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"Europa erlesen: Köln" - Text 1
Cöln nahm mich auf
Francesco Petrarca
Cöln nahm mich auf, die agrippinische Colonie am linken Rheinufer, berühmt durch seine Lage und seinen Strom, berühmt durch seine Bevölkerung. Erstaunlich diese Gesittung im Barbarenlande, die Schönheit der Stadt, die gesetzte Haltung der Männer, das schmucke Benehmen der Frauen! Es war gerade Johannisabend, als ich dort eintraf, und die Sonne neigte sich schon gen Westen. Sogleich bringt mich das Zureden der Freunde von der Herberge zum Strom, ein ganz herrliches Schauspiel zu sehen. Und ich ward nicht enttäuscht. Das ganze Ufer war bedeckt von einer unübersehbaren glänzenden Schar von Frauen. Ich stutzte. Gute Götter! Welche Gestalten, welche Mienen, welche Haltung! Wäre das Herz nicht schon gebunden gewesen, hier hätte es in Liebe entbrennen können.
Ich trat auf einen erhöhten Platz, um dies Bild zu überblicken. Unglaublich so viel Zulauf bei so wenig Gedränge. Manche hatten sich mit Kräutern geschmückt und die Ärmel bis zum Ellbogen aufgestreift. So wuschen sie in fröhlichem Durcheinander die weißen Hände und Arme im reißenden Strom und plauderten dabei in ihrer fremdartigen einschmeichelnden Sprache.
Petrarca - Ausschnitt eines Freskos von
Andrea di Bartolo di Bargilla (um 1450)
Foto: NRhZ-Archiv
Als ich einen der Freunde, bewundernd und der Dinge unkundig, mit Vergils Worten fragte: »Was soll dieser Zulauf zum Strome? Was ist dieser Seelen Begehr?« ward mir die Antwort: es sei uralter Brauch, und besonders die Frauen hielten dafür, dass jedes Unheil fürs ganze Jahr abgewaschen und weggespült werde vom Strome an eben diesem Tag, und es könne dann nur Erfreuliches eintreffen; und so werde denn alljährlich diese Läuterung mit nie erlahmendem Eifer vollzogen, und dies immer wieder aufs Neue.
Da sagte ich lächelnd: O Ihr überglücklichen Anwohner des Rheins, dass Euch der Fluss alles Elend abwäscht! Das unsre abzuwaschen, hat weder der Padus vermocht, noch der Tiber. Ihr schickt Eure Übel durch den Fährmann Rhein den Britanniern hinüber, wir würden das unsre gern Afrikanern und Illyriern schicken. Aber bei uns sind die Flüsse leider zu träge.
Gelächter erhob sich. Es war spät geworden, und wir gingen heim.
In den nächsten Tagen durchwanderte ich die Stadt von früh bis spät, und das war keineswegs unangenehm, weniger wegen alledem, was es hier noch zu sehen gab, als wegen der Erinnerungen an unsere Vorfahren, zumal an Marcus Agrippa, den Gründer dieser Colonie, der so viel Hochberühmtes daheim und in der Fremde erbaut hat, aber vor allen anderen Städten gerade diese hier für würdig hielt, seinen Namen zu tragen; dabei war er als Bau- und Kriegsherr hochberühmt und dem Augustus so wert auf dem ganzen Erdkreis, dass er Gemahl eben jener Tochter wurde, die, mag man von ihr denken, was man will, doch des Kaisers geliebtes einziges Kind, doch eine rechte Kaiserstochter war.
