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Interview mit Joachim Guilliard, Organisator der Internationalen Irak-Konferenz
„Abzug ist die einzige Alternative“
Von Ali Fathollah-Nejad
Im März wurde anlässlich des fünften Jahrestages der Invasion des Irak durch britisch-amerikanische Truppen eine Internationale Konferenz in Berlin abgehalten. Was waren die Beweggründe, solch eine Konferenz mit internationaler Beteiligung in der deutschen Hauptstadt abzuhalten?
Joachim Guilliard
auf der Berliner Irak-Konferenz
Über eine Million Irakerinnen und Iraker wurden bereits Opfer des Krieges und der Besatzung, über vier Millionen, das heißt fast ein Sechstel der Bevölkerung ist auf der Flucht. Die US-geführte Aggression führte somit zur, nach den Kriegen im Kongo, weltweit größten humanitären Katastrophe der letzten Jahrzehnte.
Obwohl im Hinblick auf das Ausmaß des Krieges und die weltpolitische Bedeutung durchaus mit dem Vietnam-Krieg vergleichbar, entwickelte sich bisher keine breite Protestbewegung dagegen. Offensichtlich fördern die täglichen Nachrichten und Bilder aus dem Irak vor allem eines: Hilflosigkeit. Das liegt hauptsächlich an ihrer totalen Einseitigkeit. Kämen zum Beispiel, wie im Vietnam-Krieg, auch die Bilder der Bombenangriffe der US-Luftwaffe, so sähe das schon deutlich anders aus.
Die Medienberichte konzentrieren sich aber ausschließlich auf die Konflikte zwischen irakischen Kräften, auf das Milizen-Unwesen, auf religiös motivierte Gewalt und Terroranschläge. Die von den US-geführten Truppen ausgeübte Gewalt erscheint nirgends. Die Besatzer erscheinen gar als Kräfte, die verzweifelt bemüht sind, einem in sich zerrissenen Land Frieden und Stabilität zu bringen. Ihr Abzug, so heißt es, würde das Land in noch größeres Chaos stürzen. Die Konferenz sollte dazu dienen dieses schräge Bild durch kompetente Referenten, nicht zuletzt aus dem Irak und aus den USA, geradezurücken.
Was waren die Konferenzschwerpunkte und die damit einhergehenden Schlussfolgerungen?
Ein Schwerpunkt war, analog dem Bericht „War and Occupation in Iraq“, den das Global Policy Forum im Juni 2007 zusammen mit 30 weiteren Friedens- und Menschenrechtsgruppen veröffentlichte, den Nachweis zu erbringen, dass die USA hauptverantwortlich für die fürchterliche Situation und auch unmittelbar für die eskalierende Gewalt sind. Der zweite Schwerpunkt bildete die Diskussion von Lösungsansätzen, die es durchaus sowohl von Seiten unabhängiger westlicher Experten, als auch von Seiten der irakischen Opposition gegen die Besatzung gibt.
US-Truppen im Irak – ohne Zweifel verantwortlich für die Gewalt
Was für ein Fazit ziehen Sie nach einem halben Jahrzehnt Besatzung des Irak?
Nun, die Bilanz dieser fünf Jahre ist, wie ich bereits angedeutet habe, verheerend. Der Alltag ist bestimmt durch allgegenwärtige Gewalt und eine katastrophale Versorgung. Gesundheits- und Bildungswesen sind am Boden. Die Politik des Teile und Herrsche hat bereits tiefe Risse in der irakischen Gesellschaft hinterlassen.
Den USA ist es allerdings trotz aller Brutalität nicht gelungen, das Land in den Griff zu bekommen. Über 4.000 US-Soldaten sind bereits gefallen, die direkten Ausgaben für den Krieg belaufen sich auf 800 Milliarden US-Dollar, die Gesamtkosten dürften bei über drei Billionen liegen. Auf der Irak-Konferenz waren sich alle Experten, vom ehemaligen US-Sicherheitsberater William R. Polk bis zum Direktor des Centre For Arab Unity Studies, Khair El-Din Haseeb, einig, dass die USA den Krieg nicht mehr gewinnen können.
