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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Inland
Mehdorn, Tiefensee und andere Unfälle: das DBakel geht weiter!
Bahn frei... für einen Zug nach Nirgendwo
Von Christian Heinrici

„Es fährt ein Zug nach Nirgendwo...“, sang Christian Anders 1972, aber kein Problem, denn die beiden Mitfahrenden sprangen noch rechtzeitig ab. Das wiederum entspricht leider der Wahrheit des Jahres 2008: Wie der WDR berichtete, rollte am 10. November ein führerloser, mit Braunkohle beladener Güterzug der RWE etwa sechs Kilometer weit von Frechen nach Köln-Marsdorf, bis er dort mit einer Lagerhalle kollidierte. Die Arbeiter in der Halle kamen mit einem Schock davon, Zugführer und Begleiter mit leichten Verletzungen – und der Strommonopolist?!

Der erwähnt den Vorfall bisher mit keinem Wort auf seinen Internetseiten. Dabei hätte die Irrfahrt des führerlosen Zugs auch gut böse enden können: Wenn der Verantwortliche der Häfen und Güterverkehr Köln [1] im Stellwerk den „Geisterzug“ nicht auf das entsprechende „Stumpfgleis“ umgeleitet hätte, wäre, nachdem das Bremssystem und der für Notfälle vorgesehen Prellbock versagt hatten, das Gefährt womöglich weiter durch das umfangreiche Kölner Gleisnetz gerollt und hätte noch erheblich größeren Schaden angerichtet als in der Pakethalle. Nach den Ursachen für das Versagen werde noch geforscht, so ein Pressesprecher der RWE.

Und auch anderswo (aber im gleichen Metier) wird nach den Ursachen für das Versagen „noch geforscht“: Bei der Deutschen Bahn AG, die nach eigenen Aussagen jedoch weiterhin „auf Erfolgskurs“ bleibt: Bei rund 750 Nahverkehrszügen des Unternehmens gibt es erhebliche Sicherheitsprobleme, wie das „Westfalen-Blatt“ berichtete. Laut Eisenbahnbundesamt bestehe beim Ein- und Aussteigen Verletzungsgefahr, zudem darf der „Erfolgskurs“ nur noch bei geringerer Geschwindigkeit fortgesetzt werden, da sich die Bremskraft der Triebwagen der Baureihen 423 bis 426, die von Siemens, Bombardier und DWA hergestellt werden, vor allem im Herbst als unzureichend erwiesen habe.

Hartmut Mehdorn vor Strategiepapier Pressefoto: DB
Hartmut Mehdorn vor „Strategiepapier“ in         
in DB-Chefetage | Pressefoto: DB
Wegen der mangelnden Türschlussautomatik hatte die Staatsanwaltschaft Köln bundesweit 61 Fälle in den letzten Jahren untersucht: Ältere Fahrgäste waren zu Boden geschleudert worden, Kinderarme, Hände und Hundeleinen eingeklemmt. Das Eisenbahnbundesamt wies die Bahn an, zusätzliches Personal einzustellen, das die Sicherheit der Fahrgäste gewährleisten kann, bis neue Lichtgitter an den Türen eingebaut sind. Diese Maßnahme hält das Unternehmen für überzogen und hat gegen das Bundesamt Klage beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht. Doch, ob Mehdorns Geschäftsstrategien aufgehen, bleibt mehr als fraglich.
 
Entgleisungen: Die Achsen des Bösen
 
Die mitverschuldete „Pechsträhne“ der Deutschen Bahn reis(s)t anscheinend nicht ab: Nachdem das Unternehmen (inklusive Fahrgäste) schon im Sommer unter „Entgleisungen“ zu leiden hatte, wie den zugeigenen „Achsen des Bösen“, wie sie der Volksmund nannte, verhagelte dann noch die Finanzkrise das anvisierte Börsengeschäft. Der ICE-3, der der Bahn am 9. Juli aus den Gleisen des Kölner Hauptbahnhofs sprang, kostete das Unternehmen nicht nur Millionen, sondern ihm auch den Ruf.

Im Ausbesserungswerk: Überprüfung einer bösen Ache? Pressefoto: DB
Im Ausbesserungswerk: Überprüfung einer bösen Achse? | Pressefoto: DB
 
Berechtigt, denn offensichtlich wird an falscher Stelle gespart: Schon im August hatte das Magazin Monitor berichtet, dass die DB die Wartungsabstände für die ICEs seit dem Jahre 2005 mehr als verdoppelt hat. Auch durch ein wenig dickere Achsen, wie sie andere Hochgeschwindigkeitszüge haben, hätte dieser Unfall vermieden werden können. Doch anstatt reuig Kurs auf eine gesunde Geschäftspolitik zu nehmen, übt sich die Chefetage der Bahn im Verharmlosen und Vertuschen:

An der Sicherheit der Züge bestehe nach wie vor kein Zweifel, befleißigte sich DB-Sprecher Jürgen Kornmann zu erklären. Die Sicherheit der Fahrgäste habe oberste Priorität, die „zusätzliche Überprüfung der ICE-Flotte“ sei eine „reine Vorsichtsmaßnahme“.
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Diese Erklärung klingt wie blanker Hohn, was wiederum einen Tontechniker des Freien Lokalrundfunks Köln dazu veranlasste, mit Hilfe von Glenn Miller folgende Toncollage zu komponieren, die er uns freundlich zur Verfügung stellte:
Toncollage starten file.mp3
 
