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Lokales
Wirtschaftsdemokratie ist Grundlage für Frieden
Linke will gesellschaftlichen Wandel
Von Hans-Detlev von Kirchbach und Hans-Dieter Hey
Lafontaine machte deutlich, dass die gegenwärtige Krise ein Ausfluss der Politik der letzten Jahrzehnte sei. Die habe sich durch eine fatale Umorientierung der „gesellschaftlichen Werte“ ausgezeichnet. Die Gewinne seien zu Lasten der Menschen in den Vordergrund gerückt, der Mensch zum „Kostenfaktor“ reduziert worden. In der Krise der Finanzwirtschaft spiegelt sich, meinte Lafontaine, tiefergehend eine Krise der „Wertorientierung“ in der gesamten Gesellschaft. Diese aber diagnostizierte Lafontaine nicht als naturgesetzliche Gegebenheit, sondern als Ausfluß gesellschaftlicher Interessen und politischen Willens.
...und gute Musik – mit „Mama Afrika“
Mit „Reformen“ die Demokratie abgebaut
Die materiellen Folgen dieser negativen gesellschaftlichen Umwälzung seien als enormes Auseinanderklaffen von Vermögen und Einkommen sichtbar geworden. Früher hätte hierzulande die Faustregel gegolten, dass Manager das 10- oder 20-fache eines Angestellten verdienten, in anderen Ländern, wie etwa in Japan, sei es heute noch so. In Deutschland aber habe sich „in den oberen Zehntausend eine Maßlosigkeit, eine Unverschämtheit“ ausgebreitet, die als Managergehalt das 200-fache eines durchschnittlichen Beschäftigten oder mehr für selbstverständlich halte. In derlei Umverteilung von Einkommen und Vermögen – die stets das Resultat gesellschaftlicher Arbeit seien – von unten nach oben sieht Lafontaine eine Grundursache der gegenwärtigen „Finanzkrise“. Solange die „Hartz-IV und Agenda-2010-Parteien“ an dieser Politik der Vermögensumverteilung festhielten, werde sich auch an der sogenannten Finanzkrise nichts ändern.
Die Kölner Künstlerin „Blue Flower“ mit alten
und neuen Liedern für Frieden und soziale
Gerechtigkeit...
Beispielsweise habe es die Politik zu vertreten, dass es „Leiharbeit im großen Stil“ gebe. Daß die davon Betroffenen nur die Hälfte verdienen, was die Kollegen der Stammbelegschaften bekommen, ist nach Lafontaines Meinung ebenfalls politisch gewollt, begründet durch neoliberale Denkfiguren wie Kostensenkung zugunsten der Unternehmer. Das, erklärte Lafontaine, sei ein klarer Verstoß gegen die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, deren 60jähriges Jubiläum am 10. Dezember zu feiern ist. Deren Artikel 23 Absatz 2 bestimmt denn auch unmissverständlich: „Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.“ Nicht nur in dieser Hinsicht hätten die vermeintlichen „Menschenrechts-Parteien“ von der Union bis zu den Grünen die Menschenrechte im eigenen Land „mit Füßen getreten“.
