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Inland
DB gegen Gedenkveranstaltungen auf den deutschen Bahnhöfen
Elftausend jüdische Kinder nach Auschwitz
Von Hans Georg
Anlässlich des bevorstehenden Auschwitz-Gedenktages (27. Januar 2006) rufen mehrere Organisationen zu Gedenkveranstaltungen auf den deutschen Bahnhöfen auf, um an die Massendeportationen der Deutschen Reichsbahn zu erinnern. Das staatliche Bahnunternehmen hatte Millionen verschleppter und gefangener NS-Opfer an die Zielorte des Berliner Lagersystems transportiert und für die Todesfahrten eine Kilometerpauschale kassiert. Unter den Deportierten befanden sich Angehörige fast sämtlicher europäischer Nationalitäten, darunter auch elftausend jüdische Kinder aus Frankreich. Ihr Leidensweg endete in Auschwitz.
Ver.di. und Beate Klarsfeld
Der Reichsbahn-Nachfolger (DB AG) weigert sich seit einem Jahr, der elftausend Kinder durch eine Ausstellung auf den deutschen Publikumsbahnhöfen zu gedenken und weist auch entsprechende Bitten der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik zurück. Über die Weigerung setzt sich jetzt die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) im Bezirk Stuttgart hinweg und mobilisiert für eine zentrale Veranstaltung am 27. Januar. Daran werden im Stuttgarter DGB-Haus u.a. Beate Klarsfeld (Paris) und Gerhard Manthey (ver.di) teilnehmen.
Anschließend lädt die bundesweite "Initiative Elftausend Kinder" zu einem öffentlichen Gedenken im Stuttgarter Hauptbahnhof ein, um dort jene Dokumente zu zeigen, mit denen der Reichsbahn-Nachfolger nicht konfrontiert werden möchte: Fotos der Ermordeten, deren letzter Weg über das deutsche Schienennetz führte. "Erinnerungsverbote des Bahn-Vorstands werden wir in Stuttgart ebenso ignorieren wie vordem in Frankfurt und auf allen anderen Bahnhöfen der Todestransporte", erklärte die Sprecherin der Initiative auf Anfrage von german-foreign-policy (gfp).
In hoher Auflage verbreitet ver.di Stuttgart seit Jahresbeginn einen Flyer, der den Fahrplanausdrucken der DB AG nachempfunden ist und sich direkt an die Bahn-Reisenden richtet. Darin werden vier Schicksale jüdischer Kinder aus Baden und Württemberg beschrieben, denen die Flucht aus dem Deutschen Reich gelang. Sie wurden jedoch in Frankreich aufgespürt und in die NS-Todeslager deportiert - mit der Reichsbahn. Unter den Fotos der Ermordeten heißt es in Anspielung auf das Verhalten des heutigen Berliner Bahn-Vorstands: "Wir bitten Sie, in die Gesichter der Kinder zu sehen und der Kälte und Gleichgültigkeit entgegenzutreten. Schreiben Sie an die Deutsche Bahn AG!"
