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Medien
Tabuthema Uranmunition – warum spielen unsere Medien da mit?
Das leise Sterben nach dem Krieg
Von Dr. Sabine Schiffer

Über die Gefahren von Uranmunition debattierten deutsche Medien zuletzt vor sieben Jahren. Seitdem herrscht nahezu Schweigen – obwohl USA und Nato die umstrittenen Geschosse weiter in Kriegen verwenden. Warum das so ist – dieser Frage ist Dr. Sabine Schiffer, Gründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen, nachgegangen. – Die Redaktion
Im Januar 2001 führten deutsche Medien wochenlang eine aufgeregte Debatte über den Einsatz von Uranmunition, vor allem bestehend aus abgereichertem Uran (DU). Der Spiegel berichtete ausführlich über die »geheimen Gefahren der Uran-Munition« und den »tödlichen Staub«, den sie hinterlasse und der sowohl die eigenen Soldaten als auch die Bewohner der Einsatzgebiete schädige (3/01, 4/01). Alle Tageszeitungen und Hauptnachrichtensendungen waren dabei. Verteidigungsminister Rudolf Scharping stand unter massivem Druck.

Es war das letzte Mal, dass die breite Öffentlichkeit mit diesem Thema behelligt wurde: Wenig später verschwand es in der Versenkung. Ein einflussreiches Medium hatte vehement für die Beendigung der Diskussion gekämpft: Die Zeit. Gero von Randow, damals Politikredakteur und heute Chefredakteur von Zeit Online, rügte die Journalistenkollegen als »Panikmacher« (3/2001). Die Verknüpfung von Uranmunition und diversen Krankheitsbildern wies er zurück; die Radartechnik stelle ein größeres Risiko für die Soldaten dar als DU.


Verwitterte Uranmunition

Interessant dabei ist, dass auch der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber der Zeit, Theo Sommer, bei dem Thema eine Rolle spielte – und zwar eine durchaus politische. Sommer, zu jener Zeit Editor-at-large und Beiratsmitglied der Zeit, war für Rudolf Scharping offenbar eine solche Vertrauensperson, dass er von ihm im Januar 2001 als Chef einer Kommission eingesetzt wurde, die die Gefährlichkeit der Uranmunition untersuchen sollte. Der »Arbeitsstab Dr. Sommer« – darin noch FAZ-Kollege Nikolas Busse, ein Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und eine ganze Reihe Militärs – wertete vorhandene Literatur und Akten aus, führte Interviews mit Experten und gab im Juni Entwarnung. Gern schrieb Gero von Randow in der Zeit ausführlich darüber (»Die Blamage der Alarmisten«, 26/2001), denn die Zeit hatte es ja schon ein halbes Jahr vorher gewusst.

Alphastrahler mit geringer Reichweite

Dass Uranmunition tonnenweise im Irak 1991 und 2003, auf dem Balkan 1995 und 1999 und in Afghanistan seit 2001 verschossen wurde und wird, bestreitet inzwischen – anders als Anfang der 90er Jahre – niemand mehr. Laut Pentagon und Uno wurden 1991 im Golfkrieg zwischen 330 und 375 Tonnen Uranmunition eingesetzt, im Irakkrieg seit 2003 2.200 Tonnen. Für Kosovo, Bosnien und Serbien schwanken die Angaben der Nato zwischen 11 und 20 Tonnen.


Kind mit bösartiger Neubildung durch Uranmunition

Für Afghanistan gibt es keine offiziellen Stellungnahmen. Für Somalia und den Libanon 2006 wird die Anwendung bestritten. Im Falle des Libanon deuten Untersuchungen von Explosionstypen und Kratern auf den Einsatz uranhaltiger Munition hin, wie der britische Independent berichtete (28.10.2006).

Die Frage ist freilich: Wie groß ist die Gefahr für Mensch und Umwelt? Schließlich handelt es sich bei DU um einen sogenannten Alphastrahler mit extrem geringer Reichweite. Schon in einem Meter Abstand sinkt die Strahlung auf schwer messbare Werte.