Nun aber zeige sich überdies, dass Leiharbeiter die ersten seien, die ihre Arbeit verlören. DIE.LINKE, so betonte Lafontaine in seiner Rede ebenso wie im Interview mit der NRhZ, fordert deshalb schon lange die Abschaffung der Leiharbeit. Ebenso sei die Ausweitung des Niedriglohnsektors der falsche Weg gewesen. Die „Zumutbarkeitsregelungen“ für Arbeitslose in der Hartz-IV-„Reform“, auch unabhängig von Qualifikationen zu allen Bedingungen arbeiten zu müssen, habe dem Absacken des allgemeinen Lohnniveaus in die Hand gespielt. Deutschland sei dadurch unter allen Industrieländern das Land mit dem größten Niedriglohnsektor geworden. Überhaupt befand der Redner die „Hartz-IV-Reformen als „nachhaltigsten Angriff auf menschliche Arbeitsbedingungen“. Verschuldet hätten diese Entwicklungen auf der Grundlage „dummen Sozialabbaus“ und einer Demontage von Arbeitnehmerrechten unter dem Etikett „Reformen“, die Parteien des „neoliberalen Blocks“ von CDU bis Grünen. Lafontaine wunderte sich, auch vor dem Hintergrund von Umfragen, die etwa Roland Koch in Hessen wieder Gewinnaussichten verhießen: „Ich frage mich, wieso diese Parteien immer noch so viele Stimmen bekommen. So was ist mir nicht verständlich.“
Lafontaine will demokratische und soziale
Erneuerungsbewegung
Die „Reformen“ hätten überdies zu einem massiven Abbau noch vorhandener Demokratie im Staat und in den Betrieben geführt. Auch von den Grünen als „Partei der Besserverdienenden“ sei in dieser Hinsicht nichts zu erwarten. Ihre Wähler hätten das höchste Einkommensniveau, woraus sich für Lafontaine erklärt, weshalb die ehemaligen „Alternativen“ zur „a-sozialen Partei geworden sind und ihre Wurzeln längst vergessen“ hätten.
Daß Millionen ArbeitnehmerInnen am Ende eines jahrzehntelangen Arbeitslebens schlicht Altersarmut zu erwarten haben, betrachtet Lafontaine als eines der besonders empörenden Resultate sozialer Enteignung durch neoliberale Pseudo-Reformen. Viele Menschen, erklärte er, arbeiteten in Deutschland für 1.000 Euro im Monat – mit einer „Rentenerwartung“ von 400 Euro. Genau das sei das Ergebnis der „Rentenreform“. Dem stellte der Parteivorsitzende der Linken eine eine Rentenerwartung von 730 Euro im Monat im OECD-Durchschnitt entgegen. Im benachbarten Dänemark hätte der Arbeitnehmer mit 1.000 Euro Einkommen sogar Anspruch auf eine Rente in Höhe von 1200 Euro. Lafontaine: Eigentlich „müsste es ja langsam einen Volksaufstand geben… Wir müssen jetzt endlich dahin kommen, dass die Menschen erfahren, was mit ihnen passiert.“
Neoliberalismus in die Köpfe eingedrungen
Doch bis dahin, da macht sich wohl auch Lafontaine keine Illusionen, ist wohl noch ein weiter Weg. Zwar sei, berechnete Lafontaine aufgrund des dramatischen Falls der Lohnquote, die Mehrheit der Menschen in Deutschland innerhalb des letzten Jahrzehnts etwa 1.000 Milliarden Euro abgenommen worden, um sie an Unternehmer und Vermögende zu umzuverteilen. Statt der verheißenen zusätzlichen Beschäftigung durch mehr Gewinne sei damit aber nur ein Fundament der gegenwärtigen „Finanzkrise“ gelegt worden. Und man brauche auch gar nicht mehr zu fragen, „woher die Billionen herkommen, die weltweit verzockt worden sind.“ Leider aber haben nach Lafontaines Einschätzung Politik und Medien auch Mehrheiten der davon Betroffenen das neoliberale Denken so erfolgreich eingepflanzt, dass diese nun glaubten, alles sei gottgegeben.
„Wir brauchen wirklich nachhaltige und tiefe Reformen, aber Reformen haben einen anderen Sinn“, nämlich Herstellung von Gerechtigkeit und Demokratie. DIE.LINKE sehe sich deshalb als „demokratische und soziale Erneuerungsbewegung“. Wenn aber selbst Sozialhilfeempfänger oder Rentner, etwa nach Lektüre der „Boulevardpresse“, ergeben nachbeten, sie müssten „noch etwas abgeben, weil wir ja kein Geld haben, dann haben wir verspielt“, so Lafontaine. Da scheint also vor dem „Reformbedarf“ noch etlicher Aufklärungsbedarf zu stehen.
