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Aktueller Online-Flyer vom 24. November 2024  

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Arbeit und Soziales
Die Wiedererfinder des Monats
Schöne Welt Bürgerarbeit
Von Hans-Dieter Hey

Politiker träumen wieder von Vollbeschäftigung. Bisher mit mageren Ergebnissen getestet ist wieder die Bürgerarbeit im Gespräch. Wirtschaftsminister Michael Glos schickt seinen Staatssekretär Dr. Walther Otremba ins Gefecht und lässt berichten: „Die aktuelle Untersuchung des 'Instituts zur Zukunft der Arbeit' zeigt, dass das BMWi-Modell zur Bürgerarbeit dazu einen wichtigen Beitrag leisten kann und in der Praxis auch realisierbar ist." Die Wiedererfinder der Bürgerarbeit überraschen damit nicht, wollen sich aber wegen der „Gnade der späten Geburt" vielleicht nicht an die ursprünglichen Erfinder erinnern.

Think-Tanks lassen grüßen

Das „Institut zur Zukunft der Arbeit", IZA, hatte errechnet, dass durch Bürgerarbeit – also gemeinnützige Arbeit ohne Entgelt – angeblich bis zu 1,4 Millionen Arbeitsplätze entstehen können. Nun sollte man wissen, aus welcher Ecke solche Ideen kommen. Präsident des IZA ist Dr. Klaus Zumwinkel, der zunächst mit steuerfreien Konten in Liechtenstein ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurde und nun als ehemaliger Aufsichtsratschef bei der Spitzelaffäre der Telekom einen Skandal am Hals hat, der nach Aussage des Bundestagsabgeordneten Steffen Kampeter (CDU) größer als die Spiegel-Affäre der 1960er Jahre ist. Prof. Dr. Klaus F. Zimmermann – der oft und gern in Talk-Shows des ZDF seine Vorschläge vorträgt – ist nicht nur Direktor des neoliberalen Thinktanks IZA, sondern auch gleichzeitig Vorstand des Instituts der Deutschen Wirtschaft (DIW) in Berlin.


Blogger mögen keine „Mietmäuler" in neoliberalen Talkshows
Quelle: INSM-Watchblog


Seit einiger Zeit unterstützen viele den Menschenversuch, wie man Erwerbslose durch Bürgerarbeit dazu bringen kann, fast „für umsonst" zu arbeiten. Und so verbreitet Klaus Zimmermann gern seine IZA-Vorschläge zusätzlich auch als Vorstand des DIW, von denen das Wirtschaftsministerium behauptet, es handele sich dabei um eine „wissenschaftliche Untersuchung". Außer dem DIW sind auch die „Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer", ASU, mit Dr. Patrick Adenauer als Präsident, das „Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung", der „Deutsche Industrie- und Handelskammertag" und der „Zentralverband des Deutschen Handwerks" dafür, das Prinzip „Gutes Geld für gute Arbeit" auf Dauer abzuschaffen. Deshalb fordert das Wirtschaftsministerium eben, dass Bürgerarbeit als Gegenleistung zum Transferbezug verstanden wird und „die Entlohnung das Niveau der Grundsicherung zuzüglich einer Mehraufwandspauschale nicht überschreiten" soll.

Malochen für fast nix statt Mindestlohn

Und wofür sie und andere sind, wird ohne Umschweife deutlich gemacht. Das DIW lässt mitteilen: „Das ist ein bemerkenswerter Vorschlag, der politisch geschickt die Verbindungslinien zu wichtigen Teilen der ausufernden öffentlichen Debatte zur Regulierung des Niedriglohnsektors zieht". Das DIW wünscht sich also mit CDU/CSU und FDP gern ein Ende der „ausufernden" Diskussion um Mindestlöhne. Denn wer fast umsonst – also zu Hartz-IV-Bedingungen – arbeitet, braucht natürlich keinen Mindestlohn. 

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie weist in der Presseerklärung vom 13. Mai ausdrücklich darauf hin, dass man mit Bürgerarbeit auf keinen Fall ein ordentliches Arbeitsverhältnis zu tariflicher oder ortsüblicher Entlohnung will, weil man „damit einen regulären Arbeitsplatz suggerieren würde". Dr. Petra Sitte von DIE.LINKE will allerdings den sinnvollen Weg von Bürgerarbeitsprojekten bei tariflicher Bezahlung gehen. „Bürgerarbeit dürfe keine neue Lohnspirale nach unten auslösen".

Wenn heute im Rahmen des „Work-fare-state" über angebliches Fordern und Fördern durch Bürgerarbeit diskutiert wird, ist damit eine neue, wortreich verbrämte Zwangsbeschäftigung gemeint, die sowohl die grundrechtlich verbriefte Vertragsfreiheit und Berufswahl, aber auch die Gewerkschaften weiter aushebelt. Und schließlich dürfte sie dazu führen, dass ein weiterer Verdrängungswettbewerb um reguläre Arbeitsplätze stattfindet. Bürgerarbeit ist nämlich die Neuauflage des Ein-Euro-Jobs, und manche sind schon seit langem vom einen ins andere System gezwungen worden. Das ganze bringt allerdings nichts, wie die Sendung Kontraste am 29. Mai berichtete. Denn bereits früher seien die Ein-Euro-Jobs als Sprungbrett in reguläre Arbeit längst gescheitert und hätten allenfalls Verdrängungseffekte am ersten Arbeitsmarkt ausgelöst.