Wie „Monitor“ ebenfalls berichtete, lag der Bahn anderthalb Monate lang ein Gutachten der Bundesanstalt für Materialforschung über die mögliche Ursache des Schadens – ein Konstruktions- und betriebsbedingter (Werkstoff-)Fehler – vor, über das sie weder den Verkehrsausschuss, noch die Presse, ihre Kunden oder gar die Steuerzahler informierte. Warum auch?! War doch damals den „Bahnverantwortlichen“ noch daran gelegen, finanzkräftige Investoren anzulocken. Inzwischen aber kam die „internationale Finanzkrise“ über uns, und ein Börsengang rückte in weite Ferne.
 
Stille Wasser sind Tiefensee
 
Da wird es auch nicht viel helfen, wenn man sich in Zukunft lernfähig geben sollte. Das, was uns auf diesem Gleis noch „ereilen“ kann, hätte schon das Beispiel der „British Rail“ lehren können: Nachdem die Gesellschaft 1994 unter Premierminister John Major zerstückelt und privatisiert worden war, kam es bei der für Gleise und Infrastruktur zuständigen „Railtrack“ zu „Missmanagement“, die Instandhaltung der Anlagen wurde „aus Kostengründen“ vernachlässigt, wichtige Investitionen aufgrund kurzfristigen Profitdenkens gestrichen. Infolgedessen war es zu zahlreichen tödlichen Unfällen gekommen. Im Jahre 2002 musste Railtrack Konkurs anmelden, das Schienennetz wurde wieder verstaatlicht.
 
British Rain Railtrack seit 2004 auf dem Abstellgleis Foto: Phil Scott
Railtrack: steht schon seit 2002 auf dem Abstellgleis | Foto: Phil Scott
 
Im Mai 2007 hatte der BDI noch ein Gutachten vorgelegt, das sich für die komplette Trennung der Bahn-Infrastruktur vom Verkehrsbetrieb ausspricht. Doch Verkehrsminister Tiefensee hatte ein noch subtileres Konzept: Wenn es nach ihm ginge, und da ging Bahnchef Mehdorn vollkommen mit ihm d'accord, sollten Gleise, Bahnhöfe und Grundstücke im Besitz des Bundes bleiben, die später weiter privatisierte Bahn AG aber die Bahn-Infrastruktur wirtschaftlich nutzen und wohl auch bilanzieren dürfen. Somit hätte sie alle Vorteile gehabt und sich jeder lästigen Verantwortung für das Allgemeinwohl entledigt. [2]
 
Doch das war bevor sich der Konzernchef und der Minister entzweit hatten: In der Affäre um die Bonuszahlungen in Millionenhöhe an den Vorstand bei erfolgreichem Börsengang der Bahn hatte sich Tiefensee vermehrt in Widersprüche verstrickt: Nach Informationen der Financial Times Deutschland war Tiefensee schon Mitte August in die vereinbarte Prämienzahlung eingeweiht gewesen – sein Ministerium hatte zunächst vom 20. Oktober gesprochen, dann von „Mitte September“. Oppositionspolitiker fordern mittlerweile offen seinen Rücktritt.

Mehdorn Tiefensee DB 
Premienreife Freundschaft: Verkehrt-Minister Tiefensee und Hartmut Mehdorn
Pressefoto: DB
 
Angesichts der neusten Entwicklungen mag bei manchem Beobachter die Frage aufkommen, wer seinen Schreibtisch zuerst räumen muss: Vielleicht auch Deutschlands oberster Lokomotivführer – Mehdorn hatte seine Karriere in dem Erfolgsunternehmen stets mit dem schon für Ende Oktober anvisierten Börsengang verbunden. In den kommenden Tagen wird er aller Voraussicht nach noch einmal versuchen, Merkel die Versilberung der Bahntochter „DB Mobility“ über ein sogenanntes „Private Placement“ für ausgesuchte Großinvestoren schmackhaft zu machen. Und als ob die grassierende Privatisierungswut und Entstaatlichung nicht schon absurd genug seien, spricht man in diesem Zusammenhang von der Russischen Staatsbahn und Chinesischen Staatsfonds als mögliche Investoren.

„Herrenloser Zug fährt gegen Wand“ titelte der WDR über die Fahrt des „Geisterzugs“ der RWE bei Köln. Es bleibt zu hoffen, dass am Ende nicht auch dasselbe für die Geschäftspolitik der DB gilt. (PK)

 
Fußnoten:
[1] Die HGK ist verantwortlich für die dortigen Gleise und gehört mehrheitlich der Stadt Köln sowie dem Rhein-Erft Kreis.

[2] Der Konzern machte allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2008 (vor Steuern) einen Gewinn von 2,06 Milliarden Euro und steigerte den der Vorjahresperiode um 3,7 Prozent. In diesem glänzenden Licht erscheint die Forderung der Bahn-Gewerkschaften Transnet und GDBA nach zehn Prozent mehr Lohn nicht überzogen.




 
 
 


Online-Flyer Nr. 172  vom 12.11.2008

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