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Glossen
Über Glück, Unglück und Glück im Unglück
Mein Glückstag
Von Christian Heinrici
Foto: Claudia Hautumm | pixelio.de
Wir haben einen Anruf- beantworter zu Hause, aber manchmal gehe ich auch noch selbst ans Telefon:
„Ja, hallo…?“ – „Guten Tag, Herr Heinritschi!“ – Das fing ja gut an, dachte ich. Ich habe eine natürliche Abneigung gegen Fremde, die mich durch mein Telefon mit meinem Namen ansprechen – dazu auch noch, wenn sie ihn falsch aussprechen. „Guten Tag, ich heiße HEINRICI, mit C, wie „Zeh“ gesprochen…“ – „Ach, das ist sicher ein italienischer Name…“ – „Nein!“ – „Jugoslawisch…?“ – „Nein!“, sagte ich schon etwas missmutig, wie lange sollte dieses Ratespiel noch weiter gehen?! „Ähm, dann kommt Ihr Name sicher aus…“ Ich beschloss dem Quiz ein Ende zu machen: „Nein, mein Name kommt von der Lateinisierung der deutschen Namen, als im 15. oder 16. Jahrhundert die Nachnamen überhaupt erfunden wurden, und manche Leute ihren Namen – in diesem Fall Heinrich – ins Lateinische übersetzten, Heinrich, lateinisch 1. Person Plural = Heinrici.“ Warum erklärte ich das eigentlich alles? – „Dann hieße es doch HeinriKi…“, warf mein Gesprächspartner vermeintlich besser wissend am anderen Ende der Leitung ein. – „Nein, hieße es nicht, es heißt ja auch nicht Galius Julius Käsar oder KiKero oder sonst wie…“ – Ich werde doch wohl noch wissen, wie mein eigener Name ausgesprochen wird! „Wie heißen Sie denn überhaupt?“, fragte ich zurück.
„Herr Heinrici (diesmal richtig ausgesprochen), heute ist ihr Glückstag!“ – Das war keine Antwort auf meine Frage! Aber, ich muss zugeben, ich kam kurz ins Überlegen. Ich war gerade von der Arbeit nach Hause gekommen, stand vorher zirka zweieinhalb Stunden im Stau, vor meiner Haustüre schnappte mir ein anderer Fahrer die ideale Parklücke weg… was mochte denn heute noch alles kommen: DAS also war mein Glückstag...? Na, schauen wir mal!
„Ja…“, fuhr mein immer noch namenloser Gesprächspartner weiter fort: „Sie haben gewonnen…!“ – Das klang sehr optimistisch, obwohl durchsetzt mit einem leichten Unterton, ein bisschen, als ob er mit einem Dreijährigen spräche. Allerdings konnte ich mich nicht erinnern, irgendwo mitgespielt zu haben. Ich spiele eigentlich aus Prinzip nie, außer mal mit Freunden Karten oder Schach. Natürlich, ich kann mich erinnern, mal einen Lottoschein ausgefüllt zu haben, aber das war sicher schon acht oder neun Jahre her. Sollte der bei der Einsendung in die Lottozentrale verloren gegangen sein, irgendwo in der Ablage verstaubt, bis ihn ein gewissenhafter Lottobeamter ihn endlich ausgegraben hatte, recherchiert und herausfand, dass ich zig Jahre lang auf meinen Gewinn warten musste? Ich verwarf diese Möglichkeit: sehr unwahrscheinlich!
„Herr Heinritschi (wieder falsch! wahrscheinlich war er unbelehrbar), Sie haben gewonnen!!!“ wiederholte er, als ob ich es nicht glauben könne – konnte ich auch in der Tat nicht: „Wenn Sie unter der dieser Gewinnhotline anrufen, können Sie Ihren Gewinn abrufen!“ – „Was habe ich denn gewonnen?“, fragte ich, meine Neugierde war geweckt. – „Ja, also, das erfahren Sie dann, wenn Sie bei der Hotline anrufen! Freuen Sie sich denn nicht?!“ – „Na ja, ich kann mich ja nun schlecht über einen Gewinn freuen, von dem ich nicht weiß, was es ist…“, vielleicht hatte ich ja als begeisterter Naturliebhaber einen Porsche gewonnen, oder als Vegetarier einen Fresskorb mit Mettwürsten.
