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Kultur und Wissen
Das Ghetto von Rom erinnert an die erste jüdische Gemeinde in Europa
Die letzte von einst 13 Synagogen in Rom
Von Manfred Giebenhain

Es heißt, nicht einmal der Heilige Geist wisse, wie viele Kirchen es in Rom gibt. Selbst die umfassendste Aufzeichnung, die Mario Armellini vor 120 Jahren vorgenommen hat, dürfte weder vollständig, geschweige denn aktuell sein. Allein auf Papst Johannes Paul II gehen über 50 Segnungen zurück. Dabei fällt ein anderes Gotteshaus aus dem Rahmen, das zwar an Jahren nicht mithalten kann, sich aber an Anmut und Schönheit nicht hinter den meisten Kirchen verstecken muss. Die einzige noch vorhandene Synagoge der ewigen Stadt symbolisiert zugleich die älteste jüdische Gemeinde in Europa.

Synagoge der ältesten jüdischen Gemeinde europas, foto: lalupa
Synagoge der ältesten jüdischen Gemeinde        
Europas | Foto: lalupa
Wie aus einem orientalischen Märchenbuch entliehen, steht das im assyrisch- babylonischen Stil errichtete Gebäude zwischen Palmen und Laubbäumen am Lungotevere dé Cenci, unmittelbar gegenüber der Tiberinsel. Die 1904 nach über dreijähriger Bauzeit eingeweihte Synagoge wurde auf einem frei gewordenen Grundstück des angrenzenden jüdischen Viertels errichtet, das sich zwischen Tiber, Piazza Venezia, Kapitol (Campidoglio) und der Via Arenula befindet.

Um die teils engen und kargen Gassen besser verstehen zu können, lohnt sich ein Blick in die Geschichte des Judentums in Italien: Die ersten Zuwanderungen gehen auf etwa 200 vor Christus während der Herrschaft der Makkabäer zurück. Gut betuchte Familien suchten hier ihr Glück und konnten sich ungestört einen Platz in der Stadt suchen. Von Pompeius verschleppt, gelangten im ersten Jahrhundert vor Christus die ersten Gefangenen nach Rom.







Berühmte Szene auf dem Titusbogen in Rom zeigt den Trumphzug mit Beutestücken aus dem Jerusalemer Tempel

Durch die Niederschlagung des jüdischen Aufstands in Palästina und der Zerstreuung der Juden in alle Welt durch Kaiser Titus 73 nach Christus kamen weitere in die Stadt. Ihr Leidensweg wurde auf dem Fries des Triumphbogens des Titus (am südöstlichen Ausgang des Forum Romanums) festgehalten. Der heilige Strom Jordan wird in der Gestalt eines Greises auf einer Bahre getragen. Im Durchgangsbogen sind im Siegeszug die geraubten Schätze zu erkennen: der siebenarmige Leuchter, der goldene Tisch, die Lade, in der sich das Gesetz befand, und die silbernen Trompeten für das Jubeljahr. Nach ihrer Freilassung als Sklaven ließen sich viele unter anderem auf der anderen Uferseite des Tibers nieder, im Trastevere.

Bis zum Ende des Kaiserreichs (mit der Absetzung des weströmischen Kaisers 476 nach Christus) sollen nach Schätzungen zwischen 30.000 und 40.000 Juden relativ unbehelligt in bis zu 13 selbstständigen Gemeinden in der Stadt gelebt haben. In den folgenden Jahrhunderten waren die Lebensverhältnisse, wie das Ausüben religiöser Sitten und Gebräuche, vom Wohlwollen des jeweils amtierenden Papstes abhängig. Zur Errichtung des Ghettos kam es unter Papst Paul IV, der am 14. Juli 1555 mit der Bulle „Cum nimis absurdum“ die Juden Roms in die Gassen nördlich der Tiberinsel, in Roms kleinstem Stadtbezirk Sant’Angelo, verbannte. Eingerissen wurden die Mauern um das Ghetto erst 1870, als die weltliche Macht anstelle der des Papstes trat.

strassenszene Ottavia trastevere
Blick auf die Via del Portico d’Ottavia | Foto: Manfred Giebenhain

Auf rund 500 jüdische Familien werden die Einwohner geschätzt, die heute dort leben und in ihren Geschäften Haushalts- und Kurzwaren, koschere Speisen, Kleidung, Schmuck und Bücher anbieten. Die gesamte jüdische Gemeinde Roms hat nach eigenen Angaben 15.000 Mitglieder. Die meisten Geschäfte befinden sich in der Via S. Maria del Pianto und in angrenzenden Via del Portico d’Ottavia, wo sich die Reste der Halle der Ottavia befinden. Hier soll der Siegeszug von Vespasian und Titus über Palästina entlanggezogen. Auch in der Via dei Falegnami, Via del Funari sowie in der Via Bottegle Oscure finden sich kleine Restaurants, ein russischer Tea Room und Läden für den täglichen Bedarf. Freunde jüdischer Literatur werden in dem kleinen Buchladen „Menorah“ am Piazza delle Cinque Scole, unweit der Synagoge, fündig.

