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Globales
Vertreiben oder abtrennen? Rückblick auf eine unselige Diskussion
Israel in der Sackgasse
Von Johnathan Cook
Theodor Herzl 1897 in Basel
Sein Vorschlag bestand in einem Programm für palästinensische Auswanderung, erzwungen durch eine Politik der strikten Abtrennung zwischen den jüdischen Einwanderern und der einheimischen Bevölkerung. Einfach gesagt, er hoffte, dass, wenn einmal die zionistischen Organisationen große Gebiete Palästinas aufgekauft und die wichtigsten Branchen der Wirtschaft in Besitz genommen hätten, die Palästinenser dazu gebracht werden könnten, abzuziehen, indem man ihnen das Recht verweigerte, das Land zu bearbeiten und in der von Juden betriebenen Wirtschaft zu arbeiten. Seine Vision war die des Transfers oder der ethnischen Säuberung durch ethnische Abtrennung.
„Separation“ oder „Transfer“?
Herzl wollte damit sagen, dass zwei mögliche zionistische Lösungen des Problems einer in Palästina lebenden palästinensischen Mehrheit – „Abtrennung“ oder „Transfer“ – nicht notwendigerweise Gegensätze waren. Vielmehr sollten sie sich gegenseitig verstärken. Und, nicht nur das: Wenn man von beiden gleichzeitig Gebrauch machte, so glaubte er, könnte der Prozess der ethnischen Säuberung als freiwillig, ja als die Entscheidung der Opfer erscheinen. Vielleicht war dies sein langlebigstes Vermächtnis wie auch die wichtigste Neuerung, die er zum Siedlerkolonialismus beitrug.
In den letzten Jahren, da die palästinensische Bevölkerung unter israelischer Herrschaft auf dem Wege ist, mit der jüdischen Bevölkerung zahlenmäßig gleichzuziehen, hat die Drohung einer palästinensischen Bevölkerungsmehrheit für die Zionisten wieder an Bedeutung gewonnen. Nicht erstaunlich ist die Debatte wieder aufgetaucht, welche der beiden zionistischen Lösungen zu verfolgen sei: „Abtrennung“ oder „Transfer“?
Vertreten werden diese Lösungen heute anscheinend von zwei ideologischen Lagern, die grob gesprochen einerseits mit Israels linker Mitte (Arbeitspartei und Kadima) andererseits mit der Rechten (Likud und Jisra’el Beiteinu) verbunden sind. In der modernen politischen Argumentation geht es um unterschiedliche Visionen die Grundlage des jüdischen Staates, die ursprünglich von der Arbeitspartei und den Revisionistischen Zionisten vertreten wurden.
Um aus der gegenwärtigen politischen Debatte und den Ereignissen in Israel sowie in der West Bank und in Gaza schlau zu werden, untersuchen wir zuerst die Geschichte dieser beiden Prinzipien zionistischen Denkens:
Ben Gurion bei der Proklamation Israels
Foto: Mendelson Hugo
Während der ersten Wellen jüdischer Einwanderung in Palästina vertrat die führende arbeiterzionistische Bewegung und ihr Füh
rer David Ben Gurion eine Politik die mit Herzls Ziel weitgehen
d übereinstimmte. Insbesondere warb sie für die beiden Prinzipien der „Erlösung des Landes“ und der „Hebräischen Arbeit“, die von der Idee ausgingen, dass sich die Juden bei der Bearbeitung des Landes von der einheimischen Bevölkerung absondern und nur andere Juden beschäftigen durften. In Palästina ganz auf sich allein gestellt, konnten die Juden sich sowohl von ihrer erlittenen „Diasporaerfahrung heilen“ als auch die Palästinenser der Möglichkeit berauben, in ihrer eigenen Heimat existieren zu können.
An vorderster Front dieses Werbefeldzugs stand der zionistische Gewerkschaftsverband, die Histadrut, die den Palästinensern die Mitgliedschaft verwehrte, wie auch lange noch nach Gründung des jüdischen Staates den verbliebenen Palästinensern, die längst israelische Staatsbürger gewordenen waren.
