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Inland
Berlin genehmigte 2007 mehr Rüstungsexporte als je zuvor – Teil III
Den Tod bringen Waffen aus Deutschland
Von Jürgen Grässlin

Seit Jahren rangiert Deutschland unter den Top Ten der Weltwaffen-exporteure. Als „Europameister“ lieferte die Bundesrepublik 2007 für 3,395 Milliarden US-Dollar Waffen in alle Welt – so viel wie nie zuvor. Das dokumentiert der Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI 2008 für das Vorjahr. Panzer, Kampfflugzeuge oder Kriegsschiffe, Gewehre und Munition wurden „ganz legal“ an Krieg führende NATO-Staaten und an Menschenrechte verletzende Länder geliefert. Wie in den Vorjahren bricht die Bundesregierung damit erneut ihre eigenen „politischen Grundsätze“ zum Rüstungsexport. Hier Teil III der Analyse des Bundessprechers der DFG-VK.


G36 Sturmgewehr von Heckler & Koch | Quelle: www.imfdb.org
 
Nur allzu gerne lenkt die Bundesregierung den Blick auf die vergleichsweise wenigen illegalen Rüstungsexporte, kann sie in derlei Fällen doch den Eindruck erwecken, Bösewichten das Handwerk legen zu wollen. Dass sie zugleich von den rund 98 Prozent der ihrerseits genehmigten und damit ganz legal in Krisen- und Kriegsgebiete gelieferten Waffen ablenken will, ist aus Sicht der CDU/CSU-SPD-Regierung durchaus nachvollziehbar.
 
Absender unbekannt – Lieferungen nach Georgien
 
Ganz anders verlief das Szenario im August 2008, als Friedensaktivisten des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.), des Berliner Zentrums für Transatlantische Sicherheit (Bits) und der DFG-VK auf mehreren Kriegsfotografien Sturmgewehre in den Händen georgischer Sicherheitskräfte als das G36 der Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch (H&K) identifizierten. Russische Truppen waren südlich des Kaukasus aufmarschiert und befanden sich in kriegerischen Auseinandersetzungen mit georgischen Militäreinheiten. Als das ARD-Politikmagazin REPORT MAINZ den Skandal bundesweit publik machte, berichteten TV- und Radiosender sowie Printmedien weltweit.[20]


Jürgen Grässlin bei REPORT
MAINZ | Quelle: SWR
Mit einem Mal sahen sich das für die Exportgenehmigung zuständige Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und der Gewehrproduzent in der Defensive. Der zuständige Wirtschaftsminister Michael Glos verweigerte ein Interview, die Heckler & Koch GmbH beantwortete die Frage von REPORT MAINZ, wie kommen deutsche Gewehre nach Georgien kommen konnten, mit einer Unschuldsbeteuerung: Die Firma habe „zu keinem Zeitpunkt G 36-Gewehre oder andere Kriegswaffen nach Georgien geliefert“, es treffe „nicht zu“, dass das Unternehmen die Exportgrundsätze der Bundesregierung verletzt habe. Zwar habe H&K im November 2005 eine Genehmigung zum Export von 230 Stück Gewehren G 36 nach Georgien beantragt, diese sei jedoch im 20. Januar 2006 vom BMWi „negativ beschieden“ worden. Dementsprechend seinen „auch keine Lieferungen nach Georgien“ erfolgt, H&K lägen „keinerlei Erkenntnisse vor, wie G 36-Gewehre nach Georgien gelangt sein könnten“.[21]
 
Kleinwaffen auch nicht über Drittländer!
 
Der Schwarze Peter liegt demnach beim Bund, denn wenn dieser die Exportgenehmigung verweigert hat, die Gewehre dennoch im Kriegsgebiet auftauchen, muss es sich um ein illegales Exportgeschäfte gehandelt haben. Der Berliner Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele reagierte so, wie man es sich von seiner Partei gewünscht hätte, als sie noch Regierungsverantwortung getragen und damit über Entscheidungsgewalt verfügt hat: „Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass Waffen, Kriegswaffen, vor allen Dingen Kleinwaffen auch nicht über Drittländer in Krisen- und Kriegsgebiete geliefert werden, dafür gibt es ein Instrumentarium“, so der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90 / Die Grünen, „und wenn das nicht funktioniert und nicht sicher funktioniert, dann dürfen keine solchen Waffen mehr exportiert werden.“[22]
 
Die CDU/CSU-SPD-Bundesregierung muss nunmehr klären, auf welchem der drei möglichen Wege die H&K-Waffen nach Georgien gelangen konnten: als illegaler Direktexport aus Oberndorf, was H&K bestreitet; als illegaler Reexport seitens des spanischen Lizenznehmers oder durch den verbotenen Reexport eines G36-Exportempfängerlandes, wie die USA oder England. Die beiden letztgenannten Exportwege zögen zweifelsohne internationale Verwicklungen auf höchstem Niveau nach sich. Denn sobald die Bundesregierung ihrer Verpflichtung nachkommt, den Bruch der Endverbleibserklärung feststellt und den illegalen Exporteur ermittelt, muss das Reexportland gemäß den Politischen Grundsätzen zum Rüstungsexport vorerst von allen weiteren Belieferungen mit Kriegswaffen ausgeschlossen werden. Das hieße ein völliger Rüstungsexportstopp bis zur Klärung dieses Exportskandals.
 
