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Arbeit und Soziales
Schuld an der Rentenpolitik? Die Rentner waren’s!
Verfehlte Rentenpolitik
Von Franziska Walt

„Leben die Rentner auf Kosten der Jüngeren?“ fragte die Bild-Zeitung am 11. März 2008 in großen Lettern und nahm damit Bezug auf einen Artikel des Schwester-Blattes Die Welt vom Vortag. Darin wurde die Studie des US-amerikanischen Ökonomen Laurence Korlikoff vorgestellt, der das Rentensystem der Bundesrepublik unter die Lupe genommen hatte. Sein Fazit: dem deutschen Staat würden sieben Billionen Euro fehlen, um den Ansprüchen seiner Bürger künftig gerecht zu werden. Jede Generation, die älter werde, so der Wissenschaftler, versuche die nächste auszubeuten. Die Senioren hätten eine starke Lobby, wird Korlikoff in der Bild-Zeitung zitiert, und achteten genau darauf, dass es ihnen nicht schlechter gehe – und darunter würden alle leiden.

Sogenannte Fakten der Bild-Zeitung

Während die Bild-Überschrift noch als Möglichkeit oder Frage verstanden werden kann, heißt es im Beitrag in Springer-Manier „Renten-Experten schlagen Alarm“ oder, einige Zeilen weiter unten, „Die Alten beuten die Jungen aus – das sind die Fakten“. Diese so genannten Fakten, die der Autor Jan W. Schäfer gefunden hat, sind für sich genommen nicht falsch – im Kontext allerdings tendenziös und irreführend: „Immer weniger Beschäftigte zahlen für immer mehr Rentner!“, „Rentner kassieren mehr, als sie eingezahlt haben,“ „Die Schulden des Staates werden immer größer“. Betrachtet man die Welt durch Schäfers Brille, so sind die Ruheständler unter Umständen auch für den Klimawandel, die Vogelgrippe oder etwa den schwankenden Dollarkurs verantwortlich. Anders ausgedrückt: die Rentenpolitik wurde und wird weiterhin von Politikern gemacht, Rentner sind nur das letzte Glied in der Kette.


Verfehlte Rentenpolitik

Der demografische Wandel ist in der deutschen Gesellschaft zur unbestreitbaren Tatsache geworden. Prognosen gehen davon aus, dass im Jahr 2040 rund die Hälfte der Einwohnerrinnen und Einwohner Deutschlands über 60 Jahre alt sein wird. Das Altersgefälle in der Bevölkerung verschiebt sich, sodass „immer weniger Beschäftigte für immer mehr Rentner zahlen“, wie der Bild-Autor festgestellt hat. 1950 hätten vier Arbeitnehmer einen Rentner finanziert, heute seien es noch zwei, rechnet Schäfer vor. Aber den kontinuierlichen Geburtenrückgang und die „Vergreisung“ der Gesellschaft den Rentnern in die Schuhe zu schieben, scheint doch etwas kurzsichtig. Gefragt sind heute vielmehr perspektivische Lösungsansätze. Eine Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung aus dem Jahr 2006 schlägt eine veränderte Familienpolitik vor, die vielen Paaren den Schritt zur Familiengründung erleichtern würde: ganztägige, kostenfreie Vor- und Grundschulbetreuung für alle würden nicht nur Eltern entlasten, sondern die hierzulande niedrige Frauenerwerbstätigkeit ankurbeln. Gleichzeitig bekämen Kinder aus so genannt bildungsfernen Haushalten oder Kinder aus Migrantenfamilien höhere Chancengleichheit.

Diskriminierung Älterer

Mit großer Wahrscheinlichkeit, so die Studie weiter, würden sich durch familienfreundliche Angebote auch die Kinderzahlen und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes erholen. Auch der „Rentenpapst“ Prof. Meinhard Miegel vom Institut für Wirtschaft und Gesellschaft (IWG) in Bonn kommt zu einem ähnlichen Schluss wenn es darum geht, den demografischen Voraussagen zu begegnen: eine überzeugende Familienpolitik, die bestmögliche Bildung und Ausbildung der nachwachsenden Generation, möglichst viele hoch produktive, wissens- und kapitalintensive Arbeitsplätze und anhaltende Qualifizierung der älteren Bevölkerungsteile. Gerade der letzte Punkt Miegels, die Rentnergeneration als aktiven und mitverantwortlichen Teil der Bevölkerung anzusehen, müsste im Kontext des Bild-Artikels unterstrichen werden. Die Volkssolidarität ließ als Reaktion auf den Beitrag des Springer-Blattes in einer Pressemitteilung am 11. März 2008 verlauten, die „Alten“ würden in diskriminierender Weise als Kostgänger betrachtet, die die Zukunft der Jungen belasteten.


