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Medien
Reflexe und Reflexionen über Islam in den Medien – Teil III
Betont wird immer das Trennende
Von Dr. Sabine Schiffer

Dieser Beitrag könnte geeignet sein, das Feindbild „Islam“ durch das Feindbild „Medien“ zu ersetzen. Denn auf Grund der Auswahl der Beispiele aus dem Mediendiskurs über Islam und Muslime in Deutschland kann man den Eindruck gewinnen, dass „DIE Medien“, die es natürlich ebenso wenig gibt, wie „DEN Islam“, an allem schuld seien. Medien als Teil und Spiegel der öffentlichen Diskussion haben natürlich eine große Verantwortung, weil sie - in der Regel abhängig von den Produktionsbedingungen - die Diskussion auch stark beeinflussen. Auch dieser dritte Beitrag unserer dreiteiligen Serie fokussiert - ganz „medienmäßig“ - bestimmte problematische Aspekte der Darstellung von Islam und Muslimen und lässt bewusst die guten Bemühungen und gelungenen differenzierten Beispiele außen vor. – Die Redaktion
 
Kommen wir noch einmal zurück zum bereits in Folge II erwähnten Stern mit dem Titel „Unbekannte Nachbarn“. Der sicherlich nicht so schlechte Heftinhalt, der etwas mehr Vielfalt bei muslimischen Protagonisten zulässt, verbleibt doch in der Beschreibungsstruktur eines Objekts der Betrachtung: „Wer sie sind, wie sie denken, wie sie leben.“ Sie, die anderen also. Dies ist ein gutes Beispiel über die Auswirkungen auch des wohlmeinenden Diskurses und auch unserer Thematisierungen hier, wie die Soziologen Butterwegge und Hentges den Mechanismus beschreiben (1). Wir alle verfestigen damit die antagonistische Wahrnehmung, das Trennende, das „wir“ vs. „ihr“ – allein schon durch die explizite Thematisierung. Eine explizite Thematisierung widerspricht einer Wahrnehmung als Normalität.

Stern 12.10.2006
Stern 12.10.2006

So auch gut gemeinte Äußerungen wie „Die Mehrzahl der Muslime ist friedliebend.“ Natürlich sind sie das! Wenn ich es aber extra erwähnen muss, dann ist bereits suggeriert, dass diese Erwähnung relevant sei – und damit wird wiederum der Eindruck verstärkt, dass man das in Bezug auf Muslime extra sagen müsse. Hier wird das Dilemma deutlich, in dem wir alle stecken und dessen Lösung wir nicht allein von Medienseite erwarten können. Hier haben wir uns bereits in eine diskursive Sackgasse manövriert, in der Einteilungen, die eigentlich immer themenabhängig und damit temporär sind, sich verselbständigt haben.
 
Markieren der Religionszugehörigkeit…
 
Leichter vermeiden lassen sich hingegen irrelevante Markierungen von Gruppenzugehörigkeitsmerkmalen. Folgendes inzwischen fast gängig gewordenes Beispiel soll uns dies illustrieren: „Die Stadt Regensburg hatte wegen Terrorverdachts die Ausweisung des Muslimen verfügt.“ (2) Vermutlich fällt diese Art von Markierung bei dem Beispiel aus den Nürnberger Nachrichten kaum noch auf – hat sich doch schon eine Tradition in der verknüpften Wahrnehmung von Islam und Terror etabliert. Und es steckt auch sicher keine böse Absicht dahinter, sondern es wurde hier nach allen Mitteln der Stilistik das Subjekt gewechselt. Wir lernen alle im Deutschunterricht, dass man in der Begriffswahl variieren soll und so wurde in diesem Text aus einem „Tunesier“ ein „junger Mann“ und schließlich auch ein „Muslim“. Stimmt ja auch alles – alle genannten Merkmale sind korrekt. Dennoch bleibt die Frage der Relevanz und die ist nicht immer eindeutig zu beantworten. Eine Erwähnung eines Gruppenmerkmals – sei es national, ethnisch, religiös oder sexistisch – suggeriert eben immer dessen Relevanz. Das ist eine Grundmaxime der Kommunikation.
 
…früher schon bei Juden
 
Vergleichen wir zur Verdeutlichung das angeführte Beispiel mit einem historischen Zitat aus der Berichterstattung über den Börsen- und Gründerschwindel 1873/74: „Herr Paul Munk, der wie so viele seiner Glaubensgenossen hier sein Glück machte, kam aus der Grafschaft Posen.“(3) Der Journalist Otto Glagau hatte in einer angesehenen Berliner Zeitschrift alle beteiligten Verbrecher des Skandals kritisiert. Bei den jüdischen Beteiligten aber hat er deren Religionszugehörigkeit mit erwähnt – entweder durch den Verweis auf die anderen „Glaubensgenossen“, durch das Adjektiv „jüdisch“ oder den Hinweis, dass der Kritisierte „mosaischen Glaubens“ sei. Dem aufkommenden Antisemitismusvorwurf konnte Glagau dadurch begegnen, dass er darauf hinwies, er habe alle Verbrecher kritisiert. Und das stimmt, er hat niemanden geschont. Sprach von Markierung und Relevanzsuggestion durch das Einbringen irrelevanter Merkmale damals niemand und so blieb undiskutiert, dass er ausschließlich „die Juden“ markiert hatte. Und schon hieraus ist der Eindruck entstanden, der Sachverhalt von Schwindel und Betrug habe vor allem etwas mit „denen“ zu tun – eine willkommene Projektion zum Erhalt des idealisierten Selbstbilds. Die aufgeregten Diskussionen bis zum Jahrhundertwechsel und darüber hinaus, die eine „jüdische Frage“ plausibel machten, zeugen von diesem Missverständnis, das auch in den Jahrhunderten zuvor in ähnlicher Weise funktioniert hatte und auch heute noch in gleicher Weise wirkt – auch in Bezug auf „die Juden“.
 
Genau in diese Markierungsfalle drohen wir nun wieder zu tappen. Da inzwischen das starke Framing alles Islamischen diesen zum Nachrichtenwertfaktor hat werden lassen, kommen auch vermehrt Berichte aus dem vermeintlichen oder tatsächlichen islamischen Themenfeld. Ob positiv oder negativ, das ständige Bedienen der Kategorie „Muslimisch“ verführt zur übergeordneten Wahrnehmung dieses Merkmals vor anderen – vielleicht relevanteren – soziologischen Faktoren.
 
Von Ludwig Börne durchschaut
 
Ludwig Börne hat Anfang des 19. Jahrhunderts genau diesen Mechanismus durchschaut und treffend formuliert: „Die Einen werfen mir vor, daß ich ein Jude sey, die Anderen verzeihen mir es; der Dritte lobt mich gar dafür; aber Alle denken daran. Sie sind wie gebannt in diesem magischen Judenkreise, es kann keiner hinaus.“(4) Die markierte Wahrnehmung einer Gruppe – egal ob eine nationale, religiöse oder andere – enthält immer das Potenzial der Projektion von Einzelereignissen auf die gesamte Gruppe, wen es halt gerade trifft, wessen Markierung halt gerade besonders virulent ist. Die erklärt auch, warum inzwischen der Interpretationsweg von multifaktoralen Ereignissen hin zur Reduktion auf „den Islam“ als Erklärungsmuster so kurz geworden ist – wie etwa bei diesem Focus-Titel nach den Vorkommnissen in der Berliner Rütli-Schule, wo ein kleiner Teil der Beteiligten auch Muslime waren.

Focus
Focus 10.4.2006

Das Kopftuch ist ein dankbares Symbol unserer visuell geprägten Kommunikationskultur und vertritt hier quasi die Kategorie „Fremdheit“, die also inzwischen stark als „islamisch“ empfunden wird. In dem aktuellen Kontext wirkt es sich geradezu katastrophal aus, wenn sich nun auch noch muslimische Verbände über das gewachsene Interesse am Islam freuen und zu allen möglichen Themen Erklärungen zum Islam anbieten. Dabei geht es genau um diesen eigentlich nicht. Bietet man aber Islamisches als Erklärung an, dann behauptet man selber genau den Zusammenhang, gegen den man eigentlich argumentieren will. Hier wäre genau der einzelne Sachverhalt zu prüfen, um dann im relevanten Kontext zu agieren – also, wenn es um interreligiösen Dialog geht, dann wären Islamfragen ja tatsächlich relevant – wenn es aber um Integrationsfragen, Terrordebatten und auch die weltweite Frauenunterdrückung geht, ist „der Islam“ eben nicht relevant – auch und gerade, wenn das einige behaupten. Der aktuelle Debattenverlauf ist also geeignet, einen solchen Zusammenhang herbei zu reden.
 
Wie Börne richtig beobachtet hat, verstärkt auch eine positive Markierung diesen Eindruck von Relevanz der Zugehörigkeit zu einer Gruppe für die Handlungen, die man tut. Und eine extra Thematisierung impliziert schon aus sich heraus die Notion, dass das Beschriebene nicht das Normale darstellt – denn das würde man ja nicht extra erwähnen.  


Nürnberger Nachrichten
Nürnberger Nachrichten 20.11.2006

Wenn also wie hier in den Nürnberger Nachrichten extra betont wird, dass der deutsch-türkische Medizinerverein ein gutes Beispiel für Integration sei, dann versetzt es die beschriebene Situation schon wieder in den extra erwähnenswerten Ausnahmezustand – und bestätigt damit eigentlich eine Situation außerhalb der „wirklichen“ Normalität. Insofern sind auch explizit ausgetragene Reflexionen über das Dilemma, in das wir geraten sind, bereits ein Bedienen der negativ konnotierten Kategorien.
 
Nicht so sehr der rationale Diskurs wird uns hier den Ausweg bringen, denn die gewachsenen Ressentiments sind zunächst einmal eine emotionale Angelegenheit. Das größte Potenzial für diese Aufgabe sehe ich im Fernsehen, weil es stark die Emotionen anspricht und auch Menschen erreicht, die nicht zu Vorträgen gehen oder komplizierte Texte lesen. Statt expliziter Thematisierung könnte hier einfach in den Sendungen mehr Vielfalt abgebildet werden. Nicht nur die türkische Putzfrau, sondern auch die kopftuchtragende Ärztin oder Anwältin mal in Drehbüchern vorgesehen werden uvm. Auch in Bilderbüchern kann man mehr Differenz abbilden, wie es teilweise auch schon gemacht wird: Rollstuhlfahrer, Schwarze, Kopftuchträgerinnen uvm. – einfach vorkommen lassen. Damit wäre es ganz normal und das ist ja eigentlich auch schon das Bild, das viele von uns in ihrem täglichen Umfeld sehen. (PK) 
 
(1) Butterwegge, Christoph & Hentges, Gudrun (2005): Massenmedien, Migration und Integration. Wiesbaden, VS-Verlag.
(2) Nürnberger Nachrichten 14.2.2005
(3) Berliner Gartenlaube 1874, verschiedene Ausgaben
(4) zit. nach Hortzitz, Nicoline (1988), Früh-Antisemitismus in Deutschland (1789-1871/2). Tübingen: Niemeyer: S. 61.

Sabine Schiffer

Dr. Sabine Schiffer ist Gründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen - www.medienverantwortung.de  
Foto: privat

Online-Flyer Nr. 147  vom 21.05.2008

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