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Aktueller Online-Flyer vom 27. Dezember 2024  

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Globales
Der neue Kalte Krieg des Obama-Beraters Zbigniew Brzezinski
Die Welt als Schachbrett – Teil 1
Von Hauke Ritz

Barack Obama werde die unter George W. Bush verloren gegangene „Weltführungsrolle der USA wiederherstellen“, versprach Bill Clinton kurz vor dessen „Wahl per Zuruf“ der Demokraten in Denver. Dem widersprach Bettina Röhl am Tag danach in Springers Welt: „Obama fehlt nicht nur die politische Erfahrung, sondern bisher auch das politisch konkrete Konzept.“ Offenbar hatte sie nicht mitbekommen, dass sein aussenpolitischer Berater Zbigniew Brzezinski ist. Hauke Ritz hat sich dessen Hauptwerk „The Grand Chessboard“ vorgeknöpft. Ihm kann man entnehmen, womit die Welt nach der Wahl des in Berlin umjubelten Kandidaten zu rechnen hat. – Die Redaktion.   


Zbigniew Brzezinski | Quelle: www.americanprogress.org
 
Die politischen Zyklen der westlichen Welt sind eng verknüpft mit den Amtszeiten amerikanischer Präsidenten. Mit jedem neuen US-Präsidenten verändert die Welt ein wenig ihren Charakter. So war die Präsidentschaft Bill Clintons mit einer optimistisch nach außen vertretenen Globalisierung verbunden. Was im Heimatland des Imperiums eine riesige Finanzblase erzeugte, führte allerdings von Südostasien über Russland bis Argentinien zu einer ganzen Reihe von tragischen Wirtschaftskrisen. Die Amtszeit George W. Bushs war eng verknüpft mit dem "Krieg gegen den Terror". Der selbst ernannte Kriegspräsident gewöhnte die Welt an die Wiedereinführung von Folter und geheimen Gefängnissen. Nach acht Jahren Amtszeit ist das internationale Ansehen der USA stark beschädigt und beschränkt zunehmend auch den Bewegungsspielraum amerikanischer Außenpolitik.
 
Nun bereiten sich die Vereinigten Staaten erneut auf einen Regierungswechsel vor. Man fragt sich, welcher Flügel der Elite nun an die Macht kommen wird und womit die Welt als Nächstes zu rechnen hat. Vieles deutet darauf hin, dass Barack Obama die kommende Wahl gewinnt. Umso mehr stellt sich die Frage, wie der von ihm propagierte "Wandel" aussehen wird.
 

George Soros | Quelle: www.investmentpostcards.com
   
Obama wird von dem Multimilliardär George Soros und dem ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater unter Präsident Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, unterstützt. Brzezinskis ist zugleich sein außenpolitischer Berater. Als graue Eminenz unter den amerikanischen Geostrategen verkörpert er die Sichtweisen und Interessen eines ganzen Flügels der amerikanischen Elite. Aufgrund seines intellektuellen Ranges muss sein Einfluss sehr hoch veranschlagt werden. Hinzu kommt noch, dass Zbigniew Brzezinskis Tochter, die Fernsehmoderatorin Mika Brzezinski, Obama unterstützt, und ihr Bruder Mark Brzezinski ebenfalls zu den Beratern Obamas gehört. Vieles spricht deshalb dafür, dass in einer Präsidentschaft Obamas die geopolitischen Vorstellungen der "Brzezinski-Fraktion" zum Tragen kommen.
 
Zbigniew Brzezinski gilt heute neben Henry Kissinger als der führende Stratege amerikanischer Außenpolitik im 20. Jahrhundert. In seinem jüngsten Buch "Second Chance" aus dem Sommer 2007 unterzieht er die Regierungen Bush I, Clinton und Bush II einer fundamentalen Kritik. Nach seiner Ansicht haben sie die Chance verstreichen lassen, nach dem Zusammenbruch der UdSSR ein System dauerhafter amerikanischer Vorherrschaft zu errichten. Er schlägt deshalb vor, die unilaterale Politik einzuschränken und verstärkt auf Kooperationen und Absprachen mit Europa und China zu setzen. Auch mit Syrien, Iran und Venezuela sollen Verhandlungen aufgenommen werden – ganz wie Barack Obama dies bereits angekündigt hat. Zugleich soll jedoch Russland isoliert und möglicherweise auch destabilisiert werden.
 
