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Arbeit und Soziales
Tarifstreit in finnischen Krankenhäusern beendet
Abschluss mit Haken
Von Richard Waldkemper
Vorsitzende von Tehy ist Jaana Laitinen-Pesola, Mitglied der großbürgerlichen Regierungspartei Kokoomus, die auch den Finanzminister stellt. Dieser hatte während des Wahlkampfs die notwendige Verbesserung der Stellung des Pflegepersonals versprochen, nach der Wahl dann aber die Verantwortlichkeit der Regierung strikt verneint und die finanzielle Belastung den Kommunen zugeschoben.
Ob jemand kommt?
G. Schönemann | pixelio
Ausnahmegesetz gegen Pflegepersonal
In Deutschland hatten die Zeitungen über den Konflikt erstmals am 17. November berichtet. Am Tag zuvor hatte der finnische Reichstag ein Gesetz verabschiedet, dass es ermöglicht, Pflegepersonal für die Notversorgung in den Krankenhäusern zwangszuverpflichten. Das Gesetz wurde mit den Stimmen der vier Regierungsparteien, Zentrumspartei, Kokoomus, Grüne und Schwedische Volkspartei angenommen. Dagegen stimmten alle Vertreter der Opposition, ein ebenso buntes Konglomerat von Sozialdemokraten über Christdemokraten bis zu „echtfinnischen" Populisten.
Das Gesetz sollte in Kraft treten, falls die angedrohte Massenkündigung der Tehy-Mitglieder wirksam würde. Betroffen von der Zwangsverpflichtung wären nicht nur die kündigenden Mitglieder, sondern auch bereits pensionierte oder bereits in anderen Berufen tätige Arbeitskräfte gewesen. Die genaue Zahl der Betroffenen ist nicht bekannt, man geht aber von etwa zehn bis zwanzig Prozent der Kündigenden aus. Damit wollte die Regierung nach eigener Aussage der bedrohlichen Lage gerade für die „meist Verteidigungslosen in der Gesellschaft", wie Frühgeborene und Personen, die Intensivpflege benötigen, gerecht werden. Die Zwangsverpflichteten sollten eine übertarifliche Entlohnung erhalten.
Die Entstehung von Tehy
Bereits 1955 war es in Finnland zu Massenkündigungen des organisierten Pflegepersonals gekommen, mit dem Resultat einer Höhergruppierung der Betroffenen um zwei Lohnklassen. 1968 wurde im Pflegesektor unter der
Quelle: Tehy
Forderung nach Erhöhung des Lohnniveaus und der Verkürzung der Arbeitszeit auf vierzig Stunden erstmals gestreikt. Bei diesem Streik agierten auch erstmals unterschiedliche Organisationen gemeinsam: so waren die Vertretungen der KrankenpflegerInnen, der KindergärtnerInnen und der PhysiotherapeutInnen beteiligt.
Diese Zusammenarbeit führte 1982 schließlich zur Gründung einer gemeinsamen Organisation – der Tehy. Heute organisiert Tehy Bioanalytiker und Laborpersonal, Akutpflegepersonal, Physiotherapeuten, Hebammen, Röntgenschwestern usw. Insgesamt 125 000 Menschen sind der Gewerkschaft beigetreten. 94 % der Mitglieder sind Frauen.
Die Tarifrunde des Öffentlichen Diensts
Die Tarifrunde ab dem Spätsommer 2007 betraf u.a. qualifiziertes wie angelerntes Pflegepersonal, Bibliothekare, Lehrer und weitere Berufsgruppen. Drei verschiedene gewerkschaftliche Organisationen waren an den Verhandlungen beteiligt. Doch Ende September fiel die „Tariffront“ auseinander: Zwei der Gewerkschaften erklärten sich zur Annahme des vorgelegten Angebots bereit, dessen Laufzeit zwei Jahre und vier Monate beträgt und ein Gesamtlohnvolumen von ca. elf Prozent vorsieht. Tehy jedoch lehnte das Angebot ab.
Der Gewerkschaftsvorstand von Tehy hatte bereits im März seine Tarifvorstellungen formuliert und für seine Mitglieder ein separates, über die konjunkturbedingten Erhöhungen hinausgehendes Lohnprogramm gefordert. Sie wurden untermauert durch die Feststellung eines Reports der Organisation über europäische Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD. In diesem war der vorbildliche Charakter des finnischen Gesundheitswesens hervorgehoben worden, der jedoch auf Kosten des Personals ginge, dessen geringe Bezahlung lediglich 83% des durchschnittlichen OECD-Lohnes ausmache. So verdient eine vergleichbare Arbeitskraft in Schweden ca. 500 Euro mehr. Zudem führte Tehy den mit den niedrigen Gehältern einhergehenden Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal an.
