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Kultur und Wissen
Der Zug der Erinnerung macht Halt in Köln
Station Nr. 43 mit Domblick
Von Anneliese Fikentscher
Bild: arbeiterfotografie.com
„Wir haben in Köln sicherlich einen der prominentesten Standorte auf der gesamten bisherigen Reise gehabt – gegenüber des Doms – in der Nähe und in einem Blickkontakt mit der (von Gunter Demnig gestalteten) Schwelle, die von der Initiative „Die Bahn Erinnern“ mit viel Mut viel Entschlossenheit vor geraumer Zeit gelegt worden ist. Und das Echo, das die Ausstellung im Zug gefunden hat, war so groß, dass es sicherlich noch viele Tage hätte weitergehen können“, äußert sich Hans-Rüdiger Minow, Sprecher der Vereinigung „Zug der Erinnerung“, im Rückblick auf den Aufenthalt des Zuges vom 13. bis 15. März 2008 im Kölner Hauptbahnhof.
Der örtliche Vorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA), Peter Trinogga, einer der Mitinitiatoren für den Aufenthalt in Köln, drückt seine Zufriedenheit über die Besucherzahl aus. 7500 Menschen an drei Tagen sei schon eine beachtliche Besucherzahl. Zudem müsse man bedenken, dass womöglich noch mehr Schulklassen das Angebot genutzt hätten, wenn der Termin nicht relativ ungünstig zwei Tage vor Ferienbeginn gelegen hätte.
Beteiligte und Ausstellungsprogramm
Hauptveranstalter für Köln ist das NS-Dokumentationszentrum der Stadt unter Mitwirkung des regionalen DGB, der Initiative „Die Bahn Erinnern“, der Emmaus-Gemeinschaft, des „Gedenk- und Lernort Jawne“, der Kölnischen Gemeinde für christlich-jüdische Zusammenarbeit, IG Metall Köln, Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Köln, Melanchton-Akademie, Rom e.V., Verdi Köln, Verein EL-DE-Haus und der VVN.
Nun war das NS-Dok zum Zuge gekommen wie die Jungfrau zum Kinde: Im November 2007 gab es noch die Zusage zur Unterstützung bei der Ausgestaltung der regionalen Ausstellung. Dass aber die Hauptfinanzierung, die vom Kölner Kulturausschuss im Februar 2008 gebilligt wurde, letztlich dem Haushalt des NS-Dok nun wieder entzogen werden soll, kann nur bedingt im Interesse der Gedenkstätte sein.
Die Weigerung der DB, sich als Rechtsnachfolger der Reichsbahn ihrer Vergangenheit und deren Aufarbeitung zu stellen, brachte den Zug erst ins Rollen. Hans-Rüdiger Minow: „Das ist das Ergebnis unserer Überlegungen, wie wir die Verbote der Bahn AG, die von ihrem Hausrecht Gebrauch gemacht hat, umgehen können. Anfangs haben wir gefordert, es solle überhaupt ein Gedenken stattfinden... Wir standen da, hatten ein paar Plakate in der Hand und nichts weiter und haben einfach nur gesagt, wir wünschen uns, wir appellieren an die Bahn AG, eine Ausstellung zu zeigen. Das hat man eine Weile toleriert, dass wir in Frankfurt auf dem Hauptbahnhof gestanden haben, hier und dort auf den Hauptbahnhöfen standen, und dann war klar: irgend wann ist Schluss. Und dann hat die Bahn AG am 27. Januar 2007 am Auschwitz-Gedenktag zum ersten Mal gegen Mitglieder der Bürgerinitiativen Gewalt eingesetzt – in dem Fall in Göttingen, die ganz harmlos im Bahnhof gestanden haben und nichts weiter getan haben, als die Fotos zu zeigen. Die sind ihnen herunter gerissen worden.“
Gerade die Kölner sollten ihr Gedächtnis auffrischen...
