NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 22. November 2024  

zurück  
Druckversion

Arbeit und Soziales
Neoliberalismus als Wegbereiter für Rasissmus und Standortnationalismus?
Marktradikalismus und Rechtsextremismus – Teil 3/4
Von Prof. Dr. Christoph Butterwegge

Erstmals werden die verschiedenen Ansätze der Neoliberalismusforschung im deutschsprachlichen Raum unter verschiedenen Perspektiven gebündelt dargestellt. Bemerkenswert ist auch der Zusammenhang zwischen dem neoliberalen Projekt und dem wachsenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Christoph Butterwegge kennt sich in beiden Themen bestens aus und stellt uns einen Text aus seinem neuen Buch zur Verfügung – die Redaktion.


Christoph Butterwegge
Durch die systematische Ökonomisierung bzw. Kommerzialisierung aller Gesellschaftsbereiche, deren Restrukturierung nach dem Marktmodell und die Generalisierung seiner betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien und Konkurrenzmechanismen, wie sie beispielhaft die Unternehmensberatungsfirma McKinsey verkörpert (vgl. dazu: Kurbjuweit 2003), sollen nicht nur neue Profitquellen erschlossen, sondern auch rigidere Ordnungsprinzipien implementiert werden. Man kann von einem „Wirtschaftstotalitarismus“ sprechen, der nach Joachim Bergmann (1998, S. 334) die „negative Utopie“ des Neoliberalismus ausmacht: „Ökonomische Kriterien, Kosten und Erträge sollen ebenso alle anderen gesellschaftlichen Teilsysteme bestimmen – die soziale Sicherung und die materielle Infrastruktur so gut wie Bildung und Kultur.“

NPD beteiligt sich an Montagsdemos

Der soziale Klimawandel, für den „Hartz IV“ als berühmt-berüchtigter Höhepunkt der rot-grünen Reformpolitik steht, die CDU/CSU und SPD in der Großen Koalition eher noch verschärft fortführen (vgl. hierzu: Butterwegge 2006, S. 184 ff. und 301 ff.), hat die Wirkungsmöglichkeiten für Rechtsextremisten verbessert. Wut und Verzweiflung unter den davon Betroffenen erleichterten es beispielsweise örtlichen Gliederungen der NPD, sich im Vorfeld der Beschlussfassung über das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt an Montagsdemonstrationen in Ostdeutschland zu beteiligen, ohne immer von den Veranstaltern des Feldes verwiesen oder von den Teilnehmer(inne)n vertrieben zu werden (vgl. dazu: Maegerle 2006, S. 16 ff.), und die wachsende Verunsicherung von Langzeitarbeitslosen erlaubte es ihnen, Funktionäre als „Sozialberater“ einzusetzen.

Die soziale Kälte drückt sich exemplarisch in der öffentlichen Gleichgültigkeit gegenüber einer stark zunehmenden Kinderarmut (vgl. hierzu: Butterwegge u.a. 2005) bei einem parallel dazu ins Gigantische wachsenden Reichtum weniger Großaktionäre, Erben von Familienunternehmen, Finanzinvestoren und Privatbankiers aus. Während die Aktienkurse einen Rekordstand nach dem anderen übertrafen, interessierte die Einrichtung von Babyklappen, Suppenküchen und Kleiderkammern durch Kommunen, Kirchengemeinden und Wohlfahrtsverbände in deutschen Städten die überwiegend marktradikal denkenden Meinungsführer der Republik weniger. „Das soziale Klima wird zunehmend von Mitleidlosigkeit und emotionaler Kälte bestimmt. Traditionell schwache Gruppen wie Migranten oder Obdachlose, aber auch Langzeitarbeitslose, leiden besonders darunter, mit durchschlagenden Wirkungen auf Körper und Seele – und mit dadurch entstehenden gewaltigen sozialen Kosten.“ (Ulrich 2007, S. 854) Je stärker die Menschen, vor allem die Verlierer/innen der neoliberalen Modernisierung, unter der sozialen Kälte einer Markt-, Hochleistungs- und Konkurrenzgesellschaft leiden, umso mehr sehnen sie sich nach emotionaler Nestwärme, die ihnen Rechtsextremisten im Schoß der Traditionsfamilie, einer verschworenen Truppe von Gleichgesinnten, sei es die Jugendgruppe mit Lagerfeuerromantik oder die Wehrsportgruppe mit der Faszination von Schusswaffen, der geliebten Heimat, der eigenen Nation bzw. der „deutschen Volksgemeinschaft“ wiederherstellen zu können versprechen.


Linke Fundamentalkritik am Kapitalismus ...