Die Vertreter der Ungefährlichkeitsthese (Pentagon, Nato, Bundesregierung, das Labor Spiez in der Schweiz) gehen von folgendem Szenario aus: Wenn man das bei der Verbrennung entstehende Gas nicht direkt während der Explosion einatmet, dann besteht keine Gefahr. Eine chemische Vergiftung mit dem Schwermetall DU sei gravierender als mögliche Auswirkungen durch Radioaktivität.

Die Vertreter der Gefährlichkeitsthese (etwa das Uranium Medical Research Center in Kanada) hingegen weisen darauf hin, dass die schwach radioaktiven Partikel in den Körper gelangen und auf verschiedene Organe wirken können. Bereits 1998 hatte das National Institute of Health der USA eine Untersuchung veröffentlicht, die einen Zusammenhang zwischen abgereichertem Uran und Krebserkrankungen zeigte: eine geringe Menge Alpha-Teilchen reiche aus, um aus Knochenzellen Krebszellen entstehen zu lassen.


Durch Uranmunition an Leukämie erkrankt

»Die unbequemste Wahrheit überhaupt«

Nach der Studie des »Arbeitsstabes Dr. Sommer« noch der Gefährlichkeitsthese nachzugehen, ist für Journalisten kein besonders karriereträchtiges Unterfangen. Das erfuhr der Kölner Filmemacher Frieder Wagner, der zusammen mit Valentin Thurn für den WDR den Dokumentarfilm »Der Arzt und die verstrahlten Kinder von Basra« drehte.

Wagners Kronzeuge ist der deutsche Tropenarzt und Epidemiologe Prof. Dr. Siegwart-Horst Günther, der 1991 als Erster auf das Problem aufmerksam wurde. Im Universitätskrankenhaus von Bagdad waren ihm Menschen mit Krankheitssymptomen aufgefallen, die er in den 40 Jahren seiner Arbeit im Irak noch nie gesehen hatte: missgebildete Säuglinge, die bald starben; schwere Störungen der Nieren- und Leberfunktion; Krebs; genetische Schäden. Als Günther ein Geschoss aus dem Irak nach Berlin zur Untersuchung brachte, empfing ihn ein Spezialkommando der Polizei in Schutzkleidung und verschloss das Projektil in einem Spezialbehälter; Günther wurde wegen »Freisetzung ionisierender Strahlung« zu einer Geldstrafe verurteilt. 2003 kehrte er in den Irak zurück, in Basra stand er wieder vor denselben Problemen.

Nach der Erstausstrahlung im WDR-Spätprogramm (26.4.2004, 22.30 Uhr) wurde der Film einmal auf Phoenix wiederholt, dann war Ruhe. Folgeaufträge bekam Wagner nicht. Von anderer Seite wurde er geehrt: Er bekam den Europäischen Fernsehpreis der Ökomedia 2004 und etliche Einladungen, den Film auf Konferenzen und Podiumsdiskussionen zu zeigen, unter anderem beim UN-Menschenrechtsrat in Genf. Wagner erweiterte die Doku fürs Kino; diese Fassung mit dem Titel »Deadly Dust« war auf der Berlinale 2007 für den Preis »Cinema for Peace« nominiert.


An morbus guenter erkranktes Kind
Bilder: www.friedenskooperative.de

Wagner hat dennoch einen Spießrutenlauf hinter sich und sagt heute: »Uranmunition und die Folgen ist die wohl unbequemste Wahrheit überhaupt. Die Klimakatastrophe können wir rückgängig machen, wenn der politische Wille da wäre, die Folgen von DU nicht. Deshalb wird diese Wahrheit über Risiken durch Strahlung systematisch verschwiegen oder verharmlost.«

Ein Haufen Indizien
Es gibt eine ganze Reihe von Indizien, die darauf hindeuten, dass die Dr.-Sommer-Studie nicht der Weisheit letzter Schluss gewesen ist:

■ Nach den Atombombentests auf dem Bikini-Atoll (durch die USA) und in Polynesien (durch Frankreich) gab es unter den nicht evakuierten Bewohnern der umliegenden Pazifikinseln eine Zunahme diverser Krankheitsbilder, Missbildungen und Fehlgeburten. Diese ähneln heutigen Diagnosen sowohl von Zivilisten aus dem Irak und Afghanistan sowie von Kriegsveteranen aus jenen Konfliktzonen.

