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Sport
Der geplagte Fan hält seinem Verein die Treue
Auf Gedeih und Verderb
Von Hermann
Fußball ist kein Freizeitvergnügen
Javier Marias - Anhänger von Real Madrid
Quelle: www.klett-cotta.de
Javier Marías mag dieses Gefühl Angst nennen, bei mir fühlt es sich eher nach Stress an. Fußball ist kein Freizeitvergnügen, dafür ist der Ernst der Lage viel zu umfassend. Und schon recht keine Religion, denn diese wurden einst erschaffen, um Hoffnung zu geben und unerklärliche Dinge für die Menschen irgendwie begreifbar zu machen. Für schlechte Ernten wurden die Götter verantwortlich gemacht, aber ungeachtet dieser bitteren Enttäuschung wurde umso heftiger gebetet, um im kommenden Jahr auf mehr Gnade hoffen zu können.
Obwohl ich schon seit langer Zeit keine Hoffnung mehr aus dem Fußball schöpfen konnte, sehe ich da aber doch eine Parallele zum Sport: Keine Erfahrung kann bitter genug sein, um den geplagten Fan davon abzuhalten, auch in der kommenden Woche seinem Verein die Treue zu halten, auch wenn dieser wieder nur zu einer weiter bitteren Enttäuschung in der Lage ist. Auf dem Weg nach Hause stellt der Anhang erneut fest, dass er die Schnauze „diesmal aber wirklich“ voll hat, der ganze Aufwand sich ja eh nicht lohnt, und man nächste Woche doch lieber zu Hause bleibt. Das geht natürlich nicht, es könnte ja sein, dass beim nächsten Spiel die Wende kommt, der Beginn einer unglaublichen Serie von Siegen, wie sie die Sportwelt noch nicht gesehen hat. So bindet der Glaube an eine reiche Ernte den Fan an seinen Verein, keiner möchte seinen Platz im Paradies durch einen zu frühen Ausstieg riskieren, nächstes mal könnten ja bessere Zeiten anbrechen.
Gleichzeitig grausam und gütig
Später formulierte es Marías noch einmal so: „Man sagt gern, der Fußball sei gleichzeitig grausam und gütig, weil er nur für die Gegenwart von Bedeutung sei und kein Gedächtnis besitze: Der Sieg von gestern ist angesichts der Niederlage von heute bedeutungslos, die ihrerseits nach einem morgigen Sieg vergessen sein wird.“ Das klingt sehr gut, man muss dazu aber wissen, dass Marías von klein auf Anhänger von Real Madrid und damit seit Jahr und Tag dazu verdammt ist, in jedem Wettbewerb um nichts geringeres als den Sieg mitzuspielen. Angst haben kann er wohl, vor einem undankbaren zweiten Platz, einer empfindlichen Niederlage gegen Barcelona oder einem peinlichen Remis gegen Atletico. Aber in seiner Welt kommen keine Abstiege vor. Den Stress und die Schmerzen, die ein Leben mit einer Fahrstuhlmannschaft auslösen, kann er sich vermutlich nicht einmal vorstellen. Denn von einem Abstieg kann ein darauf folgender Kantersieg nicht ablenken, nicht einmal eine Siegesserie. Diese kann höchstens die Hoffnung auf einen baldigen Wiederaufstieg stärken, doch das Wissen, dass bis zum Saisonende noch einiges schief laufen kann, lässt keine uneingeschränkte Jubelstimmung zu. Und selbst, wenn der Aufstieg gelingen sollte, halten überschwängliche Glücksgefühle meist nur über die Sommerpause an, die Sorge vor dem Abstiegskampf löst mit dem ersten Spieltag wieder einen Stress aus, wie fußballferne Menschen ihn sich nicht ausmalen können. Das schlimmste daran ist allerdings das sichere Wissen, dass man diesem teuflischen Treiben auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist.
Keine uneingeschränkte Jubelstimmung
Foto: Milena Fischer-Dünkel
Gesundheitlicher Risikofaktor
Für den Fußballkranken gibt es keine Entgiftung und keine Aussteigerprogramme, Burnout-Syndrome wegen Freizeitstresses stoßen bei Chefetagen und Krankenkassen auf wenig Verständnis. Wer ein dickes Kind sein eigen nennen und darüber hinaus auf viele Herzkrankheiten in der Familie zurückblicken kann, sollte versuchen, seinen Nachwuchs wider besseren Wissens vom FC Bayern zu überzeugen. Zwar wird dieses Kind nie erfahren, wie sich Leid und Leidenschaft in Verbindung mit Sport anfühlen, auf diese Weise ließe sich aber ein nicht unerheblicher gesundheitlicher Risikofaktor ausschließen.