Die lieferte Lafontaine zum Beispiel mit einem Zitat des ehemaligen Bundesbank-Präsidenten Hans Tietmeyer. Der habe beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos betont, dass „wir längst keine Demokratie mehr hätten“. Den anwesenden Politikern habe er vorgehalten, sie alle seien der Kontrolle der Finanzmärkte unterworfen: „Auch Sie werden von ihnen beherrscht“. Tietmeyer habe für diese Zustandsbeschreibung sogar Beifall der Politiker erhalten, die, genau wie er selbst, diese Selbstentmachtung offenbar für gut befänden. Genau aufgrund dieser realen Machtverhältnisse „haben wir keine demokratische Ordnung mehr“, so Lafontaine. Nicht die Interessen der Mehrheit, sondern die einer – ökonomisch privilegierten – Minderheit hätten sich gegen die der Mehrheit durchgesetzt. Neoliberalismus sei inzwischen eine Art Alltagsreligion mit festen Glaubenssätzen und Denkfiguren geworden. „Die Aufgabe, die Linke haben, ist, diese Denkfiguren zu durchbrechen.“ Damit aber setzt Lafontaine seiner Partei ein überaus ehrgeiziges Ziel: Nicht nur das eines „Politikwechsels“, sondern eines gesellschaftlichen, eines kulturellen Wandels.
Mit Verweis auf die 600 Millionen Dollar, mit denen Obamas Kampagne finanziert worden seien, machte Lafontaine deutlich: „Wir wollen keine gekaufte Politik.“ Deshalb lehne seine Partei es ab, Spenden von „Wirtschaft und Finanzdienstleistern“ anzunehmen. Die anderen Parteien, Union, FDP, SPD, Grüne, nähmen freilich deren Geld, und so sehe ihre Politik auch aus. Man erkenne dies auch an der Privatisierung öffentlichen Eigentums, die eindeutig mit Lohndrückerei verbunden sei. Neoliberales Denken hätten aber leider auch Gewerkschafter wie der ehemalige Chef der Gewerkschaft Transnet verinnerlicht, der jetzt im Vorstand der Deutschen Bahn sitze und deren Politik zu Lasten der Beschäftigten fortsetze. „Auch die Gewerkschaften müssten sich erneuern, damit solche Dinge nicht mehr passieren“, forderte der Redner unter großem Beifall. Um schließlich auch vor der eigenen Gefährdung zu warnen, in „Anpassung“ zu verfallen.–
Neue Wirtschafts- und Sozialordnung notwendig
Mit Blick auf die Gewerkschaften betonte Lafontaine, dass DIE.LINKE , als einzige der Bundestagsparteien, das in fast allen europäischen Staaten übliche politische Widerstandsrecht einfordere, „also das Recht zum Generalstreik“. Ein Ergebnis dieses Rechtes in Frankreich: Dort hatte die Regierung der Kündigungsschutz für jüngere Menschen aufgehoben, nach einem Generalstreik musste sie das wieder zurück nehmen. „Das würde ich mir wünschen – die Rente ab 67 wäre ein Grund zu streiken, um zu sagen, das machen wir nicht mehr mit“, so Lafontaine.
