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Inland
Steinmeier bestreitet weiter Verstrickung in Menschenrechtsverletzungen
Anhörung im Untersuchungsausschuss
Von Hans Georg

Zum wiederholten Male hat Außenminister Steinmeier jegliche frühzeitige Kenntnis von Folter im "Anti-Terror-Kampf" der USA bestritten. Wie er vergangenen Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages erklärte, haben Berichte über die Misshandlung des Münchners Abdel Halim Khafagy in US-Haft zu seiner Zeit als Chef des Kanzleramts bei den Lagebesprechungen "keine Rolle" gespielt. Zwei Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) hatten solche Berichte angefertigt und sie nicht nur dem BKA, sondern auch dem Kanzleramt schon im Oktober 2001 zur Verfügung gestellt. Offenkundig blieb jede Wirkung aus.

Steinmeier
„Informationen erst durch die Presse“ – Frank Walter Steinmeier
Quelle: Bundestag


Einem BKA-Aktenvermerk zufolge waren deutsche Behörden bereits zuvor mit Khafagys Vernehmung befasst. Während Berlin sich weiter ahnungslos stellt, belegen Recherchen, dass die Folterpraktiken des "Anti-Terror-Kampfs" vom BND-Partnerdienst CIA schon seit Jahrzehnten angewandt werden - unter anderem in Lateinamerika. Demnach wurde ab dem 11. September 2001 das bisherige Vorgehen ausgeweitet und mit den Folterflügen ("rendition flights") globalisiert. Deren tatsächlicher Umfang über deutschem Territorium ist trotz der Ernennung eines Sonderermittlers durch die Bundesregierung bis heute unbekannt.
 
Tagungsort
Tagungsort des Untersuchungsaus-
schusses, Quelle: Bundestag
Bei seinem jüngsten Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss behauptete Steinmeier, er  habe erst durch US-Presseberichte Anfang November 2005 zum ersten Mal von der Existenz von Geheimgefängnissen erfahren. Der SPD-Politiker war zur fraglichen Zeit Chef des Bundeskanzleramts und damit oberster Dienstherr des Bundesnachrichtendienstes (BND), auch war seinem Amt die Koordination der deutschen Geheimdienste unterstellt. Diesen wird vorgeworfen, von der CIA-Folter zumindest indirekt profitiert zu haben oder gar involviert gewesen zu sein. Das trifft auch auf den Fall eines in Deutschland lebenden Ägypters zu, der am vergangenen Donnerstag auf der Tagesordnung stand.
 
Den Widerstand brechen
 
Der damals 69-jährige Münchner Abdel Halim Khafagy war am 25. September 2001 in Sarajewo mit brutaler Gewalt festgenommen und in die US-Militärbasis Eagle Base bei Tuzla verbracht worden. Schon am folgenden Tag nahmen US-Behörden Kontakt zu deutschen Dienststellen auf, die wiederum einen Tag später zwei Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) nach Bosnien entsandten. Diesen zufolge bedeckten Blutspuren auf Papieren, die bei Khafagys Festnahme mitgenommen worden waren, "einzelne Seiten in größeren Teilen" - ein Umstand, der bereits zu diesem Zeitpunkt Aufmerksamkeit erregte.[1]
 
Das wenig später erfolgende Angebot, Khafagy vernehmen zu dürfen, lehnten die BKA-Beamten ab: Ihnen war klar geworden, dass der Münchner misshandelt wurde. So sei der Vernehmungscontainer von Außenlicht abgeschirmt worden, um dem Gefangenen jedes Gefühl für Raum und Zeit zu nehmen - Teil einer typischen, in den 1950er Jahren von der CIA erforschten Methode, die der systematischen Brechung des Widerstandes Gefangener dient und als psychische Folter eingestuft wird. Die BKA-Beamten erörterten damals die Frage, ob die Zustände in Eagle Base nicht einem UNO-Tribunal zur Beurteilung vorgelegt werden müssten. Sie berichteten in mündlichen und schriftlichen Stellungnahmen über die mit "deutschen Rechtsnormen nicht vereinbaren Umstände" in dem US-Militärlager. Informiert wurden das BKA, das Bundesinnenministerium, der deutsche Botschafter in Sarajewo - und das Bundeskanzleramt.[2]
 