Die wesentliche Differenz zwischen Brzezinski und den Neokonservativen besteht im Verhältnis zum Islam und zu Israel. Brzezinski setzt sich für eine konstruktive Lösung des Israel-Palästina-Konfliktes ein. Als klassischem Geopolitiker sind ihm, anders als Bush junior, religiöse Motive fremd. In jüngster Zeit trat er zudem als Kritiker einer Politik auf, die sich auf einen Kampf der Kulturen gründet. Doch diese Differenzen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Brzezinski hinsichtlich des Ziels amerikanischer Vorherrschaft mit den Neokonservativen einig ist.
 

Barack Obama | Quelle: www.rense.com
 
Glaubten die Neocons, das Ziel der US-amerikanischen Hegemonie durch die direkte militärische Kontrolle der Ölvorräte des Nahen und Mittleren Ostens zu erreichen, so könnte sich unter einer von Brzezinski beeinflussten Präsidentschaft Obamas der Schwerpunkt amerikanischer Außenpolitik auf die aufsteigenden Rivalen Russland und China verlagern. Eine von Brzezinski beeinflusste Politik hätte zum vorrangigen Ziel, eine weitere Vertiefung der Bündnisbeziehungen zwischen beiden Staaten, wie sie sich in der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) vorbereiten, zu verhindern. Ziel wäre es, China durch spezielle Angebote aus dem Bündnis zu lösen – und Russland zu isolieren.
 
Als Sohn eines polnischen Diplomaten lebte Zbigniew Brzezinskis im Alter von 8 bis 10 zur Hochzeit der stalinistischen Säuberungen in der Ukraine. Möglicherweise ist dies der Grund, warum sein Denken in verhängnisvoller Weise auf Russland fixiert ist. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, gibt es begründeten Anlass zu der These, dass sich unter einer Präsidentschaft Obamas die bereits eingeleitete Entwicklung hin zu einem neuen Kalten Krieg weiter verschärfen könnte.
 
Brzezinskis Strategie amerikanischer Vorherrschaft
 
Diese Gefahr wird besonders deutlich, wenn man Brzezinskis Hauptwerk zur Hand nimmt. Das 1997 veröffentlichte "The Grand Chessboard" gewährt einen tiefen Einblick in die langfristigen Interessen amerikanischer Machtpolitik. Es enthält einen analytischen Abriss der geopolitischen Zielsetzungen der USA für einen Zeitraum von 30 Jahren. In der deutschen Übersetzung heißt das Buch "Die einzige Weltmacht". Dieser Titel bezeichnet den ersten Grundsatz, nämlich den erklärten Willen, die "einzige" und – wie Brzezinski es nennt – sogar "letzte"[1] Weltmacht zu sein. Noch entscheidender ist jedoch die zweite Prämisse. Derzufolge ist Eurasien "das Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird." (S. 57)
 
Diesem zweiten Grundsatz liegt die Einschätzung zugrunde, dass eine Macht, die in Eurasien die Vorherrschaft gewinnt, damit auch die Vorherrschaft über die gesamte übrige Welt gewonnen hätte. "Dieses riesige, merkwürdig geformte eurasische Schachbrett – das sich von Lissabon bis Wladiwostok erstreckt – ist der Schauplatz des global play" (S. 54) – wobei "eine Dominanz auf den gesamten eurasischen Kontinent noch heute die Voraussetzung für globale Vormachtstellung ist." (S. 64) Und zwar einfach deshalb, weil Eurasien der mit Abstand größte Kontinent ist, auf dem 75 Prozent der Weltbevölkerung leben und der drei Viertel der weltweit bekannten Energievorkommen beherbergt. Brzezinski folgert deshalb: "Eine Macht, die Eurasien beherrscht, würde über zwei der drei höchstentwickelten und wirtschaftlich produktivsten Regionen der Welt gebieten." Außerdem sind "Amerikas potentielle Herausforderer auf politischem und/oder wirtschaftlichem Gebiet [...] ausnahmslos eurasische Staaten." (S. 54, 58)
 