Aus der Präsentation des NS-Dokumentationszentrum
Rund 11.000 jüdische Kinder sind von 1942 bis 1944 allein aus Frankreich nach Auschwitz in den Zügen der Deutschen Reichsbahn deportiert worden. Die Deutsche Bahn, als Rechtsnachfolgerin der Reichsbahn, erinnere aber in ihren Bahnhöfen nicht an dieses Ereignis, lautet der Vorwurf von Beate Klarsfeld [1].
Mediale Umsetzung
Mit der Fahrt über das (noch) im öffentlichen Besitz befindliche deutsche Schienennetz hat der – aus der Not entwickelte – mediale Charakter eine gewaltige und neue Dimension erhalten, und das betrifft nicht nur die von der Bahn AG auferlegten Kosten. Rüdiger Minow: „Im Grunde ist alles ganz einfach: wir sind durch die Vordertür der Bahnhöfe gekommen, haben appelliert an den Bahnvorstand, eine Ausstellung zuzulassen, das Gedenken zuzulassen. Das hat man uns verboten. Und daraufhin haben wir gesagt: Wenn wir da nicht reinkommen, dann kommen wir über die Schienen. Es ist in der Bundesrepublik immer noch so, dass das Schienennetz uns allen gehört und dass wir über die Schienen auch den Anspruch haben, auf den Bahnhöfen zu halten. Dann sind wir zwar wieder auf den Bahnhöfen, und der Bahnsteig gehört der Bahn AG, er ist zwar öffentliches Eigentum aber er ist nicht öffentlicher Besitz. Da haben wir es dann mit der Bahn AG zu tun. Aber auch das Ein- und Aussteigen ist erlaubt, denn sonst hätte die Nutzung des öffentlichen Schienennetzes gar keinen Sinn. Sonst müsste man immer nur umherfahren und dürfte nirgendwo anhalten... Und diese gesetzliche Regelung, die etwas mit dem öffentlichen Eigentum zu tun hat, die haben wir uns zu nutze gemacht und fahren seitdem mit dem Zug in die Bahnhöfe rein.“
Die Bundesbahn rechnet ab...
Ausriss aus der Rechnung der DB-AG für die Ausstellung (Kosten November)
Opfer und Täter
Das Gedenken findet nun an damaligen Orten der Deportationen in einem zum aktiven Museum gestalteten Zug statt. Mit einem überregionalen Teil und einer stets wechselnden ortsbezogenen Ausstellung über das Schicksal der Deportierten wächst die Zahl Opfer, derer gedacht werden soll, damit weit hinaus über die von Klarsfeld betrachteten 11.000 französischen verschleppten und ermordeten Kinder und Jugendlichen. In den Blickwinkel geraten die verschiedenen Opfergruppen, wie auch die Zwangsarbeiter.
Der Anteil der regionalen Sonderausstellung wurde von der Initiative „Die Bahn erinnern“, dem Gedenk- und Lernort Jawne und dem NS-Dokumentationszentrum unter der Leitung von Dr. Werner Jung aus umfangreicher Zeitzeugenbefragung und Forschungsarbeit bestritten – unter Mitwirkung von Dieter Maretzky und Martin Rüther sowie vielen Helferinnen und Helfern vor Ort, die Führungen durch die Ausstellung vornahmen oder einfach nur als unterstützende Kraft im Gedränge.
Aus der Präsentation des NS-Dokumentationszentrum
Viele Besucher verließen emotional bewegt die Waggons, auch weil sie über die Dienstbeflissenheit der Täter erschüttert waren. Neben den an der Spitze stehenden Organisatoren der Reichsbahn Ganzenmüller und Dorpmüller, die für den reibungslosen Ablauf zu sorgen hatten, wurde im Zusatzprogramm von „Die Bahn erinnern“ die Aufmerksamkeit auch auf die Rolle der pflichtbewussten „kleinen Bahnmitarbeiter“ gerichtet, die weit davon entfernt waren, sich etwaigem Unrecht zu widersetzen. „Über die auf meinem Bahngelände gefundenen Leichen habe ich ordnungsgemäß Aktenvorgänge angelegt. Die Akten gingen dann nach oben an die Direktion. Damit hatte ich meine Pflicht erfüllt“, berichtet trocken Hans Pitsch, der während des Krieges Bahnhofsvorsteher im polnischen Bialystok und noch in den 80er Jahren Bahnhofsvorsteher in Münster war.