Die deutsche Außenpolitik müsse wieder auf die Grundlage des Völkerrechts gestellt werden. Weder dem Krieg in Jugoslawien noch im Irak seien entsprechende UNO-Entscheidungen vorausgegangen. „Ich wundere mich auch manchmal, wie gleichgültig die Menschen geworden sind, beispielsweise bei Afghanistan“. Er sei im Gegensatz zu anderen nicht davon überzeugt, dass mit sogenannten „humanitären Interventionen“, also mit Bombardierungen, Frieden geschaffen werden könne. Letztlich gehe es immer noch „um imperiale Kriege. Der Imperialismus ist nicht verschwunden.“
Oskar Lafontaine im Interview mit der NRhZ: „Arbeitsmarktreformen müssen zurück genommen werden..." | alle Fotos: gesichter ze(ich/g)en
Dazu zitierte Lafontaine den ermordeten französischen Sozialisten Jean Jaurès: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.“ DIE.LINKE sei die einzige politische Partei, die am Konsens festhalte, die nach dem zweiten Weltkrieg „quer durch alle Parteien galt“, dass nur eine neue und demokratische Wirtschafts- und Sozialordnung in der Lage sei, solche Entwicklungen zu vermeiden. „Diese Einsicht gilt auch heute: Nur eine Wirtschaftsdemokratie, nur eine wirkliche soziale und demokratische Gesellschaft ist eine Grundlage für den Frieden, und eine solche Gesellschaft wollen wir.“ (PK)
Interview zwischen Hans-Detlev v. Kirchbach und Oskar Lafontaine (8 MB) >> Download
Ausschnitt aus dem Redebeitrag von Oskar Lafontaine
(22 MB) >> Download
Online-Flyer Nr. 176 vom 10.12.2008
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Wirtschaftsdemokratie ist Grundlage für Frieden
Linke will gesellschaftlichen Wandel
Von Hans-Detlev von Kirchbach und Hans-Dieter Hey
Lafontaine machte deutlich, dass die gegenwärtige Krise ein Ausfluss der Politik der letzten Jahrzehnte sei. Die habe sich durch eine fatale Umorientierung der „gesellschaftlichen Werte“ ausgezeichnet. Die Gewinne seien zu Lasten der Menschen in den Vordergrund gerückt, der Mensch zum „Kostenfaktor“ reduziert worden. In der Krise der Finanzwirtschaft spiegelt sich, meinte Lafontaine, tiefergehend eine Krise der „Wertorientierung“ in der gesamten Gesellschaft. Diese aber diagnostizierte Lafontaine nicht als naturgesetzliche Gegebenheit, sondern als Ausfluß gesellschaftlicher Interessen und politischen Willens.
...und gute Musik – mit „Mama Afrika“
Mit „Reformen“ die Demokratie abgebaut
Die materiellen Folgen dieser negativen gesellschaftlichen Umwälzung seien als enormes Auseinanderklaffen von Vermögen und Einkommen sichtbar geworden. Früher hätte hierzulande die Faustregel gegolten, dass Manager das 10- oder 20-fache eines Angestellten verdienten, in anderen Ländern, wie etwa in Japan, sei es heute noch so. In Deutschland aber habe sich „in den oberen Zehntausend eine Maßlosigkeit, eine Unverschämtheit“ ausgebreitet, die als Managergehalt das 200-fache eines durchschnittlichen Beschäftigten oder mehr für selbstverständlich halte. In derlei Umverteilung von Einkommen und Vermögen – die stets das Resultat gesellschaftlicher Arbeit seien – von unten nach oben sieht Lafontaine eine Grundursache der gegenwärtigen „Finanzkrise“. Solange die „Hartz-IV und Agenda-2010-Parteien“ an dieser Politik der Vermögensumverteilung festhielten, werde sich auch an der sogenannten Finanzkrise nichts ändern.
Die Kölner Künstlerin „Blue Flower“ mit alten
und neuen Liedern für Frieden und soziale
Gerechtigkeit...
