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Aktueller Online-Flyer vom 22. November 2024  

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Inland
Carl-von-Ossietzky-Medaille 2007 für Einsatz auf dem G8-Gipfel
AnwältInnen als Streetfighter
Von Peter Kleinert

Weil seine Mitglieder während der Proteste gegen den G-8-Gipfel in und um Heiligendamm Vorbildliches für die Verteidigung der Bürger- und Menschenrechte in der BRD geleistet hatten, wurde in Berlin das „Legal-Team/Anwaltlicher Notdienst“ von der „Internationalen Liga für Menschenrechte“ mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2007 ausgezeichnet. Sogar die Tagesschau brachte diesmal darüber einen Bericht. 
Vor einem Jahr hatten Rechtsanwalt Bernhard Docke – für sein Engagement zugunsten des ehemaligen Guantànamo-Gefangenen Murat Kurnaz – und Bundeswehrmajor Florian Pfaff – für die Zivilcourage, die er in der Bundeswehr mit seiner Gehorsamsverweigerung bewiesen hatte, um keine Beihilfe zu einem Völkerrechtsverbrechen zu leisten – die Ossietzky-Meaille erhalten (siehe NRhZ 75 unf 76). Beide waren auch diesmal in Berlin, um ihre „Nachfolger“ zu beglückwünschen.


Bernhard Docke und Floria Pfaff – Ossietzky-Preisträger 2006
 
Der autoritäre Sicherheitsstaat

„Auch im Zusammenhang mit unserer heutigen Medaillenverleihung geht es um sogenannte Antiterrorpolitik“, sagte Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner in seiner Eröffnungsrede. Und es gehe um die so schwierig gewordene Verteidigung der Bürger- und Menschenrechte im eigenen Land. „Bereits im Vorfeld und während der Proteste gegen den G-8-Gipfel 2007 sahen sich“, so Gössner, „die Gipfelgegner in einer medial aufgeheizten Stimmung einem ungeheuerlichen Terrorismusverdacht ausgesetzt – mit weit reichenden Auswirkungen auf die Versammlungsfreiheit, von der in und um Heiligendamm nur noch wenig übrig geblieben ist.“

                   
                    Liga-Präsident Rolf Gössner vor der
                    Medaillenübergabe
Grundsätzlich lerne man ja in Grundrechtsseminaren, weiß der Rechtsanwalt und stellvertretende Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen, dass ein  demokratischer Rechtsstaat keine Bannmeilen, keine grundrechts- und demokratiefreie Hochsicherheitszone vertrage, wie sie in Heiligendamm unter Aussperrung der Zivilbevölkerung und unter Ausgrenzung des demokratischen Protestes eingerichtet wurde. Nach dem Geist der Verfassung müssten Proteste gerade auch in Hör- und Sichtweite des Demonstrationszieles möglich sein. Das entspräche „dem Wesen des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Doch der G-8-Gipfel in Heiligendamm sprengte mit seiner martialischen Absicherung alle bisherigen Dimensionen eines nicht erklärten Ausnahmezustands. Der autoritäre Sicherheitsstaat trat in volle Aktion – zu Wasser, zu Lande und in der Luft….“
 
„Antiterrorkampf“ und Massenmedien
 
Rolf Gössner: „Die vielstimmigen Proteste gegen diesen G-8-Gipfel waren ein gesellschaftliches Großereignis. Alle Teilnehmer haben dort Erfahrungen von solidarischem, erfolgreichem, medienwirksamem Handeln gemacht, aber auch von Enttäuschungen – Erlebnisse von Kriminalisierung und Eskalation, behördlicher Willkür und massiver Polizeigewalt, zudem auch Ausschreitungen einiger Weniger auf Seiten der Demonstranten. In den Massenmedien wurde vielfach ein stark verzerrtes Bild der Proteste gezeichnet, so dass sich die Bevölkerung keine realistische Vorstellung von den Ereignissen machen konnte; zu viele Gerüchte, Falschmeldungen und gezielte Desinformationen fanden Eingang in Polizeiberichte und Berichterstattung – etwa über gewaltbereite Vermummte, gefährliche Wurfgeschosse, ätzende Chemikalien und verletzte Polizisten. Wie im Krieg, so stirbt auch im Antiterrorkampf zuerst die Wahrheit. Ein besorgniserregender Trend, der die Deutsche Journalistenunion (in der Gewerkschaft ver.di, die Red.) dazu veranlasst hat, eine Untersuchung über staatsgläubige Berichterstattung und Falschmeldungen der Medien während des G-8-Gipfels zu erarbeiten. Diese medienkritische Studie, die auch von der Liga unterstützt wird, soll im Frühjahr 2008 vorgelegt werden….“

Grundrechte auf der Straße verteidigen!
 