Hin zur Vertreibung
Wenngleich die „Separation“ die offizielle Politik des Arbeiterzionismus war, so kamen Ben Gurion und seine Gefährten doch im kleinen Kreis immer mehr zu der Einsicht, dass dies allein für ihr Ziel eines reinen ethnischen Staates nicht ausreichte. Die Landverkäufe blieben auf niedrigem Niveau, erstreckten sich auf etwa sechs Prozent des Territoriums, und die wirtschaftlichen Bereiche in jüdischem Eigentum waren von billiger palästinensischer Arbeitskraft abhängig.
Militanter jüdischer Siedler in
britischer Uniform 1942
Alternativ begannen die Arbeiterzionisten insgeheim an einem Programm der ethnischen Säuberung zu arbeiten. Aufgrund des von Großbritannien veranlassten Peel-Berichts, der die Teilung Palästinas vorschlug, war Ben Gurion nach 1937 gegenüber dem Transferkonzept aufgeschlossener, insofern er erkannte, dass ein jüdischer Staat nicht erreichbar war, falls nicht der Großteil der innerhalb seiner Grenzen vorhandenen einheimischen Bevölkerung entfernt würde.
Israels neue Historiker haben Ben Gurions Bereitschaft zur Vertreibung richtig erkannt. Laut Benny Morris verstand Ben Gurion, „dass es keinen jüdischen Staat mit einer großen und feindlich eingestellten arabischen Minderheit in seiner Mitte geben konnte.“ Die israelische Führung entwickelte daher den Plan einer ethnischen Säuberung unter dem Deckmantel des Krieges, indem sie detaillierte Unterlagen über die Gemeinden zusammenstellte, die vertrieben werden mussten, und dann – im Dalet-Plan – den Befehl an die Kommandeure auf dem Schlachtfeld weitergab. Im Krieg von 1948 wurde der Staat Israel von mindestens 80 Prozent seiner einheimischen Bevölkerung geleert.
Indem er die palästinensische Bevölkerung vertreiben ließ, ergriff Ben Gurion die politische „Gunst der Stunde“ und gab Herzls Arbeiterzionismus eine ganz neue Gewichtung. Insbesondere erreichte er das von Herzl erstrebte Ziel der Verdrängung oder Verteibung, während er gleichzeitig die Welt durch eine Propaganda-Kampagne weitgehend davon überzeugte, dass der Exodus der Flüchtlinge überwiegend freiwillig vonstatten ging. Gemäß eines der hartnäckigsten zionistischen Mythen, der von modernen Historikern überzeugend ausgeräumt wurde, wird heute immer noch verbreitet, dass die Flüchtlinge „gingen“, weil sie von der arabischen Führung dazu aufgefordert wurden.
„Gegangene" Palästinenser: die Vertreibung 1948
Das andere Lager, die Revisionisten, hatte eine weitaus zwiespältigere Haltung zu der einheimischen palästinensischen Bevölkerung. Paradoxerweise waren sie aufgrund ihres kompromisslosen Anspruchs auf „Großisrael“ einschließlich beider Ufern des Jordans (das nicht nur Palästina, sondern auch den modernen Staat Jordanien einschloss) eher als die Arbeiterzionisten bereit, den ursprünglichen Bewohnern zu erlauben, da zu bleiben, wo sie waren.
„Eiserne Mauer“ unaufhörlicher Gewalt
Jabotinsky auf altem 100-Schekel-Schein
Wladimi
r Jabotinsky, d
er Führer der Revisionisten, erklärte 1938 – möglicherweise in Ablehnung an Ben Gurions Eintreten für den Transfer, dass „jedem Juden der Gedanke verhasst sein muss, dass die Wiedergeburt eines jüdischen Staates jemals mit einem so abscheulichen Vorschlag wie der Entfernung nicht-jüdischer Bürger verbunden sein würde.“ Die Revisionisten hatten sich anscheinend mit der Tatsache abgefunden, dass das angestrebte erweiterte Territorium, unweigerlich eine Mehrheit von Arabern einschließen würde. Und so beschäftigten sie sich weniger damit, die „Eingeborenen“ zu entfernen, als sie dazu zu bringen, die jüdische Herrschaft zu akzeptieren.