Gedenkstätte für die gefallenen US-Soldaten in der USA | Foto: Nils Fretwurst
Im Vorfeld des Irak-Krieges hat sich Deutschland gegen eine Beteiligung an einem völkerrechtswidrigen Waffengang ausgesprochen und bildete als Folge dessen, in den Worten des damaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, zusammen mit Frankreich und Russland das „Alte Europa“. Wie ist die Rolle Berlins bei dem Krieg gegen Irak seitdem einzustufen?
Auf der außenpolitischen Ebene haben Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer tatsächlich gegen den Krieg opponiert. Praktisch hat man ihm aber nichts entgegengesetzt – im Gegenteil: Die Schröder-Regierung überließ den britischen und amerikanischen Verbündeten Deutschland als wichtigste logistische Drehscheibe. Die Bundeswehr stellte 2003 bis zu 4.200 Soldaten zur Bewachung von US-Kasernen ab, um amerikanische Kollegen für den Kriegseinsatz freizusetzen, sandte Patriot-Abwehrraketen in die Türkei und stationierte ABC-Schutzpanzer in Kuwait.
Bush und Schröder: Stillschweigende Allianz im Irakkrieg?
SPD und Grüne rechtfertigen dies bis heute mit Bündnisverpflichtungen und Stationierungsverträgen, die der Regierung keine andere Wahl gelassen hätten. Doch wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestages und später das Bundesverwaltungsgericht klipp und klar feststellten, gibt es keine Verpflichtungen und Verträge, die Deutschland zur Unterstützung einer völkerrechtlichen Aggression zwingen könnten. Und selbst wenn es welche gäbe, so ginge das Völkerrecht eindeutig vor.
Die deutsche Regierung wäre im Gegenteil, so das Bundesverwaltungsgericht, sogar verpflichtet gewesen, den Luftraum für die Aggressoren zu sperren und die Beteiligung der hier stationierten Truppen am Krieg mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, zu unterbinden.
Ali Fathollah-Nejad
Auch für die verbliebenen Monate der Bush-Regierung soll nach Ansicht einschlägiger Experten ein massiver Waffengang gegen den Iran durchaus im Rahmen des Möglichen sein. Seit Sommer letzten Jahres, und vor kurzem auch seitens des Oberbefehlshabers im Irak, General David Petraeus, wird in Washington über eine „iranische Einmischung im Irak“ gesprochen, wodurch US-Soldaten getötet und die irakische Regierung geschwächt würden. Was ist von solchen Beschuldigungen zu halten? Was für Faktoren sind bei der US-Besatzungspolitik im Irak hinsichtlich solch eines Übergriffes auf das Nachbarland Iran zu beachten?
Einerseits ist die prekäre Lage im Irak eines der wichtigsten Hindernisse für einen solchen Krieg. Die einzigen Kräfte, auf die sie sich außer den Kurden im Land stützen können, sind die beiden schiitischen Parteien SIIC (Supreme Islamic Iraqi Council, Höchster Islamisch-Irakischer Rat), vormals SCIRI (Höchster Rat für eine Islamische Revolution im Irak) und Dawa, die auch die Regierung dominieren. Beide haben aus dem Iran gegen das Regime Saddam Husseins gekämpft und unterhalten auch heute noch sehr enge Beziehungen zum iranischen Regime.
Die USA müssen damit rechnen, dass selbst bei einem begrenzten Angriff der US-Luftwaffe, sich zumindest Teile der im Iran ausgebildeten Badr-Brigaden des SIIC gegen ihre Truppen wenden würden. Unabhängig davon hat der Iran natürlich die Möglichkeit auf einen US-Angriff auf sein Territorium mit Vergeltungsangriffen auf die US-Streitkräfte zu reagieren, die in seiner unmittelbaren Reichweite sind – und das sind die Truppen im Irak und Afghanistan.
