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Aktueller Online-Flyer vom 07. September 2024  

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Lokales
Veranstaltung der Linken in Stollwerck
Gregor Gysi und Jörg Detjen Seit' an Seit'
Von Hans-Dieter Hey

Seit 2005 gibt es Die.Linke im Kölner Stadtrat als Fraktion. Die Partei ist mit über 700 Mitgliedern der größte Verband in den alten Bundesländern. Dass Die.Linke für die Bürgerinnen und Bürger im Kölner Rat realpolisch etwas erreichen kann, darauf wurde gestern im Bürgerhaus „Stollwerk" auf einer ihrer Veranstaltungen hingewiesen. Unterstützung auf Bundesebene kam von Stargast Gregor Gysi, der die Politik von Rot-Grün und Schwarz-Rot geißelte.

Die Kölner Ratsfraktion besteht aus Jörg Detjen, Claus Ludwig, Michael Kellner und Özlem Demirel sowie weiteren 13 Personen in den städtischen Gremien und weiteren acht in den Bezirksvertretungen. Jörg Detjen wies auf einige Erfolge hin, die nach dem nicht vorhersehbaren Platzen der schwarz-gelben Koalition im Jahr 2005 durch den Schulterschluss von SPD, Grünen und Linken erreicht wurden.

Erfolge „roter" Realpolitik in Köln

Seit 2007 gibt es für Empfänger von Transferleistungen einen Köln-Pass, der noch von CDU und FDP abgeschafft wurde. In einem ersten Ratsbeschluss habe man vor kurzem auch einen Sozialtarif für Strom und Gas durchsetzen können. Gegen die Schließung von drei Hallenbädern wehrt sich die Linke massiv. Sie wirft der CDU Klientelpolitik vor, weil die nur das Hallenbad in Rodenkirchen erhalten will.


Jörg Detjen will starke linke          
Bewegung in Köln aufbauen
"Wir streiten uns lieber mit Rot-Grün, da kommt dann was Positives raus, als mit den Schwarzen ein Bündnis einzugehen", meinte Detjen, und bekam unerwartet Unterstützung von der Bild-Zeitung. In einem ihrer Artikel vom 7. März hieß es: "Wie gefährlich diese Strategie für die SPD ist, hat sich am vergangenen Dienstag im Rat gezeigt: Da ging die Initiative zu dem Beschluss, Manager müssten künftig ihre Gehälter offen legen, eindeutig von den Linken aus."

Doch für die Bild-Zeitung dürfte es ein Eigentor gewesen sein: "Jetzt diskutieren wir gerade über Reinarz IV. Das ist das Kölner CDU-Alternativ-Projekt zu Hartz IV. Und das funktioniert so: Man schließt einen Arbeitsvertrag über fünf Jahre, danach kann die Person den Dienst quittieren und bekommt 50 Prozent des Gehalts bis zum Tode weiter gezahlt. Wie sich der Kölner CDU-Vorsitzende Reinarz an einem städtischen Unternehmen bereichert, ist ein Skandal...wenn sein Vertrag ausläuft, ist das eine Leibrente von 100.000 Euro im Jahr bis zum Lebensende".

Jörg Detjen warnte vor allem vor den Rechten: "Pro.Köln will mit Hetzkampagnen gegen Migrantinnen und Migranten und gegen die Moschee in den Kölner Rat einziehen. Das müssen wir verhindern. Bauen wir eine starke Linke und eine breite soziale, demokratische und antifaschistische Bewegung auf."

„Die SPD ist keine sozialdemokratische Partei mehr"

Gregor Gysi – unangefochtener Starredner des Abends: „Alle Parteien machen ständig für uns Wahlkampf. Die anderen stellen sich die Frage nicht, weshalb es überhaupt ein Bedürfnis nach einer Partei links von der Sozialdemokratie gibt. Ein Bedürfnis, das es jahrzehntelang in der alten Bundesrepublik nicht gab. Ich kann es ihnen sagen: Die SPD ist keine sozialdemokratische Partei mehr". Dabei verwies er auf die Regelungen von Hartz IV, die von der Linken heftig bekämpft werden. Auch die aktuelle Rentenerhöhung von 1,1 Prozent sei wegen jahrelanger Einbußen für die Rentner viel zu mager.