Schon 1923 formulierte Jabotinsky implizit den Gedanken der Abtrennung, nicht notwendigerweise den des Transfers: Eine „eiserne Mauer“ unaufhörlicher Gewalt, die die ursprünglichen Einwohner des Landes zur Unterwerfung zwingt. Nach seinen Worten konnte die Zustimmung der Palästinenser nur „durch eine eiserne Mauer, das heißt, die Verankerung einer Macht in Palästina, die in keiner Weise durch arabischen Druck beeinflusst sein wird“ erreicht werden.
Als Bewunderer des Britischen Imperiums sah Jabotinsky die Zukunft des jüdischen Staats in einem primitiven kolonialistischen Rahmen, in dem eine europäische Elite über die „eingeborene Bevölkerung“ herrsche. (CH)
Startbild zeigt im Ausschnitt die „Umbenennung" des arabischen Dorfes Umm Al-Zinat in „Elyakim" 1950.
Online-Flyer Nr. 164 vom 17.09.2008
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Vertreiben oder abtrennen? Rückblick auf eine unselige Diskussion
Israel in der Sackgasse
Von Johnathan Cook
Theodor Herzl 1897 in Basel
„Separation“ oder „Transfer“?
Herzl wollte damit sagen, dass zwei mögliche zionistische Lösungen des Problems einer in Palästina lebenden palästinensischen Mehrheit – „Abtrennung“ oder „Transfer“ – nicht notwendigerweise Gegensätze waren. Vielmehr sollten sie sich gegenseitig verstärken. Und, nicht nur das: Wenn man von beiden gleichzeitig Gebrauch machte, so glaubte er, könnte der Prozess der ethnischen Säuberung als freiwillig, ja als die Entscheidung der Opfer erscheinen. Vielleicht war dies sein langlebigstes Vermächtnis wie auch die wichtigste Neuerung, die er zum Siedlerkolonialismus beitrug.
In den letzten Jahren, da die palästinensische Bevölkerung unter israelischer Herrschaft auf dem Wege ist, mit der jüdischen Bevölkerung zahlenmäßig gleichzuziehen, hat die Drohung einer palästinensischen Bevölkerungsmehrheit für die Zionisten wieder an Bedeutung gewonnen. Nicht erstaunlich ist die Debatte wieder aufgetaucht, welche der beiden zionistischen Lösungen zu verfolgen sei: „Abtrennung“ oder „Transfer“?
Vertreten werden diese Lösungen heute anscheinend von zwei ideologischen Lagern, die grob gesprochen einerseits mit Israels linker Mitte (Arbeitspartei und Kadima) andererseits mit der Rechten (Likud und Jisra’el Beiteinu) verbunden sind. In der modernen politischen Argumentation geht es um unterschiedliche Visionen die Grundlage des jüdischen Staates, die ursprünglich von der Arbeitspartei und den Revisionistischen Zionisten vertreten wurden.
Um aus der gegenwärtigen politischen Debatte und den Ereignissen in Israel sowie in der West Bank und in Gaza schlau zu werden, untersuchen wir zuerst die Geschichte dieser beiden Prinzipien zionistischen Denkens:
Ben Gurion bei der Proklamation Israels
Foto: Mendelson Hugo
An vorderster Front dieses Werbefeldzugs stand der zionistische Gewerkschaftsverband, die Histadrut, die den Palästinensern die Mitgliedschaft verwehrte, wie auch lange noch nach Gründung des jüdischen Staates den verbliebenen Palästinensern, die längst israelische Staatsbürger gewordenen waren.
Hin zur Vertreibung
Wenngleich die „Separation“ die offizielle Politik des Arbeiterzionismus war, so kamen Ben Gurion und seine Gefährten doch im kleinen Kreis immer mehr zu der Einsicht, dass dies allein für ihr Ziel eines reinen ethnischen Staates nicht ausreichte. Die Landverkäufe blieben auf niedrigem Niveau, erstreckten sich auf etwa sechs Prozent des Territoriums, und die wirtschaftlichen Bereiche in jüdischem Eigentum waren von billiger palästinensischer Arbeitskraft abhängig.
Militanter jüdischer Siedler in
britischer Uniform 1942
Israels neue Historiker haben Ben Gurions Bereitschaft zur Vertreibung richtig erkannt. Laut Benny Morris verstand Ben Gurion, „dass es keinen jüdischen Staat mit einer großen und feindlich eingestellten arabischen Minderheit in seiner Mitte geben konnte.“ Die israelische Führung entwickelte daher den Plan einer ethnischen Säuberung unter dem Deckmantel des Krieges, indem sie detaillierte Unterlagen über die Gemeinden zusammenstellte, die vertrieben werden mussten, und dann – im Dalet-Plan – den Befehl an die Kommandeure auf dem Schlachtfeld weitergab. Im Krieg von 1948 wurde der Staat Israel von mindestens 80 Prozent seiner einheimischen Bevölkerung geleert.
Indem er die palästinensische Bevölkerung vertreiben ließ, ergriff Ben Gurion die politische „Gunst der Stunde“ und gab Herzls Arbeiterzionismus eine ganz neue Gewichtung. Insbesondere erreichte er das von Herzl erstrebte Ziel der Verdrängung oder Verteibung, während er gleichzeitig die Welt durch eine Propaganda-Kampagne weitgehend davon überzeugte, dass der Exodus der Flüchtlinge überwiegend freiwillig vonstatten ging. Gemäß eines der hartnäckigsten zionistischen Mythen, der von modernen Historikern überzeugend ausgeräumt wurde, wird heute immer noch verbreitet, dass die Flüchtlinge „gingen“, weil sie von der arabischen Führung dazu aufgefordert wurden.
„Gegangene" Palästinenser: die Vertreibung 1948
Das andere Lager, die Revisionisten, hatte eine weitaus zwiespältigere Haltung zu der einheimischen palästinensischen Bevölkerung. Paradoxerweise waren sie aufgrund ihres kompromisslosen Anspruchs auf „Großisrael“ einschließlich beider Ufern des Jordans (das nicht nur Palästina, sondern auch den modernen Staat Jordanien einschloss) eher als die Arbeiterzionisten bereit, den ursprünglichen Bewohnern zu erlauben, da zu bleiben, wo sie waren.
„Eiserne Mauer“ unaufhörlicher Gewalt
Jabotinsky auf altem 100-Schekel-Schein
Schon 1923 formulierte Jabotinsky implizit den Gedanken der Abtrennung, nicht notwendigerweise den des Transfers: Eine „eiserne Mauer“ unaufhörlicher Gewalt, die die ursprünglichen Einwohner des Landes zur Unterwerfung zwingt. Nach seinen Worten konnte die Zustimmung der Palästinenser nur „durch eine eiserne Mauer, das heißt, die Verankerung einer Macht in Palästina, die in keiner Weise durch arabischen Druck beeinflusst sein wird“ erreicht werden.
Als Bewunderer des Britischen Imperiums sah Jabotinsky die Zukunft des jüdischen Staats in einem primitiven kolonialistischen Rahmen, in dem eine europäische Elite über die „eingeborene Bevölkerung“ herrsche. (CH)
Startbild zeigt im Ausschnitt die „Umbenennung" des arabischen Dorfes Umm Al-Zinat in „Elyakim" 1950.
Online-Flyer Nr. 164 vom 17.09.2008
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