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Sport
Telegene Kulisse für Fernsehstationen
Das Stadion der Zukunft
Von Hermann

Vor einigen Jahren plagten mich urplötzlich arge Zahnschmerzen. Weil ich seit beinahe einer Dekade keinen Dentisten mehr aus der Nähe gesehen hatte, überraschte diese Tatsache natürlich wenig; man kann sich aber wohl gut die Sorgen und Ängste ausmalen, mit denen ich mich in zahnärztliche Obhut begab. Zur Zerstreuung lagen im Wartezimmer, wie üblich, haufenweise Zeitschriften aus. Da mein Konzentrationsvermögen ob der bevorstehenden Behandlung zu wünschen übrig ließ, entschied ich mich für das P.M. Magazin.
Das letzte Mal hielt ich ein solches Heft während meiner Grundschulzeit in Händen. Damals konnte man mich noch für vermeintlich Wissenswertes über die Unterwäsche von Jetpiloten oder knallbunte Illustrationen von historischen Naturkatastrophen begeistern, doch nun blätterte ich die Zeitschrift mehr als desinteressiert durch. Für alle, die das P.M. Magazin (ehemals Peter Moosleitners interessantes Magazin) nicht kennen, sei hier erklärt, dass es sich hierbei um eine selbsternannte „populärwissenschaftliche“ Zeitschrift handelt, welche in etwa von einem ernstzunehmenden Wissenschaftsmagazin so weit entfernt ist, wie N24 von einem seriösen Nachrichtensender. Die ähnlich tiefgründige Themenauswahl haben beide Genannten übrigens gemeinsam.


Zauberkasten MSV-Arena: Tagsüber Stadion ...

Doch plötzlich las ich das Heft mit großem Interesse, denn einer der populärwissenschaftlichen Redakteure hatte sich dem Thema ‚Stadion der Zukunft’ gewidmet. Damals (besagter Zahnarzttermin wird jetzt ungefähr acht Jahre zurückliegen) sah er voraus, dass Fußballspiele künftig nur noch in Stadien ausgetragen werden, um für die Fernsehstationen eine telegene Kulisse zu schaffen. Zu dieser Kulisse würden natürlich auch Zuschauerränge gehören, aber da die Kameras beim Verfolgen des Spiels ohnehin nur einen kleinen Teils des Zuschauerraums einfingen, stünden Stadien mit einem Fassungsvermögen von zwanzig- bis dreißigtausend Zuschauern künftig hoch im Kurse. Um diese düstere These zu belegen, brachte er das vor Modernität strotzende Stadion eines rechtsrheinischen Chemieunternehmens aufs Tapet. 

Um vor acht Jahren die zunehmende Einflussnahme der TV-Stationen vorherzusagen, bedurfte es natürlich keiner Kristallkugel. Die Kirch-Pleite war noch nicht abzusehen, und in erster Linie ist es ihr zu verdanken, dass für alle Vereine, die über ein großes Fanpotential verfügen, der zahlende Stadionbesucher erst mal ein nicht zu vernachlässigender Wirtschaftsfaktor bleiben wird. Aber warum aus damaliger Sicht die McDonalds-Filiale mit angeschlossenem Sportplatz am Autobahnkreuz Köln-Ost als Paradebeispiel für das Stadion der Zukunft angeführt wurde, ist damals wie heute nicht nachvollziehbar. Das Bochumer Ruhrstadion bestand bereits in seiner heutigen Form und stellt mit Sicherheit für Fernsehen und Stadionbesucher eine hübschere Kulisse dar. Von traditionsschwangeren Orten wie Bieberer Berg, Hafenstraße oder dem damaligen Bökelberg ganz zu schweigen. 

Obwohl es in den letzten Jahren einige Stadionneubauten mit der oben erwähnten Kapazität gab (Wolfsburg, Magdeburg, Duisburg), liegt diese eher am überschaubaren Interesse der Stadionbesucher der dazugehörigen Vereine. Letztgenanntem ist es übrigens in verblüffender Art gelungen, dem kurzzeitig in Mode gekommenen Begriff ‚Multifunktionsarena’ eine ganz neue Bedeutung zu geben, ähnelt die MSV-Arena doch bei Tage einer Sportstätte, während ihre Beleuchtung bei Nacht eher zum Autobetanken und späten Biereinkauf einlädt. 


... und bei Nacht Aral-Tankstelle
Fotos: Hermann


Doch alle Städte und Vereine, die es sich leisten können, bauen lieber groß. Zum Einen, um dem möglichen Besucherandrang gerecht zu werden, und zum Anderen, weil sich, was der P.M.-Redakteur damals noch nicht ahnte, die Art und Weise der Fernsehübertragung in den letzten Jahren geändert hat. Immer häufiger werden Choreografien und hüpfende Fanblöcke gezeigt, und die Handkamera am Spielfeldrand lässt das Tempo des Spiels erkennen und fängt gleichzeitig die atemberaubende Kulisse einer vollbesetzten Austragungsstätte ein. Das wirkt aber erst ab einer gewissen Stadiongröße so richtig. In der schwerumjubelten BayArena würde aus dieser Perspektive der Himmel ob der niedrigen Höhe das halbe Bild ausfüllen. Trends lassen sich eben nur schwer voraussagen. Daher soll nun in Leverkusen das Stadion umgebaut werden. Größer soll es künftig sein. Da hätte ich einen einfachen und kostengünstigen Vorschlag zu machen: Reißt dieses plexiglasverhangene VIP-Gehege raus und baut an diese Stelle ordentliche Gästestehplätze. Das wirkt auf Fernesehbildern besser und dann kommen auch mehr Zuschauer. Zumindest um den Gastverein zu sehen. Ganz sicher.

Stehplätze waren vor einigen Jahren auch schon vom Aussterben bedroht, hieß es. Als damals ein Offizieller (ich weiß nicht mehr, wer es war) der Südkurve den Kölner Stadionneubau mit zehntausend Stehplätzen versprach, erntete er rauschenden Beifall. Diese Person sollte heute mal durchzählen, von den bestellten Stehplätzen sind scheinbar nicht alle geliefert worden. Doch das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls kann es sich kaum ein Verein heute leisten, auf Stehplätze zu verzichten. Es lässt sich also auch heute nicht sagen, wie wohl das Stadion der Zukunft aussehen wird. Auf Schalke glaubte man, Multifunktionsarena heiße der neue Trend, in München baute man auf ein überdimensionales Hämorrhoidenkissen. Doch beide Beispiele haben eines gemeinsam: Sie bieten mehr als doppelt so vielen Zuschauern Platz, als es das P.M. Magazin unkte. 

Eine Sache kann ich aber mit Sicherheit sagen: Ich sollte dieses Jahr noch zum Zahnarzt gehen. Wenn ich das noch einmal so viele Jahre schleifen lasse, sehen meine Zukunftsprognosen nicht rosig aus. Auch dafür bedarf es keiner Kristallkugel. (PK)
 

Online-Flyer Nr. 121  vom 14.11.2007

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