Brzezinski kommt deshalb zu dem Schluss, dass das erste Ziel amerikanischer Außenpolitik darin bestehen muss, "dass kein Staat oder keine Gruppe von Staaten die Fähigkeit erlangt, die Vereinigten Staaten aus Eurasien zu vertreiben oder auch nur deren Schiedsrichterrolle entscheidend zu beeinträchtigen." (S. 283) Es gelte, "die Gefahr eines plötzlichen Aufstiegs einer neuen Macht erfolgreich" hinauszuschieben (S. 304). Die USA verfolgen das Ziel, "die beherrschende Stellung Amerikas für noch mindestens eine Generation und vorzugsweise länger zu bewahren". Sie müssen "das Emporkommen eines Rivalen um die Macht [...] vereiteln" (S. 306).
 
Die "zweite Chance"
 
Diese Äußerungen klingen zehn Jahre nach Erscheinen des Buches und nach dem Scheitern der Bush-Regierung außerordentlich fragwürdig. In seinem jüngsten Buch erkennt Brzezinski jedoch eine "zweite Chance", das Bemühen um eine dauerhafte amerikanische Vorherrschaft umzusetzen. Dies wird besonders deutlich an der Rolle, die Brzezinski – ganz wie Obama – damals wie heute Europa zuspricht. Ein transatlantisch orientiertes Europa habe für die USA die Funktion eines Brückenkopfes auf dem eurasischen Kontinent (S. 91). Gemäß dieser Logik würde eine EU-Erweiterung nach Osten zwangsläufig auch eine Osterweiterung der NATO nach sich ziehen. Diese wiederum – so die Idee – soll den amerikanischen Einfluss weit nach Zentralasien ausdehnen und einen Machtvorsprung gegenüber Konkurrenten sichern: "Amerikas zentrales geostrategisches Ziel in Europa lässt sich also ganz einfach zusammenfassen: Durch eine glaubwürdigere transatlantische Partnerschaft muss der Brückenkopf der USA auf dem eurasischen Kontinent so gefestigt werden, dass ein wachsendes Europa ein brauchbares Sprungbrett werden kann, von dem aus sich eine internationale Ordnung der Demokratie und Zusammenarbeit nach Eurasien hinein ausbreiten lässt" (S. 129).
 
Brzezinski war sich jedoch bereits 1997 bewusst, dass auch bei erfolgreicher Umsetzung dieses Plans Amerikas Weltmachtposition nur von kurzer Dauer sein kann. Warnend schreibt er an anderer Stelle: "Amerika als die führende Weltmacht hat nur eine kurze historische Chance. Der relative Frieden, der derzeit auf der Welt herrscht, könnte kurzlebig sein" (S. 303). Deshalb definiert er als langfristiges Ziel des Machterhalts die Fähigkeit, "ein dauerhaftes Rahmenwerk globaler geopolitischer Zusammenarbeit zu schmieden." (S. 305) Er spricht in diesem Zusammenhang auch von einem "transeurasischen Sicherheitssystem (TSEE)" (S. 297), das über die Grenzen einer nach Zentralasien erweiterten NATO hinaus Kooperationen mit Russland, China und Japan beinhalten würde. Europa käme dabei die Rolle eines "Eckpfeilers einer unter amerikanischer Schirmherrschaft stehenden größeren eurasischen Sicherheits- und Kooperationsstruktur" (S. 91) zu.
 
