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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Sport
Eine unmaßgebliche Nachlese zur Fußball-EM 2008
Medien, Kommerz, Politik – und Sport
Von Joke Frerichs

Deutschland hat es wieder einmal ins Endspiel geschafft – und gegen die nahezu perfekt spielenden Spanier verdient mit 0:1 verloren. Ein Sieg für den Fußball. Endlich hat einmal (wieder) die spielerisch bessere Mannschaft gewonnen. Das war in der Vergangenheit leider nicht immer so.

Vergleicht man unsere Spielweise mit der während der WM von 2006, so ist eine Weiterentwicklung der Mannschaft kaum zu erkennen. Damals hatte sich die Mannschaft von Spiel zu Spiel gesteigert. Davon konnte bei dieser EM nur selten die Rede sein. Das Spiel gegen die überschätzten Polen war nur teilweise gut. Die Spiele gegen Kroatien und Österreich grenzwertig schlecht. Auch wenn die Kanzlerin nach dem Österreich-Spiel meinte, wir hätten „effizient“ gespielt. Wahrscheinlich hält sie auch die Art und Weise, wie sie Politik macht, für effizient. Aber die Medien haben alles versucht, sie „volkstümlich“ zu inszenieren: als gute Fee; Glücksbringerin und stets Präsente, wenn es um das Wohl und Wehe ihrer Untertanen geht.


Angela Merkel – feiert immer medienwirksam
Foto: NRhZ-Archiv
Selten hat es eine derart unterwürfige Hofberichterstattung gegeben wie im Umgang mit dieser Kanzlerin. Ihre Statements zu den Spielen – hohl und nichtssagend wie Regierungserklärungen. Und vor Inkompetenz nur so strotzend. Aber immer lächelnd und in die Hände klatschend, sobald eine Kamera auf sie gerichtet war. Dabei hätte es reichlich Anlass zur Kritik an den Medien gegeben: Die Art und Weise, wie die Springer-Presse vor dem Polen-Spiel (gleichzeitig in Polen und in Deutschland) gehetzt hat, hätte einen Einspruch ihrerseits mehr als gerechtfertigt. Aber von dieser Kanzlerin ist derartiges nicht zu erwarten. Sie schwimmt lieber mit auf der nationalen Welle. Und die Kon zernmedien muss man sich eben warm halten. Das weiß Frau Merkel ganz genau.
 
Alles muss zur Party werden
 
Was bleibt sonst noch über die mediale Inszenierung und Kommerzialisierung dieser EM zu sagen? Soll man sich noch mit den Kommentatoren auseinander setzen? Den Platitüden eines Bela Réthi oder Tom Bartels? Das kann man sich getrost sparen. Es kommt immer noch schlimmer, als man für möglich gehalten hat. Die ausgedehnten Sendezeiten; die Werbung; die Stimmungsmache à la Johannes B. Kerner? Alles muss zur Party werden. Wir erleben das mittlerweile bei Wahlkämpfen, aber eben auch im Sport. Da ist das konzentrierte Hinschauen nicht mehr so wichtig. Alles bleibt vordergründig und oberflächlich. So schafft es Kerner, in einer Minute, die Jungs in Afghanistan zu grüßen und Frau Merkel, die gerade eintrifft, zu hofieren. Dazu jubiliert der Hintergrund. Schöne, bunte Bilder dominieren. Superzeitlupen mit dröhnender Musik unterlegt. Worum es eigentlich geht, wird unwichtig. Beim Event dabei sein, das ist alles. Sozusagen La Ola in Permanenz.
 
Soll man sich über die Vermarktung der Spiele aufregen? (Soeben geht über den Ticker, dass die UEFA ca. 700 Millionen Euro Gewinn gemacht hat). Alles wurde vermarktet – vom Spielball bis zum Bier. Was uns da über die Medien zusammen gebraut wird, nannte man in kritischeren Zeiten einmal „Produktionsöffentlichkeit“ (Negt/Kluge). Da war der Zusammenhang mit den Interessen des großen Kapitals noch nicht so sinnfällig. Heute weiß man oft gar nicht, ob man sich schon im Spiel oder noch in der Werbung befindet. Das Virtuelle verschmilzt mit dem Wirklichen. Die Bilder gehen nahtlos ineinander über. Wenn man sich dem stundenlang aussetzt, müssen einem die Sinne buchstäblich schwinden.
 
