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Horst Sturm zum 85. Geburtstag
Ein Bild kann einen Menschen berühren
Von Anneliese Fikentscher

Horst Sturm, Berlin, 1952
„Knipsen Sie?“ wurde Horst Sturm hin und wieder gefragt. Seine Antwort lautete: „Nein, ich fotografiere.“ „Auch in bunt?“ „Nein, in Farbe.“ Das Gros seines fotografischen Werkes seit 1949 entsteht auf schwarz-weiß Film und ist ein immanentes Votum für die Geltung der Fotografie über den unmittelbaren Gebrauchswert – beispielsweise einer Bildagentur – hinaus. Als leidenschaftlicher Bildreporter wollte Sturm nie allein „Terminerfüller“ sein. Vielmehr: „Das Leben in seiner Vielfalt mit der Kamera einzufangen, Kontakt mit den Menschen zu haben, Freud und Leid, Land und Leute sowie aktuelle Ereignisse mit den Mitteln der Fotografie schöpferisch umzusetzen, war und ist für mich die schönste Aufgabe.“
Weg von Schablone und Klischee
Einige Bilder rettete Horst Sturm im schnellen Geschäft im wahrsten Sinne aus der Tonne: Die seltene Aufnahme von Brecht und Weigel zum Beispiel hatte man in der Agentur übersehen. Oder 1950 die Aufnahme vom Protest des berühmten Atomforschers Robert Havemanns in West-Berlin, der dem Fotografen bei seiner Festnahme zuruft: „Weil ich gegen die Atombombe bin, werde ich verhaftet“, brachte der Reporter in einem Butterbrot in Sicherheit, nachdem er nach einer einzigen Aufnahme selbst festgenommen und in eine Zelle gesteckt wurde.

Helene Weigel und Bertolt Brecht – Berlin, Berliner Ensemble, 1. Mai 1951
Gängigen Bildvorstellungen innerhalb der Agentur versuchte er entgegenzuwirken. Eine Portraitaufnahme von Arnold Zweig umgeben von zuprostenden Händen einer Schar von Gratulanten zum 80. Geburtstag wird von der Agentur ablehnt. In Moskau erhält er als Preis dafür eine Goldmedaille. 1965 gründet er mit anderen die Gruppe Signum, die sich das Ziel setzt: Weg von Schablone und klischeehaften Darstellungen!
Ein Bild kann einen Menschen erschüttern
Ist der Beruf des Bildreporters für ihn ein Traumberuf? „Für mich ist er es. Allerdings gehören große Liebe und Leidenschaft zur Fotografie dazu, um die oft zu leistende Schwerstarbeit, Entbehrungen, Zurückstellungen des Privatlebens zu bewältigen und nicht als unzumutbar zu empfinden.“ [2] Zahlreiche Reisen führen ihn zu politischen Konferenzen nach Genf und Helsinki oder mit einem Reportageauftrag über Wochen und Monate in die Mongolei, nach Russland oder in den Nahen Osten – manchmal auch zur Ausbildung. In der Mongolei ist es üblich, als Gast um die Jurte zu reiten, um anschließend als vornehme Köstlichkeit Hammelaugen serviert zu bekommen. Weil alles überall nach Hammel riecht, fällt der begleitende Redakteur aufgrund einer Krankheit aus.

Schützende Hände – Mongolische Volksrepublik, 1975
Horst Sturm ordert bei der deutschen Vertretung eine Kiste Wodka – und macht weiter. Es entstehen eindringliche, fast intime Portraits. Das Bild der Großmutter, die ihre „schützenden Hände“ um den Kopf des Enkels legt, ist Teil einer durchgängigen Idee aussagekräftiger Hände. Diese Idee trägt der mit aller Bewusstheit am Berliner Kollwitzplatz lebende Bildgestalter mit um die Welt.
„Ein Bild kann einen Menschen berühren, zum Nachdenken bringen, erschüttern...“ So „ist und bleibt“ die Pressefotografie, „das Nachrichtenfoto“ – wie es im damaligen Sprachgebrauch heißt, „ein wichtiger Informationsträger, trotz Fernsehens“, äußert der um die Wahrhaftigkeit besorgte 65jährige Bildjournalist noch 1988 beim Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben. Wie unvorstellbar geschickt durch Auslassung heutzutage per sogenanntem Agenda- und Framesetting mit Bildern talentiertester Fotografen (Nachtwey) gelogen werden kann, mag er sich mit 85 Jahren nicht mehr vorstellen.
Blick für Gestaltung und Bildidee
Die Frage, was ein gutes Bild ausmacht, lässt sich nicht so einfach beantworten: „Entweder da ist wat oder da is nischt.“ Mit dem berühmten Fotomonteur John Heartfield saß Horst Sturm in preisauslobenden Juries. Heartfield wertete kurz angebunden und meist unwidersprochen: das ist gut, das ist nicht gut. Wenn Horst Sturm anderer Meinung war, ließ er die vom großen Meister abqualifizierten Bilder nochmals unbemerkt vorlegen – und siehe da: plötzlich waren sie gut!

