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Lokales
Mitglied der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft im Iran festgenommen
Unliebsamer Autor hinter Gittern
Von Hajo Jahn
Schriftsteller Amin Ghazaei
Quelle: Archiv Sam Vaseghi
Der Ingenieur und Ökonom Vashegi ist selbst ein Dichter. Er setzt sich ehrenamtlich unter anderem als Verleger für verfolgte Kolleginnen und Kollegen aus seinem Geburtsland ein. Dabei arbeitet er mit der Wuppertaler Literaturgesellschaft beim Internetprojekt „Iranisches Exil-Archiv“ zusammen, Dr. Vaseghi (41) und der 29jährige Ghazaei sind Mitglieder der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft.
Wie ernst die Situation ist, verdeutlicht der zweite Satz der Mail aus Schweden: „Ich muss binnen ca. 48 Stunden (es ist bereits Mittwoch) eine kritische Unterstützer-Masse im Aus-/Inland erreichen, falls er bis dahin noch lebt, damit die Sache innerhalb der Teheraner Regierung nach oben eskaliert und Amin nichts ‚zufällig zustößt’.“
Amin Ghazaei ist nach den vorliegenden Informationen vom Geheimdienst in Teheran zusammen mit weiteren Komilitonen abgeführt worden. Es wird vermutet, dass es sich dabei um eine Zahl von zehn Studenten handelt. Recherchen eines dpa-Korrespondenten vor Ort stießen – wie nicht anders zu erwarten – auf eine Mauer des Schweigens bei offiziellen Stellen. Geheimdienste geben keine Pressemitteilungen heraus; meistens auch nicht die Namen ihrer Opfer. Was mit ihnen passiert, wenn die Proteste aus westlichen Demokratien nichts fruchten, weiß man.
Deshalb hat die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft sofort die deutsche Schriftstellersektion des PEN und die Menschenrechtsorganisation amnesty international informiert. Diese überprüft nach Angaben einer Sprecherin gegenüber der Deutschen Presseagentur (die ebenfalls von der ELS-Gesellschaft informiert wurde), wie man sich in einer Eilaktion für die Inhaftierten einsetzen kann. Vermutlich befänden sich die jungen Leute in einem Teheraner Gefängnis.
Grund für die Festnahme des Autors, der zur jüngeren Generation der Literaten seines Landes zählt, sei möglicherweise die jüngste Internet-Veröffentlichung seiner Übersetzungen, erklärt Sam Vaseghi. Hierzu gehöre die Titel „Seduction“ des französischen Philosophen Jean Baudrillard sowie „Gender Trouble“ der Feministin Judith Butler – „Titel, die für sich sprechen!“ Seit den Festnahmen hätten die Familien weder von Ghazaei noch von den Studenten ein Lebenszeichen erhalten, sagt der Verleger. Angesichts ähnlicher Vorgänge im Iran müsse das Schlimmste befürchtet werden. Der verschwundene Autor publiziert in Europa im Verlag Nashre (Paris). Seine Übersetzung von „Seduction“ auf Farsi erscheint in dieser Woche auch im (Exil-)Verlag „Iran Open Publishing Group.“
In einem Brief an den Botschafter der Islamischen Republik in Deutschland, heißt es: „Exzellenz Khareghani, die internationale Else Lasker-Schüler-Gesellschaft in Wuppertal protestiert vehement gegen die Verhaftung ihres Mitglieds Amin Ghazaei. Wir fordern Garantie für Leib und Leben des renommierten Schriftstellers und seiner mitinhaftierten Komilitonen sowie deren unverzügliche Freilassung! Sowohl die Presse als auch nationale wie internationale Organisationen sind über diesen Vorfall in Kenntnis gesetzt worden.“ Der ELS-Verein, der sich als ‚politische Literaturgesellschaft’ bezeichnet, hat inzwischen das deutsche Auswärtige Amt um Unterstützung gebeten, Dr. Vaseghi tat das gleiche beim Außenministerium in Stockholm, das – wie er erfuhr – eine eigene Abteilung für Iran unterhält, denn ähnliche Fälle beschäftigen die demokratischen Staaten permanent.“
Die Webseite www.exil-archiv.de ist das virtuelle Zentrum der verfolgten Künste, betrieben von der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft. Das reale „Zentrum“ wird am 30. März im Solinger (Kunst-)Museum unter dem Titel „Himmel und Hölle. Zwischen 1918 bis 1989“ mit einer gemeinsamen Präsentation der (Exil-)Literatur-Sammlung Jürgen Serke und der (Bilder-) Sammlung Gerhard Schneider eröffnet.