Foto: Erysipel | pixelio
Massenkündigungen durch Vergleich abgewendet
Am 15. Oktober beschlossen die Bevollmächtigten von Tehy den Arbeitskonflikt in Form einer Massenkündigung zum 19. November fortzusetzen.
Über 13.000 Mitglieder im Bereich des Krankenhauswesens erklärten schriftlich ihre Kündigung für den Fall, dass eine Einigung im Tarifstreit nicht möglich sein würde. Die Mehrheit der Bevölkerung reagierte positiv, sie empfand die angedrohten Maßnahmen des Pflegepersonals als gerecht. Diese Stimmung kippte auch nicht mit den von der Regierung aufgebauten Schreckensszenarien, wie der beginnenden Evakuierung von Risikopatienten nach Schweden.
Das Vergleichsangebot, dem die Tehy-Vertreter letztlich zustimmten, sieht folgendermaßen aus: Am 1. Dezember soll eine Einmalzahlung von 270 Euro für alle Beschäftigten erfolgen. 2008 werden die Löhne dann in drei Schritten um ein Gesamtvolumen von ca. zehn Prozent erhöht. In den folgenden drei Jahren sollen die Löhne um – je nach Berufsgruppe – weitere zwölf bis achtzehn Prozent steigen. „Aufgabenabhängig“ sollen Tehy- Mitglieder am Ende der vierjährigen Laufzeit im Vergleich zum November 2007 350 bis 650 Euro mehr im Monat verdienen.
Der Haken an der Sache
Eine gewisse Brisanz beinhaltet das Abkommen. Diese wird in einem Kommentar des schwedischsprachigen Vasabladet vom 21. November deutlich: „Im Tehy-Abkommen findet sich am Ende eine Lohnerhöhung, die ausbezahlt wird, wenn die Anzahl des Pflegepersonals nicht wächst. Zwei Prozent des Lohnes werden am 1. Mai 2011 nur unter der Bedingung ausgezahlt, dass das Volumen an Pflegepersonal im Jahre 2010 nicht größer ist, als es im Jahre 2006 war."
Foto: Henrik G. Vogel | pixelio
Bisher stieg das Personalvolumen im Pflegebereich um 1.500 Beschäftigte jährlich. Der Vorsitzende des Verbandes der Kommunen, Risto Parjanne, weist bereits darauf hin, dass die Wohlfahrtsdienste in den kommenden Jahren voraussichtlich in höherem Maße Dienste aus dem privaten Sektor in Anspruch nehmen müssen, um der zunehmenden Zahl von Pflegebedürftigen gerecht zu werden. Vasabladet kommentiert daher, es sei interessant, dass die Regierung diesen Abschnitt der Vereinbarung mitgetragen „und regelrecht zu solch einer Entwicklung ermuntert" habe. Das Einzige – das muss man mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen – was die Regierung beigetragen hat, damit das Abkommen mit Tehy zustande kam, war das Versprechen, das sich der Staatsbeitrag nicht verringern wird, wenn sich die Personalzahlen verringern. Die Kommunen können selbstständig über die Einsparungen verfügen." Damit hat, so Vasabladet, die Regierung den Passus über die Verbindung von Lohnerhöhung und Personalvolumen geradezu gefördert und den Kommunen schmackhaft gemacht.
Die durch den Vertrag entstehenden erhöhten Lohnausgaben müssen die Kommunen selbst tragen und werden sie voraussichtlich durch die Erhöhung der Kommunalsteuern sowie der Gebühren für in Anspruch genommene Sozial- und Gesundheitsdienste kompensieren.