Foto: HD Hey gesichter zei(ch/g)en
Aus lebendiger Geschichte lernen
Die Kölner Bürgermeisterin Angela Spizig erwähnte während ihrer Eröffnungsrede – an ihrem Manuskript vorbei – eine Kritik, die sie erreicht hatte und die vor alleiniger Rückwärtsgewandtheit warnte. Sie wolle diese Kritik mit einem „geharnischten Brief“ beantworten. Natürlich ist von Bedeutung, was insbesondere die jungen Besucher als Eindrücke und als Impuls für ihr eigenes Verhalten in einer ähnlichen Situation mit auf den Weg nehmen. Eines sollte aber nicht passieren – wie Peter Gingold, 2004 verstorbenes Mitglied des Auschwitz-Komitees es 1999 anlässlich des Krieges gegen Jugoslawien unter deutscher Beteiligung beschwört: „Ich habe Angehörige, die in Auschwitz vergast worden sind – wir alle sind fassungslos, dass Auschwitz dafür missbraucht wird, einen Bombenterror, einen Angriffskrieg gegen Jugoslawien, zu rechtfertigen. Dieses Land wird in die Steinzeit zurückgebombt, und es wird genau das Gegenteil erreicht von dem, was man wollte, nämlich den Schutz der Bevölkerung.“
„Deportation in Würzburg" – bewegendes Bild auf Zug der Erinnerung
Foto: HD Hey gesichter zei(ch/g)en
Der zu diesem Zeitpunkt 83jährige bezeichnete es als „Infamie, daß die Toten von Auschwitz dazu missbraucht werden, den Krieg gegen Jugoslawien ideologisch zu rechtfertigen.“ Die Losung der aus den Konzentrationslagern Befreiten sei schließlich auch „Nie wieder Krieg gewesen“. Gingold erzürnte sich mit Blick auf die damaligen Minister Fischer und Scharping: „Die erste Auschwitz-Lüge besteht doch darin, überhaupt zu leugnen, daß es Gaskammern gegeben hat. Und die neue Auschwitz-Lüge besteht darin, daß man Auschwitz nicht mehr leugnet, sondern verharmlost und banalisiert.“ (philtrat, 5/1999, Universität Köln)
Letzte Wegstrecke nach Auschwitz
Der Zug und die BegleiterInnen bereiten sich zur Zeit auf die letzte große Wegstrecke vor. Man müsse vieles aufarbeiten – so der Sprecher Hans-Rüdiger Minow für den Verein „Zug der Erinnerung“, der sich als „ein Projekt deutscher Bürgerinitiativen“ versteht: „Wir bereiten uns auf die nächste große Etappe vor, die über Hamburg, durch ganz Norddeutschland, Bremen, Kiel und dann weiter nach Brandenburg und Berlin geht.“ Am Ostermontag wird bis zum 29. März in Hamburg Station gemacht. Vorgesehen war, dort ebenfalls im Hauptbahnhof einzulaufen. Dass dies – leider nur am Ostermontag möglich sein kann, ist zumindest als Teilerfolg zu werten und gelang nur aufgrund scharfer Proteste der Hamburger Initiative mit Unterstützung von bekannten Persönlichkeiten.