„Der Iran hat Interesse an Stabilisierung“
Auf der anderen Seite gibt es in der Tat Vorwürfe, der Iran würde sich im Irak destabilisierend einmischen und den schiitischen Widerstand militärisch unterstützen. Diese Beschuldigungen sind reine Propaganda. Zum einen, um vom Versagen ihrer Besatzungspolitik abzulenken und zum anderen, um einen Kriegsgrund zu fabrizieren. Die Stimmen in Washington, die fordern diese „Einmischung“ mit Waffengewalt zu beenden, werden immer lauter.
Selbstverständlich spielt der Iran eine gewichtige Rolle im Irak, aber vor allem über sein gutes Verhältnis zu den Regierungsparteien, inklusive der beiden kurdischen. Auch diese waren schließlich zu Saddam Husseins Seiten eng mit dem Iran verbündet. Auch auf wirtschaftlicher Ebene tut sich recht viel.
Der Iran hat daher ein starkes Interesse an einer Stabilisierung und wird sich insbesondere hüten, Milizen zu unterstützen, die britische und amerikanische Truppen angreifen, da diese schließlich auch Gegner der Regierungsparteien sind. Der iranische Botschafter hat zum Beispiel den vom irakischen Premier persönlich angeführte Angriff auf die Milizen des populären schiitischen Klerikers Muqtada al-Sadr, den die USA als einen ihrer Hauptfeinde betrachten, ausdrücklich unterstützt.
Eine Ältere Dame diskutiert mit irakischem Soldaten über Freiheit
Wie sieht die derzeitige Lage im Irak aus? In den Medien wird oft von sektiererischen Auseinandersetzungen zwischen sunnitischen und schiitischen Bevölkerungsgruppen gesprochen, während das Wort „Terrorismus“ viel häufiger zu hören ist als „Widerstand“.
Es gab vor der Besatzung keine gravierenden Konflikte zwischen den Schiiten und Sunniten, und auch heute verlaufen die Konfliktlinien nicht entlang konfessioneller Grenzen. Selbstverständlich gibt es eine ganze Reihe verschiedenster rivalisierender Kräfte, darunter terroristische Gruppen die Al-Qaida nahestehen und sektiererische religiöse Milizen. Im Wesentlichen stehen sich aber, wie auch die jüngsten Ereignisse in Basra zeigten, die Kräfte gegenüber, die im Bündnis mit der Besatzungsmacht ihre Ziele gewaltsam durchsetzten wollen – das sind die Kurdenparteien und die genannten radikalislamischen Schiitenparteien – und die, die sich dem, wie auch den Plänen der Besatzungsmacht widersetzen. Die überwiegende Mehrheit der Iraker ist sowohl entschieden gegen eine dauerhafte Präsenz der US-Truppen als auch gegen die Privatisierung des Öls und den Zerfall des Landes in quasi unabhängige Regionen.
Aus diesem Grund unterstützen die meisten Iraker den Widerstand. Dieser hat mit Terrorismus auch nichts zu tun. Er richtet sich, wie Jürgen Todenhöfer auch sehr gut in seinem neuen Buch Warum tötest Du Zaid? beschreibt, nicht gegen Zivilisten, sondern nur gegen Besatzungskräfte und ihre lokalen Verbündeten.
Sie haben die Militäroffensive der Bagdader Maliki-Regierung im Süden des Landes bereits erwähnt. Nach Ansicht des ehemaligen CIA-Mitarbeiters Ray McGovern, sei diese direkt von US-Vizepräsident Dick Cheney während seiner Tour in der Region Mitte März angeordnet worden. Welchen Zweck verfolgte die Offensive?
Selbstverständlich kam der Befehl zu dieser Offensive von den USA. Das militärische Oberkommando hat nach wie vor die US-Armee, und die irakische Armee hätte auch gar nicht die Mittel, eine so große Operation eigenständig durchzuführen.
Irakischer und US-Soldat: Seit an Seit im Krieg
Basra und andere Städte im Süden, waren von den Briten nach langen heftigen Kämpfen geräumt worden und wurden nun zum guten Teil von Besatzungsgegner wie der Bewegung al-Sadrs kontrolliert. Mit der Offensive wollten die USA und ihre irakischen Verbündeten die Kontrolle zurückzugewinnen. Basra ist schließlich das Zentrum der Ölwirtschaft, und hier sind auch die Häfen, über die das Gros des Öls verschifft wird. Im Visier hatten sie dabei nicht nur die gegnerischen Milizen, sondern auch die Gewerkschaften der Öl- und Hafenarbeiter, die sich bisher erfolgreich allen Privatisierungsmaßnahmen widersetzt haben.