Der Weg die Schuldigen zu finden, ist vergleichsweise leicht: Das BMWi müsste sich das mit dem befreundeten georgischen Präsidenten oder dem georgischen Verteidigungsministerium in Verbindung setzen. Anhand der der Produktionsnummern und Beschussnummern ließe sich der Hersteller ermitteln, der mittels seiner Exportbücher den Erstempfänger benennen kann. Bleibt die Frage, ob die Bundesregierung willens ist, ihre eigenen Rüstungsexportgrundsätze einzuhalten, die sie selbst oft genug gebrochen hat.
 
Mercedes-Militär-Lkw mit Streumunitionswerfern
 
Nur wenige Tage nach der Aufdeckung des G36-Georgien-Skandals konnte Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums Bits, einen weiteren Exportskandal im Kriegsland Georgien aufdecken. Dieser lenkt den Fokus auf die so genannten Dual-Use-Exporte, als Güter oder Produkte, die zivil wie militärisch einsetzbar sind. Georgische Sicherheitskräfte importierten seit 2007 moderne Mehrfachraketenwerfer, die sie auf schwere, geländegängige Lkw vom Typ Actros 3341 von Mercedes-Benz montierten. Die israelischen LAR-160-Raketenwerfer können Streumunition verschießen. Eine einzige Salve der Streumunition zerstört alles Leben auf einer Fläche von mehr als 800.000 Quadratmetern.[23]


Vor der Daimler-Hauptversammlung 2008 | Foto: Kritische Aktionäre
 
Bei Fällen wie diesem handelt es sich keinesfalls um eine einmalige Ausnahme. Bereits vor Jahren stellten die Kritischen Daimler-Aktionäre Strafanzeige gegen das Unternehmen wegen des Verdachts illegaler Lieferungen von Mercedes-Unimogs in das Bürgerkriegsland Sudan. Die Militärfahrzeuge verfügten über einen sandfarbenen Tarnanstrich, verstärkte Fahrerhäuser, rund schwenkbare Dachluken und zwei Gewehrhalterungen. Da die entsprechenden Waffen nicht vom Daimler-Konzern geliefert worden waren, wurde ein Strafverfahren erst gar nicht eröffnet. Bei Mercedes-Fahrzeugen in der Militärversion und starken Dieselmotoren verhält sich die Bundesregierung oft so, als stellten Rüstungsgüter keine Rüstungsgüter dar. Schließlich gibt es bei Dual-Use-Gütern auch zivile Verwendungsmöglichkeiten. Diese Form der Außenwirtschaftsförderung steht jedoch in eklatantem Widerspruch zur seit Jahren proklamierten restriktiven Rüstungsexportkontrolle.
 
Waffenexport ist Beihilfe zum Völkermord
 
Ihre Geschäftspolitik milliardenschwerer Waffenlieferungen an NATO- und NATO-assoziierte Staaten und an Entwicklungsländer hat die Bundesregierung in nunmehr acht Rüstungsexportberichten publiziert. Diese dokumentieren Jahr für Jahr Waffentransfers auch an kriegführende und menschenrechtsverletzende Staaten und sind damit Ausdruck aktiver Kriegs- und Bürgerkriegsunterstützung. Anstatt aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, hat die Bundesregierung ihre Rüstungsexporte 2007 auf ein bislang unerreichtes Höchstmaß gesteigert.
 
Dramatisch ist die Tatsache, dass die Bundesregierung gegenüber dem Vorjahr die Genehmigungswerte für die Gruppe der ärmsten Entwicklungs-länder erhöht hat. Wer die Lieferungen von Teilen für Kampf-flugzeuge und Scharfschützengewehre an die USA und Saudi-Arabien sowie Leopard-Kampfpanzer, Gewehre und Munition in die Türkei genehmigt, der weiß, dass diese Waffen bei Menschenrechtsverletzungen zum Einsatz kommen.

 
Gruppenfoto vor einem Leopard-Kampfpanzer | Quelle: www.bmlv.gv.at
 
Sobald der indisch-pakistanische Dauerkonflikt zum Krieg eskaliert, werden bei den Armeen beider Staaten deutsches Know-how und deutsche Waffen zum Kampfeinsatz kommen. Zur Sicherung der Arbeitsplätze kann der deutschen Rüstungsindustrie nichts Besseres passieren. Mit „Friedenspolitik“, wie sie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) oft genug in salbungsvollen Reden postulieren, hat diese Form des Außenhandels und der Wirtschaftspolitik nichts zu tun.
 