Unterbleiben
Das milliardenschwere Unternehmen, das der faktischen Kontrolle der Berliner Regierung untersteht, hat binnen eines Jahres sämtliche Appelle zurückgewiesen, die Bürgerinitiativen und christliche sowie jüdische Organisationen an den Vorstandsvorsitzenden Mehdorn richteten, um eine Ausstellung über das Schicksal der deportierten Kinder auf den deutschen Publikumsbahnhöfen zu ermöglichen. [1]
Eine ähnliche Ausstellung war seit Juni 2000 bis Dezember 2004 durch 18 französische Bahnhöfe gewandert und von dem französischen Staatsunternehmen SNCF (Société Nationale des Chemins de Fer) großzügig unterstützt worden. Zum Höhepunkt des Gedenkens geriet die Präsentation der Kinderfotos und letzten Briefe auf dem Pariser Gare du Nord, wo eine englischsprachige Version auch Reisende des "Eurostar" (Paris-London) erreichte. Als sich Beate Klarsfeld, die Pariser Repräsentantin der Initiatoren, anschließend mit der Bitte um Ausstellungs-Übernahme an den Berliner Bahn-Vorstand wandte, wurde sie nach Nürnberg verwiesen - in das dortige DB-Museum; eine Darstellung der Kinderschicksale auf den deutschen Publikumsbahnhöfen habe zu unterbleiben, hieß es in Stellungnahmen des Vorstandsvorsitzenden Mehdorn. [2]
Vorgänger
Das Verdikt wurde mit wechselnden Schutzbehauptungen unterlegt. Mal fehlten der DB AG angeblich die finanziellen Mittel, dann machte sie Sicherheitsbedenken geltend und warf sich schließlich zum Anwalt der Ermordeten auf: ihrer Schicksale sei in der profanen Bahnhofsatmosphäre nicht angemessen zu gedenken. Diese Auffassung teile auch der Zentralrat der Juden in Deutschland, verlautbarte die DB-Führungsetage. Der Zentralrat dementierte umgehend und schloss sich den Forderungen der "Initiative Elftausend Kinder" an. [3] Nachdem sämtliche PR-Tricks der Berliner DB-Zentrale gescheitert waren, rückte der Unternehmensvorstand mit den tatsächlichen Gründen seiner Weigerung heraus: Die Ausstellungsforderungen seien unternehmensschädlich, da sie abträgliche Zusammenhänge zwischen der Deutschen Reichsbahn und dem Nachfolgeunternehmen Deutsche Bahn AG herstellten. [4]
Diese Zusammenhänge sind unzweifelhaft. In welchem Umfang kriminelle NS-Führungskader der Reichsbahn den Wiederaufbau des deutschen Bahnunternehmens der Nachkriegszeit bestimmten, hatten Historiker und Gerichte bereits in den 1960er Jahren nachgewiesen. [5] Unter den Bahn-Verantwortlichen der Nachkriegszeit befinden sich Personen, die für das Schicksal der ermordeten Kinder direkte Verantwortung tragen, aber niemals zur Rechenschaft gezogen worden sind. Diese Tatsachen scheint die Management-Gruppe um den jetzigen Bahnvorstand besser beschweigen zu wollen, um ihren internationalen Expansionskurs nicht mit Nachfragen zu belasten. [6]
Repressionsversuche
Mit seiner Ausstellungsverweigerung hat der Konzernvorstand jedoch das Gegenteil bewirkt. Seitdem ein überparteiliches Personenbündnis am 27. Januar 2005 auf dem Frankfurter Hauptbahnhof mit Fotos der Ermordeten an deren letzten Weg über das deutsche Schienennetz erinnerte, nimmt der Druck auf den Bahnvorstand zu. [7] Auch Organisationen und Persönlichkeiten aus dem Ausland fordern in einem "Offenen Brief" von der DB-Führung, sie möge ihre Haltung überdenken. [8] Den Frankfurter Demonstranten, darunter Vertretern der regionalen IG Metall, schlossen sich Initiativen in Freiburg, Weimar, Hamburg, Köln und Mannheim an. [9] In Berlin stießen die Teilnehmer einer Kundgebung, die Fotos der Kinder mit sich führten, auf ein Polizeiaufgebot, das ihnen den Zugang zum Bahnhof Zoologischer Garten versperrte. [10] Ähnlichen Einschränkungen wurde das öffentliche Gedenken in Dresden und Leipzig unterworfen. Die Repressionsversuche haben jedoch nicht verhindern können, dass sich die Proteste gegen den Bahnvorstand im vergangenen Jahr stetig ausweiteten.