Foto: James Mc Cauley
Der Versuch endete für die Besatzer allerdings in einem Fiasko. Sie sahen sich plötzlich von Bagdad bis Basra in heftige Kämpfe mit der Mahdi-Armee Muqtada al-Sadrs und anderen oppositionellen Kräften verwickelt und mussten mit ansehen, wie die mühsam aufgebaute irakische Armee reihenweise, zum Teil vor laufender Kamera, zu Al-Sadr überlief. Manche US-Historiker sehen hier schon einen Wendepunkt des Krieges, ähnlich der Tet-Offensive in Vietnam.
Erst ein durch iranische Vermittlung, an der Maliki-Regierung vorbei ausgehandelter Waffenstillstand beendete die Kämpfe – zumindest vorläufig. Da die US-Armee ihre Angriffe auf die Sadr-Bewegung fortführten, droht al-Sadr mit einem „offenen Krieg bis zur Befreiung.“
Die Berliner Irak-Konferenz hatte sich zum Ziel gesetzt, verschiedene mittlerweile ausgearbeitete Lösungswege auf ihren gemeinsamen Nenner hin zu überprüfen. Was sind die Eckpfeiler dieser Auswege und wie hoch schätzen Sie deren Erfolgsaussichten ein?
An erster Stelle steht die Beendigung der Besatzung. Solange die Besatzung andauert, ist an irgendwelche Lösungen nicht zu denken. Der erste Schritt wäre die Vereinbarung eines verbindlichen Zeitplans für den zügigen Abzug aller zivilen und militärischen Kräfte der Besatzungsmächte, verbunden mit der sofortigen Einstellung aller offensiven Operationen der Besatzungstruppen. Die meisten veranschlagen hier etwa sechs Monate. Das würde den Weg für Verhandlungen frei machen, unter Einbeziehung aller irakischen Akteure, inklusive des Widerstands.
Der Irak wird massive Hilfe benötigen, um das Land wiederaufbauen zu können. Nötig wird nach Ansicht der meisten Experten wie auch der irakischen Opposition der Einsatz von neutralen Friedenstruppen sein, um in bestimmten Brennpunkten Kämpfe rivalisierender Gruppen zu unterdrücken.
Möglichkeiten zur Einigung ohne Einmischung
Was die Erfolgsaussichten betrifft, so wäre ich, was die irakische Seite angeht, durchaus optimistisch. Die diversen irakischen Kräfte haben immer wieder gezeigt, dass sie sich durchaus einigen können, solange sich die Besatzungsmächte nicht einmischen. Wichtig wäre allerdings, dass die UNO endlich beginnen würde, eine neutrale, an den Interessen der Iraker orientierte Vermittlerrolle einzunehmen. Leider gibt es keine andere Organisation, die diesen „Job“ sonst übernehmen könnte.
Das Haupthindernis ist natürlich die US-Regierung, die nicht die geringste Bereitschaft zeigt, über einen Rückzug nachzudenken. Die beiden potentiellen demokratischen Präsidentschaftskandidaten haben zwar – sollten sie ins Weiße Haus einziehen – angekündigt, alle Kampftruppen aus dem Irak abzuziehen. Bezüglich der Zahl sonstiger Soldaten, die verbleiben sollen, bleiben sie jedoch vage. Selbst der kriegskritischere Barack Obama, will die Anzahl der Truppen „von der Sicherheitssituation vor Ort abhängig“ machen. Außer zur Sicherung der US-Einrichtungen und zur Ausbildung der irakischen Einheiten sollen wohl auf jeden Fall auch genügend Truppen vor Ort oder in Nachbarländern verbleiben, um effektiv Al-Qaida bekämpfen zu können. Das wäre also so etwas wie eine „Besatzung light“.
