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Krieg und Frieden
Zur Entwicklung eines europäischen Überwachungs- und Sicherheitssystems
EU: Sicherheit ohne Grenzen – Teil I
Von Rolf Gössner
Unser Innenminister
Foto: flomiscuous
In Deutschland sind im Jahr 2002 umfangreiche Antiterrorgesetze in Kraft getreten. Mit diesen Gesetzesverschärfungen wurden unter anderem Polizei- und Geheimdienst-Befugnisse ausgeweitet, geheimdienstliche Sicherheitsüberprüfungen von Arbeitnehmern auf „lebens- und verteidigungswichtige Betriebe“ ausgedehnt, „biometrische Daten“ in Ausweispapieren erfasst und Migranten, besonders Muslime unter ihnen, als spezielle Sicherheitsrisiken unter Generalverdacht gestellt. Wir erleben eine zunehmende Militarisierung der Inneren Sicherheit, eine Zentralisierung und Vernetzung aller Sicherheitsbehörden – also insgesamt gesehen eine Entgrenzung staatlicher Macht, die demokratisch schwer zu kontrollieren sein wird. [...]
Auch in anderen europäischen Staaten sind gravierende Antiterrormaßnahmen durchgeführt worden, um den islamistischen Extremismus und Terrorismus zu bekämpfen – allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. In Großbritannien z.B. erheblich mehr, in Spanien oder Italien weniger.
Aber nicht nur in einzelnen europäischen Staaten, sondern auch auf EU-Ebene ist im Namen der Sicherheit und des Antiterrorkampfes eine neue Ära sicherheitspolitischer Entwicklung angebrochen, mit höchst problematischen Auswirkung. Und davon handelt mein einführendes Referat.
EU: „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“?
Schon im Laufe der vergangenen zehn Jahre ist aus der EU eine Art europäischer Sicherheitsunion geworden, in der sich ein nur noch schwer überschaubares Überwachungs- und Kontrollgeflecht entwickelt hat, das
Foto: Ute Kurzbein | Umbruch Bildarchiv
T laufend ausgebaut wird – ein europäisches Datennetz und eine internationale Polizeibürokratie, die massiv in Persönlichkeitssphäre und Freiheitsrechte der EU-Bürger und von Migranten einzugreifen vermag.
Mit dem Schengener und dem Amsterdamer Abkommen, dem Schengener Informationssystem und mit der europäischen Polizeiinstitution „Europol“ hat sich die EU bereits die tragenden Säulen eines demokratisch kaum legitimierten und kontrollierbaren Sicherheitssystems geschaffen. Unkontrollierbar unter Anderem deshalb, weil Europolizisten für unzulässige, gesetzeswidrige Handlungen und Äußerungen nicht gerichtlich belangt werden können.
Erstmals in der europäischen Rechtsgeschichte werden Polizisten von jeglicher strafrechtlichen Verantwortung freigestellt.
„Terrorismus“ als Treibstoff für das EU-Sicherheitssystem
Im Zuge der Terrorismusbekämpfung seit Ende 2001 erlebt dieses gesamteuropäische System insgesamt einen enormen Schub, der letztlich zu einer strukturellen Aufrüstung führt. In Stichworten skizziert, heißt das exemplarisch:
Ein verstärkter Ausbau von Europol und des Schengener Informationssystems SIS, grenzüberschreitende, auch operative Zusammenarbeit aller Sicherheitsbehörden, also von Polizei, Geheimdiensten und Justiz, ein europaweit verstärkter Austausch polizeilicher und
Foto: cbs_fan
geheimdienstlicher Daten und die bereits erfolgte und geplante Einrichtung von zentralen Datenbanken, u.a. für biometrische Daten, eine einheitliche Terrorismusdefinition der EU und die Führung einer exekutiven Terrorliste mit gravierenden Folgen, der Europäische Haftbefehl, dessen erste Umsetzung in Deutschland für verfassungswidrig erklärt wurde, sowie die erleichterte Auslieferung von Verdächtigen innerhalb der EU, der systematische Flugdatentransfer aus der EU an US-Sicherheitsbehörden, ein weiterer Ausbau der „Festung Europa“ durch verstärkte Sicherung der EU-Außengrenzen zur Abwehr von Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten, aus Diktaturen und wirtschaftlichem Elend. Und nicht zuletzt: Europa wird nach und nach zu einer militärischen Großmacht mit eigenen Militärkontingenten und verhängnisvoller Militärdoktrin entwickelt.