Allen, für die es bereits zu spät ist, und die nun mit den großen Schmerzen und kleinen Freuden leben müssen, die ihnen durch ihre Vereine vergönnt waren, sind und in Zukunft sein werden, wünsche ich einen erfolgreichen Umgang mit dem damit verbundenen Stress, auf dass die meisten von uns das Rentenalter erreichen werden. Javier Marías wünsche ich alles Gute mit seiner Angst vor zu frühem Ausscheiden in der Champions League oder ähnlichen Luxusproblemen. Eins sollte aber klar sein: Wir werden nie wieder bei Null beginnen können. (PK)
Online-Flyer Nr. 134 vom 20.02.2008
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Der geplagte Fan hält seinem Verein die Treue
Auf Gedeih und Verderb
Von Hermann
Fußball ist kein Freizeitvergnügen
Javier Marias - Anhänger von Real Madrid
Quelle: www.klett-cotta.de
Obwohl ich schon seit langer Zeit keine Hoffnung mehr aus dem Fußball schöpfen konnte, sehe ich da aber doch eine Parallele zum Sport: Keine Erfahrung kann bitter genug sein, um den geplagten Fan davon abzuhalten, auch in der kommenden Woche seinem Verein die Treue zu halten, auch wenn dieser wieder nur zu einer weiter bitteren Enttäuschung in der Lage ist. Auf dem Weg nach Hause stellt der Anhang erneut fest, dass er die Schnauze „diesmal aber wirklich“ voll hat, der ganze Aufwand sich ja eh nicht lohnt, und man nächste Woche doch lieber zu Hause bleibt. Das geht natürlich nicht, es könnte ja sein, dass beim nächsten Spiel die Wende kommt, der Beginn einer unglaublichen Serie von Siegen, wie sie die Sportwelt noch nicht gesehen hat. So bindet der Glaube an eine reiche Ernte den Fan an seinen Verein, keiner möchte seinen Platz im Paradies durch einen zu frühen Ausstieg riskieren, nächstes mal könnten ja bessere Zeiten anbrechen.
Gleichzeitig grausam und gütig
Später formulierte es Marías noch einmal so: „Man sagt gern, der Fußball sei gleichzeitig grausam und gütig, weil er nur für die Gegenwart von Bedeutung sei und kein Gedächtnis besitze: Der Sieg von gestern ist angesichts der Niederlage von heute bedeutungslos, die ihrerseits nach einem morgigen Sieg vergessen sein wird.“ Das klingt sehr gut, man muss dazu aber wissen, dass Marías von klein auf Anhänger von Real Madrid und damit seit Jahr und Tag dazu verdammt ist, in jedem Wettbewerb um nichts geringeres als den Sieg mitzuspielen. Angst haben kann er wohl, vor einem undankbaren zweiten Platz, einer empfindlichen Niederlage gegen Barcelona oder einem peinlichen Remis gegen Atletico. Aber in seiner Welt kommen keine Abstiege vor. Den Stress und die Schmerzen, die ein Leben mit einer Fahrstuhlmannschaft auslösen, kann er sich vermutlich nicht einmal vorstellen. Denn von einem Abstieg kann ein darauf folgender Kantersieg nicht ablenken, nicht einmal eine Siegesserie. Diese kann höchstens die Hoffnung auf einen baldigen Wiederaufstieg stärken, doch das Wissen, dass bis zum Saisonende noch einiges schief laufen kann, lässt keine uneingeschränkte Jubelstimmung zu. Und selbst, wenn der Aufstieg gelingen sollte, halten überschwängliche Glücksgefühle meist nur über die Sommerpause an, die Sorge vor dem Abstiegskampf löst mit dem ersten Spieltag wieder einen Stress aus, wie fußballferne Menschen ihn sich nicht ausmalen können. Das schlimmste daran ist allerdings das sichere Wissen, dass man diesem teuflischen Treiben auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist.
Keine uneingeschränkte Jubelstimmung
Foto: Milena Fischer-Dünkel
Gesundheitlicher Risikofaktor
Für den Fußballkranken gibt es keine Entgiftung und keine Aussteigerprogramme, Burnout-Syndrome wegen Freizeitstresses stoßen bei Chefetagen und Krankenkassen auf wenig Verständnis. Wer ein dickes Kind sein eigen nennen und darüber hinaus auf viele Herzkrankheiten in der Familie zurückblicken kann, sollte versuchen, seinen Nachwuchs wider besseren Wissens vom FC Bayern zu überzeugen. Zwar wird dieses Kind nie erfahren, wie sich Leid und Leidenschaft in Verbindung mit Sport anfühlen, auf diese Weise ließe sich aber ein nicht unerheblicher gesundheitlicher Risikofaktor ausschließen.
Allen, für die es bereits zu spät ist, und die nun mit den großen Schmerzen und kleinen Freuden leben müssen, die ihnen durch ihre Vereine vergönnt waren, sind und in Zukunft sein werden, wünsche ich einen erfolgreichen Umgang mit dem damit verbundenen Stress, auf dass die meisten von uns das Rentenalter erreichen werden. Javier Marías wünsche ich alles Gute mit seiner Angst vor zu frühem Ausscheiden in der Champions League oder ähnlichen Luxusproblemen. Eins sollte aber klar sein: Wir werden nie wieder bei Null beginnen können. (PK)
Online-Flyer Nr. 134 vom 20.02.2008
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