„Besatzung light?" – Barack Obama | Quelle: „Progress Action Fund"
Aber hier kann die Antikriegsbewegung in den USA ansetzen. Egal wie ernst es die Kandidaten mit ihren Versprechen meinen, der Irak-Krieg wird eines der bestimmenden Themen im Wahlkampf sein. Angesichts der offensichtlich prekären Situation der Besatzungstruppen, gilt es, sich mit den besseren Argumenten einzumischen und die Kandidaten dazu bringen, sich eindeutiger festzulegen. Die europäische Friedensbewegung sollte dies durch entsprechenden Druck auf die verbündeten Regierungen unterstützen. Sie müsste sich in dieser Phase weit stärker gegen den Irak-Krieg engagieren, ihn zu ihrem zentralen Thema machen. (CH)
Online-Flyer Nr. 143 vom 23.04.2008
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Globales
Interview mit Joachim Guilliard, Organisator der Internationalen Irak-Konferenz
„Abzug ist die einzige Alternative“
Von Ali Fathollah-Nejad
Im März wurde anlässlich des fünften Jahrestages der Invasion des Irak durch britisch-amerikanische Truppen eine Internationale Konferenz in Berlin abgehalten. Was waren die Beweggründe, solch eine Konferenz mit internationaler Beteiligung in der deutschen Hauptstadt abzuhalten?
Joachim Guilliard
auf der Berliner Irak-Konferenz
Obwohl im Hinblick auf das Ausmaß des Krieges und die weltpolitische Bedeutung durchaus mit dem Vietnam-Krieg vergleichbar, entwickelte sich bisher keine breite Protestbewegung dagegen. Offensichtlich fördern die täglichen Nachrichten und Bilder aus dem Irak vor allem eines: Hilflosigkeit. Das liegt hauptsächlich an ihrer totalen Einseitigkeit. Kämen zum Beispiel, wie im Vietnam-Krieg, auch die Bilder der Bombenangriffe der US-Luftwaffe, so sähe das schon deutlich anders aus.
Die Medienberichte konzentrieren sich aber ausschließlich auf die Konflikte zwischen irakischen Kräften, auf das Milizen-Unwesen, auf religiös motivierte Gewalt und Terroranschläge. Die von den US-geführten Truppen ausgeübte Gewalt erscheint nirgends. Die Besatzer erscheinen gar als Kräfte, die verzweifelt bemüht sind, einem in sich zerrissenen Land Frieden und Stabilität zu bringen. Ihr Abzug, so heißt es, würde das Land in noch größeres Chaos stürzen. Die Konferenz sollte dazu dienen dieses schräge Bild durch kompetente Referenten, nicht zuletzt aus dem Irak und aus den USA, geradezurücken.
Was waren die Konferenzschwerpunkte und die damit einhergehenden Schlussfolgerungen?
Ein Schwerpunkt war, analog dem Bericht „War and Occupation in Iraq“, den das Global Policy Forum im Juni 2007 zusammen mit 30 weiteren Friedens- und Menschenrechtsgruppen veröffentlichte, den Nachweis zu erbringen, dass die USA hauptverantwortlich für die fürchterliche Situation und auch unmittelbar für die eskalierende Gewalt sind. Der zweite Schwerpunkt bildete die Diskussion von Lösungsansätzen, die es durchaus sowohl von Seiten unabhängiger westlicher Experten, als auch von Seiten der irakischen Opposition gegen die Besatzung gibt.
US-Truppen im Irak – ohne Zweifel verantwortlich für die Gewalt
Was für ein Fazit ziehen Sie nach einem halben Jahrzehnt Besatzung des Irak?
Nun, die Bilanz dieser fünf Jahre ist, wie ich bereits angedeutet habe, verheerend. Der Alltag ist bestimmt durch allgegenwärtige Gewalt und eine katastrophale Versorgung. Gesundheits- und Bildungswesen sind am Boden. Die Politik des Teile und Herrsche hat bereits tiefe Risse in der irakischen Gesellschaft hinterlassen.