Horst Sturm 1988 mit seiner Schülerin
Gabriele Senft
Seinen Volontärinnen und Studenten sagt er immer wieder: „Ich kann euch die Technik beibringen. Aber ob ihr Ideen habt, Phantasie, det müsst ihr nu selber irgendwie erfinden. Ick kann euch nur Beispiele jeben.“ Horst Sturms Beispiele haben es in sich. Es sind mit Licht geschriebene Kompositionen, im scharfen Gegenlicht geschwärzte Umrisse des Marktgeschehens am Alexanderplatz, Formgestaltung, Portraitausschnitte unter akzentuierter Einbeziehung von Vorder- oder Hintergrund. Blitzlicht ist tabu. Das macht alles kaputt.
Die Kamera wird erst kurz vorm Friedhof abjejeben
Seinen VolontärInnen gibt er die Kamera nach Feierabend mit nach Hause. Was soll die im Schrank, wenn du im nächsten Moment auf der Straße den spannendsten, den alltäglichsten Situationen ausgesetzt bist. „Die Kamera wird erst abjejeben kurz vorm Friedhof“, lautet eine seiner formulierten Selbstverständlichkeiten, die er den AnwärterInnen auf einen Studienplatz für Journalistik mit Leidenschaft auf den Weg geben will: „Ein aktiver Bildjournalist..., wird die Kamera nicht beiseite legen. Das Wertvollste, was er besitzt, sind seine Bilder.“ [3] (CH)
Postkarten zum Bestellen auf www.arbeiterfotografie.com

Thomas Mann und Johannes R. Becher – Weimar, 1955
Besuch von von Nikita S. Chruschtschow – Berlin, Schönhauser Allee/Ecke Dimitroffstraße, 1963

Mahn- und Gedenkstätte – Buchenwald, 1958

Kranzniederlegung durch Bundeskanzler Willy Brandt (rechts neben ihm Otto Winzer, Außenminister der DDR) – Buchenwald bei Weimar, 19.3.1970

Verhaftung – West-Berlin, nahe Bahnhof Zoo, 1968

An der Schleuse – Berlin, 1955

Meister und Geselle – Berlin, Köpenick, ca. 1960

Umgestaltung Kollwitzplatz mit Käthe-Kollwitz-Denkmal – Berlin, Prenzlauerberg, 1977

Im Flüchtlingslager Chatila – Beirut, 1980
Alle Bilder (sofern nicht anders vermerkt oder selbst dargestellt) Horst Sturm
Online-Flyer Nr. 146 vom 14.05.2008
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Horst Sturm zum 85. Geburtstag
Ein Bild kann einen Menschen berühren
Von Anneliese Fikentscher

Horst Sturm, Berlin, 1952
Weg von Schablone und Klischee
Einige Bilder rettete Horst Sturm im schnellen Geschäft im wahrsten Sinne aus der Tonne: Die seltene Aufnahme von Brecht und Weigel zum Beispiel hatte man in der Agentur übersehen. Oder 1950 die Aufnahme vom Protest des berühmten Atomforschers Robert Havemanns in West-Berlin, der dem Fotografen bei seiner Festnahme zuruft: „Weil ich gegen die Atombombe bin, werde ich verhaftet“, brachte der Reporter in einem Butterbrot in Sicherheit, nachdem er nach einer einzigen Aufnahme selbst festgenommen und in eine Zelle gesteckt wurde.