Francesco Petrarca - Künstler unbekannt
Foto: NRhZ-Archiv
Ich sah die hingemarterten Leiber der heiligen Jungfrauen und die ihren hochedlen Reliquien geweihte Erde. Ich sah das Kapitol, ein Abbild des unsrigen - nur hält dort kein Senat Rat über Krieg und Frieden wie bei uns, sondern schöne Jünglinge und Jungfrauen singen in ewiger Eintracht nächtliche Lobeshymnen. Zu Rom hört man Waffenlärm und der Gefangenen Seufzen, hier ist es friedlich und heiter von Scherzreden; zu Rom zieht im Triumphe der Kriegsfürst einher, hier der Friedefürst. Ich sah mitten in der Stadt die überherrliche, wenn auch unvollendete Domkirche, mit gutem Grund die Allerhöchste genannt. Anbetend betrachtete ich dort die Leiber der drei Magier, die aus dem Morgenlande in dreimaligem Sprunge ins Abendland gebracht worden waren, jener Könige, von denen die Schrift sagt, dass sie dem König des Himmels, da er wimmernd in der Krippe lag, Geschenke und Verehrung darbrachten.
Petrarca - Humanist, Dichter, Bergsteiger
Francesco Petrarcas Vater, ein Notar, wurde als Papstanhänger aus Florenz verbannt. Mit sieben Jahren folgte der 1304 geborene Sohn ihm nach Avignon. Er studierte Jura in Montpellier und Bologna, kehrte 1326 nach Avignon zurück. Das Jurastudium brach er ab, erhielt die niederen Weihen, wählte sich den KirchenvaterAugustinus zum Vorbild und lebte später in einem Haus in Vaucluse.
Nach Reisen durch Frankreich, Belgien und Deutschland, wo er - natürlich - Köln besuchte, zog er in ein Dorf bei Avignon, wo er von 1337-1349 lebte. 1341 wurde Petrarca auf dem Kapitol in Rom zum Dichter (poeta laureatus) gekrönt. Zwischendurch ging er an den Hof des Kardinals von Avignon, für acht Jahre war er Gesandter in Mailand. Das letzte Jahrzehnt lebte er abwechselnd in Venedig und Arquà.
Petrarca gilt als Mit-Begründer des Humanismus und als einer der größten Dichter Italiens. Sein Canzoniere, ein Zyklus von 366 Gedichten, darunter 317 Sonette, in denen er seine reine, ausdauernde Liebe zu seiner - möglicherweise nur in der Phantasie existierenden Jugendgeliebten Laura besingt, der "madonna angelicata", prägte inhaltlich und formal die europäische Lyrik der Renaissance.
Am 26. April 1336 bestieg er zusammen mit seinem Bruder den Mont Ventoux in der Provence. Da dies als die erste "touristische" Bergbesteigung dokumentiert ist, gilt Petrarca als Vater der Bergsteiger und der neuzeitlichen Sicht der Natur.
Petrarca hat seine Grabstätte nahe Padua gefunden. Eine Überraschung erlebten Forscher im Jahr 2004 bei einer Graböffnung. Der Schädel in dem Marmorsarg gehörte zu Lebzeiten offenbar zu einer Frau. Laura? Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich aber ansonsten um die sterblichen Überreste des Dichters.
In seiner im Wieser-Verlag erschienenen Anthologie "Europa erlesen: Köln" hat der Autor und Regisseur Joachim Dennhardt bekannte und unbekannte historische Texte über Köln zusammengestellt - u. a. von Petrarca, Casanova, Goethe, Bettina von Arnim, Heine, Hugo, Jakob Burckhardt, Bebel, Apollinaire, Celan - sowie neue Texte von Beikircher, Böll, Heidenreich, Kermani, Neukirchen, Nowottny, Pachl, Pleitgen, Wallraff und vielen anderen.
Am Dienstag, 21.Februar, ab 20 Uhr wird das Buch im Literaturhaus im Kölner Mediapark vorgestellt. Kölner AutorInnen werden ihre eigenen und historische Texte über die Stadt vorlesen, in der einst Rolf Dieter Brinkmann ein Gedicht mit den Versen schloss: "Ich / schrieb das schnell auf, bevor / der Moment in der verfluchten / dunstigen Abgestorbenheit Kölns / wieder erlosch."
Wir beginnen heute mit einer sechsteiligen Serie aus diesem Köln-Buch - mit je drei Texten von "alten" und lebenden AutorInnen.