Den USA ist es allerdings trotz aller Brutalität nicht gelungen, das Land in den Griff zu bekommen. Über 4.000 US-Soldaten sind bereits gefallen, die direkten Ausgaben für den Krieg belaufen sich auf 800 Milliarden US-Dollar, die Gesamtkosten dürften bei über drei Billionen liegen. Auf der Irak-Konferenz waren sich alle Experten, vom ehemaligen US-Sicherheitsberater William R. Polk bis zum Direktor des Centre For Arab Unity Studies, Khair El-Din Haseeb, einig, dass die USA den Krieg nicht mehr gewinnen können.
Gedenkstätte für die gefallenen US-Soldaten in der USA | Foto: Nils Fretwurst
Im Vorfeld des Irak-Krieges hat sich Deutschland gegen eine Beteiligung an einem völkerrechtswidrigen Waffengang ausgesprochen und bildete als Folge dessen, in den Worten des damaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, zusammen mit Frankreich und Russland das „Alte Europa“. Wie ist die Rolle Berlins bei dem Krieg gegen Irak seitdem einzustufen?
Auf der außenpolitischen Ebene haben Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer tatsächlich gegen den Krieg opponiert. Praktisch hat man ihm aber nichts entgegengesetzt – im Gegenteil: Die Schröder-Regierung überließ den britischen und amerikanischen Verbündeten Deutschland als wichtigste logistische Drehscheibe. Die Bundeswehr stellte 2003 bis zu 4.200 Soldaten zur Bewachung von US-Kasernen ab, um amerikanische Kollegen für den Kriegseinsatz freizusetzen, sandte Patriot-Abwehrraketen in die Türkei und stationierte ABC-Schutzpanzer in Kuwait.
Bush und Schröder: Stillschweigende Allianz im Irakkrieg?
SPD und Grüne rechtfertigen dies bis heute mit Bündnisverpflichtungen und Stationierungsverträgen, die der Regierung keine andere Wahl gelassen hätten. Doch wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestages und später das Bundesverwaltungsgericht klipp und klar feststellten, gibt es keine Verpflichtungen und Verträge, die Deutschland zur Unterstützung einer völkerrechtlichen Aggression zwingen könnten. Und selbst wenn es welche gäbe, so ginge das Völkerrecht eindeutig vor.
Die deutsche Regierung wäre im Gegenteil, so das Bundesverwaltungsgericht, sogar verpflichtet gewesen, den Luftraum für die Aggressoren zu sperren und die Beteiligung der hier stationierten Truppen am Krieg mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, zu unterbinden.
Ali Fathollah-Nejad
Einerseits ist die prekäre Lage im Irak eines der wichtigsten Hindernisse für einen solchen Krieg. Die einzigen Kräfte, auf die sie sich außer den Kurden im Land stützen können, sind die beiden schiitischen Parteien SIIC (Supreme Islamic Iraqi Council, Höchster Islamisch-Irakischer Rat), vormals SCIRI (Höchster Rat für eine Islamische Revolution im Irak) und Dawa, die auch die Regierung dominieren. Beide haben aus dem Iran gegen das Regime Saddam Husseins gekämpft und unterhalten auch heute noch sehr enge Beziehungen zum iranischen Regime.
Die USA müssen damit rechnen, dass selbst bei einem begrenzten Angriff der US-Luftwaffe, sich zumindest Teile der im Iran ausgebildeten Badr-Brigaden des SIIC gegen ihre Truppen wenden würden. Unabhängig davon hat der Iran natürlich die Möglichkeit auf einen US-Angriff auf sein Territorium mit Vergeltungsangriffen auf die US-Streitkräfte zu reagieren, die in seiner unmittelbaren Reichweite sind – und das sind die Truppen im Irak und Afghanistan.
„Der Iran hat Interesse an Stabilisierung“
Auf der anderen Seite gibt es in der Tat Vorwürfe, der Iran würde sich im Irak destabilisierend einmischen und den schiitischen Widerstand militärisch unterstützen. Diese Beschuldigungen sind reine Propaganda. Zum einen, um vom Versagen ihrer Besatzungspolitik abzulenken und zum anderen, um einen Kriegsgrund zu fabrizieren. Die Stimmen in Washington, die fordern diese „Einmischung“ mit Waffengewalt zu beenden, werden immer lauter.