Flurfunk
 
Über das, was im Bundeskanzleramt von den Berichten der BKA-Beamten bekannt geworden ist, gibt es höchst widersprüchliche Aussagen. Unstrittig ist, dass der "Fall Khafagy" insgesamt in den Spitzenbesprechungen ("Sicherheitslagen") behandelt worden ist, und zwar in Anwesenheit von Kanzleramtschef Steinmeier. Wie der damalige Stellvertreter des Geheimdienst-Koordinators, Konrad Wenckebach, erklärt, ist er gänzlich korrekt über die Verhör-Verweigerung der BKA-Beamten informiert worden. Im "Flurfunk" des Kanzleramts sei dabei "von Folter die Rede gewesen", gab Wenckebach kürzlich zu Protokoll.[3] Zwei Sprechzettel für den BKA-Vizepräsidenten Bernhard Falk für die "Sicherheitslage" vom 9. Oktober 2001 nennen Hinweise auf Misshandlungen. Falk will ausgerechnet diese Sprechzettel nicht erhalten haben [4] - umso peinlicher, als just an diesem Tag Kanzleramtschef Steinmeier sich ausweislich seines Sprechzettels nach dem Stand im "Fall Khafagy" erkundigen wollte.[5] Was bei der "Sicherheitslage" wirklich besprochen worden ist, ist nicht bekannt, weil in den Unterlagen, die dem Untersuchungsausschuss ausgehändigt wurden, gerade das Protokoll vom 9. Oktober fehlt.[6]
 
Von einem Deutschen
 
Dabei lenkt die Affäre von einem Sachverhalt mindestens gleicher Reichweite ab, den ein Vermerk aus dem Bundesnachrichtendienst (BND) vom Dezember 2005 nahelegt. Darin hieß es, an den Verhören von Khafagy sei womöglich das Allied Military Intelligence Battalion (AMIB) beteiligt gewesen, eine von mehreren NATO-Staaten gebildete Geheimdiensteinheit, in der der deutsche Militärgeheimdienst MAD ("Militärischer Abschirmdienst") mit mehreren Offizieren vertreten war. Laut Berichten gehörte AMIB auch ein Mitarbeiter des BND an.[7] Tatsächlich teilte Khafagy nach seiner Freilassung mit, in dem US-Lager unter anderem von einem Deutschen verhört worden zu sein. Wie ein vergangene Woche bekannt gewordener BKA-Vermerk vom 26. September 2001 bestätigt, waren schon zu diesem Zeitpunkt - einen Tag nach der Festnahme - MAD und BND bereits mit Khafagys "Prüfung und Vernehmung" befasst.[8] Die Bundesregierung hat diesen Vorgang bislang nicht kommentiert.
 
Seit Jahrzehnten
 
Während Berlin weiterhin Sprechzettel, Protokolle und Vermerke wahlweise als ungelesen deklariert, nicht findet oder nicht bestätigt, belegen Recherchen, dass die Folterpraktiken des "Anti-Terror-Kampfs" vom US-amerikanischen BND-Partnerdienst CIA bereits seit Jahrzehnten gehandhabt werden. So schildert die kanadische Publizistin Naomi Klein, wie in den 1980er Jahren von der CIA trainierte lateinamerikanische Foltertrupps in Honduras oder Guatemala Gefangene misshandelten - in Anwesenheit von Verhörspezialisten aus den USA, die systematisch ihre Fragenkataloge abarbeiteten.[9]
 