„Ja, ich sage es ja, Herr Heinritschi, rufen sie an, dann erfahren Sie, was sie gewonnen haben!“ – „Aha", sagte ich, „und, was gewinnen denn normalerweise die Leute bei Ihnen?“ – „Ich kann Ihnen ja schon mal die Gewinnhotline durchgeben, Herr Heinritschi…“ Das Herr Heinritschi überhörte ich mittlerweile schon. Wenn mich jetzt jemand fragen würde, wie ich heiße, würde ich es vermutlich genauso aussprechen. „Die Gewinnhotline erreichen Sie unter der Nummer 0180 5 339 239 – für 62 Cent die Minute aus dem deutschen Festnetz. Bitte notieren Sie sich ihren persönlichen ‚Glückstag-Gewinn-Code’: 73358 448 35 68“ – „Danke schön, das werde ich machen!“, sagte ich, legte auf und notierte mir nichts. Natürlich hatte ich überhaupt keine Lust bei einer kostpflichtigen Nummer anzurufen, um dann zu erfahren, dass ich eine Dauerwelle für meine nur wenig vorhandenen Haare oder eine Brustvergrößerung gewonnen habe.
Callcenter: Da kann man ja nur auf dumme Gedanken kommen
Foto: Petiatil
Nach zehn Minuten klingelte wieder das Telefon: „Ja, bitte?“, fragte ich. „Herr Heinritschi, Sie haben ja gar nicht bei der Gewinnhotline angerufen…!“, sagte mein „alter Bekannter" von vorhin in einem leicht vorwurfsvollen Unterton. Ich zuckte innerlich zusammen. „Ja, das stimmt…“, sagte ich nur, und wusste nicht, ob ich mich nun schuldig fühlen sollte. „Wissen Sie, wir bekommen hier im Call-Center sofort ein Feedback, wenn sich ein Gewinner meldet…!“ Natürlich, dachte ich, damit du deine dämliche Provision einheimsen kannst… Ich wurde innerlich immer weniger neugierig auf meinen vermeintlichen Gewinn und überlegte, wo solche Leute denn vor der Erfindung der Call-Center wohl gearbeitet haben. Auf dem Jahrmarkt? Als Gaukler? Als „Wunderdoktor“, der das Heilelixir gegen Magenkrämpfe, unreine Haut und Krampfadern gleichzeitig vertreibt? Ich wünschte mir heimlich den wilden Westen zurück, und überlegte mir, wie ich den Herrn vom Call-Center wohl am besten skalpieren könnte.
„Sind Sie noch da?“, fragte die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ja, ich bin noch da!“, gab ich zurück und fühlte mich bei der Vorstellung, wie ich ihm die Kopfhaut schabte, schon etwas leichter. „Nehmen Sie es nicht persönlich, Herr Heinritschi, Sie erscheinen mir etwas verstockt…!“ – Verstockt?! Wie soll ich das wohl anders nehmen als persönlich! Jetzt spinnt der wohl völlig, dachte ich. Verstockt ist wohl nicht der richtige Ausdruck. Ich werde ja wohl noch selbst entscheiden können, ob, wann und wie ich gewonnen habe. Obwohl… es brachte mich auf einen neuen Einfall: Ich stellte mir den Herrn vom Call-Center jetzt als Falschmünzer im Mittelalter vor. Was hätte man mit so jemandem gemacht? Ich sah mich in der Tracht eines Büttels und malte mir aus, wie ich ihm eben eine Tracht verpasste, aber mit dem STOCK, von wegen „verstockt": Du – wirst – nie – wieder – falsch – münzen – du – Lump, sagte ich bei jedem Hieb. Ich musste laut lachen bei der Vorstellung.