Selbstverständlich spielt der Iran eine gewichtige Rolle im Irak, aber vor allem über sein gutes Verhältnis zu den Regierungsparteien, inklusive der beiden kurdischen. Auch diese waren schließlich zu Saddam Husseins Seiten eng mit dem Iran verbündet. Auch auf wirtschaftlicher Ebene tut sich recht viel.
Der Iran hat daher ein starkes Interesse an einer Stabilisierung und wird sich insbesondere hüten, Milizen zu unterstützen, die britische und amerikanische Truppen angreifen, da diese schließlich auch Gegner der Regierungsparteien sind. Der iranische Botschafter hat zum Beispiel den vom irakischen Premier persönlich angeführte Angriff auf die Milizen des populären schiitischen Klerikers Muqtada al-Sadr, den die USA als einen ihrer Hauptfeinde betrachten, ausdrücklich unterstützt.
Eine Ältere Dame diskutiert mit irakischem Soldaten über Freiheit
Wie sieht die derzeitige Lage im Irak aus? In den Medien wird oft von sektiererischen Auseinandersetzungen zwischen sunnitischen und schiitischen Bevölkerungsgruppen gesprochen, während das Wort „Terrorismus“ viel häufiger zu hören ist als „Widerstand“.
Es gab vor der Besatzung keine gravierenden Konflikte zwischen den Schiiten und Sunniten, und auch heute verlaufen die Konfliktlinien nicht entlang konfessioneller Grenzen. Selbstverständlich gibt es eine ganze Reihe verschiedenster rivalisierender Kräfte, darunter terroristische Gruppen die Al-Qaida nahestehen und sektiererische religiöse Milizen. Im Wesentlichen stehen sich aber, wie auch die jüngsten Ereignisse in Basra zeigten, die Kräfte gegenüber, die im Bündnis mit der Besatzungsmacht ihre Ziele gewaltsam durchsetzten wollen – das sind die Kurdenparteien und die genannten radikalislamischen Schiitenparteien – und die, die sich dem, wie auch den Plänen der Besatzungsmacht widersetzen. Die überwiegende Mehrheit der Iraker ist sowohl entschieden gegen eine dauerhafte Präsenz der US-Truppen als auch gegen die Privatisierung des Öls und den Zerfall des Landes in quasi unabhängige Regionen.
Aus diesem Grund unterstützen die meisten Iraker den Widerstand. Dieser hat mit Terrorismus auch nichts zu tun. Er richtet sich, wie Jürgen Todenhöfer auch sehr gut in seinem neuen Buch Warum tötest Du Zaid? beschreibt, nicht gegen Zivilisten, sondern nur gegen Besatzungskräfte und ihre lokalen Verbündeten.
Sie haben die Militäroffensive der Bagdader Maliki-Regierung im Süden des Landes bereits erwähnt. Nach Ansicht des ehemaligen CIA-Mitarbeiters Ray McGovern, sei diese direkt von US-Vizepräsident Dick Cheney während seiner Tour in der Region Mitte März angeordnet worden. Welchen Zweck verfolgte die Offensive?
Selbstverständlich kam der Befehl zu dieser Offensive von den USA. Das militärische Oberkommando hat nach wie vor die US-Armee, und die irakische Armee hätte auch gar nicht die Mittel, eine so große Operation eigenständig durchzuführen.
Irakischer und US-Soldat: Seit an Seit im Krieg
Basra und andere Städte im Süden, waren von den Briten nach langen heftigen Kämpfen geräumt worden und wurden nun zum guten Teil von Besatzungsgegner wie der Bewegung al-Sadrs kontrolliert. Mit der Offensive wollten die USA und ihre irakischen Verbündeten die Kontrolle zurückzugewinnen. Basra ist schließlich das Zentrum der Ölwirtschaft, und hier sind auch die Häfen, über die das Gros des Öls verschifft wird. Im Visier hatten sie dabei nicht nur die gegnerischen Milizen, sondern auch die Gewerkschaften der Öl- und Hafenarbeiter, die sich bisher erfolgreich allen Privatisierungsmaßnahmen widersetzt haben.