Der Vorsitzende des DGB Nord, Peter Deutschland, hatte in einem Brief Hartmut Mehdorn aufgefordert, alles zu tun, damit der „Zug der Erinnerung“ auf dem Hamburger Hauptbahnhof der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könne, die Deportationen seien schließlich auch in aller Öffentlichkeit durchgeführt worden. Die verbleibenden fünf Tage steht der Zug nun entgegen der vorgesehenen Bahnrestriktionen mit deutlich erweiterten Öffnungszeiten von 9 bis 19:30 Uhr im Bahnhof Hamburg-Altona.
Auf die Frage, ob der Zug planmäßig am 8. Mai zum Tag des Kriegsendes und der Befreiung in der Gedenkstätte Auschwitz eintreffen werde, heißt es, dass selbst wenn „noch mehr Knüppel auf die Schienen“ gelegt werden, „mit Sicherheit davon auszugehen“ ist. Hans-Rüdiger Minow: „Es werden 100 bis 130 Jugendliche aus allen Städten, die der Zug angefahren hat – also aus allen Deportationsorten, sich am 5. Mai in Görlitz treffen, und dort wird es eine Abschlussveranstaltung für die Fahrt in Deutschland geben. Der Zug wechselt anschließend auf die polnische Seite und wird zur Gedenkstätte Auschwitz fahren. Da wird er am 7. Mai spätestens ankommen und am 8. Mai wird all das stattfinden, worauf wir von Anfang an hingearbeitet haben: nämlich den deportierten Kindern und Jugendlichen aus Deutschland und aus ganz Europa endlich einen angemessenen Ort des Gedenkens zu geben.“ (CH)
Lesen Sie auch das Gedicht der Deportierten Selma Meerbaum-Eisinger in dieser Ausgabe der NRhZ
Weitere Bilder und Töne vom Zug der Erinnerung:
Besucherschlangen bei Kölner Ausstellung
Foto: HD Hey gesichter zei(ch/g)en
Der Zug von innen | Foto: HD Hey gesichter zei(ch/g)en
Der Zug – gestern und heute | Foto: HD Hey gesichter zei(ch/g)en
Kofferinstalation von „Die Bahn erinnern" vor Eingang zum Ausstellungszug
Foto: HD Hey gesichter zei(ch/g)en
„Von Ghetto zu Ghetto“
Gekonnt improvisiert von: Klaus der Geiger, Verena Guido, Bernd Eul:
( Foto: HD Hey gesichter zei(ch/g)en)
... und hier kann man es hören!
Online-Flyer Nr. 139 vom 22.03.2008
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Kultur und Wissen
Der Zug der Erinnerung macht Halt in Köln
Station Nr. 43 mit Domblick
Von Anneliese Fikentscher
Bild: arbeiterfotografie.com
Der örtliche Vorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA), Peter Trinogga, einer der Mitinitiatoren für den Aufenthalt in Köln, drückt seine Zufriedenheit über die Besucherzahl aus. 7500 Menschen an drei Tagen sei schon eine beachtliche Besucherzahl. Zudem müsse man bedenken, dass womöglich noch mehr Schulklassen das Angebot genutzt hätten, wenn der Termin nicht relativ ungünstig zwei Tage vor Ferienbeginn gelegen hätte.
Beteiligte und Ausstellungsprogramm
Hauptveranstalter für Köln ist das NS-Dokumentationszentrum der Stadt unter Mitwirkung des regionalen DGB, der Initiative „Die Bahn Erinnern“, der Emmaus-Gemeinschaft, des „Gedenk- und Lernort Jawne“, der Kölnischen Gemeinde für christlich-jüdische Zusammenarbeit, IG Metall Köln, Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Köln, Melanchton-Akademie, Rom e.V., Verdi Köln, Verein EL-DE-Haus und der VVN.
Nun war das NS-Dok zum Zuge gekommen wie die Jungfrau zum Kinde: Im November 2007 gab es noch die Zusage zur Unterstützung bei der Ausgestaltung der regionalen Ausstellung. Dass aber die Hauptfinanzierung, die vom Kölner Kulturausschuss im Februar 2008 gebilligt wurde, letztlich dem Haushalt des NS-Dok nun wieder entzogen werden soll, kann nur bedingt im Interesse der Gedenkstätte sein.