"Europa erlesen: Köln",
Hg. Joachim Dennhardt,
ISBN 3 85129 572 2,
Wieser-Verlag , Klagenfurt
Online-Flyer Nr. 28 vom 25.01.2006
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"Europa erlesen: Köln" - Text 1
Cöln nahm mich auf
Francesco Petrarca
Cöln nahm mich auf, die agrippinische Colonie am linken Rheinufer, berühmt durch seine Lage und seinen Strom, berühmt durch seine Bevölkerung. Erstaunlich diese Gesittung im Barbarenlande, die Schönheit der Stadt, die gesetzte Haltung der Männer, das schmucke Benehmen der Frauen! Es war gerade Johannisabend, als ich dort eintraf, und die Sonne neigte sich schon gen Westen. Sogleich bringt mich das Zureden der Freunde von der Herberge zum Strom, ein ganz herrliches Schauspiel zu sehen. Und ich ward nicht enttäuscht. Das ganze Ufer war bedeckt von einer unübersehbaren glänzenden Schar von Frauen. Ich stutzte. Gute Götter! Welche Gestalten, welche Mienen, welche Haltung! Wäre das Herz nicht schon gebunden gewesen, hier hätte es in Liebe entbrennen können.
Ich trat auf einen erhöhten Platz, um dies Bild zu überblicken. Unglaublich so viel Zulauf bei so wenig Gedränge. Manche hatten sich mit Kräutern geschmückt und die Ärmel bis zum Ellbogen aufgestreift. So wuschen sie in fröhlichem Durcheinander die weißen Hände und Arme im reißenden Strom und plauderten dabei in ihrer fremdartigen einschmeichelnden Sprache.
Petrarca - Ausschnitt eines Freskos von
Andrea di Bartolo di Bargilla (um 1450)
Foto: NRhZ-Archiv
Als ich einen der Freunde, bewundernd und der Dinge unkundig, mit Vergils Worten fragte: »Was soll dieser Zulauf zum Strome? Was ist dieser Seelen Begehr?« ward mir die Antwort: es sei uralter Brauch, und besonders die Frauen hielten dafür, dass jedes Unheil fürs ganze Jahr abgewaschen und weggespült werde vom Strome an eben diesem Tag, und es könne dann nur Erfreuliches eintreffen; und so werde denn alljährlich diese Läuterung mit nie erlahmendem Eifer vollzogen, und dies immer wieder aufs Neue.
Da sagte ich lächelnd: O Ihr überglücklichen Anwohner des Rheins, dass Euch der Fluss alles Elend abwäscht! Das unsre abzuwaschen, hat weder der Padus vermocht, noch der Tiber. Ihr schickt Eure Übel durch den Fährmann Rhein den Britanniern hinüber, wir würden das unsre gern Afrikanern und Illyriern schicken. Aber bei uns sind die Flüsse leider zu träge.
Gelächter erhob sich. Es war spät geworden, und wir gingen heim.
In den nächsten Tagen durchwanderte ich die Stadt von früh bis spät, und das war keineswegs unangenehm, weniger wegen alledem, was es hier noch zu sehen gab, als wegen der Erinnerungen an unsere Vorfahren, zumal an Marcus Agrippa, den Gründer dieser Colonie, der so viel Hochberühmtes daheim und in der Fremde erbaut hat, aber vor allen anderen Städten gerade diese hier für würdig hielt, seinen Namen zu tragen; dabei war er als Bau- und Kriegsherr hochberühmt und dem Augustus so wert auf dem ganzen Erdkreis, dass er Gemahl eben jener Tochter wurde, die, mag man von ihr denken, was man will, doch des Kaisers geliebtes einziges Kind, doch eine rechte Kaiserstochter war.