Das virtuelle Zentrum: www.exil-archiv.de
Am 9. November 1992 hatte die ELS-Gesellschaft Dichterlesungen gegen Fremdenhass, Antisemitismus und Gewalt in Asylbewerberheimen mit prominenten AutorInnen in allen 16 Bundesländern veranstaltet. Woche für Woche lasen Schriftsteller wie Günter Grass, Sarah Kirsch, Wolf Biermann, Herta Müller, Hans Joachim Schädlich oder Peter Härtling und Eva Demski in Asylen. Grund dafür waren die Anschläge von Neonazis auf diese Heime, die eigentlich Schutz gewähren sollten. Durch die Lesungen und Diskussionen mit den prominenten Dichtern in Rostock, Schwerin, Cottbus, Magdeburg, Hünxe und in zahlreichen anderen Städten kamen deutsche Nachbarn in die Asylbewerberheime und wurden mit den dort lebenden Menschen und ihren Problemen konfrontiert. So kamen Deutsche und Ausländer ins Gespräch.
Die Schriftsteller waren nicht nur wegen der aktuellen grausamen Anschläge motiviert, sondern waren von der ELS-Gesellschaft daran erinnert worden, dass auch Thomas, Heinrich und Erika Mann, Bert Brecht, Alfred Döblin, Else Lasker-Schüler und tausende weitere Exilanten nach ihrer Flucht aus Nazideutschland Asylbewerber waren.
Alle beteiligten Schriftsteller dieser Aktion haben gemeinsam mit Salman Rushdie, dem seinerzeit bekanntesten verfolgten Dichter, den Gründungsaufruf für ein „Zentrum der verfolgten Dichter/Künstler“ unterzeichnet. Denn eine solche Einrichtung, die vorbildhafte Intellektuelle vorstellt, gab es bislang nicht. (PK)
Online-Flyer Nr. 130 vom 23.01.2008
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Lokales
Mitglied der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft im Iran festgenommen
Unliebsamer Autor hinter Gittern
Von Hajo Jahn
Schriftsteller Amin Ghazaei
Quelle: Archiv Sam Vaseghi
Wie ernst die Situation ist, verdeutlicht der zweite Satz der Mail aus Schweden: „Ich muss binnen ca. 48 Stunden (es ist bereits Mittwoch) eine kritische Unterstützer-Masse im Aus-/Inland erreichen, falls er bis dahin noch lebt, damit die Sache innerhalb der Teheraner Regierung nach oben eskaliert und Amin nichts ‚zufällig zustößt’.“
Amin Ghazaei ist nach den vorliegenden Informationen vom Geheimdienst in Teheran zusammen mit weiteren Komilitonen abgeführt worden. Es wird vermutet, dass es sich dabei um eine Zahl von zehn Studenten handelt. Recherchen eines dpa-Korrespondenten vor Ort stießen – wie nicht anders zu erwarten – auf eine Mauer des Schweigens bei offiziellen Stellen. Geheimdienste geben keine Pressemitteilungen heraus; meistens auch nicht die Namen ihrer Opfer. Was mit ihnen passiert, wenn die Proteste aus westlichen Demokratien nichts fruchten, weiß man.
Deshalb hat die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft sofort die deutsche Schriftstellersektion des PEN und die Menschenrechtsorganisation amnesty international informiert. Diese überprüft nach Angaben einer Sprecherin gegenüber der Deutschen Presseagentur (die ebenfalls von der ELS-Gesellschaft informiert wurde), wie man sich in einer Eilaktion für die Inhaftierten einsetzen kann. Vermutlich befänden sich die jungen Leute in einem Teheraner Gefängnis.