Freigeben
Mit den kommenden Veranstaltungen am 27. Januar intensiviert ver.di Stuttgart die bundesweiten Aktivitäten und zeigt im Lichthof des DGB-Hauses erstmals Exponate der geforderten Ausstellung, darunter 150 Kinderfotos sowie letzte Dokumente der Ermordeten. Eine weitere Abteilung ist verfolgten jüdischen Kindern aus Baden und Württemberg gewidmet. Das Gros der Exponate entstammt Sammlungen von Serge und Beate Klarsfeld, deren Pariser Organisation "Fils et Filles des Déportés Juifs de France" (Söhne und Töchter der deportierten Juden Frankreichs) das Schicksal der Verschleppten seit Jahrzehnten dokumentiert. Die Klarsfelds halten den Hauptteil der Ausstellung weiter für das Reisepublikum auf den deutschen Bahnhöfen bereit - vorerst vergeblich. In dem jetzt zur Verteilung kommenden Flyer schreibt ver.di, die Präsentation der Dokumente im Stuttgarter DGB-Haus könne "die Auseinandersetzung mit der Deutschen Bahn AG und ihrer Geschichte" nicht ersetzen. Vom Unternehmensvorstand der Bahn AG wird gefordert: "Geben Sie die deutschen Bahnhöfe für die Erinnerung an 11.000 Kinder frei, die vor 70 Jahren verfolgt, deportiert und ermordet wurden".[11]
Entschlossen
Trotz des Ausstellungsverbots auf DB-Anlagen ruft die "Initiative Elftausend Kinder" zur Demonstration und Gedenkveranstaltung im Stuttgarter Hauptbahnhof auf - ebenfalls am 27. Januar und mit Unterstützung von ver.di Stuttgart. Wie bereits bei den vorhergehenden Demonstrationen im Hauptbahnhof Frankfurt warnt die Initiative die Berliner DB-Spitze vor Beeinträchtigungen des Gedenkens, das friedlich, aber gegen alle Widerstände "entschlossen" durchgesetzt werde. Zur Demonstration erwarten die Veranstalter Beate Klarsfeld und weitere Teilnehmer aus dem europäischen Ausland.
Alkoholisiert
Nach Recherchen von gfp geht der anhaltende Widerstand gegen das Gedenken von einer engeren Vorstandsgruppe um den Bahn-Chef Hartmut Mehdorn aus. Mehdorn, der im politischen Berlin neuerdings als "Rambo" bezeichnet wird [12], gilt im eigenen Haus als erbarmungsloser Funktionsträger globaler Expansionsinteressen. Trotz bemühter Internationalisierung werde die Mehdorn-Gruppe von deutschtümelnden Geschichts-Reminiszenzen beherrscht, heißt es aus dem Umkreis des Bahn-Sprechers und Mehdorn-Vertrauten Klingenberg.
Verstärkung erhält Mehdorn jetzt durch den CSU-Politiker Otto Wiesheu, der in München u.a. als Wirtschaftsminister tätig war. Nach einer alkoholisierten Autofahrt, bei der Wiesheu einen Toten hinterließ, rückte das jetzt ernannte DB-Vorstandsmitglied zum Geschäftsführer der international umtriebigen Hanns-Seidel-Stiftung auf. Dort kooperierte Wiesheu erfolgreich mit seinen sozialdemokratischen Stiftungsfreunden (Friedrich-Ebert-Stiftung), um nunmehr an der Seite Mehdorns die überparteiliche Koalition fortzuführen.
[1] Lesen Sie auch die gfp-EXTRA-Seite Auf dem deutschen Schienennetz nach Auschwitz: 11.000 Kinder
[2] s. dazu Elftausend Kinder
[3] s. dazu die Unterschriftenliste
[4] s. dazu Geschichtsvergessenheit
[5] Raoul Hilberg: Sonderzüge nach Auschwitz, Mainz 1981. Heiner Lichtenstein: Mit der Reichsbahn in den Tod. Massentransporte in den Holocaust 1941-1945, Köln 1985
[6] s. dazu 2004? 2020! und Märkte öffnen sowie Demütigende Übernahme
[7] s. dazu Durchgesetzt
[8] s. dazu die Unterschriftenliste
[9], [10] s. dazu Nach sechzig Jahren
[11] ver.di Stuttgart: 11.000 jüdische Kinder - Mit der Reichsbahn in den Tod; Januar 2006
[12] Mehdorn kann nicht allein entscheiden. Interview mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin; Radio Berlin Brandenburg 06.12.2005
Info-Anfragen können Sie an folgende Adresse richten: elftausendkinder@web.de. Den Offenen Brief an den Bahn-Vorstand finden Sie unter http://www.german-foreign-policy.com; dort finden Sie auch eine Kontaktadresse, bei der Sie den Brief unterzeichnen können.