Ich kann mich noch daran erinnern, wie man sich in den 70er Jahren darüber empörte, wenn im Rahmen von Sportveranstaltungen Werbung gezeigt wurde. Heute – in den ach so modernen Zeiten – scheint das Niemanden mehr zu interessieren. Da heißt es schlicht: Man muss sich das alles ja nicht ansehen. Und die Werbezeiten kann man schließlich zum P......... nutzen.

Köhler und Co
Horst Köhler beim Spiel gegen Polen – aber um die Handball WM in Köln
Quelle: sp.bundespraesident.de


So weit, so schlecht. Einen, der während der WM ständig präsent war, hatte ich schon vermisst: unseren Bundespräsidenten. Pünktlich zum Finale saß er dann auf seinem Logenplatz – mit Fan-Schal. In der Sonntagsausgabe der „Bild“ hatte er sich überaus optimistisch gegeben und der Mannschaft folgendes mit auf den Weg gegeben:  “Jetzt geht es um den Glauben an sich selbst, um Zähigkeit, Übersicht und Zusammenhalt im Tempo.“ Ein typischer Köhler-Satz. Kein Wunder, dass er nichts gegen die spanische Spielkunst bewirkt hat: im Tempo zäh zusammen halten oder so ähnlich – wer konnte das verstehen? Am Ende wurde es dann leider doch meist nur zäh. Immerhin: Berlusconi ist uns erspart geblieben. Das war das eigentlich Erfreuliche am Ausscheiden Italiens.
 
Eigentlich ging es ja um Fußball
 
Noch ein Wort zum Fußball – denn darum sollte es ja eigentlich gehen bei dieser EM. Überrascht hat mich die Systemschwäche der deutschen Mannschaft. Löw brauchte bis zum Portugal-Spiel, um ein halbwegs funktionierendes System zu finden: mit zwei sog. Sechsern (Hitzelsberger und Rolfes bzw. Frings). Erst danach konnte Ballack offensiver werden und seine Torgefährlichkeit unter Beweis stellen (vom phantastischen Freistoß gegen Österreich einmal abgesehen). Jansen auf der linken Abwehrseite war in den ersten Spielen ziemlich überfordert, zeigte aber nach seiner Einwechselung im Endspiel eine starke kämpferische Leistung. Er und Lahm stehen oft zu weit von ihren Gegenspielern weg. Beide kompensieren diese Schwäche jedoch durch einen beeindruckenden Offensivdrang.
 
Die Aufbietung von Mario Gomez als zweite Sturmspitze neben Klose erwies sich als Missgriff. Auch die Einwechselung von Gomez im Finale brachte kaum etwas (Barcelona wird nun sicherlich keine 20 Millionen Euro mehr für ihn bieten). Beiden Sturmspitzen ist jedoch zugute zu halten, dass sie aus dem Mittelfeld auch kaum brauchbare Pässe bekamen.

Podolski – der sich überwiegend in guter Form präsentierte – ist auf dieser Position eindeutig die bessere Lösung. Er ist nicht nur torgefährlicher, sondern überzeugt auch in der Tor-Vorbereitung. So bleiben vor allem die gelungenen Kombinationen von Podolski und Schweinsteiger in Erinnerung. Die Tore gegen Portugal und die Türkei waren Glanzstücke des deutschen Spiels.
 
Löw gestand Fehler offen ein
 
Die Einwechselung von Odonkor im Kroatien-Spiel zeigte nur zu deutlich, wie unsicher sich Löw anfangs hinsichtlich des Spielsystems war. Zu seiner Ehre sei allerdings hinzugefügt, dass er seine Fehler offen eingestand und nicht - wie seine Vorgänger Ribbeck und Völler - um den heißen Brei herumredete.
 
Unsicher wirkte bis zum Schluss die Innenverteidigung – und hier vor allem Metzelder, dem die fehlende Spielpraxis deutlich anzumerken war. Bisweilen bewegte er sich wie ein Altherren-Spieler. Dazu: viele Stellungsfehler und vor allem zu langsam im Spielaufbau. Dieser war oft derart pomadig, dass die Gegner sich zwischenzeitlich in aller Ruhe formieren konnten. Das erinnerte doch sehr an Zeiten, die man für überwunden hielt.
 