Diese Art der Arbeitsteilung ist aus aktuellen Berichten bekannt. So legten BKA-Beamte in Beirut libanesischen Repressionsbeamten Fragen für einen dortigen Gefangenen vor, der wahrscheinlich gefoltert wurde (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Auch von Klein und dem US-Historiker Alfred McCoy beschriebene Techniken, die den Widerstand von Gefangenen brechen sollen und seit den 1950er Jahren von der CIA erforscht sowie in Handbüchern fixiert wurden, sind heutigen Zeitungslesern nicht unbekannt. So berichtete, neben vielen anderen, der Münchner Khafagy, er sei nicht nur ohne Außenlicht interniert gewesen, sondern auch nach dem Einschlafen binnen kürzester Frist immer wieder geweckt worden. Dies empfiehlt ein bekanntes Verhör-Handbuch der CIA aus den 1980er Jahren.[11] Das gesamte Vorgehen wurde im Fall Khafagys, wie oben beschrieben, von den zum Verhör nach Tuzla entsandten BKA-Beamten richtig interpretiert und angemessen zurückgewiesen.
 
Globalisierung
 
Wie Naomi Klein urteilt, wurde die immer wieder nachweisbare Folterpraxis der CIA nach dem 11. September 2001, allerdings in deutlich erweitertem Maßstab, fortgeführt und mit den rendition flights systematisch globalisiert. In welchem Umfang deutsche Behörden solche Flüge über deutschem Hoheitsgebiet toleriert haben, ist bis heute unbekannt. Der Sonderermittler der Bundesregierung, Joachim Jacob, konnte gerade einmal zwei rendition flights identifizieren - eingestandenermaßen jedoch auf der Basis "beschränkten Datenmaterials".[12] Vergleiche legen eine deutlich höhere Zahl nahe. Unter den Zwischenstationen für US-Militärflüge zu den Kriegsschauplätzen im Mittleren Osten nehmen deutsche Airports jedenfalls eine führende Stellung ein.[13]
 
Weitere Informationen zur deutschen Verstrickung in Menschenrechtsverletzungen im "Anti-Terror-Kampf" finden Sie bei german-foreign-policy.com unter den Titeln: Wo ist Haydar Zammar?, Wer ist "Sam", der deutsche Foltergesandte?, Nach Recht und Gesetz, Täuschen und lügen, Und warten noch immer, Interview mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, "Abgrundtiefe Doppelzüngigkeit", Abgleiten in die Barbarei, Interview mit Dr. Max Stadler, Ohne Gericht, ohne Urteil, Letzte Warnung, Größte Gefährdungen, Transatlantische Verbrechensausbeute, Steinmeier und seine Komplizen, Hundertneunzig Zentimeter Länge, Abgleiten in die Barbarei (II), Oktober 2001 und Deutsch-syrischer Herbst. (PK)

 
[1], [2] Kanzleramt war über den Fall Khafagy informiert; hib 134/2008, 08.05.2008
[3] "Unfroh überrascht" über Misshandlung Khafagys; hib 155/2008, 30.05.2008
[4] BKA-Vize Falk von Untersuchungsausschuss vernommen; ddp 19.06.2008
[5] Neue Enthüllungen im Fall Khafagy; stern.de 17.06.2008
[6] Steinmeier wusste von Festnahme; stern.de 02.05.2008
[7] Neue Vorwürfe gegen Bundesnachrichtendienst und Bundeskriminalamt: Profitierten deutsche Beamte von Folterverhör?; KONTRASTE 23.11.2006
[8] Neue Enthüllungen im Fall Khafagy; stern.de 17.06.2008
[9] Naomi Klein: The Shock Doctrine. The Rise of Disaster Capitalism, London 2007
[10] s. dazu Täuschen und lügen, Die Folterer und Und warten noch immer
[11] Alfred W. McCoy: A Question of Torture: CIA Interrogation, from the Cold War to the War on Terror, London 2006
[12] Steinmeier weist Mitverantwortung für geheime CIA-Flüge zurück; hib 185/2008, 19.06.2008
[13] s. dazu Dual Use
 
Mehr dazu: www.german-foreign-policy.com/

Online-Flyer Nr. 152  vom 25.06.2008

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