Online-Flyer Nr. 25 vom 04.01.2006
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Inland
DB gegen Gedenkveranstaltungen auf den deutschen Bahnhöfen
Elftausend jüdische Kinder nach Auschwitz
Von Hans Georg
Anlässlich des bevorstehenden Auschwitz-Gedenktages (27. Januar 2006) rufen mehrere Organisationen zu Gedenkveranstaltungen auf den deutschen Bahnhöfen auf, um an die Massendeportationen der Deutschen Reichsbahn zu erinnern. Das staatliche Bahnunternehmen hatte Millionen verschleppter und gefangener NS-Opfer an die Zielorte des Berliner Lagersystems transportiert und für die Todesfahrten eine Kilometerpauschale kassiert. Unter den Deportierten befanden sich Angehörige fast sämtlicher europäischer Nationalitäten, darunter auch elftausend jüdische Kinder aus Frankreich. Ihr Leidensweg endete in Auschwitz.
Ver.di. und Beate Klarsfeld
Der Reichsbahn-Nachfolger (DB AG) weigert sich seit einem Jahr, der elftausend Kinder durch eine Ausstellung auf den deutschen Publikumsbahnhöfen zu gedenken und weist auch entsprechende Bitten der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik zurück. Über die Weigerung setzt sich jetzt die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) im Bezirk Stuttgart hinweg und mobilisiert für eine zentrale Veranstaltung am 27. Januar. Daran werden im Stuttgarter DGB-Haus u.a. Beate Klarsfeld (Paris) und Gerhard Manthey (ver.di) teilnehmen.
Anschließend lädt die bundesweite "Initiative Elftausend Kinder" zu einem öffentlichen Gedenken im Stuttgarter Hauptbahnhof ein, um dort jene Dokumente zu zeigen, mit denen der Reichsbahn-Nachfolger nicht konfrontiert werden möchte: Fotos der Ermordeten, deren letzter Weg über das deutsche Schienennetz führte. "Erinnerungsverbote des Bahn-Vorstands werden wir in Stuttgart ebenso ignorieren wie vordem in Frankfurt und auf allen anderen Bahnhöfen der Todestransporte", erklärte die Sprecherin der Initiative auf Anfrage von german-foreign-policy (gfp).
In hoher Auflage verbreitet ver.di Stuttgart seit Jahresbeginn einen Flyer, der den Fahrplanausdrucken der DB AG nachempfunden ist und sich direkt an die Bahn-Reisenden richtet. Darin werden vier Schicksale jüdischer Kinder aus Baden und Württemberg beschrieben, denen die Flucht aus dem Deutschen Reich gelang. Sie wurden jedoch in Frankreich aufgespürt und in die NS-Todeslager deportiert - mit der Reichsbahn. Unter den Fotos der Ermordeten heißt es in Anspielung auf das Verhalten des heutigen Berliner Bahn-Vorstands: "Wir bitten Sie, in die Gesichter der Kinder zu sehen und der Kälte und Gleichgültigkeit entgegenzutreten. Schreiben Sie an die Deutsche Bahn AG!"