Die Weigerung der DB, sich als Rechtsnachfolger der Reichsbahn ihrer Vergangenheit und deren Aufarbeitung zu stellen, brachte den Zug erst ins Rollen. Hans-Rüdiger Minow: „Das ist das Ergebnis unserer Überlegungen, wie wir die Verbote der Bahn AG, die von ihrem Hausrecht Gebrauch gemacht hat, umgehen können. Anfangs haben wir gefordert, es solle überhaupt ein Gedenken stattfinden... Wir standen da, hatten ein paar Plakate in der Hand und nichts weiter und haben einfach nur gesagt, wir wünschen uns, wir appellieren an die Bahn AG, eine Ausstellung zu zeigen. Das hat man eine Weile toleriert, dass wir in Frankfurt auf dem Hauptbahnhof gestanden haben, hier und dort auf den Hauptbahnhöfen standen, und dann war klar: irgend wann ist Schluss. Und dann hat die Bahn AG am 27. Januar 2007 am Auschwitz-Gedenktag zum ersten Mal gegen Mitglieder der Bürgerinitiativen Gewalt eingesetzt – in dem Fall in Göttingen, die ganz harmlos im Bahnhof gestanden haben und nichts weiter getan haben, als die Fotos zu zeigen. Die sind ihnen herunter gerissen worden.“
Gerade die Kölner sollten ihr Gedächtnis auffrischen...
Aus der Präsentation des NS-Dokumentationszentrum
Rund 11.000 jüdische Kinder sind von 1942 bis 1944 allein aus Frankreich nach Auschwitz in den Zügen der Deutschen Reichsbahn deportiert worden. Die Deutsche Bahn, als Rechtsnachfolgerin der Reichsbahn, erinnere aber in ihren Bahnhöfen nicht an dieses Ereignis, lautet der Vorwurf von Beate Klarsfeld [1].
Mediale Umsetzung
Mit der Fahrt über das (noch) im öffentlichen Besitz befindliche deutsche Schienennetz hat der – aus der Not entwickelte – mediale Charakter eine gewaltige und neue Dimension erhalten, und das betrifft nicht nur die von der Bahn AG auferlegten Kosten. Rüdiger Minow: „Im Grunde ist alles ganz einfach: wir sind durch die Vordertür der Bahnhöfe gekommen, haben appelliert an den Bahnvorstand, eine Ausstellung zuzulassen, das Gedenken zuzulassen. Das hat man uns verboten. Und daraufhin haben wir gesagt: Wenn wir da nicht reinkommen, dann kommen wir über die Schienen. Es ist in der Bundesrepublik immer noch so, dass das Schienennetz uns allen gehört und dass wir über die Schienen auch den Anspruch haben, auf den Bahnhöfen zu halten. Dann sind wir zwar wieder auf den Bahnhöfen, und der Bahnsteig gehört der Bahn AG, er ist zwar öffentliches Eigentum aber er ist nicht öffentlicher Besitz. Da haben wir es dann mit der Bahn AG zu tun. Aber auch das Ein- und Aussteigen ist erlaubt, denn sonst hätte die Nutzung des öffentlichen Schienennetzes gar keinen Sinn. Sonst müsste man immer nur umherfahren und dürfte nirgendwo anhalten... Und diese gesetzliche Regelung, die etwas mit dem öffentlichen Eigentum zu tun hat, die haben wir uns zu nutze gemacht und fahren seitdem mit dem Zug in die Bahnhöfe rein.“
Die Bundesbahn rechnet ab...