Werden dies die künftigen Möglichkeiten ...

Offenbar müsse der Generationenkonflikt immer dann herhalten, wenn in der Bevölkerung verstärkt die Frage nach sozialer Gerechtigkeit gestellt und nach Ursachen des Gegensatzes von arm und reich gefragt werde, so die Volkssolidarität weiter.In einem Interview mit dem Deutschlandfunk erklärte Prof. Miegel im Juli 2006, dass heutige Rentner mehr Geld aus der Rentenkasse bekommen, als sie einbezahlt haben: Drei bis maximal vier Prozent Quasiverzinsung (eine wirkliche Verzinsung ist es nicht, da das Geld nicht angesammelt worden ist). Schlechter sieht es für jüngere Jahrgänge aus. Laut dem wissenschaftlichen Leiter des IWG Bonn erhalten im Jahr 1950 Geborene noch gut ein Prozent, bei Menschen, die heute 35 Jahre oder jünger sind, kippt der Saldo bis zum Rentenalter ins Negative: Sie werden weniger erhalten, als sie einbezahlt haben.

Falsche Rentenpolitik

Dass mit der Rentenpolitik der Bundesregierung etwas im Argen ist, steht außer Zweifel – dafür können jedoch die Rentner nichts. Die Armutsquote der älteren Generation in Deutschland ist zur Zeit mit rund 2,5 Prozent eine der niedrigsten in ganz Europa, hat die Rentenexpertin der OECD, Monika Queisser, festgestellt. Laut Zahlen des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) beziehen allerdings heute schon rund die Hälfte aller west- und ostdeutschen Männer und 95 Prozent der Frauen eine Rente, die 1.000 Euro im Monat nicht übersteigt. Auch wenn es den meisten Rentnern heute finanziell relativ gut geht, ist ein Abwärtstrend deutlich festzustellen. Sogar die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) kommt in ihrem Forschungsprojekt „Altersvorsorge in Deutschland AVID 2005" zum Schluss, dass bis 2030 das Rentenniveau in der Bundesrepublik um 15 Prozent gesunken sein wird. Die hohe Zahl Arbeitsloser und Langzeitarbeitsloser der letzten Jahre, ein boomender Niedriglohnsektor, sozialversicherungsfreie Erwerbstätigkeiten, unter der Inflations- bzw. Teuerungsrate liegende Rentenerhöhungen – dies sind alles Faktoren, die Altersarmut bei zukünftigen Rentnergenerationen wahrscheinlicher machen.


... der Altersarmut?
Fotos: gesichter zei(ch/g)en


Im März 2008 stand das Schuldenbarometer der Bundesrepublik laut Angaben des Bundes der Steuerzahler bei rund 1.493 Milliarden Euro. Die Argumentation, dass durch die Staatsverschuldung die jetzige Generation auf Kosten zukünftiger Generationen lebe und eine Steuererhöhung in absehbarer Zeit nach sich ziehe, ist nicht ganz falsch. Dies jedoch unter dem Titel „Die Alten beuten die Jungen aus“ verkaufen zu wollen, ist wiederum ein populistischer Kurzschluss. Sparmaßnahmen des Bundes, zum Beispiel Transferleistungen wie Förderungen oder Subventionen an Industrie und Privathaushalte zu kürzen, können im Endeffekt zu einem stagnierenden oder gar negativen Wirtschaftswachstum führen. Die Folgen wären verminderte Steuereinnahmen des Staates – was der Ausgangsidee wiederum diametral gegenüber stünde.

Die Schuldenlast verringern, langfristig finanzierbare soziale Sicherungssysteme schaffen. Diese dringenden Aufgaben von heute dürfen nicht auf kommende Generationen abgeschoben werden. Den „Krieg der Generationen“ heraufzubeschwören hilft in dieser komplexen Problematik allerdings nicht weiter. (HDH)

Online-Flyer Nr. 139  vom 26.03.2008

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