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Kultur und Wissen
Verliebt in Jens Hagen – über die aktuelle Ausstellung in der Fotopension in Köln
„Total real“
Von Anneliese Fikentscher

„Dieser Mann ist ihr Schicksal“, sagte die Mutter von Dorothee Joachim – langjährige Lebensgefährtin des Schriftstellers, Journalisten und Fotografen Jens Hagen, als der umwerfend gut aussehende Mann an der Seite ihrer damals 19jährigen, zu diesem Zeitpunkt noch minderjährigen Tochter auftauchte. Jens war treu, die Beziehung hielt über drei Jahrzehnte. Heute verwaltet die Künstlerin, Malerin, Dorothee Joachim den Nachlass, vor allem die mehr und mehr gefragten Fotografien der großen Liebe ihres Lebens. Eine aktuelle Ausstellung ist bis zum 9. Mai in der Kölner Fotopension zu sehen.

Jens Hagen
Lis (Liselotte) Rudolph, Feb. 1967
Express-Artikel von Jens Hagen: „Lis war die Naivste in der Bobi-Bar...“


Schon als Schüler von sechzehn Jahren war Jens Hagen als Lokalreporter in seinem Wohnort Dinslaken unterwegs. Mit im Gepäck eine Kamera. Es war Spaß und Geldverdienen zugleich. Später veröffentlichte der leidenschaftliche Schreiber als Polizei- und Gerichtsreporter für den Kölner Express mit eigenen Kolumnen: „Stehen Sie auf, Angeklagter!“ und „Da lächelte selbst Justizia“ Hintergrundgeschichten und Schmunzelstories aus Kölner Gerichtssälen. „Lis war die Naivste in der Bobi-Bar...“, betitelt Jens Hagen einen Artikel vom 15. Februar 1967 über einen Mordprozess vor der Jugendstrafkammer: „Amüsierdamen sagen aus“.

„Chronist des Undergrounds“

jens Hagen Foto: WolfgangBauer
Jens Hagen, ca. 1970 | Foto: Wolfgang      
Bauer aus dem Katalog Rock und Pop
am Rhein (
Hrsg. Uwe Husslein)
Jens schrieb und schrieb. Auf dem Klo der Wohngemeinschaft lagen unter Pseudonym verfasste Pornos zur Lektüre aus. Inzwischen arbeitete er für den Rundfunk, verfasste Texte für Plattencover, schrieb eine Beatles-Biographie. Bei den Kontakten zu Musikern entstehen immer wieder Fotos radikal unkonventioneller Art vergleichbar der Unangepasstheit eines Anton Corbijn. Als „Chronist des Undergrounds im Rheinland“ bezeichnet Uwe Husslein in seiner Publikation zur Ausstellung im Kölner Stadtmuseum „Pop am Rhein“, Hagens szenebezogenes Wirken.

Szene gab es auch im politischen Umfeld der 68er, in deren Zusammenhang die Ausstellung geknüpft ist (Veranstaltungsreihe der NRhZ: ´68 bis 2008 und weiter!). Jens Hagen lieferte ergiebiges Bildmaterial für den umfassenden Bild- und Textband von Claudia Glunz und Kurt Holl „1968 am Rhein“, der gerade als Neuauflage im Emons Verlag wieder erschienen ist. Husslein sieht in den Hunderten Fotos und Texten Jens Hagens, eine „bedeutende Dokumentation kultureller Dissidenz im Rheinland.“

In Schicksale verstrickt

Als unpolitischer Mensch kam Jens Hagen nach Köln. Ein Foto aus Studientagen zeigt ihn als Verbindungs-Studenten mit Käppi und Schärpe. Durch seine Reportertätigkeit wurde er zunehmend in Schicksale verstrickt. „Jens hat immer auch hinter die Kulissen geguckt und hatte viele Einblicke, wo andere schnell die Schotten dicht machten“, erinnert sich Dorothee Joachim an den ungebundenen Reporter, der immer frei gearbeitet hat und nur das schrieb, was er wollte. Mit dem Schlagersänger Howard Carpendale hat Jens sich „über Politik unterhalten. Carpendale kommt aus Südafrika und war ein ganz klarer Gegner der Apartheid.“

Jens Hagen brachte Sendungen in den öffentlich rechtlichen Medien unter, wie beispielsweise einstündige Portraits über Franz-Josef Degenhardt oder Dieter Süverkrüp, was sonst niemandem gelang. Gemeinsam mit Dorothee und anderen gründete er die erste alternative Stadt-Zeitung, das Kölner Volksblatt ANA & Bela, das auch als entfernter Vorläufer der Neuen Rheinischen Zeitung anzusehen ist.