Grund für die Festnahme des Autors, der zur jüngeren Generation der Literaten seines Landes zählt, sei möglicherweise die jüngste Internet-Veröffentlichung seiner Übersetzungen, erklärt Sam Vaseghi. Hierzu gehöre die Titel „Seduction“ des französischen Philosophen Jean Baudrillard sowie „Gender Trouble“ der Feministin Judith Butler – „Titel, die für sich sprechen!“ Seit den Festnahmen hätten die Familien weder von Ghazaei noch von den Studenten ein Lebenszeichen erhalten, sagt der Verleger. Angesichts ähnlicher Vorgänge im Iran müsse das Schlimmste befürchtet werden. Der verschwundene Autor publiziert in Europa im Verlag Nashre (Paris). Seine Übersetzung von „Seduction“ auf Farsi erscheint in dieser Woche auch im (Exil-)Verlag „Iran Open Publishing Group.“
In einem Brief an den Botschafter der Islamischen Republik in Deutschland, heißt es: „Exzellenz Khareghani, die internationale Else Lasker-Schüler-Gesellschaft in Wuppertal protestiert vehement gegen die Verhaftung ihres Mitglieds Amin Ghazaei. Wir fordern Garantie für Leib und Leben des renommierten Schriftstellers und seiner mitinhaftierten Komilitonen sowie deren unverzügliche Freilassung! Sowohl die Presse als auch nationale wie internationale Organisationen sind über diesen Vorfall in Kenntnis gesetzt worden.“ Der ELS-Verein, der sich als ‚politische Literaturgesellschaft’ bezeichnet, hat inzwischen das deutsche Auswärtige Amt um Unterstützung gebeten, Dr. Vaseghi tat das gleiche beim Außenministerium in Stockholm, das – wie er erfuhr – eine eigene Abteilung für Iran unterhält, denn ähnliche Fälle beschäftigen die demokratischen Staaten permanent.“
Die Webseite www.exil-archiv.de ist das virtuelle Zentrum der verfolgten Künste, betrieben von der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft. Das reale „Zentrum“ wird am 30. März im Solinger (Kunst-)Museum unter dem Titel „Himmel und Hölle. Zwischen 1918 bis 1989“ mit einer gemeinsamen Präsentation der (Exil-)Literatur-Sammlung Jürgen Serke und der (Bilder-) Sammlung Gerhard Schneider eröffnet.
Das virtuelle Zentrum: www.exil-archiv.de
Am 9. November 1992 hatte die ELS-Gesellschaft Dichterlesungen gegen Fremdenhass, Antisemitismus und Gewalt in Asylbewerberheimen mit prominenten AutorInnen in allen 16 Bundesländern veranstaltet. Woche für Woche lasen Schriftsteller wie Günter Grass, Sarah Kirsch, Wolf Biermann, Herta Müller, Hans Joachim Schädlich oder Peter Härtling und Eva Demski in Asylen. Grund dafür waren die Anschläge von Neonazis auf diese Heime, die eigentlich Schutz gewähren sollten. Durch die Lesungen und Diskussionen mit den prominenten Dichtern in Rostock, Schwerin, Cottbus, Magdeburg, Hünxe und in zahlreichen anderen Städten kamen deutsche Nachbarn in die Asylbewerberheime und wurden mit den dort lebenden Menschen und ihren Problemen konfrontiert. So kamen Deutsche und Ausländer ins Gespräch.
Die Schriftsteller waren nicht nur wegen der aktuellen grausamen Anschläge motiviert, sondern waren von der ELS-Gesellschaft daran erinnert worden, dass auch Thomas, Heinrich und Erika Mann, Bert Brecht, Alfred Döblin, Else Lasker-Schüler und tausende weitere Exilanten nach ihrer Flucht aus Nazideutschland Asylbewerber waren.
Alle beteiligten Schriftsteller dieser Aktion haben gemeinsam mit Salman Rushdie, dem seinerzeit bekanntesten verfolgten Dichter, den Gründungsaufruf für ein „Zentrum der verfolgten Dichter/Künstler“ unterzeichnet. Denn eine solche Einrichtung, die vorbildhafte Intellektuelle vorstellt, gab es bislang nicht. (PK)
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