Ausriss aus der Rechnung der DB-AG für die Ausstellung (Kosten November)
Opfer und Täter
Das Gedenken findet nun an damaligen Orten der Deportationen in einem zum aktiven Museum gestalteten Zug statt. Mit einem überregionalen Teil und einer stets wechselnden ortsbezogenen Ausstellung über das Schicksal der Deportierten wächst die Zahl Opfer, derer gedacht werden soll, damit weit hinaus über die von Klarsfeld betrachteten 11.000 französischen verschleppten und ermordeten Kinder und Jugendlichen. In den Blickwinkel geraten die verschiedenen Opfergruppen, wie auch die Zwangsarbeiter.
Der Anteil der regionalen Sonderausstellung wurde von der Initiative „Die Bahn erinnern“, dem Gedenk- und Lernort Jawne und dem NS-Dokumentationszentrum unter der Leitung von Dr. Werner Jung aus umfangreicher Zeitzeugenbefragung und Forschungsarbeit bestritten – unter Mitwirkung von Dieter Maretzky und Martin Rüther sowie vielen Helferinnen und Helfern vor Ort, die Führungen durch die Ausstellung vornahmen oder einfach nur als unterstützende Kraft im Gedränge.
Aus der Präsentation des NS-Dokumentationszentrum
Viele Besucher verließen emotional bewegt die Waggons, auch weil sie über die Dienstbeflissenheit der Täter erschüttert waren. Neben den an der Spitze stehenden Organisatoren der Reichsbahn Ganzenmüller und Dorpmüller, die für den reibungslosen Ablauf zu sorgen hatten, wurde im Zusatzprogramm von „Die Bahn erinnern“ die Aufmerksamkeit auch auf die Rolle der pflichtbewussten „kleinen Bahnmitarbeiter“ gerichtet, die weit davon entfernt waren, sich etwaigem Unrecht zu widersetzen. „Über die auf meinem Bahngelände gefundenen Leichen habe ich ordnungsgemäß Aktenvorgänge angelegt. Die Akten gingen dann nach oben an die Direktion. Damit hatte ich meine Pflicht erfüllt“, berichtet trocken Hans Pitsch, der während des Krieges Bahnhofsvorsteher im polnischen Bialystok und noch in den 80er Jahren Bahnhofsvorsteher in Münster war.
Foto: HD Hey gesichter zei(ch/g)en
Aus lebendiger Geschichte lernen
Die Kölner Bürgermeisterin Angela Spizig erwähnte während ihrer Eröffnungsrede – an ihrem Manuskript vorbei – eine Kritik, die sie erreicht hatte und die vor alleiniger Rückwärtsgewandtheit warnte. Sie wolle diese Kritik mit einem „geharnischten Brief“ beantworten. Natürlich ist von Bedeutung, was insbesondere die jungen Besucher als Eindrücke und als Impuls für ihr eigenes Verhalten in einer ähnlichen Situation mit auf den Weg nehmen. Eines sollte aber nicht passieren – wie Peter Gingold, 2004 verstorbenes Mitglied des Auschwitz-Komitees es 1999 anlässlich des Krieges gegen Jugoslawien unter deutscher Beteiligung beschwört: „Ich habe Angehörige, die in Auschwitz vergast worden sind – wir alle sind fassungslos, dass Auschwitz dafür missbraucht wird, einen Bombenterror, einen Angriffskrieg gegen Jugoslawien, zu rechtfertigen. Dieses Land wird in die Steinzeit zurückgebombt, und es wird genau das Gegenteil erreicht von dem, was man wollte, nämlich den Schutz der Bevölkerung.“
„Deportation in Würzburg" – bewegendes Bild auf Zug der Erinnerung
Foto: HD Hey gesichter zei(ch/g)en
