Streiks, Unternehmen wirtschaftlich unter Druck zu setzen, um mit den Gewerkschaften Forderungen für die Beschäftigten durchzusetzen.
Ähnlich fragwürdig sind auch die einstweiligen Verfügungen, mit denen die Bahn AG gegen die Lokführergewerkschaft ins Feld zieht. Mit ihrer Hilfe kann man Streikaktivitäten leicht aushebeln, ohne dass sie jemals als vorläufige Entscheidungen einer weiteren Rechtsprüfung unterliegen werden. Die Folge: Streiks wären dadurch jederzeit zu durchkreuzen, wenn vor jedem Gericht, in dessen Nähe sich ein vom Streik betroffener Bahnhof befindet, geklagt wird. Diese Taktik der Bahn AG ruft deshalb auch andere Gewerkschaften auf den Plan. Sollten solche Urteile künftig in Deutschland Schule machen, würden die demokratischen Grundrechte weiter ausgehöhlt und das Streikrecht letztlich obsolet. Frank Bsirske, Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di, dazu in seiner Grundsatzrede vom Wochenende: „Das Nürnberger Urteil und – wir kennen den Text noch nicht – allem Anschein nach auch das Chemnitzer Urteil ist ein Angriff auf das verfassungsmäßig geschützte Grundrecht des Streiks. Es handelt sich dabei um einen Fall willkürlicher Behinderung von Streiks, und diese Sorte von Klassenjustiz ist unter keinen Umständen hinnehmbar". Bsirske weiß, wovon er redet. Im vergangenen Jahr hatte das Kölner Arbeitsgericht gegen einen Streik von kommunalen Beschäftigten „Recht gesprochen“ und diesen behindert, bis es von der nächsten Instanz zurück gepfiffen wurde.
Stehn demnächst die Räder still,
weil Hartmut Mehdorn es so will?
Quelle: arbeiterfotografie
Obwohl die Lokführer-Gewerkschaft bisher ausgesprochen vorsichtig vorging - vergangenen Freitag spitzte sie zwar die Lippen, ließ die Streikenden aber lediglich drei Stunden pfeifen - orakelten anschließend Wirtschaft und Mainstream-Medien in gewohnter Leier den Untergang des Abendlandes durch Vernichtung von Arbeitsplätzen und Beschädigung von Standorten herbei. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt wünschte sich, dass vor allem kleineren Gewerkschaften die scharfen Zähnchen gezogen werden sollten. „Es muss sichergestellt werden, dass grundsätzlich auch in Zukunft für ein Unternehmen nur ein Tarifvertrag gilt“, sagte er dem Handelsblatt. Dazu Frank Schmidt von der GDL: „Jahrelang hat Herr Hundt gegen den Flächentarifvertrag gekämpft, und nun spielt er sich als dessen Verteidiger auf. Das kann ja wohl nicht wahr sein."
Schützenhilfe im vorauseilenden Gehorsam bekam Hundt natürlich sofort vom wirtschaftspolitischen Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Michael Fuchs: „Notfalls ist dann auch der Gesetzgeber gefordert, eine solche Entwicklung zu unterbinden.“ Und Karl-Heinz Daehre, Verkehrsminister von Sachsen-Anhalt, will auch an der Streikschraube drehen: „Alle Länder haben im Nahverkehr Verträge mit der Bahn. Wenn sich der Streik hinzieht, muss man in der Politik darüber sprechen." Und der wirtschaftspolitische Sprecher der zu Gelb mutierten ehemaligen Grünen, Winfried Hermann teilte Spiegel-online am Freitag mit: "Da kann man die Dinge nicht sehenden Auges laufen lassen. Es kann der Regierung nicht egal sein, wenn der Schienenverkehr lahm gelegt wird." Im europäischen Ausland wird solcher Unsinn nur mit ungläubigem Kopfschütteln bewertet.
Karikatur: Lurusa
Mehdorns Auftritt als bundesweiter Klagehansel mit politischer Schützenhilfe und seine Sturheit könnten allerdings auch nach hinten losgehen. Dann nämlich, wenn die Urteile der Vorinstanzen kassiert werden und das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass es für die Forderung nach Einheitstarifen keine grundgesetzliche Voraussetzung gibt. So jedenfalls schätzt es der bekannte Arbeitsrechtsexperte Wolfgang Däubler ein. Dem Tagesspiegel teilte er schon im August mit: "Koalitionsfreiheit und Streikrecht haben Vorrang vor dem ungeschriebenen und immer fragwürdiger werdenden Prinzip der Tarifeinheit." Und weiter: „Es kann nicht sein, dass eine Organisation ein Monopol besitzt, nur weil sie zuerst einen Tarifvertrag abgeschlossen hat. Wenn das richtig wäre, müsste die GDL komplett außen vor bleiben, sie wäre eine Art Gewerkschaft zweiter Klasse."
Genau das möchte GDL-Chef Manfred Schell aus Frankfurt auf keinen Fall. Die Lokführergewerkschaft hat jedenfalls zu erkennen gegeben, dass sie den Gang nach Karlsruhe nicht scheut. Hartmut Mehdorn sollte sich also sehr überlegen, ob er dieses Blockadespiel noch weiter treiben will oder ob er nicht doch besser endlich mit akzeptablen Angeboten an den Verhandlungstisch zurück kehrt. Am Wochenende machten die Lokführer ihm jedenfalls schon mal klar, dass sie auch ohne vorherige Ankündigung streiken wollen. (HDH)
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