Francesco Petrarca - Künstler unbekannt
Foto: NRhZ-Archiv
Ich sah die hingemarterten Leiber der heiligen Jungfrauen und die ihren hochedlen Reliquien geweihte Erde. Ich sah das Kapitol, ein Abbild des unsrigen - nur hält dort kein Senat Rat über Krieg und Frieden wie bei uns, sondern schöne Jünglinge und Jungfrauen singen in ewiger Eintracht nächtliche Lobeshymnen. Zu Rom hört man Waffenlärm und der Gefangenen Seufzen, hier ist es friedlich und heiter von Scherzreden; zu Rom zieht im Triumphe der Kriegsfürst einher, hier der Friedefürst. Ich sah mitten in der Stadt die überherrliche, wenn auch unvollendete Domkirche, mit gutem Grund die Allerhöchste genannt. Anbetend betrachtete ich dort die Leiber der drei Magier, die aus dem Morgenlande in dreimaligem Sprunge ins Abendland gebracht worden waren, jener Könige, von denen die Schrift sagt, dass sie dem König des Himmels, da er wimmernd in der Krippe lag, Geschenke und Verehrung darbrachten.
Petrarca - Humanist, Dichter, Bergsteiger
Francesco Petrarcas Vater, ein Notar, wurde als Papstanhänger aus Florenz verbannt. Mit sieben Jahren folgte der 1304 geborene Sohn ihm nach Avignon. Er studierte Jura in Montpellier und Bologna, kehrte 1326 nach Avignon zurück. Das Jurastudium brach er ab, erhielt die niederen Weihen, wählte sich den KirchenvaterAugustinus zum Vorbild und lebte später in einem Haus in Vaucluse.
Nach Reisen durch Frankreich, Belgien und Deutschland, wo er - natürlich - Köln besuchte, zog er in ein Dorf bei Avignon, wo er von 1337-1349 lebte. 1341 wurde Petrarca auf dem Kapitol in Rom zum Dichter (poeta laureatus) gekrönt. Zwischendurch ging er an den Hof des Kardinals von Avignon, für acht Jahre war er Gesandter in Mailand. Das letzte Jahrzehnt lebte er abwechselnd in Venedig und Arquà.
Petrarca gilt als Mit-Begründer des Humanismus und als einer der größten Dichter Italiens. Sein Canzoniere, ein Zyklus von 366 Gedichten, darunter 317 Sonette, in denen er seine reine, ausdauernde Liebe zu seiner - möglicherweise nur in der Phantasie existierenden Jugendgeliebten Laura besingt, der "madonna angelicata", prägte inhaltlich und formal die europäische Lyrik der Renaissance.
Am 26. April 1336 bestieg er zusammen mit seinem Bruder den Mont Ventoux in der Provence. Da dies als die erste "touristische" Bergbesteigung dokumentiert ist, gilt Petrarca als Vater der Bergsteiger und der neuzeitlichen Sicht der Natur.
Petrarca hat seine Grabstätte nahe Padua gefunden. Eine Überraschung erlebten Forscher im Jahr 2004 bei einer Graböffnung. Der Schädel in dem Marmorsarg gehörte zu Lebzeiten offenbar zu einer Frau. Laura? Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich aber ansonsten um die sterblichen Überreste des Dichters.
In seiner im Wieser-Verlag erschienenen Anthologie "Europa erlesen: Köln" hat der Autor und Regisseur Joachim Dennhardt bekannte und unbekannte historische Texte über Köln zusammengestellt - u. a. von Petrarca, Casanova, Goethe, Bettina von Arnim, Heine, Hugo, Jakob Burckhardt, Bebel, Apollinaire, Celan - sowie neue Texte von Beikircher, Böll, Heidenreich, Kermani, Neukirchen, Nowottny, Pachl, Pleitgen, Wallraff und vielen anderen.
Am Dienstag, 21.Februar, ab 20 Uhr wird das Buch im Literaturhaus im Kölner Mediapark vorgestellt. Kölner AutorInnen werden ihre eigenen und historische Texte über die Stadt vorlesen, in der einst Rolf Dieter Brinkmann ein Gedicht mit den Versen schloss: "Ich / schrieb das schnell auf, bevor / der Moment in der verfluchten / dunstigen Abgestorbenheit Kölns / wieder erlosch."
Wir beginnen heute mit einer sechsteiligen Serie aus diesem Köln-Buch - mit je drei Texten von "alten" und lebenden AutorInnen.
"Europa erlesen: Köln",
Hg. Joachim Dennhardt,
ISBN 3 85129 572 2,
Wieser-Verlag , Klagenfurt
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