„Herr Heinritschi, lachen Sie?“ – „Ja..!“, sagte ich unter gelachten Tränen: „Ich lache…“ Dann stellte ich mir mich als Doktor Frankenstein vor, wie ich den Call-Center-Menschen in seine Einzelteile zerlegte, ihm den Kopf von Gotthilf Fischer aufsetzte, ihm mit einer Pinzette das Hirn von Paris Hilton einpflanzte und ihm dazu die Beine von Charly Chaplin annähte, natürlich das linke rechts und das rechte links. Dann schloss ich ihn an meine Apparate an und versuchte der Kreatur neues Leben einzuhauchen: biep – biep – biep…
Foto: Siegfried Fries | pixelio.de
Das war das Telefon, er hatte tatsächlich aufgegeben. Schade eigentlich! Seitdem lasse ich immer meinen Anrufbeantworter ausgeschaltet, wenn ich müde von der Arbeit nach Hause komme. Zuweilen sitze ich davor und warte, dass mir wieder jemand verkündet, dass heute mein Glückstag sei. Rufen Sie doch mal an, falls Sie selbst in einem Call-Center arbeiten! (CH)
Online-Flyer Nr. 133 vom 13.02.2008
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Über Glück, Unglück und Glück im Unglück
Mein Glückstag
Von Christian Heinrici
Foto: Claudia Hautumm | pixelio.de
„Ja, hallo…?“ – „Guten Tag, Herr Heinritschi!“ – Das fing ja gut an, dachte ich. Ich habe eine natürliche Abneigung gegen Fremde, die mich durch mein Telefon mit meinem Namen ansprechen – dazu auch noch, wenn sie ihn falsch aussprechen. „Guten Tag, ich heiße HEINRICI, mit C, wie „Zeh“ gesprochen…“ – „Ach, das ist sicher ein italienischer Name…“ – „Nein!“ – „Jugoslawisch…?“ – „Nein!“, sagte ich schon etwas missmutig, wie lange sollte dieses Ratespiel noch weiter gehen?! „Ähm, dann kommt Ihr Name sicher aus…“ Ich beschloss dem Quiz ein Ende zu machen: „Nein, mein Name kommt von der Lateinisierung der deutschen Namen, als im 15. oder 16. Jahrhundert die Nachnamen überhaupt erfunden wurden, und manche Leute ihren Namen – in diesem Fall Heinrich – ins Lateinische übersetzten, Heinrich, lateinisch 1. Person Plural = Heinrici.“ Warum erklärte ich das eigentlich alles? – „Dann hieße es doch HeinriKi…“, warf mein Gesprächspartner vermeintlich besser wissend am anderen Ende der Leitung ein. – „Nein, hieße es nicht, es heißt ja auch nicht Galius Julius Käsar oder KiKero oder sonst wie…“ – Ich werde doch wohl noch wissen, wie mein eigener Name ausgesprochen wird! „Wie heißen Sie denn überhaupt?“, fragte ich zurück.
„Herr Heinrici (diesmal richtig ausgesprochen), heute ist ihr Glückstag!“ – Das war keine Antwort auf meine Frage! Aber, ich muss zugeben, ich kam kurz ins Überlegen. Ich war gerade von der Arbeit nach Hause gekommen, stand vorher zirka zweieinhalb Stunden im Stau, vor meiner Haustüre schnappte mir ein anderer Fahrer die ideale Parklücke weg… was mochte denn heute noch alles kommen: DAS also war mein Glückstag...? Na, schauen wir mal!
„Ja…“, fuhr mein immer noch namenloser Gesprächspartner weiter fort: „Sie haben gewonnen…!“ – Das klang sehr optimistisch, obwohl durchsetzt mit einem leichten Unterton, ein bisschen, als ob er mit einem Dreijährigen spräche. Allerdings konnte ich mich nicht erinnern, irgendwo mitgespielt zu haben. Ich spiele eigentlich aus Prinzip nie, außer mal mit Freunden Karten oder Schach. Natürlich, ich kann mich erinnern, mal einen Lottoschein ausgefüllt zu haben, aber das war sicher schon acht oder neun Jahre her. Sollte der bei der Einsendung in die Lottozentrale verloren gegangen sein, irgendwo in der Ablage verstaubt, bis ihn ein gewissenhafter Lottobeamter ihn endlich ausgegraben hatte, recherchiert und herausfand, dass ich zig Jahre lang auf meinen Gewinn warten musste? Ich verwarf diese Möglichkeit: sehr unwahrscheinlich!
„Herr Heinritschi (wieder falsch! wahrscheinlich war er unbelehrbar), Sie haben gewonnen!!!“ wiederholte er, als ob ich es nicht glauben könne – konnte ich auch in der Tat nicht: „Wenn Sie unter der dieser Gewinnhotline anrufen, können Sie Ihren Gewinn abrufen!“ – „Was habe ich denn gewonnen?“, fragte ich, meine Neugierde war geweckt. – „Ja, also, das erfahren Sie dann, wenn Sie bei der Hotline anrufen! Freuen Sie sich denn nicht?!“ – „Na ja, ich kann mich ja nun schlecht über einen Gewinn freuen, von dem ich nicht weiß, was es ist…“, vielleicht hatte ich ja als begeisterter Naturliebhaber einen Porsche gewonnen, oder als Vegetarier einen Fresskorb mit Mettwürsten.