Kein Krieg ohne H&K-Waffen
 
Äußerst verwerflich ist zudem die Tatsache, dass Drittländer mit 15,6 Millionen Euro soviel Kleinwaffen wie nie zuvor erhalten haben. Bekanntermaßen sind Gewehre die Killerwaffe Nummer 1. Zwei von drei Kriegsopfern, zumeist Zivilist/innen, sterben durch Gewehrkugeln. Weltweit sind heute ungefähr zehn Millionen G3-Gewehre im Umlauf. Seit der Firmengründung von Heckler & Koch sind mehr als 1,5 Millionen Menschen durch H&K-Waffen getötet worden sind. Es gibt heutzutage praktisch keinen Krieg oder Bürgerkrieg, in dem nicht Waffen von H&K verwendet werden. Davon unbeeindruckt genehmigten CDU/CSU und SPD in den vergangenen Jahren Rüstungsexporte des neuen Sturmgewehrs G36, Spanien verfügt bereits über eine Lizenz zu Nachbau des G36.
 
Laut Schätzungen des Internationen Komitees des Roten Kreuzes sind durchschnittlich rund 95 Prozent aller Kriegsopfer auf den Einsatz von Kleinwaffen zurückzuführen.[24] Wer dennoch Kleinwaffen an Drittländer liefert, macht sich mitschuldig am Massenmorden in den Empfängerländern.
 
Über Direktexporte und Lizenzvergaben gibt die Bundesregierung den Schlächtern in aller Welt die Waffen in die Hände, mit denen sie ihr tödliches Geschäft des Massenmordens äußerst effizient ausüben können. Dabei stellt sie das im aktuellen Rüstungsexportbericht 2006 ausdrücklich formulierte „besondere Interesse … an der fortbestehenden Kooperationsfähigkeit der deutschen wehrtechnischen Industrie“ über die körperliche Unversehrtheit und das Leben unzähliger wehrloser und unschuldiger Kinder, Frauen und Männer.[25]
 
In keinem anderen Bereich als der Rüstungsexportspolitik klaffen der humanistische Anspruch und tödliche Wirklichkeit weiter auseinander. Der Ehrlichkeit halber sollten die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD Begriffe wie „christlich“ und „sozial“ aus ihrem Parteinamen streichen – oder die menschenverachtenden Waffenlieferungen endlich unterbinden.
 
„WIR KAUFEN KEINEN MERCEDES!“
 
Um den Rüstungsriesen Daimler AG zum Ausstieg aus der Streumunitionsbeteiligung – und letztlich zur Umstellung auf eine sinnvolle zivile Fertigung (Rüstungskonversion) zu veranlassen, hat die DFG-VK, gemeinsam mit fünf weiteren Friedensorganisationen, die Kampagne „WIR KAUFEN KEINEN MERCEDES: BOYKOTTIERT STREUMUNITION!“ ins Leben gerufen. Umfassende Hintergrundinformationen finden sich auf der von der DFG-VK betreuten Website.
 
Um der dramatischen Fehlentwicklung im Bereich der Rüstungsexporte aktiv entgegen, trafen sich im Sommer 2007 auf Einladung eines regen SPD-Ortsverbands Vertreter/innen des DGB Südbaden, der GKKE, der DFG-VK, des RüstungsInformationsBüros, des Deutschen Aktionsnetzes Kleinwaffen Stoppen, der Kampagne gegen Rüstungsexport bei Ohne Rüstung Leben, der deutschen Sektion von Pax Christi, der Katholischen Arbeiterbewegung sowie der Partei Die Linke und Interessierte in Waldkirch bei Freiburg. Die gemeinsam verabschiedete „Waldkircher Erklärung gegen Rüstungsexporte“ findet sich auf der Website www.dfg-vk.de, ebenso wie die Unterschriftenlisten zum Herunterladen. (PK)
 
[20]Der TV-Bericht „Kaukasus-Konflikt. Wie kommen deutsche Gewehre
nach Georgien?“ von REPORT MAINZ vom 18.08.2008 ist abrufbar über www.swr.de/report
[21]Stellungnahme von Heckler & Koch vom 18.08.2008
[22]REPORT MAINZ vom 18.08.2008
[23]DER TAGESSPIEGEL vom 25.08.2008
[24]Grässlin, Jürgen: Versteck dich, wenn sie schießen, a.a.O., S. 353 f.
[25]Rüstungsexportbericht 2006, S. 3 f., 9, 15, 21, 23 ff. und 38


Online-Flyer Nr. 169  vom 22.10.2008

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