Nun aber zeige sich überdies, dass Leiharbeiter die ersten seien, die ihre Arbeit verlören. DIE.LINKE, so betonte Lafontaine in seiner Rede ebenso wie im Interview mit der NRhZ, fordert deshalb schon lange die Abschaffung der Leiharbeit. Ebenso sei die Ausweitung des Niedriglohnsektors der falsche Weg gewesen. Die „Zumutbarkeitsregelungen“ für Arbeitslose in der Hartz-IV-„Reform“, auch unabhängig von Qualifikationen zu allen Bedingungen arbeiten zu müssen, habe dem Absacken des allgemeinen Lohnniveaus in die Hand gespielt. Deutschland sei dadurch unter allen Industrieländern das Land mit dem größten Niedriglohnsektor geworden. Überhaupt befand der Redner die „Hartz-IV-Reformen als „nachhaltigsten Angriff auf menschliche Arbeitsbedingungen“. Verschuldet hätten diese Entwicklungen auf der Grundlage „dummen Sozialabbaus“ und einer Demontage von Arbeitnehmerrechten unter dem Etikett „Reformen“, die Parteien des „neoliberalen Blocks“ von CDU bis Grünen. Lafontaine wunderte sich, auch vor dem Hintergrund von Umfragen, die etwa Roland Koch in Hessen wieder Gewinnaussichten verhießen: „Ich frage mich, wieso diese Parteien immer noch so viele Stimmen bekommen. So was ist mir nicht verständlich.“
Lafontaine will demokratische und soziale
Erneuerungsbewegung
Daß Millionen ArbeitnehmerInnen am Ende eines jahrzehntelangen Arbeitslebens schlicht Altersarmut zu erwarten haben, betrachtet Lafontaine als eines der besonders empörenden Resultate sozialer Enteignung durch neoliberale Pseudo-Reformen. Viele Menschen, erklärte er, arbeiteten in Deutschland für 1.000 Euro im Monat – mit einer „Rentenerwartung“ von 400 Euro. Genau das sei das Ergebnis der „Rentenreform“. Dem stellte der Parteivorsitzende der Linken eine eine Rentenerwartung von 730 Euro im Monat im OECD-Durchschnitt entgegen. Im benachbarten Dänemark hätte der Arbeitnehmer mit 1.000 Euro Einkommen sogar Anspruch auf eine Rente in Höhe von 1200 Euro. Lafontaine: Eigentlich „müsste es ja langsam einen Volksaufstand geben… Wir müssen jetzt endlich dahin kommen, dass die Menschen erfahren, was mit ihnen passiert.“
Neoliberalismus in die Köpfe eingedrungen
Doch bis dahin, da macht sich wohl auch Lafontaine keine Illusionen, ist wohl noch ein weiter Weg. Zwar sei, berechnete Lafontaine aufgrund des dramatischen Falls der Lohnquote, die Mehrheit der Menschen in Deutschland innerhalb des letzten Jahrzehnts etwa 1.000 Milliarden Euro abgenommen worden, um sie an Unternehmer und Vermögende zu umzuverteilen. Statt der verheißenen zusätzlichen Beschäftigung durch mehr Gewinne sei damit aber nur ein Fundament der gegenwärtigen „Finanzkrise“ gelegt worden. Und man brauche auch gar nicht mehr zu fragen, „woher die Billionen herkommen, die weltweit verzockt worden sind.“ Leider aber haben nach Lafontaines Einschätzung Politik und Medien auch Mehrheiten der davon Betroffenen das neoliberale Denken so erfolgreich eingepflanzt, dass diese nun glaubten, alles sei gottgegeben.
„Wir brauchen wirklich nachhaltige und tiefe Reformen, aber Reformen haben einen anderen Sinn“, nämlich Herstellung von Gerechtigkeit und Demokratie. DIE.LINKE sehe sich deshalb als „demokratische und soziale Erneuerungsbewegung“. Wenn aber selbst Sozialhilfeempfänger oder Rentner, etwa nach Lektüre der „Boulevardpresse“, ergeben nachbeten, sie müssten „noch etwas abgeben, weil wir ja kein Geld haben, dann haben wir verspielt“, so Lafontaine. Da scheint also vor dem „Reformbedarf“ noch etlicher Aufklärungsbedarf zu stehen.
Die lieferte Lafontaine zum Beispiel mit einem Zitat des ehemaligen Bundesbank-Präsidenten Hans Tietmeyer. Der habe beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos betont, dass „wir längst keine Demokratie mehr hätten“. Den anwesenden Politikern habe er vorgehalten, sie alle seien der Kontrolle der Finanzmärkte unterworfen: „Auch Sie werden von ihnen beherrscht“. Tietmeyer habe für diese Zustandsbeschreibung sogar Beifall der Politiker erhalten, die, genau wie er selbst, diese Selbstentmachtung offenbar für gut befänden. Genau aufgrund dieser realen Machtverhältnisse „haben wir keine demokratische Ordnung mehr“, so Lafontaine. Nicht die Interessen der Mehrheit, sondern die einer – ökonomisch privilegierten – Minderheit hätten sich gegen die der Mehrheit durchgesetzt. Neoliberalismus sei inzwischen eine Art Alltagsreligion mit festen Glaubenssätzen und Denkfiguren geworden. „Die Aufgabe, die Linke haben, ist, diese Denkfiguren zu durchbrechen.“ Damit aber setzt Lafontaine seiner Partei ein überaus ehrgeiziges Ziel: Nicht nur das eines „Politikwechsels“, sondern eines gesellschaftlichen, eines kulturellen Wandels.