Jüdische Symbole an hauswand in rom Foto: giebenhain
Hauswand in der Via della Reginella mit         
eingemeißelten jüdischen Symbolen
Foto: Manfred Giebenhain
Besonders in den engen Seitengassen nagt unaufhörlich der Zahn der Zeit an vielen Häusern; der Verputz bröckelt und viele der schweren Holztüren scheinen seit Jahren nicht mehr geöffnet worden zu sein. Wenig Licht dringt durch die verwinkelten Gänge. Bei genauerer Betrachtung finden sich aber auch hier Spuren der jüdischen Vergangenheit, wie den in eine Hauswand eingemeißelten siebenarmigen Leuchter in der Via della Reginella.

Nachdem auch die italienischen Faschisten vor der Judenverfolgung und -deportation nicht Halt gemacht hatten, durften sich die wenigen Verbliebenen nach dem Krieg zum Zeichen der Versöhnung den Platz für den Neubau der Synagoge aussuchen. Die ärmlichsten Häuser des Ghettos mussten ohnehin weichen. Im Untergeschoss ist das Museo Ebraico di Roma, das jüdische Museum, untergebracht. Im Eingangsbereich befinden sich Kopien antiker Gedenksteine, topografische Übersichten und Marmortafeln aus den Katakomben.

Fünf Säle beherbergen jüdische Kultgegenstände, wertvolle Kronen, Halbkronen, Leuchter aus Gold und Silber, darunter viele Leihgaben von begüterten Gemeindemitgliedern, die nach alter Tradition auch ihr Büro in einem Seitengebäude der Synagoge unterhalten. Manuskripte und Drucke gewähren einen Einblick in die Geschichte der Juden in Rom, die allerdings weder vollständig noch chronologisch geordnet wiedergegeben wird. Einen kurzen Abriss bietet ein Videofilm mit Untertitel in englischer Sprache. Ebenso wird eine gut halbstündige Führung auf Italienisch und Englisch angeboten – Informationen auf Deutsch gibt es nicht.

Tempio Maggiore in Sant'Angelo Foto: Giebenhain
Der „Tempio Maggiore" in Sant'Angelo | Foto: Manfred Giebenhain

Höhepunkt der Führung ist zweifelsohne der Tempio Maggiore, der Tempel mit seiner vierflächigen Aluminiumkuppel, in deren Mitte eine viereckige Laterne ein warmes Licht den dreigliedrigen Raum erhellt. Die assyrischen Säulen, die auch die reichlich mit jüdischen Symbolen verzierte Außenfassade schmücken, stützen die seitlich verlaufenden Buckelquader. Darüber folgen drei zentrale Arkaden, die von Fenstern unterbrochen werden. Zwei zinnengekrönte Halbtürme fügen sich beiderseits an den Zentralbau und verleihen dem imposanten Gebäude so die Größe und Erhabenheit einer Kathedrale oder eines Doms.

Die Apsis in der Form eines halben Sechsecks umfasst die massive Konstruktion des Aròn (Toraschrein, Heilige Lade); die hölzerne Bimàh (das Pult) ist in die Tribüne rund um den Schrein eingelassen. Das um acht Stufen erhöhte Podium wird von einer Balustrade mit kleinen Säulen und Gittern umfasst. Die Wandverzierungen werden durch orientalische Ornamente und verspielte Linien des Jugendstils voneinander getrennt. In vielen von Säulen getrennten Fächern steht eine Menòra; zahlreiche Bibelsprüche in hebräischer Schrift lockern das Gesamtbild auf. Ein Zeichen für Versöhnung setzte Papst Johannes Paul II mit seinem Besuch der Synagoge am 13. April 1986, die mit einer symbolischen Umarmung mit dem Oberrabbiner Professor Elio Toaff endete. (CH)


Das „Museo Ebraico di Roma” ist sonntags bis freitags von 10 bis 17 Uhr, samstags bis 14 Uhr geöffnet.


Online-Flyer Nr. 161  vom 27.08.2008

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