Vasabladet hat auch die die politischen Konsequenzen des Konflikts im Blick. Denn dieser hat zur Folge, „dass die ideologischen Unterschiede in der Politik mit einemmal sichtbarer werden. Die Konturen der bürgerlichen Politik der Regierung wurden deutlicher. Die Regierung will kein Wachstum des Öffentlichen Sektors sehen, sondern belohnt vielmehr einen effektiveren Wohlfahrtsstaat." Bei moderater Senkung der progressiv gestalteten Einkommensteuer zwingt sie die Kommunen, die nicht progressiv gestaltete Kommunalsteuer zu erhöhen. Dieses bedeutet über längere Sicht, dass Menschen mit geringem Einkommen weiter verlieren und die soziale Kluft wächst. (HDH)
Online-Flyer Nr. 123 vom 23.11.2007
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Arbeit und Soziales
Tarifstreit in finnischen Krankenhäusern beendet
Abschluss mit Haken
Von Richard Waldkemper
Vorsitzende von Tehy ist Jaana Laitinen-Pesola, Mitglied der großbürgerlichen Regierungspartei Kokoomus, die auch den Finanzminister stellt. Dieser hatte während des Wahlkampfs die notwendige Verbesserung der Stellung des Pflegepersonals versprochen, nach der Wahl dann aber die Verantwortlichkeit der Regierung strikt verneint und die finanzielle Belastung den Kommunen zugeschoben.
Ob jemand kommt?
G. Schönemann | pixelio
In Deutschland hatten die Zeitungen über den Konflikt erstmals am 17. November berichtet. Am Tag zuvor hatte der finnische Reichstag ein Gesetz verabschiedet, dass es ermöglicht, Pflegepersonal für die Notversorgung in den Krankenhäusern zwangszuverpflichten. Das Gesetz wurde mit den Stimmen der vier Regierungsparteien, Zentrumspartei, Kokoomus, Grüne und Schwedische Volkspartei angenommen. Dagegen stimmten alle Vertreter der Opposition, ein ebenso buntes Konglomerat von Sozialdemokraten über Christdemokraten bis zu „echtfinnischen" Populisten.
Das Gesetz sollte in Kraft treten, falls die angedrohte Massenkündigung der Tehy-Mitglieder wirksam würde. Betroffen von der Zwangsverpflichtung wären nicht nur die kündigenden Mitglieder, sondern auch bereits pensionierte oder bereits in anderen Berufen tätige Arbeitskräfte gewesen. Die genaue Zahl der Betroffenen ist nicht bekannt, man geht aber von etwa zehn bis zwanzig Prozent der Kündigenden aus. Damit wollte die Regierung nach eigener Aussage der bedrohlichen Lage gerade für die „meist Verteidigungslosen in der Gesellschaft", wie Frühgeborene und Personen, die Intensivpflege benötigen, gerecht werden. Die Zwangsverpflichteten sollten eine übertarifliche Entlohnung erhalten.
Die Entstehung von Tehy
Bereits 1955 war es in Finnland zu Massenkündigungen des organisierten Pflegepersonals gekommen, mit dem Resultat einer Höhergruppierung der Betroffenen um zwei Lohnklassen. 1968 wurde im Pflegesektor unter der
Quelle: Tehy
Diese Zusammenarbeit führte 1982 schließlich zur Gründung einer gemeinsamen Organisation – der Tehy. Heute organisiert Tehy Bioanalytiker und Laborpersonal, Akutpflegepersonal, Physiotherapeuten, Hebammen, Röntgenschwestern usw. Insgesamt 125 000 Menschen sind der Gewerkschaft beigetreten. 94 % der Mitglieder sind Frauen.
Die Tarifrunde des Öffentlichen Diensts
Die Tarifrunde ab dem Spätsommer 2007 betraf u.a. qualifiziertes wie angelerntes Pflegepersonal, Bibliothekare, Lehrer und weitere Berufsgruppen. Drei verschiedene gewerkschaftliche Organisationen waren an den Verhandlungen beteiligt. Doch Ende September fiel die „Tariffront“ auseinander: Zwei der Gewerkschaften erklärten sich zur Annahme des vorgelegten Angebots bereit, dessen Laufzeit zwei Jahre und vier Monate beträgt und ein Gesamtlohnvolumen von ca. elf Prozent vorsieht. Tehy jedoch lehnte das Angebot ab.
Der Gewerkschaftsvorstand von Tehy hatte bereits im März seine Tarifvorstellungen formuliert und für seine Mitglieder ein separates, über die konjunkturbedingten Erhöhungen hinausgehendes Lohnprogramm gefordert. Sie wurden untermauert durch die Feststellung eines Reports der Organisation über europäische Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD. In diesem war der vorbildliche Charakter des finnischen Gesundheitswesens hervorgehoben worden, der jedoch auf Kosten des Personals ginge, dessen geringe Bezahlung lediglich 83% des durchschnittlichen OECD-Lohnes ausmache. So verdient eine vergleichbare Arbeitskraft in Schweden ca. 500 Euro mehr. Zudem führte Tehy den mit den niedrigen Gehältern einhergehenden Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal an.