Unterbleiben
Das milliardenschwere Unternehmen, das der faktischen Kontrolle der Berliner Regierung untersteht, hat binnen eines Jahres sämtliche Appelle zurückgewiesen, die Bürgerinitiativen und christliche sowie jüdische Organisationen an den Vorstandsvorsitzenden Mehdorn richteten, um eine Ausstellung über das Schicksal der deportierten Kinder auf den deutschen Publikumsbahnhöfen zu ermöglichen. [1]
Eine ähnliche Ausstellung war seit Juni 2000 bis Dezember 2004 durch 18 französische Bahnhöfe gewandert und von dem französischen Staatsunternehmen SNCF (Société Nationale des Chemins de Fer) großzügig unterstützt worden. Zum Höhepunkt des Gedenkens geriet die Präsentation der Kinderfotos und letzten Briefe auf dem Pariser Gare du Nord, wo eine englischsprachige Version auch Reisende des "Eurostar" (Paris-London) erreichte. Als sich Beate Klarsfeld, die Pariser Repräsentantin der Initiatoren, anschließend mit der Bitte um Ausstellungs-Übernahme an den Berliner Bahn-Vorstand wandte, wurde sie nach Nürnberg verwiesen - in das dortige DB-Museum; eine Darstellung der Kinderschicksale auf den deutschen Publikumsbahnhöfen habe zu unterbleiben, hieß es in Stellungnahmen des Vorstandsvorsitzenden Mehdorn. [2]
Vorgänger
Das Verdikt wurde mit wechselnden Schutzbehauptungen unterlegt. Mal fehlten der DB AG angeblich die finanziellen Mittel, dann machte sie Sicherheitsbedenken geltend und warf sich schließlich zum Anwalt der Ermordeten auf: ihrer Schicksale sei in der profanen Bahnhofsatmosphäre nicht angemessen zu gedenken. Diese Auffassung teile auch der Zentralrat der Juden in Deutschland, verlautbarte die DB-Führungsetage. Der Zentralrat dementierte umgehend und schloss sich den Forderungen der "Initiative Elftausend Kinder" an. [3] Nachdem sämtliche PR-Tricks der Berliner DB-Zentrale gescheitert waren, rückte der Unternehmensvorstand mit den tatsächlichen Gründen seiner Weigerung heraus: Die Ausstellungsforderungen seien unternehmensschädlich, da sie abträgliche Zusammenhänge zwischen der Deutschen Reichsbahn und dem Nachfolgeunternehmen Deutsche Bahn AG herstellten. [4]
Diese Zusammenhänge sind unzweifelhaft. In welchem Umfang kriminelle NS-Führungskader der Reichsbahn den Wiederaufbau des deutschen Bahnunternehmens der Nachkriegszeit bestimmten, hatten Historiker und Gerichte bereits in den 1960er Jahren nachgewiesen. [5] Unter den Bahn-Verantwortlichen der Nachkriegszeit befinden sich Personen, die für das Schicksal der ermordeten Kinder direkte Verantwortung tragen, aber niemals zur Rechenschaft gezogen worden sind. Diese Tatsachen scheint die Management-Gruppe um den jetzigen Bahnvorstand besser beschweigen zu wollen, um ihren internationalen Expansionskurs nicht mit Nachfragen zu belasten. [6]
Repressionsversuche
Mit seiner Ausstellungsverweigerung hat der Konzernvorstand jedoch das Gegenteil bewirkt. Seitdem ein überparteiliches Personenbündnis am 27. Januar 2005 auf dem Frankfurter Hauptbahnhof mit Fotos der Ermordeten an deren letzten Weg über das deutsche Schienennetz erinnerte, nimmt der Druck auf den Bahnvorstand zu. [7] Auch Organisationen und Persönlichkeiten aus dem Ausland fordern in einem "Offenen Brief" von der DB-Führung, sie möge ihre Haltung überdenken. [8] Den Frankfurter Demonstranten, darunter Vertretern der regionalen IG Metall, schlossen sich Initiativen in Freiburg, Weimar, Hamburg, Köln und Mannheim an. [9] In Berlin stießen die Teilnehmer einer Kundgebung, die Fotos der Kinder mit sich führten, auf ein Polizeiaufgebot, das ihnen den Zugang zum Bahnhof Zoologischer Garten versperrte. [10] Ähnlichen Einschränkungen wurde das öffentliche Gedenken in Dresden und Leipzig unterworfen. Die Repressionsversuche haben jedoch nicht verhindern können, dass sich die Proteste gegen den Bahnvorstand im vergangenen Jahr stetig ausweiteten.