Folgerichtig rückte die völkische Kapitalismuskritik gegen Ende des 20./Anfang des 21. Jahrhunderts wieder stärker in das Blickfeld der Rechtsextremisten, was sich in einem Strategiewechsel von Gruppierungen wie der NPD und einer thematischen Schwerpunktverschiebung von der „Ausländer-“ zur „sozialen Frage“ niederschlug. Wirtschaft und Soziales wurden zu dem Politikfeld, auf das sich Agitation und Propaganda fast der gesamten rechtsextremen Szene konzentrierten (vgl. Ptak 1999, S. 98). Je mehr sich Arbeitslosigkeit, Armut und Abstiegsängste bis in die Mitte der Gesellschaft hinein ausbreiteten und das Leben von Millionen Familien bestimmten, umso stärker konzentrierten sich Rechtsextremisten auf diese Probleme. Sie propagierten eine größere Heimatverbundenheit, völkisches Zusammengehörigkeitsgefühl und nationale Identität als geistig-moralischen Schutzschild gegenüber den Herausforderungen der Globalisierung, massenhafter Migration und kultureller „Überfremdung“, sei es durch Juden oder durch Muslime (vgl. Grumke 2006, S. 131). Freilich hat die soziale Frage im rechtsextremen Politikmodell keinen Eigenwert, ist vielmehr der nationalen Frage, verstanden als Auftrag zur Bildung einer „Volksgemeinschaft“, untergeordnet.

Politik zwingt Rechte zur Globalisierungskritik

„Globalisierung“ fungiert als Schlüsselkategorie und darüber hinaus – neben dem demografischen Wandel – als zweite Große Erzählung unserer Zeit, die Neoliberale benutzen, um ihre marktradikale Ideologie zu verbreiten und den Um- bzw. Abbau des Sozialstaates zu legitimieren (vgl. hierzu: Butterwegge 2008, S. 143 ff.). Dass sich Rechtsextremisten bzw. -populisten und Neonazis auf die Globalisierung, insbesondere auf deren unsoziale Schattenseiten beziehen, wurzelt nur zum Teil in Zeitgeistopportunismus. Wenn viele Millionen Menschen von Arbeitslosigkeit und/oder Armut betroffen sind, können auch solche Gruppierungen dazu nicht schweigen. Neben (partei)taktischen Motiven ist dafür entscheidend, dass die objektiven Verhältnisse ultrarechten Organisationen gar keine andere Wahl lassen, als sich damit inhaltlich auseinanderzusetzen und Stellung zu beziehen. Gleichzeitig wissen Neonazis sehr genau, dass sonst womöglich die (sich in der Bundesrepublik seit geraumer Zeit als Partei neu formierende) Linke das Thema besetzt und ihnen weniger Möglichkeiten zur Nachwuchsrekrutierung bleiben, wenn sie es gänzlich meiden und auf andere Felder ausweichen würden.


...gegen dümmliche Volksdudelei.
Plakat und Foto:
arbeiterfotografie

Teilweise befürworten Rechtsextremisten die Globalisierung, überwiegend lehnen sie den Prozess jedoch kategorisch ab, was sich beispielsweise in Kampfparolen gegen die angebliche Überfremdung der Einheimischen durch Zuwanderer („Globalisierung ist Völkermord“) und gegen die Willkür des globalisierten Kapitals („Sozial statt global! – Wir fordern Arbeit im eigenen Land“, „Arbeit für Millionen statt Profite für Millionäre!“ oder „Arbeit statt Dividende – Volksgemeinschaft statt Globalisierung!“) niederschlägt. Von den linken Kritiker(inne)n wie Attac unterscheidet die alten Herren der DVU, NPD-Kader oder „Autonome Nationalisten“ (AN), die bei Neonazi-Demonstrationen einen „Schwarzen Block“ bilden, dass sie gegen die Globalisierung als solche und nicht nur gegen deren neoliberale Spielart polemisieren. „Rechtsextremisten sind keine Globalisierungskritiker, sondern Anti-Globalisten.“ (Grumke 2006, S. 132) (HDH)













Ch. Butterwegge, B. Lösch, R. Ptak (Hrsg):

Neoliberalismus, Analysen und Alternativen, VS-Verlag,
1. Auflage 2008,

ISBN 978-3-531-15186-1,
23,90 €


Als verbesserte Neuauflage ebenfalls erschienen:

Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak:

Kritik des Neoliberalismus

2. Auflage 2008
VS-Verlag Wiesbaden

ISBN 978-3-531-15809-9
12,90 €

Online-Flyer Nr. 153  vom 02.07.2008

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE