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Lokales
Widerstand in Mülheim gegen Parkzerstörung zugunsten „Ruhrbania“
„Fahrt in ein Millionengrab“
Von Peter Kleinert

Um zu verhindern, dass in dem Naturdenkmal Ostruhranlage demnächst 20 alte Bäume der Motorsäge zum Opfer fallen, hatten die Mülheimer BürgerInitiativen (MBI) am Samstag erstmals zu einer Demonstration durch die Innenstadt aufgerufen. Der „Trauerzug“ richtete sich nicht nur gegen die von der Stadt geplante Zerstörung des Garten- und Naturdenkmals, sondern auch gegen das 2003 beschlossene PPP-Projekt Ruhrbania, das die MBI-Fraktion im Stadtrat als „unseriöses Abenteuer“ und „Fahrt in ein Millionengrab“ bezeichnet (siehe auch NRhZ 91 „Strategieprojekt Ruhrbania“).


„Die Bäume müssen bleiben!“ – MBI-Aktion gegen die Pläne der Stadt
Foto: MBI
 
Während SPD-Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld und die grüne Umweltdezernentin Helga Sander auf der EXPO REAL in München, so MBI-Fraktionsvorsitzender Lothar Reinhard „erneut Ruhrbania und zuzüglich den Geschäftsflughafen wie Sauerbier anbieten“, nahm am Vorbereitungstreffen der MBI für die Protestaktion sogar Sanders grüner Parteifreund Werner Helmich teil. „Sang- und klanglos wollen wir das nicht hinnehmen, auch wenn es seit Jahren klar ist, dass das bevorsteht”, sagte dieser vor den versammelten BürgerInnen. An dem Tag, an dem die Fällung anstehe, sollten so viele Menschen wie möglich in den Park an der Ruhr kommen, um dagegen zu protestieren.


„Trauerzug“ durch die Innenstadt am
Samstag | Foto: MBI
Lothar Reinhard zur NRhZ: „In den Unterlagen für den Auslegungsbeschluss des Bebauungsplans „Ruhrpromenade – I 22" aus dem Jahr 2006 befindet sich auch die Mitteilung des Landeskonservators, dass die Ostruhranlagen als Gartendenkmal unter Denkmalschutz gestellt sind! Wörtlich heißt es da: „Aus den oben genannten Gründen sind die Ostruhranlagen als Grünanlage bedeutend für die Geschichte des Menschen und erhaltenswert aus wissenschaftlichen, besonders Gartenarchitur-, Stadt- und sozialgeschicht-lichen Gründen.“
 
Im Bereich der Ostruhranlagen befand sich im 19. Jahrhundert der Mülheimer Stadthafen. Der wurde Anfang des 20. Jahrhunderts verlegt, der bisherige angeschüttet. Die Stiftung des Mülheimer Stahlbarons Thyssen schenkte der Mülheimer Bevölkerung dort ein Stadtbad für die „Volksgesundheit“, und daneben entstand u.a. auf dem zugekippten ex-Hafen der Park der Ostruhranlagen. Laut Landeskonservator gibt es nur in Köln eine ähnlich wertvolle und sehenswerte Anlage.


Naturdenkmal Ostruhranlage
Foto: MBI
Auch nach der Schließung des Stadtbads 1997 sei dieser wunderschöne Park für große jährliche Events wie Riesenflohmärkte, Feuerwerke, Drachenbootrennen zwischen Schloß- und Eisenbahnbrücke oder zuletzt bei den „Inseln des Glücks" im Rahmen der 200-Jahrfeier der Stadt Mülheim genutzt worden. Reinhard: „Auch die MBI haben dort schon Feste gefeiert, wofür der Park bestens geeignet ist!“
 
Baukoordinator: „Das müssen wir jetzt aushalten“
 
OB Mühlenfeld und ihre Ratsmehrheit sehen das offenbar anders als der Landeskonservator und die Mülheimer BürgerInnen. Die Bäume des Parks sollen nun Versorgungsleitungen weichen, die für den Bau des im Rahmen von „Ruhrbania“ geplanten neuen Hafenbeckens notwendig seien. Die wasserrechtliche Genehmigung für das Hafenbecken sei vor über einem Jahr beantragt worden, liege aber der Stadt immer noch nicht vor, teilte der städtische „Baukoordinator“ Günther Helmich vergangene Woche der WAZ mit. Aber, so Helmich, „was geplant ist, ist lange bekannt. Das müssen wir jetzt aushalten.“
 