Einzelne der Projekte möchte ich eingehender behandeln:
Überwachung der grenzüberschreitenden Telekommunikation
Es gibt weit reichende Pläne und Projekte zur Überwachung der modernen, grenzüberschreitenden Telekommunikation und des Internets bis hin zur längerfristigen verdachtsunabhängigen Vorratsspeicherung von Telekommunikations- und Standortdaten – also von Telefon-, Handy-, Email- und Internetdaten. Eine Umsetzung in nationales Recht der EU-Staaten, die bereits begonnen hat, wird letztlich zu einer unverhältnismäßigen und pauschalen Nutzer-Überwachung führen. Diese Vorratsdatenspeicherung ist ein massiver Eingriff in das Fernmeldegeheimnis und ein Anschlag auf freie Kommunikation und Meinungsäußerung, auf Berufsgeheimnisse und Pressefreiheit. In Deutschland hat eine Initiative von über 20.000 Menschen eine Massenbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht angemeldet, um sich gegen die Umsetzung der EU-Vorgabe zu wehren.
Das Grundrecht, das momentan durch europäische Regelungen am stärksten beschnitten wird, ist tatsächlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das zeigt sich auch an folgendem Beispiel:
Gläserne Flugpassagiere als Antiterroropfer
Gegen das ausdrückliche Votum des Europäischen Parlaments und der EU-Datenschutzbeauftragten hatten EU-Rat und -Kommission im Mai 2004 ein Abkommen mit den USA geschlossen, mit dem die Übermittlung von Flugpassagierdaten aus allen 25 EU-Ländern an US-Sicherheitsbehörden zur Pflicht gemacht wurde. Das Zustandekommen dieser Vereinbarung gegen das Votum des Parlaments ist ein eklatantes Beispiel für das notorische Demokratiedefizit in der EU, das sich nach dem 11.09.2001 noch erheblich verschärft hat. Damit unterwarf sich die EU der Sicherheitspolitik der US-Regierung, die im „Kampf gegen den Terrorismus“ kaum noch rechtsstaatliche Grenzen kennt. [...]
Zeichnung: Kostas Koufogiorgos
Die systematische Weitergabe von teilweise hochsensiblen Fluggast-Daten – wie Reiseverlauf, Hotelbuchungen, Kreditkarten- und Telefonnummern, Wohn- und Mailadressen oder Essgewohnheiten – greift tief in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen ein. Mit diesen Flugdaten und bereits vorhandenen Daten können Rasterfahndungen betrieben und langfristige Bewegungsbilder/Reiseprofile erstellt werden. Im Übrigen ist die Datenübermittlung an Geheimdienste und Polizeien, auch anderer Staaten, nicht ausgeschlossen. Das verstößt gegen Grundrechte und völkerrechtlich garantierte Prinzipien des Datenschutzes. Im Übrigen gibt es keine wirksame Kontrolle und keinen ausreichenden Schutz für die übermittelten Daten, geschweige denn einen wirksamen Rechtsschutz. [...] (YH)
Online-Flyer Nr. 119 vom 31.10.2007
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Krieg und Frieden
Zur Entwicklung eines europäischen Überwachungs- und Sicherheitssystems
EU: Sicherheit ohne Grenzen – Teil I
Von Rolf Gössner
Unser Innenminister
Foto: flomiscuous
Auch in anderen europäischen Staaten sind gravierende Antiterrormaßnahmen durchgeführt worden, um den islamistischen Extremismus und Terrorismus zu bekämpfen – allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. In Großbritannien z.B. erheblich mehr, in Spanien oder Italien weniger.
Aber nicht nur in einzelnen europäischen Staaten, sondern auch auf EU-Ebene ist im Namen der Sicherheit und des Antiterrorkampfes eine neue Ära sicherheitspolitischer Entwicklung angebrochen, mit höchst problematischen Auswirkung. Und davon handelt mein einführendes Referat.
EU: „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“?
Schon im Laufe der vergangenen zehn Jahre ist aus der EU eine Art europäischer Sicherheitsunion geworden, in der sich ein nur noch schwer überschaubares Überwachungs- und Kontrollgeflecht entwickelt hat, das
Foto: Ute Kurzbein | Umbruch Bildarchiv
Mit dem Schengener und dem Amsterdamer Abkommen, dem Schengener Informationssystem und mit der europäischen Polizeiinstitution „Europol“ hat sich die EU bereits die tragenden Säulen eines demokratisch kaum legitimierten und kontrollierbaren Sicherheitssystems geschaffen. Unkontrollierbar unter Anderem deshalb, weil Europolizisten für unzulässige, gesetzeswidrige Handlungen und Äußerungen nicht gerichtlich belangt werden können.
Erstmals in der europäischen Rechtsgeschichte werden Polizisten von jeglicher strafrechtlichen Verantwortung freigestellt.
„Terrorismus“ als Treibstoff für das EU-Sicherheitssystem
Im Zuge der Terrorismusbekämpfung seit Ende 2001 erlebt dieses gesamteuropäische System insgesamt einen enormen Schub, der letztlich zu einer strukturellen Aufrüstung führt. In Stichworten skizziert, heißt das exemplarisch:
Ein verstärkter Ausbau von Europol und des Schengener Informationssystems SIS, grenzüberschreitende, auch operative Zusammenarbeit aller Sicherheitsbehörden, also von Polizei, Geheimdiensten und Justiz, ein europaweit verstärkter Austausch polizeilicher und
Foto: cbs_fan
Einzelne der Projekte möchte ich eingehender behandeln:
Überwachung der grenzüberschreitenden Telekommunikation
Es gibt weit reichende Pläne und Projekte zur Überwachung der modernen, grenzüberschreitenden Telekommunikation und des Internets bis hin zur längerfristigen verdachtsunabhängigen Vorratsspeicherung von Telekommunikations- und Standortdaten – also von Telefon-, Handy-, Email- und Internetdaten. Eine Umsetzung in nationales Recht der EU-Staaten, die bereits begonnen hat, wird letztlich zu einer unverhältnismäßigen und pauschalen Nutzer-Überwachung führen. Diese Vorratsdatenspeicherung ist ein massiver Eingriff in das Fernmeldegeheimnis und ein Anschlag auf freie Kommunikation und Meinungsäußerung, auf Berufsgeheimnisse und Pressefreiheit. In Deutschland hat eine Initiative von über 20.000 Menschen eine Massenbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht angemeldet, um sich gegen die Umsetzung der EU-Vorgabe zu wehren.
Das Grundrecht, das momentan durch europäische Regelungen am stärksten beschnitten wird, ist tatsächlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das zeigt sich auch an folgendem Beispiel:
Gläserne Flugpassagiere als Antiterroropfer
Gegen das ausdrückliche Votum des Europäischen Parlaments und der EU-Datenschutzbeauftragten hatten EU-Rat und -Kommission im Mai 2004 ein Abkommen mit den USA geschlossen, mit dem die Übermittlung von Flugpassagierdaten aus allen 25 EU-Ländern an US-Sicherheitsbehörden zur Pflicht gemacht wurde. Das Zustandekommen dieser Vereinbarung gegen das Votum des Parlaments ist ein eklatantes Beispiel für das notorische Demokratiedefizit in der EU, das sich nach dem 11.09.2001 noch erheblich verschärft hat. Damit unterwarf sich die EU der Sicherheitspolitik der US-Regierung, die im „Kampf gegen den Terrorismus“ kaum noch rechtsstaatliche Grenzen kennt. [...]
Zeichnung: Kostas Koufogiorgos
Die systematische Weitergabe von teilweise hochsensiblen Fluggast-Daten – wie Reiseverlauf, Hotelbuchungen, Kreditkarten- und Telefonnummern, Wohn- und Mailadressen oder Essgewohnheiten – greift tief in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen ein. Mit diesen Flugdaten und bereits vorhandenen Daten können Rasterfahndungen betrieben und langfristige Bewegungsbilder/Reiseprofile erstellt werden. Im Übrigen ist die Datenübermittlung an Geheimdienste und Polizeien, auch anderer Staaten, nicht ausgeschlossen. Das verstößt gegen Grundrechte und völkerrechtlich garantierte Prinzipien des Datenschutzes. Im Übrigen gibt es keine wirksame Kontrolle und keinen ausreichenden Schutz für die übermittelten Daten, geschweige denn einen wirksamen Rechtsschutz. [...] (YH)
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