Plakat: arbeiterfotografie

Offensichtlich mögen auch inzwischen viele das Grundgesetzt nicht mehr. Dr. Patrick Adenauer 2005 in 'Die Welt': "Wenn der Staat Nichtarbeit nicht so hoch belohnen würde und der Arbeitsmarkt nicht von einem Machtkartell, das die Preise hochhält, beherrscht würde, hätten wir Vollbeschäftigung." Der Enkel des ersten Bundeskanzlers der Republik (Der Karriereführer: „Der Name verpflichtet") macht also keinen Hehl daraus, dass er sich gleich in mehrfacher Hinsicht gegen das Grundgesetz stellt, das Vertragsfreiheit, Gewerkschaften und soziale Grundrechte garantiert. Von einem Machtkartell der Wirtschaft, dass die Löhne inzwischen unter das Existenzminimum drückt und Bürgerarbeit zum Null-Tarif fordert, mochte er indessen nicht sprechen. Und ob Patrick Adenauer wegen seiner fragwürdigen Ansichten vom Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma auserkoren wurde, am „Leitbild Köln 2020" mitzuwirken, ist unbekannt.

Wohlfahrtsverbände profitieren

Von einem Zynismus besonderer Art war schon die Stellungnahme des Verbandes ASU, vom 23. März 2007 an das Wirtschaftsministerium: „Eine Absenkung der Grundsicherung scheint derzeit politisch nicht durchsetzbar. Die ASU ist der Ansicht, dass das Modell für existenzsichernde Beschäftigung deshalb im Vergleich der Alternativen größere Umsetzungschancen hat." Dies zeigt deutlich, was Bürgerinnen und Bürgern künftig noch zugemutet werden soll: Eine neue Lohnspirale nach unten, und zwar unter das derzeitige Existenzminimum. Zusätzlichen Druck erzeugen außerdem die geplanten Steuersenkungen zugunsten der Wirtschaft. Sie sollen im Lande jedem deutlich machen: Man kann eben nicht mehr ausgeben, als man einnimmt – jedenfalls nach der Steuererleichterung für die Wirtschaft. Und deshalb soll Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) demnächst 25 Milliarden Euro im Arbeitsministerium durch Bürgerarbeit einsparen helfen.

Schützenhilfe für die Bürgerarbeit geben auch die Wohlfahrtsverbände. Der „Paritätische" Wohlfahrtsverband hat sich dem neoliberalen Sprachjargon angeschlossen: „Bürgerarbeit gibt den Tätigen Gelegenheit, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten unter Beweis zu stellen". Die dort angeschlossenen Einrichtungen wie auch das Diakonische Werke der evangelischen Kirche („Ehrenamt hat Konjunktur") oder die Caritas verdienen kräftig an der Arbeitslosigkeit und dürften ein Interesse daran haben, noch mehr Menschen möglichst „preiswert" arbeiten zu lassen oder an den sogenannten „Integrationsjobs" zu verdienen. Seit Jahren beschäftigen sie die öffentlich geförderten Ein-Euro-Jobber und kassieren dazu auch noch die satte Verwaltungspauschale, zusätzlich zu den ohnehin fließenden Mitteln aus den Sozialfonds. Insgesamt gab es im Jahr 2007 rund 800.000 Ein-Euro-Jobber, die meisten im kirchlichen Bereich.

Bedenkliche Nähe zum Reichsarbeitsdienst


Quelle: Media-Blöd
 In welche gefährliche Nähe sich Glos und andere mit derlei Überlegungen begeben, macht ein Blick in die Vergangenheit deutlich. In der Zeit der Weltwirtschaftskrise wurde 1927 in § 62 des „Gesetzes zur Verringerung der Erwerbslosigkeit" noch festgelegt: „Soweit ein Tarifvertrag besteht, darf die Vermittlung beteiligter Arbeitnehmer an Arbeitgeber ... nur zu tariflich zulässigen Bedingungen erfolgen". Für Jugendliche wurde der FAD (der Freiwillige Arbeitsdienst) geschaffen, an dem vor allem kirchliche Träger beteiligt waren und der alles andere als freiwillig war. Später, 1931, wurde mit Heinrich Brüning eine Notstandsverordnung mit dem Abbau der Tariffreiheit und der Kürzungen der Leistungen bei Arbeitslosigkeit in die Welt gesetzt. Als dann Adolf Hitler 1933 an die Macht kam, hörte sich nochmal anders an. Die „restlose Eingliederung des 4. Standes" – also der Erwerbslosen – erfolgte durch die Zwangsverpflichtung: "Deutsche Staatsangehörige können vom Präsidenten für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für eine begrenzte Zeit verpflichtet werden..." Diese Dienstverpflichtung wurde ab 1935 als „Reichsarbeitsdienst" Gesetz. „Bürgerarbeit“ erinnert bedenklich an solche alten Zusammenhänge.

Inzwischen fordert auch der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung eine „ausgeweitete Arbeitspflicht" nicht nur im öffentichen Bereich, sondern sogar im privatwirtschaftlichen Bereich, zum Beispiel bei Leiharbeitsfirmen. Das Prinzip zur weiteren Ausschaltung von Grundrechten scheint auch sogenannten Sozialdemokraten zur richtigen Zeit zu kommen, wie der Finanz-Staatssekretärin Nicolette Kressl (SPD), für die das Ganze „interessante Denkanstöße" enthalte,.berichtet das Online-Medium „gegen-hartz.de". Und vielleicht sollten sich Michael Glos, Nicolette Kressl, Walther Otremba und andere gelegentlich an die Grundrechte erinnern. Eines davon findet sich im Artikel 12 des Grundgesetztes: "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig." (HDH)

Online-Flyer Nr. 149  vom 04.06.2008

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