Freigeben
Mit den kommenden Veranstaltungen am 27. Januar intensiviert ver.di Stuttgart die bundesweiten Aktivitäten und zeigt im Lichthof des DGB-Hauses erstmals Exponate der geforderten Ausstellung, darunter 150 Kinderfotos sowie letzte Dokumente der Ermordeten. Eine weitere Abteilung ist verfolgten jüdischen Kindern aus Baden und Württemberg gewidmet. Das Gros der Exponate entstammt Sammlungen von Serge und Beate Klarsfeld, deren Pariser Organisation "Fils et Filles des Déportés Juifs de France" (Söhne und Töchter der deportierten Juden Frankreichs) das Schicksal der Verschleppten seit Jahrzehnten dokumentiert. Die Klarsfelds halten den Hauptteil der Ausstellung weiter für das Reisepublikum auf den deutschen Bahnhöfen bereit - vorerst vergeblich. In dem jetzt zur Verteilung kommenden Flyer schreibt ver.di, die Präsentation der Dokumente im Stuttgarter DGB-Haus könne "die Auseinandersetzung mit der Deutschen Bahn AG und ihrer Geschichte" nicht ersetzen. Vom Unternehmensvorstand der Bahn AG wird gefordert: "Geben Sie die deutschen Bahnhöfe für die Erinnerung an 11.000 Kinder frei, die vor 70 Jahren verfolgt, deportiert und ermordet wurden".[11]
Entschlossen
Trotz des Ausstellungsverbots auf DB-Anlagen ruft die "Initiative Elftausend Kinder" zur Demonstration und Gedenkveranstaltung im Stuttgarter Hauptbahnhof auf - ebenfalls am 27. Januar und mit Unterstützung von ver.di Stuttgart. Wie bereits bei den vorhergehenden Demonstrationen im Hauptbahnhof Frankfurt warnt die Initiative die Berliner DB-Spitze vor Beeinträchtigungen des Gedenkens, das friedlich, aber gegen alle Widerstände "entschlossen" durchgesetzt werde. Zur Demonstration erwarten die Veranstalter Beate Klarsfeld und weitere Teilnehmer aus dem europäischen Ausland.
Alkoholisiert
Nach Recherchen von gfp geht der anhaltende Widerstand gegen das Gedenken von einer engeren Vorstandsgruppe um den Bahn-Chef Hartmut Mehdorn aus. Mehdorn, der im politischen Berlin neuerdings als "Rambo" bezeichnet wird [12], gilt im eigenen Haus als erbarmungsloser Funktionsträger globaler Expansionsinteressen. Trotz bemühter Internationalisierung werde die Mehdorn-Gruppe von deutschtümelnden Geschichts-Reminiszenzen beherrscht, heißt es aus dem Umkreis des Bahn-Sprechers und Mehdorn-Vertrauten Klingenberg.
Verstärkung erhält Mehdorn jetzt durch den CSU-Politiker Otto Wiesheu, der in München u.a. als Wirtschaftsminister tätig war. Nach einer alkoholisierten Autofahrt, bei der Wiesheu einen Toten hinterließ, rückte das jetzt ernannte DB-Vorstandsmitglied zum Geschäftsführer der international umtriebigen Hanns-Seidel-Stiftung auf. Dort kooperierte Wiesheu erfolgreich mit seinen sozialdemokratischen Stiftungsfreunden (Friedrich-Ebert-Stiftung), um nunmehr an der Seite Mehdorns die überparteiliche Koalition fortzuführen.
[1] Lesen Sie auch die gfp-EXTRA-Seite Auf dem deutschen Schienennetz nach Auschwitz: 11.000 Kinder
[2] s. dazu Elftausend Kinder
[3] s. dazu die Unterschriftenliste
[4] s. dazu Geschichtsvergessenheit
[5] Raoul Hilberg: Sonderzüge nach Auschwitz, Mainz 1981. Heiner Lichtenstein: Mit der Reichsbahn in den Tod. Massentransporte in den Holocaust 1941-1945, Köln 1985
[6] s. dazu 2004? 2020! und Märkte öffnen sowie Demütigende Übernahme
[7] s. dazu Durchgesetzt
[8] s. dazu die Unterschriftenliste
[9], [10] s. dazu Nach sechzig Jahren
[11] ver.di Stuttgart: 11.000 jüdische Kinder - Mit der Reichsbahn in den Tod; Januar 2006
[12] Mehdorn kann nicht allein entscheiden. Interview mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin; Radio Berlin Brandenburg 06.12.2005
Info-Anfragen können Sie an folgende Adresse richten: elftausendkinder@web.de. Den Offenen Brief an den Bahn-Vorstand finden Sie unter http://www.german-foreign-policy.com; dort finden Sie auch eine Kontaktadresse, bei der Sie den Brief unterzeichnen können.
Online-Flyer Nr. 25 vom 04.01.2006
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