Aus all diesen sei es immens wichtig gewesen, dass sich zahlreiche Anwältinnen und Anwälte aus fortschrittlichen Anwaltsorganisationen sowie Mitglieder des Ermittlungsausschusses zu einem „Legal-Team“ oder auch „Anwaltlichen Notdienst“ unter dem Dach des „Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsvereins“ (RAV) zusammenfanden, um sich für die Menschenrechte der Demonstranten einzusetzen und ihnen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Den Mitgliedern des Legal-Teams sei es angesichts der prekären Situation in erster Linie darum gegangen, die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, körperliche Unversehrtheit und Menschenwürde „nicht erst in den Gerichtssälen, sondern schon während der G-8-Proteste unmittelbar auf der Straße zu verteidigen.

Die Arbeit dieser anwaltlichen streetworker – um nicht zu sagen: streetfighter – ermöglichte authentische Einblicke, die man sonst kaum erhalten würde: Das Legal-Team zeigte sich erschrocken über das Ausmaß selbst erlebter polizeilicher Übergriffe auf Demonstranten, aber auch auf Journalisten, Ärzte und Anwälte – von Misshandlungen bei der Festnahme über Tötungsandrohungen bis hin zu sexistischen Äußerungen und Übergriffen durch Polizeibeamte. Dem Legal-Team ist es zu verdanken, dass etliche dieser Vorkommnisse dokumentiert und dass Falschmeldungen von Polizei und Medien aufgedeckt werden konnten.“

Zu den besonderen Leistungen des Teams gehöre die Aufdeckung der menschenunwürdigen Unterbringung von Gefangenen in Drahtgitterkäfigen, wo sie auf engstem Raum ständige Videoüberwachung, Neon-Beleuchtung und dadurch Schlafentzug erleiden mussten – teilweise gefesselt, ohne vernünftige Verpflegung und ärztliche Versorgung. Insgesamt seien rund 1.200 Personen inhaftiert worden. Mehrere Anwältinnen, die zu den Gefangenen vordringen wollten, um ihnen Rechtsbeistand zu leisten, seien von der Polizei massiv angegriffen und in ihrer Berufsausübung behindert worden, so dass sie sich zu dem ungewöhnlichen Schritt genötigt sahen, mit einer eigenen Demonstration „für faire Verfahren und freien Zugang zu den Verhafteten“ zu streiten.

Schon im Vorfeld des G-8-Gipfels
 
Bereits vor dem G-8-Ereignis, so Gössner, hätten die staatlichen Präventions- und Repressionsmaßnahmen potentielle Protestteilnehmer unter Terrorverdacht gestellt, „was übrigens nach und nach auch die Gerichte bestätigen“. Die Bundesanwaltschaft ermittelte gegen vermeintliche Mitglieder der „militanten gruppe“, die sich zu mehreren Farbbeutel- und Brandanschlägen gegen Großkonzerne, Polizei- und Bundeswehrfahrzeuge bekannt hatte, bei denen bislang keine Menschen verletzt wurden. Aber „Wer Farbbeutel wirft und an Kraftfahrzeugen zündelt, so schloss Generalbundesanwältin Monika Harms, die oberste Anklägerin der Nation, messerscharf, muss ein Terrorist sein und eine noch so lose „militante gruppe“ eine „terroristische Vereinigung“ nach dem berühmt-berüchtigten § 129a Strafgesetzbuch.