„Ja, ich sage es ja, Herr Heinritschi, rufen sie an, dann erfahren Sie, was sie gewonnen haben!“ – „Aha", sagte ich, „und, was gewinnen denn normalerweise die Leute bei Ihnen?“ – „Ich kann Ihnen ja schon mal die Gewinnhotline durchgeben, Herr Heinritschi…“ Das Herr Heinritschi überhörte ich mittlerweile schon. Wenn mich jetzt jemand fragen würde, wie ich heiße, würde ich es vermutlich genauso aussprechen. „Die Gewinnhotline erreichen Sie unter der Nummer 0180 5 339 239 – für 62 Cent die Minute aus dem deutschen Festnetz. Bitte notieren Sie sich ihren persönlichen ‚Glückstag-Gewinn-Code’: 73358 448 35 68“ – „Danke schön, das werde ich machen!“, sagte ich, legte auf und notierte mir nichts. Natürlich hatte ich überhaupt keine Lust bei einer kostpflichtigen Nummer anzurufen, um dann zu erfahren, dass ich eine Dauerwelle für meine nur wenig vorhandenen Haare oder eine Brustvergrößerung gewonnen habe.
Callcenter: Da kann man ja nur auf dumme Gedanken kommen
Foto: Petiatil
Nach zehn Minuten klingelte wieder das Telefon: „Ja, bitte?“, fragte ich. „Herr Heinritschi, Sie haben ja gar nicht bei der Gewinnhotline angerufen…!“, sagte mein „alter Bekannter" von vorhin in einem leicht vorwurfsvollen Unterton. Ich zuckte innerlich zusammen. „Ja, das stimmt…“, sagte ich nur, und wusste nicht, ob ich mich nun schuldig fühlen sollte. „Wissen Sie, wir bekommen hier im Call-Center sofort ein Feedback, wenn sich ein Gewinner meldet…!“ Natürlich, dachte ich, damit du deine dämliche Provision einheimsen kannst… Ich wurde innerlich immer weniger neugierig auf meinen vermeintlichen Gewinn und überlegte, wo solche Leute denn vor der Erfindung der Call-Center wohl gearbeitet haben. Auf dem Jahrmarkt? Als Gaukler? Als „Wunderdoktor“, der das Heilelixir gegen Magenkrämpfe, unreine Haut und Krampfadern gleichzeitig vertreibt? Ich wünschte mir heimlich den wilden Westen zurück, und überlegte mir, wie ich den Herrn vom Call-Center wohl am besten skalpieren könnte.
„Sind Sie noch da?“, fragte die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ja, ich bin noch da!“, gab ich zurück und fühlte mich bei der Vorstellung, wie ich ihm die Kopfhaut schabte, schon etwas leichter. „Nehmen Sie es nicht persönlich, Herr Heinritschi, Sie erscheinen mir etwas verstockt…!“ – Verstockt?! Wie soll ich das wohl anders nehmen als persönlich! Jetzt spinnt der wohl völlig, dachte ich. Verstockt ist wohl nicht der richtige Ausdruck. Ich werde ja wohl noch selbst entscheiden können, ob, wann und wie ich gewonnen habe. Obwohl… es brachte mich auf einen neuen Einfall: Ich stellte mir den Herrn vom Call-Center jetzt als Falschmünzer im Mittelalter vor. Was hätte man mit so jemandem gemacht? Ich sah mich in der Tracht eines Büttels und malte mir aus, wie ich ihm eben eine Tracht verpasste, aber mit dem STOCK, von wegen „verstockt": Du – wirst – nie – wieder – falsch – münzen – du – Lump, sagte ich bei jedem Hieb. Ich musste laut lachen bei der Vorstellung.
„Herr Heinritschi, lachen Sie?“ – „Ja..!“, sagte ich unter gelachten Tränen: „Ich lache…“ Dann stellte ich mir mich als Doktor Frankenstein vor, wie ich den Call-Center-Menschen in seine Einzelteile zerlegte, ihm den Kopf von Gotthilf Fischer aufsetzte, ihm mit einer Pinzette das Hirn von Paris Hilton einpflanzte und ihm dazu die Beine von Charly Chaplin annähte, natürlich das linke rechts und das rechte links. Dann schloss ich ihn an meine Apparate an und versuchte der Kreatur neues Leben einzuhauchen: biep – biep – biep…
Foto: Siegfried Fries | pixelio.de
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