■ Im Irak haben die Missbildungen bei Babys dramatisch zugenommen. Während 1991 im Schnitt 3 von 1.000 Kindern mit Defekten zur Welt kamen, waren es 2001 schon 22 pro 1.000 – mit Schwerpunkt im damals heftig umkämpften Süden des Irak, so die britische Organisation Child Victims of War. Die besonders hohen Zahlen im Süden deuten auf eine Umweltbelastung hin und lassen sich nicht mit einer allgemein schlechten Gesundheitsversorgung durch Embargo oder Krieg erklären.

■ Etliche interne Papiere des Pentagon verweisen auf ein erhöhtes Gefährdungspotenzial. Es gibt sogar ein Trainingsvideo für US-Soldaten zum »schadlosen Verhalten beim Umgang mit radioaktiver Munition« von 1995 (Titel: »Heavy Metal Toxicity«), das jedoch nicht eingesetzt wird.

■ Der ehemalige Verantwortliche des Pentagon für den Einsatz von DU-Munition ist heute entschiedener Gegner: Colonel Douglas Rokke und sein Team wurden nach dem Golfkrieg 1991 zu Dekontaminationszwecken in den Irak geschickt. Er berichtet, dass er und alle anderen innerhalb von 72 Stunden nach Einsatzbeginn erkrankten – trotz Schutzkleidung. Nach zwei Jahren starben die Ersten aus dem Team (Spiegel 3/2001).

■ Noch ein ehemaliger Pentagon-Mitarbeiter hat die Seiten gewechselt: Der Arzt Asaf Durakovic untersuchte jahrelang Soldaten, die am »Golfkriegssyndrom« litten. Als er öffentlich die Vermutung äußerte, dass die Uranmunition Ursache allen Leidens sein könnte, wurde er entlassen. 1995 gründete er in Kanada das unabhängige Uranium Medical Research Center.

■ Kürzlich erschien das Buch »Afghanistan after Democracy« von Mohammed Daud Miraki, einem afghanischstämmigen US-Politikwissenschaftler. Er bringt seine Fotos missgebildeter Neugeborener in Zusammenhang mit DU-Munition.

■ Verteidigungsminister Rudolf Scharping hatte 2001 die Gefährdung der Soldaten im Kosovo durch Uranmunition für »vernachlässigbar« erklärt und sich dabei auf eine Untersuchung des GSF-Forschungszentrums in Neuhardenberg gestützt, die er selbst in Auftrag gegeben hatte. Das GSF hatte Urinproben von Soldaten analysiert. Solche Messungen seien nicht verlässlich, wenn sie in einem zu kurzen Zeitraum nach der Kontamination vorgenommen würden, kritisiert Dr. Gina Mertens von der Organisation Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW).

■ Selbst im GSF hat inzwischen ein Umdenken eingesetzt. Einer der Forscher sagt in Frieder Wagners Kino-Doku: »Wir haben in Laborversuchen untersucht, wie sich solches Uran-Material in simulierter Lungenflüssigkeit verhält. Und auch für uns etwas überraschend waren die Ergebnisse (...). Ein gewisser Teil dieses Materials, etwa ein Drittel, löst sich sehr rasch auf (...). Der andere Teil, etwa zwei Drittel, löst sich entweder nur sehr langsam oder vielleicht auch gar nicht auf. Solange es in der Lunge ist, strahlt es natürlich weiter, und je länger es in der Lunge ist, (...) umso höher ist die resultierende Strahlendosis.«

■ Im Februar 2004 erkannte ein britisches Gericht an, dass die Erkrankungen des Golfkriegsveteranen Kenny Duncan und die Chromosomenschäden seiner Kinder auf eingeatmeten Uranstaub zurückzuführen seien (BBC News 3.2.2004).

»Gezielte Desinformationskampagne«

Warum ignorieren also die Mainstream-Medien diese Fülle von Indizien? Das Thema dürfte schließlich alle Kriterien eines hohen Nachrichtenwertes erfüllen.