Rolf Gössner beendete seine Rede mit einem „Rechts-Spruch“ des Kölner Schriftstellers Wolfgang Bittner, den NRhZ-LeserInnen seit zwei Jahren kennen:

„Geplanter Anschlag:
Keine konkreten Hinweise –
Doch der Innenminister warnt vor neuen Terroranschlägen.
Wer weiß, was er plant.“
 
„Ich fürchte mich seit dieser Woche wieder“
 
Verina Speckin, eine der anwesenden Anwältinnen des „Legal-Team“ berichtete in ihrem Redebeitrag von ihren Erfahrungen in Sachen G8-Gipfel: „Ich hatte bis zu meiner Teilnahme am Anwaltsnotdienst geglaubt, wenn ich sage, ich sei Anwältin, dass mir dann alle Türen offen stehen. Ich hatte geglaubt, dass ich berechtigt bin, Gerichte zu betreten, auf die Geschäftsstelle zu gehen, im Gerichtsflur mit Kollegen und Kolleginnen zu diskutieren, dass mein Mandant das Recht hat, mich zu sehen, wenn er danach verlangt und dass jeder Bürger und jede Bürgerin das Recht hat, wenn er oder sie nach einem Anwalt verlangt, dieser vor Ort bereitsteht, sie zueinandergeführt werden. Weit gefehlt.

Ulrike Donat und ich mussten mit dem Direktor des Amtsgerichts nachts diskutieren, ob die Außenstelle des Amtsgerichts Rostock in der Gefangenensammelstelle ein Gericht ist oder nicht, ob wir freien Zugang zu diesem Gericht haben. Die Polizei hatte es. Ulrike und ich wurden des Flures verwiesen, als wir aufeinander warteten, nachdem wir jede bei einer Anhörung gewesen sind. Diskutieren durften wir dort auch nicht. Die Polizei geleitete uns hinaus. Wir störten den Ablauf, weil wir es wagten, in Frage zu stellen.“

Richtern fehlten Kraft und Courage

Die Grundrechte galten in jenen Wochen nicht einmal für Anwälte. „Jeder, der zur falschen Zeit am falschen Ort war, konnte das Opfer polizeilicher Willkürmaßnahmen werden. Und genau die Sicherungsmechanismen, die die alte Bundesrepublik jahrzehntelang als rechtlichen Standard gepriesen hatte, die sie von den Unrechtssystemen unterscheiden sollten, wurden stillschweigend außer Kraft gesetzt. In dieser Woche wurden Bürger unberechtigt in Käfige gesperrt, die Benachrichtigung von Angehörigen, die Vorführung zum Richter, das Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen, alles das war nicht mehr drin. Den Richtern schien die Kraft und die Courage zu fehlen, sich diesem rechtswidrigen Treiben, das eine Arbeitsgruppe der Polizei bei unzureichender Führung durch das Innenministerium initiiert hatte, entgegen zu stellen.“


Das „Legal-Team“ mit Verina Speckin am MikroAlle Fotos: Meinhard Seifert

Abschließend zitierte Verina Speckin aus einem Ergebnisbericht der Gewerkschaft der Polizei. Darin seu unter anderem beklagt worden, „dass die Taktik nach unten nicht durchgestellt wurde, dass der Informationsfluss innerhalb der Hierarchie nicht funktionierte, dass sie verheizt wurden“. Erschüttert hätten sie Sätze aus dem GdP-Bericht wie „Neu für die Einsatzkräfte war, dass sich die Veranstalter sogenannte ‚Legal Teams (Rechtsanwälte)’ verpflichteten, die den Versammlungsteilnehmern im Falle polizeilicher Maßnahmen anwaltschaftlich Unterstützung gewähren sollten. Zu ergreifende polizeiliche Maßnahmen wurden somit erschwert, da die Polizeibeamten, insbesondere Führungskräfte, mehr in Diskussion über die Zulässigkeit der getroffenen Maßnahmen verwickelt wurden’. In diesem Resümee der Polizeigewerkschaft ist unverblümt zum Ausdruck gebracht, dass der Rechtsstaat mal lieber zugunsten des Notstands Urlaub nehmen sollte. Er belegt die Rechtsstaatsskepsis derer, die Sicherheit gewähren sollen. Und vor allem aber für die Freiheit der Bürger Sorge zu tragen haben. – Ich fürchte mich seit dieser Woche wieder.“ (PK)

Online-Flyer Nr. 126  vom 19.12.2007

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