Foto: James Mc Cauley
Erst ein durch iranische Vermittlung, an der Maliki-Regierung vorbei ausgehandelter Waffenstillstand beendete die Kämpfe – zumindest vorläufig. Da die US-Armee ihre Angriffe auf die Sadr-Bewegung fortführten, droht al-Sadr mit einem „offenen Krieg bis zur Befreiung.“
Die Berliner Irak-Konferenz hatte sich zum Ziel gesetzt, verschiedene mittlerweile ausgearbeitete Lösungswege auf ihren gemeinsamen Nenner hin zu überprüfen. Was sind die Eckpfeiler dieser Auswege und wie hoch schätzen Sie deren Erfolgsaussichten ein?
An erster Stelle steht die Beendigung der Besatzung. Solange die Besatzung andauert, ist an irgendwelche Lösungen nicht zu denken. Der erste Schritt wäre die Vereinbarung eines verbindlichen Zeitplans für den zügigen Abzug aller zivilen und militärischen Kräfte der Besatzungsmächte, verbunden mit der sofortigen Einstellung aller offensiven Operationen der Besatzungstruppen. Die meisten veranschlagen hier etwa sechs Monate. Das würde den Weg für Verhandlungen frei machen, unter Einbeziehung aller irakischen Akteure, inklusive des Widerstands.
Der Irak wird massive Hilfe benötigen, um das Land wiederaufbauen zu können. Nötig wird nach Ansicht der meisten Experten wie auch der irakischen Opposition der Einsatz von neutralen Friedenstruppen sein, um in bestimmten Brennpunkten Kämpfe rivalisierender Gruppen zu unterdrücken.
Möglichkeiten zur Einigung ohne Einmischung
Was die Erfolgsaussichten betrifft, so wäre ich, was die irakische Seite angeht, durchaus optimistisch. Die diversen irakischen Kräfte haben immer wieder gezeigt, dass sie sich durchaus einigen können, solange sich die Besatzungsmächte nicht einmischen. Wichtig wäre allerdings, dass die UNO endlich beginnen würde, eine neutrale, an den Interessen der Iraker orientierte Vermittlerrolle einzunehmen. Leider gibt es keine andere Organisation, die diesen „Job“ sonst übernehmen könnte.
Das Haupthindernis ist natürlich die US-Regierung, die nicht die geringste Bereitschaft zeigt, über einen Rückzug nachzudenken. Die beiden potentiellen demokratischen Präsidentschaftskandidaten haben zwar – sollten sie ins Weiße Haus einziehen – angekündigt, alle Kampftruppen aus dem Irak abzuziehen. Bezüglich der Zahl sonstiger Soldaten, die verbleiben sollen, bleiben sie jedoch vage. Selbst der kriegskritischere Barack Obama, will die Anzahl der Truppen „von der Sicherheitssituation vor Ort abhängig“ machen. Außer zur Sicherung der US-Einrichtungen und zur Ausbildung der irakischen Einheiten sollen wohl auf jeden Fall auch genügend Truppen vor Ort oder in Nachbarländern verbleiben, um effektiv Al-Qaida bekämpfen zu können. Das wäre also so etwas wie eine „Besatzung light“.
„Besatzung light?" – Barack Obama | Quelle: „Progress Action Fund"
Aber hier kann die Antikriegsbewegung in den USA ansetzen. Egal wie ernst es die Kandidaten mit ihren Versprechen meinen, der Irak-Krieg wird eines der bestimmenden Themen im Wahlkampf sein. Angesichts der offensichtlich prekären Situation der Besatzungstruppen, gilt es, sich mit den besseren Argumenten einzumischen und die Kandidaten dazu bringen, sich eindeutiger festzulegen. Die europäische Friedensbewegung sollte dies durch entsprechenden Druck auf die verbündeten Regierungen unterstützen. Sie müsste sich in dieser Phase weit stärker gegen den Irak-Krieg engagieren, ihn zu ihrem zentralen Thema machen. (CH)
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