Der zu diesem Zeitpunkt 83jährige bezeichnete es als „Infamie, daß die Toten von Auschwitz dazu missbraucht werden, den Krieg gegen Jugoslawien ideologisch zu rechtfertigen.“ Die Losung der aus den Konzentrationslagern Befreiten sei schließlich auch „Nie wieder Krieg gewesen“. Gingold erzürnte sich mit Blick auf die damaligen Minister Fischer und Scharping: „Die erste Auschwitz-Lüge besteht doch darin, überhaupt zu leugnen, daß es Gaskammern gegeben hat. Und die neue Auschwitz-Lüge besteht darin, daß man Auschwitz nicht mehr leugnet, sondern verharmlost und banalisiert.“ (philtrat, 5/1999, Universität Köln)
Letzte Wegstrecke nach Auschwitz
Der Zug und die BegleiterInnen bereiten sich zur Zeit auf die letzte große Wegstrecke vor. Man müsse vieles aufarbeiten – so der Sprecher Hans-Rüdiger Minow für den Verein „Zug der Erinnerung“, der sich als „ein Projekt deutscher Bürgerinitiativen“ versteht: „Wir bereiten uns auf die nächste große Etappe vor, die über Hamburg, durch ganz Norddeutschland, Bremen, Kiel und dann weiter nach Brandenburg und Berlin geht.“ Am Ostermontag wird bis zum 29. März in Hamburg Station gemacht. Vorgesehen war, dort ebenfalls im Hauptbahnhof einzulaufen. Dass dies – leider nur am Ostermontag möglich sein kann, ist zumindest als Teilerfolg zu werten und gelang nur aufgrund scharfer Proteste der Hamburger Initiative mit Unterstützung von bekannten Persönlichkeiten.
Der Vorsitzende des DGB Nord, Peter Deutschland, hatte in einem Brief Hartmut Mehdorn aufgefordert, alles zu tun, damit der „Zug der Erinnerung“ auf dem Hamburger Hauptbahnhof der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könne, die Deportationen seien schließlich auch in aller Öffentlichkeit durchgeführt worden. Die verbleibenden fünf Tage steht der Zug nun entgegen der vorgesehenen Bahnrestriktionen mit deutlich erweiterten Öffnungszeiten von 9 bis 19:30 Uhr im Bahnhof Hamburg-Altona.
Auf die Frage, ob der Zug planmäßig am 8. Mai zum Tag des Kriegsendes und der Befreiung in der Gedenkstätte Auschwitz eintreffen werde, heißt es, dass selbst wenn „noch mehr Knüppel auf die Schienen“ gelegt werden, „mit Sicherheit davon auszugehen“ ist. Hans-Rüdiger Minow: „Es werden 100 bis 130 Jugendliche aus allen Städten, die der Zug angefahren hat – also aus allen Deportationsorten, sich am 5. Mai in Görlitz treffen, und dort wird es eine Abschlussveranstaltung für die Fahrt in Deutschland geben. Der Zug wechselt anschließend auf die polnische Seite und wird zur Gedenkstätte Auschwitz fahren. Da wird er am 7. Mai spätestens ankommen und am 8. Mai wird all das stattfinden, worauf wir von Anfang an hingearbeitet haben: nämlich den deportierten Kindern und Jugendlichen aus Deutschland und aus ganz Europa endlich einen angemessenen Ort des Gedenkens zu geben.“ (CH)
Lesen Sie auch das Gedicht der Deportierten Selma Meerbaum-Eisinger in dieser Ausgabe der NRhZ
Weitere Bilder und Töne vom Zug der Erinnerung:
Besucherschlangen bei Kölner Ausstellung
Foto: HD Hey gesichter zei(ch/g)en
Der Zug von innen | Foto: HD Hey gesichter zei(ch/g)en
Der Zug – gestern und heute | Foto: HD Hey gesichter zei(ch/g)en
Kofferinstalation von „Die Bahn erinnern" vor Eingang zum Ausstellungszug
Foto: HD Hey gesichter zei(ch/g)en
„Von Ghetto zu Ghetto“
Gekonnt improvisiert von: Klaus der Geiger, Verena Guido, Bernd Eul:
( Foto: HD Hey gesichter zei(ch/g)en)
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