Einfluss auf den asiatischen Kontinent
 
Doch was ist mit diesem transeurasischen Sicherheitssystem konkret gemeint? Deutlicher könnte dies in Verbindung mit den Positionen anderer Strategen und Staatsmänner werden. Tatsächlich fällt ein interessantes Licht auf Brzezinskis Ziele, wenn man sie mit Äußerungen konfrontiert, die der russische Präsident Wladimir Putin in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 10. Februar 2007 gemacht hat. Putin wandte sich dort gegen die von den USA nach dem Kalten Krieg favorisierte Geopolitik, die seiner Ansicht nach eine "unipolare Welt" anstrebe: "In wie freundlichen Farben auch immer man [eine solche unipolare Welt, H.R.] ausmalen mag, letztlich bezieht sich der Terminus auf eine bestimmte Situation, in der es ein Zentrum der Staatsgewalt, ein Machtzentrum und ein Entscheidungszentrum gibt. Das ist eine Welt, in der es einen Herrn gibt, einen Souverän." Und weiter heißt es: "Was gegenwärtig in der Welt geschieht, ist eine Folge der Versuche, genau dieses Konzept, das Konzept einer unipolaren Welt, in die internationalen Beziehungen zu tragen. [...] Gegenwärtig erleben wir eine fast unbeschränkte, übermäßige Anwendung von Gewalt – militärischer Gewalt – in den internationalen Beziehungen, einer Gewalt, die die Welt in einen Abgrund permanenter Konflikte stürzt. [...] Politische Lösungen zu finden, wird gleichfalls unmöglich. [...] Ein Staat – und dabei spreche ich natürlich zunächst und vor allem von den Vereinigten Staaten – hat seine nationalen Grenzen in jeder Hinsicht überschritten."[2]
 
Aus russischer Sicht ist die langfristige Strategie amerikanischer Außenpolitik gerade unter geopolitischen Gesichtspunkten eindeutig: Wie von Brzezinski vorgeschlagen, streben die USA an, ihren Einfluss auf den asiatischen Kontinent immer weiter auszudehnen. Dabei dient ihnen Europa als Sprungbrett für den eurasischen Kontinent. Da jede Osterweiterung Europas unter den gegebenen Umständen zugleich auch den amerikanischen Einfluss ausdehnt, sollen durch eine Kombination aus EU-Osterweiterung und NATO Expansion viele der ehemaligen Sowjetrepubliken – wie zum Beispiel Georgien, Aserbaidschan, Ukraine und Usbekistan – in die westliche Einflusszone integriert werden.
 
Maßgeblich für diese Integration ist, dass sich ein Land für ausländisches Kapital öffnet und an das westliche Rechtsverständnis anpasst. Geschieht dies, dann ist es westlichen Konzernen möglich, sich die Rohstoffvorkommen zu sichern und über die Medien Einfluss auf die Öffentlichkeit eines Landes zu gewinnen.
 
Zentrale Bedeutung kommt dabei der Region um das Kaspische Meer zu. Da diese über die zweitgrößten Öl- und Gasreserven verfügt und zudem militärstrategisch von besonderer Bedeutung ist, würde eine westliche Vormachtstellung in dieser Region die Position der USA auf dem eurasischen Kontinent massiv stärken. Zusammen mit der Kontrolle der US-verbündeten OPEC-Staaten Kuwait, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Katar und den eroberten Staaten Irak und Afghanistan würde sie einer Vorherrschaft der USA über Zentralasien die nötige Autorität verleihen, um von dort schließlich ganz Eurasien, einschließlich Chinas und Russlands, in eine von den USA entworfene überstaatliche Sicherheitsstruktur zu integrieren.
 