Foto: Erysipel | pixelio
Massenkündigungen durch Vergleich abgewendet
Am 15. Oktober beschlossen die Bevollmächtigten von Tehy den Arbeitskonflikt in Form einer Massenkündigung zum 19. November fortzusetzen.
Über 13.000 Mitglieder im Bereich des Krankenhauswesens erklärten schriftlich ihre Kündigung für den Fall, dass eine Einigung im Tarifstreit nicht möglich sein würde. Die Mehrheit der Bevölkerung reagierte positiv, sie empfand die angedrohten Maßnahmen des Pflegepersonals als gerecht. Diese Stimmung kippte auch nicht mit den von der Regierung aufgebauten Schreckensszenarien, wie der beginnenden Evakuierung von Risikopatienten nach Schweden.
Das Vergleichsangebot, dem die Tehy-Vertreter letztlich zustimmten, sieht folgendermaßen aus: Am 1. Dezember soll eine Einmalzahlung von 270 Euro für alle Beschäftigten erfolgen. 2008 werden die Löhne dann in drei Schritten um ein Gesamtvolumen von ca. zehn Prozent erhöht. In den folgenden drei Jahren sollen die Löhne um – je nach Berufsgruppe – weitere zwölf bis achtzehn Prozent steigen. „Aufgabenabhängig“ sollen Tehy- Mitglieder am Ende der vierjährigen Laufzeit im Vergleich zum November 2007 350 bis 650 Euro mehr im Monat verdienen.
Der Haken an der Sache
Eine gewisse Brisanz beinhaltet das Abkommen. Diese wird in einem Kommentar des schwedischsprachigen Vasabladet vom 21. November deutlich: „Im Tehy-Abkommen findet sich am Ende eine Lohnerhöhung, die ausbezahlt wird, wenn die Anzahl des Pflegepersonals nicht wächst. Zwei Prozent des Lohnes werden am 1. Mai 2011 nur unter der Bedingung ausgezahlt, dass das Volumen an Pflegepersonal im Jahre 2010 nicht größer ist, als es im Jahre 2006 war."
Foto: Henrik G. Vogel | pixelio
Bisher stieg das Personalvolumen im Pflegebereich um 1.500 Beschäftigte jährlich. Der Vorsitzende des Verbandes der Kommunen, Risto Parjanne, weist bereits darauf hin, dass die Wohlfahrtsdienste in den kommenden Jahren voraussichtlich in höherem Maße Dienste aus dem privaten Sektor in Anspruch nehmen müssen, um der zunehmenden Zahl von Pflegebedürftigen gerecht zu werden. Vasabladet kommentiert daher, es sei interessant, dass die Regierung diesen Abschnitt der Vereinbarung mitgetragen „und regelrecht zu solch einer Entwicklung ermuntert" habe. Das Einzige – das muss man mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen – was die Regierung beigetragen hat, damit das Abkommen mit Tehy zustande kam, war das Versprechen, das sich der Staatsbeitrag nicht verringern wird, wenn sich die Personalzahlen verringern. Die Kommunen können selbstständig über die Einsparungen verfügen." Damit hat, so Vasabladet, die Regierung den Passus über die Verbindung von Lohnerhöhung und Personalvolumen geradezu gefördert und den Kommunen schmackhaft gemacht.
Die durch den Vertrag entstehenden erhöhten Lohnausgaben müssen die Kommunen selbst tragen und werden sie voraussichtlich durch die Erhöhung der Kommunalsteuern sowie der Gebühren für in Anspruch genommene Sozial- und Gesundheitsdienste kompensieren.
Vasabladet hat auch die die politischen Konsequenzen des Konflikts im Blick. Denn dieser hat zur Folge, „dass die ideologischen Unterschiede in der Politik mit einemmal sichtbarer werden. Die Konturen der bürgerlichen Politik der Regierung wurden deutlicher. Die Regierung will kein Wachstum des Öffentlichen Sektors sehen, sondern belohnt vielmehr einen effektiveren Wohlfahrtsstaat." Bei moderater Senkung der progressiv gestalteten Einkommensteuer zwingt sie die Kommunen, die nicht progressiv gestaltete Kommunalsteuer zu erhöhen. Dieses bedeutet über längere Sicht, dass Menschen mit geringem Einkommen weiter verlieren und die soziale Kluft wächst. (HDH)
Online-Flyer Nr. 123 vom 23.11.2007
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