Helene Weigel und Bertolt Brecht – Berlin, Berliner Ensemble, 1. Mai 1951
Gängigen Bildvorstellungen innerhalb der Agentur versuchte er entgegenzuwirken. Eine Portraitaufnahme von Arnold Zweig umgeben von zuprostenden Händen einer Schar von Gratulanten zum 80. Geburtstag wird von der Agentur ablehnt. In Moskau erhält er als Preis dafür eine Goldmedaille. 1965 gründet er mit anderen die Gruppe Signum, die sich das Ziel setzt: Weg von Schablone und klischeehaften Darstellungen!
Ein Bild kann einen Menschen erschüttern
Ist der Beruf des Bildreporters für ihn ein Traumberuf? „Für mich ist er es. Allerdings gehören große Liebe und Leidenschaft zur Fotografie dazu, um die oft zu leistende Schwerstarbeit, Entbehrungen, Zurückstellungen des Privatlebens zu bewältigen und nicht als unzumutbar zu empfinden.“ [2] Zahlreiche Reisen führen ihn zu politischen Konferenzen nach Genf und Helsinki oder mit einem Reportageauftrag über Wochen und Monate in die Mongolei, nach Russland oder in den Nahen Osten – manchmal auch zur Ausbildung. In der Mongolei ist es üblich, als Gast um die Jurte zu reiten, um anschließend als vornehme Köstlichkeit Hammelaugen serviert zu bekommen. Weil alles überall nach Hammel riecht, fällt der begleitende Redakteur aufgrund einer Krankheit aus.

Schützende Hände – Mongolische Volksrepublik, 1975
Horst Sturm ordert bei der deutschen Vertretung eine Kiste Wodka – und macht weiter. Es entstehen eindringliche, fast intime Portraits. Das Bild der Großmutter, die ihre „schützenden Hände“ um den Kopf des Enkels legt, ist Teil einer durchgängigen Idee aussagekräftiger Hände. Diese Idee trägt der mit aller Bewusstheit am Berliner Kollwitzplatz lebende Bildgestalter mit um die Welt.
„Ein Bild kann einen Menschen berühren, zum Nachdenken bringen, erschüttern...“ So „ist und bleibt“ die Pressefotografie, „das Nachrichtenfoto“ – wie es im damaligen Sprachgebrauch heißt, „ein wichtiger Informationsträger, trotz Fernsehens“, äußert der um die Wahrhaftigkeit besorgte 65jährige Bildjournalist noch 1988 beim Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben. Wie unvorstellbar geschickt durch Auslassung heutzutage per sogenanntem Agenda- und Framesetting mit Bildern talentiertester Fotografen (Nachtwey) gelogen werden kann, mag er sich mit 85 Jahren nicht mehr vorstellen.
Blick für Gestaltung und Bildidee
Die Frage, was ein gutes Bild ausmacht, lässt sich nicht so einfach beantworten: „Entweder da ist wat oder da is nischt.“ Mit dem berühmten Fotomonteur John Heartfield saß Horst Sturm in preisauslobenden Juries. Heartfield wertete kurz angebunden und meist unwidersprochen: das ist gut, das ist nicht gut. Wenn Horst Sturm anderer Meinung war, ließ er die vom großen Meister abqualifizierten Bilder nochmals unbemerkt vorlegen – und siehe da: plötzlich waren sie gut!

Horst Sturm 1988 mit seiner Schülerin
Gabriele Senft
Die Kamera wird erst kurz vorm Friedhof abjejeben
Seinen VolontärInnen gibt er die Kamera nach Feierabend mit nach Hause. Was soll die im Schrank, wenn du im nächsten Moment auf der Straße den spannendsten, den alltäglichsten Situationen ausgesetzt bist. „Die Kamera wird erst abjejeben kurz vorm Friedhof“, lautet eine seiner formulierten Selbstverständlichkeiten, die er den AnwärterInnen auf einen Studienplatz für Journalistik mit Leidenschaft auf den Weg geben will: „Ein aktiver Bildjournalist..., wird die Kamera nicht beiseite legen. Das Wertvollste, was er besitzt, sind seine Bilder.“ [3] (CH)
Postkarten zum Bestellen auf www.arbeiterfotografie.com

Thomas Mann und Johannes R. Becher – Weimar, 1955

Besuch von von Nikita S. Chruschtschow – Berlin, Schönhauser Allee/Ecke Dimitroffstraße, 1963

Mahn- und Gedenkstätte – Buchenwald, 1958

Kranzniederlegung durch Bundeskanzler Willy Brandt (rechts neben ihm Otto Winzer, Außenminister der DDR) – Buchenwald bei Weimar, 19.3.1970

Verhaftung – West-Berlin, nahe Bahnhof Zoo, 1968

An der Schleuse – Berlin, 1955

Meister und Geselle – Berlin, Köpenick, ca. 1960

Umgestaltung Kollwitzplatz mit Käthe-Kollwitz-Denkmal – Berlin, Prenzlauerberg, 1977

Im Flüchtlingslager Chatila – Beirut, 1980
Alle Bilder (sofern nicht anders vermerkt oder selbst dargestellt) Horst Sturm
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