Die letzte echte Supermacht
 
Die von Europa ausgehende NATO-Osterweiterung und die von der Bush Regierung im Süden Eurasiens (Irak, Afghanistan) begonnenen militärischen Interventionen bilden zusammen gewissermaßen einen Keil, mit dem die USA in das Herz der eurasischen Landmasse vorstoßen. Gelingt es den USA tatsächlich, dieses Ziel zunächst in Eurasien zu erreichen, wäre die hergestellte Ordnung aufgrund der Größe und Bedeutung des eurasischen Kontinents paradigmatisch für die gesamte übrige Welt. Lateinamerika, Afrika, Australien und alle Inselstaaten wären, dem Brzezinski-Plan zufolge, gezwungen, sich einer solchen Ordnung anzuschließen. Die USA wären dann nicht nur die "einzige", sondern – wie Brzezinski es formuliert – auch die "letzte echte Supermacht" (S. 307). Denn innerhalb der dann allmählich hergestellten globalen staatlichen Integration würde staatliche Souveränität weitgehend ihren Sinn verlieren und Geopolitik damit an ihr Ende gelangen. Nationalstaaten würden – wie langfristig auch in der EU – zunehmend die Rolle von Bundesstaaten annehmen. Zugleich wäre der Planer und Hegemon eines derartigen eurasischen Zusammenschlusses in der Lage, eine solche Ordnung so zu gestalten, dass er sie weiterhin latent dominiert, vergleichbar etwa der privilegierten Machtposition, die das Tandem Frankreich/Deutschland innerhalb der EU einnimmt. Es würde sich in der Tat um eine unipolare Welt handeln, wenn auch die dann ausgebildete Machtstruktur vermutlich ähnlich schwer identifizierbar und fassbar sein dürfte wie bereits heute jene der EU.
 
In Brzezinskis eigenen Worten klingt dies wie folgt: "Käme das TESS [das transeurasische Sicherheitssystem] also eines Tages zustande, wäre Amerika nach und nach einiger seiner Lasten ledig, auch wenn es weiterhin als stabilisierende Kraft und als Schiedsrichter in eurasischen Belangen eine maßgebliche Rolle spielen würde." (S. 298) Ein "von multinationalen Korporationen, Organisationen [...] geknüpftes Netz schafft bereits ein informelles Weltsystem [...]. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte könnte somit eine funktionierende Struktur weltweiter Zusammenarbeit, die auf den geopolitischen Gegebenheiten gründet, entstehen und allmählich die Insignien des derzeitigen Herrschers der Welt annehmen [nämlich der USA, H.R.] [...]. Ein geostrategischer Erfolg dieser Zielsetzung wäre dann die durchaus angemessene Erbschaft, die Amerika als erste, einzige und letzte echte Supermacht der Nachwelt hinterlassen würde." (S. 307)
 
Die Gewaltförmigkeit unilateraler Politik
 
Seit Brzezinski diese Ziele formulierte, haben die USA einen starken Verlust geopolitischer Macht erfahren. In seinem jüngsten Buch "Second Chance" gibt Brzezinski offen zu, dass der Plan einer direkten militärischen Besetzung einiger Länder des Mittleren Ostens, wie sie den Neokonservativen vorschwebte, gescheitert ist.[3] Doch diese Niederlage ist für Brzezinski nicht so massiv, dass er die 1997 formulierten Pläne einer amerikanischen Vorherrschaft in Eurasien aufgeben möchte. Das Scheitern der direkten militärischen Machtausdehnung im Süden Eurasiens bedeutet für ihn lediglich, dass nun die von Europa ausgehende Osterweiterung der NATO an Priorität gewinnt. Dies bedeutet jedoch einen massiven Vorstoß in die russische Einflusssphäre. Damit würde nach dem Iran nun Russland ins Fadenkreuz der US-Geopolitik geraten.
 
Die unipolare Welt, vor der Putin im letzten Jahr auf der Münchner Sicherheitskonferenz warnte, ist also keine Schimäre, sondern ein reales geopolitisches Projekt der USA. Dies ist auch daran ersichtlich, dass die Vereinigten Staaten im Zuge der Expansion der NATO nach Osten Tatsachen schaffen, ohne Russland und China wirklich einzubeziehen bzw. deren Sicherheitsinteressen ernst zu nehmen.
 