Mit Verweis auf die 600 Millionen Dollar, mit denen Obamas Kampagne finanziert worden seien, machte Lafontaine deutlich: „Wir wollen keine gekaufte Politik.“ Deshalb lehne seine Partei es ab, Spenden von „Wirtschaft und Finanzdienstleistern“ anzunehmen. Die anderen Parteien, Union, FDP, SPD, Grüne, nähmen freilich deren Geld, und so sehe ihre Politik auch aus. Man erkenne dies auch an der Privatisierung öffentlichen Eigentums, die eindeutig mit Lohndrückerei verbunden sei. Neoliberales Denken hätten aber leider auch Gewerkschafter wie der ehemalige Chef der Gewerkschaft Transnet verinnerlicht, der jetzt im Vorstand der Deutschen Bahn sitze und deren Politik zu Lasten der Beschäftigten fortsetze. „Auch die Gewerkschaften müssten sich erneuern, damit solche Dinge nicht mehr passieren“, forderte der Redner unter großem Beifall. Um schließlich auch vor der eigenen Gefährdung zu warnen, in „Anpassung“ zu verfallen.–
Neue Wirtschafts- und Sozialordnung notwendig
Mit Blick auf die Gewerkschaften betonte Lafontaine, dass DIE.LINKE , als einzige der Bundestagsparteien, das in fast allen europäischen Staaten übliche politische Widerstandsrecht einfordere, „also das Recht zum Generalstreik“. Ein Ergebnis dieses Rechtes in Frankreich: Dort hatte die Regierung der Kündigungsschutz für jüngere Menschen aufgehoben, nach einem Generalstreik musste sie das wieder zurück nehmen. „Das würde ich mir wünschen – die Rente ab 67 wäre ein Grund zu streiken, um zu sagen, das machen wir nicht mehr mit“, so Lafontaine.
Die deutsche Außenpolitik müsse wieder auf die Grundlage des Völkerrechts gestellt werden. Weder dem Krieg in Jugoslawien noch im Irak seien entsprechende UNO-Entscheidungen vorausgegangen. „Ich wundere mich auch manchmal, wie gleichgültig die Menschen geworden sind, beispielsweise bei Afghanistan“. Er sei im Gegensatz zu anderen nicht davon überzeugt, dass mit sogenannten „humanitären Interventionen“, also mit Bombardierungen, Frieden geschaffen werden könne. Letztlich gehe es immer noch „um imperiale Kriege. Der Imperialismus ist nicht verschwunden.“
Oskar Lafontaine im Interview mit der NRhZ: „Arbeitsmarktreformen müssen zurück genommen werden..." | alle Fotos: gesichter ze(ich/g)en
Dazu zitierte Lafontaine den ermordeten französischen Sozialisten Jean Jaurès: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.“ DIE.LINKE sei die einzige politische Partei, die am Konsens festhalte, die nach dem zweiten Weltkrieg „quer durch alle Parteien galt“, dass nur eine neue und demokratische Wirtschafts- und Sozialordnung in der Lage sei, solche Entwicklungen zu vermeiden. „Diese Einsicht gilt auch heute: Nur eine Wirtschaftsdemokratie, nur eine wirkliche soziale und demokratische Gesellschaft ist eine Grundlage für den Frieden, und eine solche Gesellschaft wollen wir.“ (PK)
Interview zwischen Hans-Detlev v. Kirchbach und Oskar Lafontaine (8 MB) >> Download
Ausschnitt aus dem Redebeitrag von Oskar Lafontaine
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Online-Flyer Nr. 176 vom 10.12.2008
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