Den Salzgeschmack aufnehmen

Jens Hagen Foto: Dorothee Joachim
Dorothee Joachim und Jens Hagen, Altea 
Spanien | Foto: Dorothee Joachim
Wie war das, als Jens und Dorothee sich zum ersten Mal trafen? „Mit meinem damaligen Freund Ossi besuchte ich Jens in dessen Apartment. Da nahm er die Gitarre vom Haken und sang ein schmelzendes Liebeslied.“ Dorothee war Neunzehn. Es dauerte ein paar Monate bis zum September nach ihrem zwanzigsten Geburtstag, „dann war klar, dass wir zusammen waren.“

Zur Ausstellungseröffnung kamen viele alte Freunde, aber auch ganz viele junge Leute: „Diese jungen Leute, die sich nicht unbedingt für politische Zusammenhänge interessieren, kriegen über die Fotos einen Einblick und fangen an nachzufragen.“, erklärte Dorothee Joachim. So auch Falki, der Jens über eine Fotoausstellung in Bonn kennengelernt hatte: „Falki war fasziniert von Jens. Ihm imponierte, dass Jens nie versuchte, die Leute in eine Richtung zu drängen, oder dass er so getan hätte, als habe er die Weisheit mit Löffeln gefressen. Er war wenig dogmatisch, obwohl er natürlich seinen Standpunkt hatte.“

Jens Hagen starb im Juni 2004, wenige Monate nach seinem 60. Geburtstag nach schwerer Krankheit. Er war ein Meister des Haiku, wie in zahlreichen Ausgaben der NRhZ zu lesen ist. Eine Liebe verändert sich. Ein Mensch ist sterblich. Liebe und Werk können die Sterblichkeit überdauern, auf andere, auf junge Menschen treffen, die den Salzgeschmack aufnehmen:

    Zwei Planken im Meer,
    Ein Name, vom Salz zersetzt.
    Vorbei und verweht.
    (Haiku von Jens Hagen)



Ausstellung bis 9. Mai 2008
„Total real – Fotos aus den Sechzigern“
fotopension
Galerie für Fotografie
Marsiliusstr. 55
50937 Köln-Sülz
www.fotopension.de
Öffnungszeit: Sa 13-16 Uhr u.n.V.
Finissage: Freitag, 9.5., 19.30 Uhr (mit Kurt Holl, Rainer Kippe, Uschi Huber und anderen)
Edition zur Ausstellung
18 Motive, Digital-Fotoprint auf 20x30 Papier, je 68 Euro

(CH)


foto von jens hagen begräbnis adenauer
Konrad Adenauers Staatsbegräbnis 25.4.1967


foto von jens hagen
Günter Wallraff inkognito in seiner Wohnung in Köln-Ehrenfeld, 1968


foto von jens hagen
Der Kölner Schriftsteller Rolf-Dieter Brinkmann filmt auf Super 8, Hohe Straße, Juli 1968


foto von jens hagen
Jaeger, Gothe, Rolf-Dieter Brinkmann beim X-Screen-Protest 1968. Brinkmann fordert die Galeristen des 2. Kölner Kunstmarktes zur Solidarität auf. Tags zuvor hatten ca. 70 PolizistInnen den „unzüchtigen“ Underground-Filmabend von X-Screen in der Baustelle der U-Bahn am Neumarkt gestürmt.


Foto von Jens Hagen
B. und R.C. Meyer vor ihrem Plakat anlässlich der Bundestagswahl 1969



Foto von Jens Hagen Steppenwolf
John Kay (Joachim Krauledat), Sänger und Texter von „Steppenwolf“. Bremen, Mai 1969


Foto von Jens Hagen Kölner Uni 1968
Besetzung des Hauptgebäudes der Universität zu Köln und Umbenennung zur „Rosa-Luxemburg-Universität“, Mai 1968


Foto von Jens Hagen Kölner Uni 1968
Byzantinistik-Professor und Rudolf-Hess-Fan Rubin wird gewalttätig im Einsatz gegen die „Rosa-Luxemburg-Universität“. Köln, Mai 1968. Jens Hagen: „Ich hab ihn verfolgt und am Schluss hab ich ihm gesagt: Du Drecksack – oder irgend sowas, und darauf hebt er die Hand und ruft: Es lebe das vierte Reich! – Das war nun wirklich die Krönung.“


Foto von Jens Hagen
„Kleine High-Noon-Szene beim Spaziergang“
Gerd Wollschon, Hans-Jörg Frank und Dieter Klemm von Floh de Cologne


Jens Hagen Foto: Günther Wallraff
Jens Hagen auf dem Polizeiübunggelände Bork, Mai 1969
Foto: Günter Wallraff – als Reporter bei der Polizei eingeschlichen bekamen Hagen und Wallraff zu hören „wie man einen Wasserwerfer erobert, oder wie man eine Reiterstaffel mit einem dicken Seil einkesselt.“

Weitere Veröffentlichungen von und mit Jens Hagen:

1968 am rhein
                                                                    











„1968 am Rhein, Satisfaction und Ruhender Verkehr"
Überarbeitete Neuauflage,
320 Seiten, über 600 Duoton
Abb., emons Verlag, 29,80 Euro


„Mach mal bitte Platz, wir müssen hier stürmen.
Als der Beat nach Deutschland kam"

(Broschiert), Bildband, Autor Jens Hagen
M7-Verlag, Köln 2000, antiquarisch


cover-ohio-jens-hagen
                                                              











Ohio Photomagazin, Nummer 15/2007
Mainzer Straße 51, 50678 Köln
Fotos von Jens Hagen
Einzelpreis 15 Euro zuzgl. Versand 3 Euro






Online-Flyer Nr. 143  vom 23.04.2008

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