Insgesamt erleben wir in den letzten Jahren, insbesondere seit dem 11. September 2001, eine starke Zunahme gewaltförmigen Handelns in den internationalen Beziehungen. Insbesondere die USA legten wenig Wert auf internationale Absprachen und Konsensbildung. Das Völkerrecht wurde durch das unilaterale Handeln der USA zunehmend ausgehöhlt, während Institutionen wie die UNO geschwächt worden sind. An ihre Stelle sind die so genannten friedenserhaltenden Einsätze der USA, EU oder NATO, zum Beispiel im ehemaligen Jugoslawien, getreten. Dabei wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass das westliche Verteidigungsbündnis oder westliche Staaten die gesamte Weltgemeinschaft vertreten können.
 
Man denke nur an den Irak-Krieg
 
Mit dem unilateralen Handeln der USA geht die Zunahme gewalttätiger "Konfliktregulierung" einher. Man denke nur an die präventive Erstschlagdoktrin der USA und ihre Anwendung im Irakkrieg. Oder man führe sich den Einsatz von Uranmunition im Irak- und im Afghanistankrieg vor Augen, der – in der Presse weitgehend verschwiegen – in beiden Kriegsgebieten die Missbildungsrate bei Säuglingen vervielfacht hat.[4] Zu nennen ist zudem die in die Wege geleitete NATO-Osterweiterung bis ans Kaspische Meer, die Russland zwangsläufig beunruhigen muss.
 
Ähnlich verhält es sich mit der Stationierung eines Raketenschildes nicht nur in Tschechien und Polen, sondern auch in weiteren an Russland angrenzenden Regionen, und schließlich die von den USA vorangetriebene Aufrüstung im Weltraum, von dessen strategischer Logik noch zu reden sein wird. All diese Handlungen weisen einen hohen Gewaltindex auf. Sie sind einseitig beschlossen und nie kritisch im Licht der Öffentlichkeit diskutiert worden; zudem wurden sie nicht durch internationale Vereinbarungen legitimiert.
 
All dies zeigt deutlich, dass die von den USA angestrebte Weltordnung nicht auf Konsensbildung und demokratischen Absprachen beruht. Stattdessen lässt die Politik nicht erst der Bush-Regierung die geopolitische Strategie erkennen, durch Schaffung vollendeter Tatsachen einen Machtvorsprung vor Europa, China und Russland zu gewinnen. Durch den drastischen Anstieg der Rüstungsausgaben seit 9/11, die längst alle Rekorde des Kalten Krieges hinter sich gelassen haben, versuchen die USA einen technologisch uneinholbaren Vorsprung vor ihren Konkurrenten zu erlangen. Diese Politik ist hochgefährlich, da sie notwendigerweise Gegenreaktionen hervorruft und bereits jetzt ein neues Wettrüsten in Gang gesetzt hat. Und es ist mehr als fraglich, ob dieser Politik ihre Gefährlichkeit genommen werden kann, indem ein zukünftiger Präsident Obama mit China und Europa Absprachen trifft, während er Russland, so er den Plänen Brzezinskis Folge leistet, weiterhin einer verschärften militärischen Bedrohung aussetzt. (PK)
 
[1] Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Berlin 1997, S. 307; dieses Werk im Folgenden mit Seitenzahl im Text.
[2] Rede von Wladimir Putin auf der Konferenz für Sicherheitspolitik in München am 10.2.2007, dok. in: "Blätter", 3/2007, S. 374.
[3] Vgl. Zbigniew Brzezinski, Second Chance, New York 2007.
[4] Wolfgang Metzner und Uli Hauser, Uran-Munition: Der Fluch des Krieges, in: "Stern", 13/2003.

 
Dieser Beitrag erschien im Juli zuerst in „Blätter für deutsche und internationale Politik“. Teil 2 und 3 in den nächsten NRhZ-Ausgaben
 

Online-Flyer Nr. 162  vom 03.09.2008

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