Es gibt offenbar Unbehagen in deutschen Redaktionen. Von einem eigenartigen Erlebnis berichtete Dr. Angelika Claussen, die Vize-Vorsitzende der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW), auf dem IPPNW-Kongress 2004 in Berlin. Im Januar 2003 habe sie als Teilnehmerin einer Friedensdelegation das Mutter-Kind-Hospital in Basra besucht und sei anschließend nach Bagdad zurückgekehrt. »Der ZDF-Reporter, der mich interviewte, meinte vorab: ‚Kommen Sie bloß nicht damit, dass die Ursache für die vielen an Leukämie erkrankten Kinder etwas mit DU zu tun haben könnte. Das wird unser Sender auf keinen Fall bringen!‘« (nachzulesen unter http://www.ippnw.de/Frieden/Uranmunition/)

Klar ist, dass mächtige Institutionen kein Interesse an einer Diskussion des Themas haben. Denn das internationale Recht sieht vor: Für die Beseitigung von Kriegsmaterial, vergifteten Böden und Wasser sind die Verursacher verantwortlich. Für zivile Opfer müssten sie sich vor dem Internationalen Gerichtshof verantworten.

Der Kanadier Dr. Pjotr Bein hat auf der Internationalen Urankonferenz in Hamburg 2003 zwei Strategien aufgezeigt, wie Nato und US-Führung versuchen würden, der Verantwortung für den Einsatz radioaktiver Massenvernichtungswaffen zu entgehen. Er spricht von einer »gezielten Desinformationskampagne«.

Der erste Teil der Strategie sei die Forderung nach einem monokausalen Beweis für einen Zusammenhang zwischen dem Vorkommen von abgereichertem Uran und den Erkrankungen. Der zweite Teil sei es, eine Forderung nach Ächtung der Waffen zuzulassen, wie sie etwa von der International Coalition to Ban Uranium Weapons (ICBUW) erhoben wird. Denn eine solche Forderung setzt niedriger an als bereits geltendes Recht: Laut Menschen- und Völkerrecht, der Genfer und Haager Konvention sind solche Waffen illegal, die über konkrete Kampfhandlungen hinaus Menschenleben kosten. Suggeriert man aber, dass diese Waffen erst geächtet werden müssen, dann hat das die logische Konsequenz, dass die Langzeitfolgen erst zweifelsfrei nachgewiesen werden müssen. Die dazu notwendigen systematischen Untersuchungen wisse man zu verhindern.

Entsprechend schloss eine Stellungnahme von kritischen Ärzten und Wissenschaftlern über die Folgen von DU-Munition 2004 mit dem Fazit: »Es ist aus ärztlicher Sicht zu kritisieren, dass wissenschaftliche Untersuchungsmethoden zu Uranmunition nicht in den regierungsamtlichen Forschungen angewandt werden. So entsteht der Eindruck, dass die von der US-amerikanischen und der britischen Regierung durchgeführten Studien nicht der Aufklärung, sondern der Verschleierung dienen.« Erhärtet werde dies dadurch, dass sich der Uno-Sicherheitsrat auf Druck der USA 2001 geweigert habe, systematische Studien der WHO zur Ursachenaufklärung der Kinderkrebserkrankungen im Irak durchführen zu lassen.

Zusätzlich zur Behinderung der Aufklärung spielt sicher auch die Selbstreferenzialität der Medien eine Rolle. Als ich die Nahost-Korrespondentin einer renommierten deutschen Wochenzeitung im Februar 2007 am Rande einer Konferenz fragte, ob sie zu einem möglichen Einsatz von Uranmunition im Süden des Libanon recherchiere, gab sie zur Antwort: »Wenn das ein relevantes Thema wäre, dann würden die Medien ja darüber berichten.«

Einige berichten freilich noch: Randgazetten wie Junge Welt, Neues Deutschland und Zeit-Fragen, Internetmedien wie telepolis.de und politblog.net. Doch nur selten taucht etwas im Mainstream auf. (PK)..

Dr. Sabine Schiffers hier leicht gekürzter Beitrag erschien zuerst in der internationalen Zeitschrift für Journalismus MESSAGE unter www.message-online.com/

Online-Flyer Nr. 137  vom 12.03.2008

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