Natürlich kommt jetzt der Einwand: aber wir haben doch letztlich Erfolg mit unserer Art zu spielen. Andere zeigen ein oder zwei tolle Spiele und das war’s dann. Und auf einem durchgängig hohen Niveau spielt während des gesamten Tourniers ohnehin kaum eine Mannschaft. Das alles ist richtig und unabweisbar. Aber als Fußball-Romantiker darf man sich doch immer einen noch besseren Fußball wünschen als den zuletzt gespielten.
 
Schade um die Türken
 
Für die Mannschaften, die einen offensiven und attraktiven Fußball gezeigt haben, war das frühzeitige Ausscheiden sicherlich bitter: allen voran die Holländer, Kroaten und Portugiesen. Aber auch um die Türken tat es mir leid. Nach dem Kroatien-Spiel, das sie glücklich gewonnen hattten, haben wir sie eine Stunde lang über den Kudamm in Berlin ziehen sehen. Selten habe ich so viele glückliche Gesichter gesehen. Als uns einen Abend später ein türkischer Taxifahrer zum Hotel fuhr, wünschten wir uns gegenseitig, dass der Bessere im Spiel Deutschland–Türkei gewinnen möge. Es ist anders gekommen.
 
Wir haben einen Teil der Spiele in der Kneipe gesehen: bei der „Dicken Wirtin“ und im „Zwiebelfisch“ am Savigny-Platz in Berlin. Das ist nicht immer nur angenehm. Ausgerechnet beim Spiel gegen Portugal hielt mein Nachbar ein Plädoyer für die Todesstrafe – von keinem noch so bösen Blick ließ er sich unterbrechen. Bis ihm jemand sagte, aus den von ihm angeführten Gründen für die Todesstrafe seien die USA ja auch ein überaus sicheres Land, in dem es kaum Verbrechen gibt. Da schaute er doch einen Moment verdutzt drein und hielt für ca. fünf Minuten den Mund.
 
Seltsame Zeitgenossen
 
Das Spiel Italien gegen Spanien sahen wir inmitten von „Halbintellektuellen“ (halbintellektuell meint hier: zu allem eine Meinung haben und von nichts wirklich etwas zu verstehen). Also: vorgeschobenes Interesse am Spiel; abschätzige Urteile; Inkompetenz. Vor uns las einer während des Spiels die „Zeit“. Umständlich und aufwendig blätterte er jedes Mal die Seiten um. Dann verstand man vom Ton gar nichts mehr, da ohnehin ständig Handys bimmelten oder sonst wie gequatscht wurde. Ab und zu blickte der Besagte zum Bildschirm auf und schien sich zu wundern, was da vor sich ging. Seltsame Zeitgenossen gibt es. Gott sei dank war das Spiel (vor allem seitens der Italiener) relativ schwach, so dass es keiner besonderen Atmosphäre bedurfte.
 
Ausgerechnet das Spiel Holland-Russland haben wir verpasst. An dem Abend waren wir zu einer Geburtstagsfeier bei alten Freunden eingeladen. Als späte Gäste das Resultat nannten, wollten wir es kaum glauben. Und wie überlegen die Russen gewesen waren. Um die Holländer ist es schade – sie haben aus meiner Sicht den perfektesten und schönsten Fußball geboten. Aber es fehlt ihnen offenbar die Konstanz, ein ganzes Turnier auf hohem Niveau zu absolvieren.
 
Ach ja: ich hatte für’s Endspiel auf Deutschland getippt; meine Frau auf Spanien. Ich hatte darauf vertraut, dass wir ähnlich wie im Spiel gegen Portugal taktieren: den Gegner „das Spiel machen lassen“ und wir uns auf Konter und Standards konzentrieren. Aber das klappte nur in den ersten 15 Minuten. Danach spielte fast nur noch Spanien. Dabei hätte ich so gewünscht, dass unser Präsident in seiner Einschätzung einmal recht gehabt hätte – aber wie so oft lag er ziemlich daneben. Der Fußballsport wird es ihm danken. (PK)

Online-Flyer Nr. 153  vom 02.07.2008

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