Gregor Gysi: rot-grüne Politik schwächte Gewerkschaften

Mit ungewöhnlich harten Worten geißelte er die Politik von Rot-Grün und das „Angst und Elend" schaffende sozialpolitische Desaster von Agenda 2010 und Hartz IV. Dies alles hätte zu der gegenwärtigen Verarmung der Bevölkerung beigetragen. Gysi wies darauf hin, dass es in Deutschland 2,5 Millionen befristete Arbeitsverhältnisse gibt, 800 Menschen arbeiten in Leiharbeitsunternehmen, 22 Prozent aller Beschäftigten in Niedriglohnbereichen. Er wies darauf hin, dass in vielen Ländern der Europäischen Gemeinschaft die Löhne in den letzten Jahren um bis zu 24 Prozent netto gestiegen sind, in Deutschland dagegen seien sie netto um sechs Prozent gesunken. Er griff vor allem an, dass 600.000 Menschen in Vollzeitjobs so wenig verdienten, dass sie zusätzlich noch Hartz IV von der Arbeitsagentur bekommen müssten. „Und das alles", prophezeit Gysi, „schwächte die Gewerkschaften weiter."

Das konservative Lager soll sich warm anziehen

Deshalb sei die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes von mindestens 8 Euro für die Linke ein wichtiges Ziel, erklärte Gysi. „Als Lafontaine und ich 2005 den gesetzlichen Mindestlohn gefordert hatten, sind wir zu Idioten erklärt worden, heute tut die SPD so, als hätte sie ihn erfunden." Und: die.Linke habe später einen der SPD wortgleichen Antrag zum Mindestlohn eingebracht, doch die SPD habe dann gegen ihren eigenen Text im Bundestag gestimmt.


Gefüllter Saal durch Star-Redner Gregor Gysi
Fotos: gesichter zei(ch/g)en


Vor allem richte sich die rot-grüne Arbeitsmarkt-Politik gegen ältere Erwerbslose. Über 50jährige hätten keine Chance mehr. "Und das liegt daran, dass wir eine altersrassistische Gesellschaft geworden sind." Die Deregulierung des Arbeitsmarktes für Ältere habe sich noch nicht einmal zu 0,1 Prozent positiv auf diesen Arbeitsmarkt ausgewirkt". Deregulierung bedeute zum Beispiel, dass befristete Arbeitsverträge beliebig oft verlängert werden könnten, ohne Sicherheit für die Betroffenen. Doch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe festgestellt, dass dies ein Grund für Diskriminierung war. „Darauf" – so Gysi – „hätten Schröder und Fischer auch kommen können".

Beifall für Ohrfeigen



Politischer Schalldruck:
Magic Street Voices
Schließlich ging Gysi noch auf das finanzielle Debakel einiger Landesbanken ein. Jahrelang hätten die amerikanischen Banken an Häuslebauer Kredite in der Erwartung hoher Gewinne, aber mit wenig Sicherheiten ausgegeben. Nun seien diese Gewinne ausgeblieben. Um ihr Risiko auch von den anderen mittragen zu lassen, wurden in Europa Wertpapiere angeboten. „Und wer hat dabei zugegriffen, bar jeder Sachkenntnis? Die deutschen Landesbanken. Wir haben immer gesagt, Landesbanken dürfen keine Spekulationsgeschäfte machen". Es ginge nicht an – so Gysi – dass die Gewinne der Banken privatisiert, aber die Verluste „sozialisiert" werden. Und dass, wenn es nicht mehr läuft, „...nach dem Staat gerufen wird, dessen Eingriffe sonst abgelehnt werden".


Die Stimmung und immer wieder Beifall machte deutlich, dass die ausgeteilten Ohrfeigen für CDU, SPD, FDP und Grüne gut bei den Zuhörern ankam. Bald sind Bundestagswahlen. Es kann gut sein, dass die Linke noch für erhebliche Überraschungen sorgen wird. Das konservative Lager muss sich warm anziehen. (PK)

 
 


Online-Flyer Nr. 138  vom 19.03.2008

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