Ruhrbania-Koordinator Helmich, ein Verwandter des Grünen-Vorstandsmitglieds Werner  Helmich, erinnert sich da offenbar nicht ganz korrekt: Als im Juni der Baubeschluss für das neue Hafenbecken gefasst wurde, war überhaupt noch kein wasserrechtliches Verfahren eingeleitet. Wie Telefongespräche mit der zuständigen Bundeswasserbehörde und dem Regierungspräsidenten  ergaben, war damals noch nicht einmal geklärt, welche Art des Verfahrens gewählt werden sollte. Dabei geht es aber um nichts Geringeres als um das Durchbrechen der Uferlinie des Flusses – und das auch noch in einer Kurve, in der die Hauptströmung verstärkt auf das Ufer trifft. Lothar Reinhard: „Das kann ja technisch alles machbar sein, könnte aber auch viele höhere Kosten bedeuten, je nachdem was sich im wasserrechtlichen Verfahren ergibt!“
 
Unfähigkeit oder zielgerichtete Absicht?“
 
„Aushalten“ sollen die Mülheimer nicht nur die geplante Zerstörung des Parks, die die Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Architektur wie folgt kommentiert: „Die Argumentation (der Stadt Mülheim, PK), die Anlagen würden nicht mehr angenommen", entbehrt nicht einer gewissen Groteske und enthält Elemente einer Selbstbeschuldigung. Immerhin schreibt § 7 DSchG vor, welche Unterhaltungspflichten ein Denkmal-Eigentümer (hier die Stadt Mülheim) hat. Die Tatsache, daß ein Eigentümer sein Denkmal durch jahrelange Nichtpflege hat verkommen lassen, so daß die Presse vonFixer-Paradies" sprechen kann, als Argument dafür zu verwenden, daß das Gartendenkmal bedenkenlos zerstört und überbaut werden könne, läßt Interpretationen zu, welche zwischen Unfähigkeit und zielgerichteter Absicht schwanken."  


Plangebiet des Strategieprojekts Ruhrbania zwischen
Schloß- und Konrad Adenauer- (früher Nord-) Brücke
bzw. Ruhr- und Friedrich-Ebert-Straße
Foto: www.Ruhrbania.de
„Aushalten“ sollen die Bürger und Steuerzahler vor allem, dass zugunsten des PPP-Projekts „Ruhrbania“ – also dessen fünf- bis zehngeschossige Neubauten für Luxuswohnungen, Büros und Gastronomie sowie einen Mini-Yachthafen – außer dem Gartendenkmal auch die Ruhrstraße, die beiden alten Brückenbauten an der Nordbrücke, der Rathausneubau, die Stadtbücherei, das Gesundheitshaus, die AOK und das ehemalige Arbeitsamt abgerissen werden sollen. Lothar Reinhard: „Man hätte die Ruhrpromenade und das „neue Stadtquartier" auch so planen können, dass der Park erhalten bliebe, wie es der 2. Sieger des Wettbewerbs auch vorgeschlagen hatte. Doch Frau OB Mühlenfeld und ihre Dezernentin Sander (Grüne!) bevorzugen die Voll-Beton-Variante!“


Umweltdezernentin Sander und OB Mühlenfeld (rechts) werben für das „Strategieprojekt Ruhrbania“ | Foto: www.ruhrbania.de

Dies tun sie ganz offensichtlich im Interesse möglicher Investoren. Doch die Hoffnung, eine private Firma würde als PPP-Partner der Ruhrbania-Projektentwicklungsgesellschaft notwendige Infrastrukturmaßnahmen vorfinanzieren, hat sich, so Lothar Reinhard, „nach der EU-Ausschreibung in Luft aufgelöst“. Der einzige dadurch gefundene PPP-Partner kassiere „erst einmal, anstatt zu investieren, und zwar für Projektmanagement und bei Grundstücksverkauf. Dafür durfte er als „Belohnung" das attraktivste Baufeld 3 unter Missachtung des EU-Vergaberechts kaufen. (EU-Strafverfahren läuft), allerdings auch nur, wenn die Stadt alles baureif gemacht hat. Und diese städtischen Vorleistungen unabhängig von den bereits enorm hohen Planungs-, Gutachter- und PR- bzw. Vermarktungskosten sind riesig.“

Aktuelle Ergänzung: Moratorium gefordert
 
In einem Offenen Brief, dem sich möglichst viele Mülheimer per Unterschrift anschließen sollen, fordern der ehemalige CDU-Oberbürgermeister der Stadt Hans-Georg Specht, der Fraktionsvorsitzende der MBI Lothar Reinhard, das Vorstandsmitglied der Grünen Werner Helmich und Erich Lehmkühler vom Landschaftsbeirat, früher Leiter des Grünflächenamtes, von der Oberbürgermeisterin und vom Stadtrat angesichts der Entwicklung auf den Finanzmärkten ein Moratorium für die geplante Ruhrpromenade. Hier der Text vom 9. Oktober im Wortlaut:
 
Sehr geehrte Frau Mühlenfeld,
sehr geehrte Damen und Herren des Rates der Stadt Mülheim
 
die Entwicklung auf den Finanzmärkten ist besorgniserregend, so dass öffentliche Kassen verschiedener Länder einschließlich Deutschlands gigantische Summen zur Stützung aufbringen bzw. für diese bürgen müssen. Die Auswirkungen auf die Realwirtschaft sind nicht absehbar. Es scheint aber unvermeidlich, dass es große Verwerfungen insbesondere auch auf dem Immobiliensektor geben wird. Zitat WAZ-Rhein-Ruhr vom 8. Oktober: „Umbrüche werde es allerdings auch im Ruhrgebiet geben: „Die Immobilienwelt wird in fünf Jahren ganz anders aussehen,“ prophezeit Duisburgs Oberplaner. Renditen würden geringer ausfallen ... Das Tal wird grausam sein.“
 
Unsere Stadt Mülheim will im Rahmen der Verwirklichung des Ruhrpromenaden-Projektes im nächsten Jahr das Hafenbecken bauen. Auf dem angrenzenden Baufeld, zu dem auch ein Teil des Gartendenkmals der „Ostruhranlage“ gehört, sollen Wohn-, Büro-, Gastronomie- und Hotelflächen entstehen, deren genauere Ausgestaltung allerdings noch nicht abschließend geklärt ist. Der Verkauf des nächsten Baufeldes, u.a. mit dem Gelände der heutigen Stadtbücherei, befindet sich im Vergabeverfahren. Die Finanzierung der notwendigen Erschließungsmaßnahmen soll über Grundstückserlöse und Landeszuschüsse geschehen.
 
Die dramatische Entwicklung der Immobilien- und Finanzkrise könnte die Umsetzung der Ruhrpromenaden-Pläne in den kommenden Jahren massiv gefährden. Zurzeit kann niemand eine auch nur annähernd belastbare Prognose abgeben. Es könnte sowohl eintreten, dass die Grundstücke über Jahre nicht vermarktbar wären, aber auch, dass die bisher nicht eingestellten Fördergelder nicht mehr fließen könnten, weil Bund und Land nach den gigantischen Rettungsmaßnahmen für angeschlagene Banken u.ä. über viele Jahre drastisch einsparen müssen.
 
Vor dem aktuell immer bedrohlicher werdenden Hintergrund sollte auch die Umsetzung weiterer, notwendiger städtischer Vorleistungen und Erschließungsmaßnahmen ausgesetzt werden, um keine Investitionsruinen zu schaffen. Der Bau des Hafenbeckens sollte zurückgestellt werden, bis sich die Lage geklärt hat. Ebenso die vorbereitenden Maßnahmen im Gartendenkmal und entlang des Leinpfades.
 
Nichts wäre für das Gesicht unserer Stadt verheerender als ein zum größten Teil gerodeter Park, in dem dann über lange Zeit nichts mehr passiert!
 
Deshalb appellieren wir an Sie und fordern ein Moratorium für alle weiteren Erschließungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der geplanten Ruhrpromenade.
 
Erstunterzeichner: Lothar Reinhard, Karlsruher Straße 12, 45478 Mülheim, Hans-Georg Specht, Adolfstraße 58, 45468 Mülheim, Werner Helmich, Scharpenberg 5a, 45468 Mülheim, Erich Lehmkühler, Mendener Straße 175, 45470 Mülheim.
 
Die Unterschriftenliste erhält man über die hier genannten Adressen oder über mbi@mbi-mh.de, Telefon 3899810. (PK)

Online-Flyer Nr. 167  vom 08.10.2008

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