SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Druckversion
Kultur und Wissen
Israelischer Künstler will "Parks des Lebens" schaffen
„Mein geliebtes Gaza“
Von Philipp Holtmann
Aarale Ben Arieh beim Bau eines "Wüstenwal-Labyrinths" im "Australischen Park" von Beersheva
Im Zuge der blutigen israelischen Militäroffensive im Gazastreifen, der bislang mehr als tausend palästinensische Kinder, Frauen und Männer zum Opfer gefallen sind und gegen die in der israelischen Zivilgesellschaft nur spärlich protestiert wurde, stellt sich die Frage: Hat die Jahrzehnte währende Besatzung - so der israelische Journalist Gideon Levy - eine Art Sucht nach Stärke erzeugt?
Hat sich auch die israelische Volksseele unbewusst an eine „Herrenrolle“ gewöhnt, in der Akte ausufernder Gewalt stets als Verteidigung gerechtfertigt werden, als Recht, den „anderen“ zurechtzustutzen? Viele Politiker klopfen sich dieser Tage in Israel zufrieden gegenseitig auf die Schultern. Doch es herrscht auch ohnmächtige Benommenheit gegenüber dem Staatsapparat und den Medien; und nicht alle Israelis unterstützen das rücksichtslose Vorgehen des eigenen Staates. Für den jüdischen Israeli Aarale Ben Arieh ist der Gazastreifen kein „Terroristennest“, sondern erweckt Erinnerungen an einen Ort der Wärme, der Gastfreundschaft und Inspiration.
Das Schweigen brechen
Der Skulpturenkünstler Aarale Ben Arieh, 53, Kriegsveteran und Sohn europäischer Holocaustüberlebender, sitzt im Wohnzimmer seines Hauses im Moshav Zafririm auf halbem Wege zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Der Blick erstreckt sich über das malerische Ellah-Valley, wo David der biblischen Legende nach über Goliath triumphierte. Mit im Haus leben zurzeit seine Schwester, ihr Mann und ihre Kinder, weil es im Kibbutz Kiryat Shmoneh an der Grenze zum Gazastreifen zu gefährlich ist.
Modelle für ein neues Großskulpturenprojekt in Ashkelon
Ben Arieh, der meist ausgeglichen und zufrieden wirkt, auch wenn einmal wieder eine politische Katastrophe das Land erschüttert, ist blass. Seine Augen sind glanzlos, leuchten nicht wie sonst hellblau . In den letzten Monaten durchlief er eine anstrengende und intensive Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit. Höhepunkt war die israelische Offensive in Gaza. Er hat sich entschlossen, das Schweigen und die Passivität zu brechen: „Ich versuchte sofort, meine alten Freunde in Khan Younis im Gazastreifen zu erreichen, die ich lange Jahre nicht gesehen habe, aber es war unmöglich. Dann haben ein Freund aus Jerusalem und ich versucht etwas Geld nach Khan Younis zu schicken. Aber es war zu gefährlich. Der Vermittler, den wir darum baten, wurde fast getötet. Jetzt warte ich einfach darauf, dass es aufhört. Mein geliebtes Gaza ...“, seufzt Arieh.
Mit Spiel und Kunst gegen den Konflikt
Doch er lässt sich nicht entmutigen. Seit Jahrzehnten arbeitet er an der Entwicklung einer Kunstform gegen den Konflikt. Seine Hauptfragen: Wie kann man kollektives Gedächtnis positiv beeinflussen? Und wie kann man mit Konflikterinnerung so umgehen, dass sie das genaue Gegenteil einer deprimierenden und drohenden Mahnung ist? Diese Fragen haben Ben Arieh, der bei palästinensischen Lehrmeistern studierte, ein halbes Leben lang beschäftigt. Seine Antwort ist, Spiel und Kunst zu verbinden. Er will „Parks des Lebens“ schaffen, die Menschen verschiedener Kultur und Religion nach universellen Prinzipien zusammenführen. „Spielkunst“ wirkt heilsam, so Ben Arieh. Nun interessieren sich auch deutsche Gemeinden für sein Konzept.
Spielvögel aus einer Serie in Erinnerung an die Zeit in Gaza
Nicht immer widmete sich Ben Arieh, Vater von drei Kindern, der Kunst. Der kräftige Mann mit den gutmütigen blauen Augen war fünf Jahre lang Soldat, von 1973 bis 1978. Eine Zeit, die wie ein Comicfilm in Zeitraffer an ihm vorbeirauscht, wenn er daran denkt. Im Jom-Kippur Krieg 1973 musste er als 18 Jahre junger Rekrut mit nur halb abgeschlossener Grundausbildung mit ansehen, wie viele Gleichaltrige starben. Mit 23 diente er als Offizier an einem Abschnitt der umstrittenen Grenze zu Syrien auf dem Golan. Bei einem Sondereinsatz zum Aufspüren einer feindlichen Raketenstellung wurde er schwer verletzt. Als er 1978 mit 24 Jahren die Armee verließ, hörte er auf dem rechten Ohr kaum noch. Heute piepst es von den Splittern in seinem Körper, wenn er durch einen Metalldetektor am Flughafen hindurchgeht. Die Vergangenheit ließ ihn nicht los. 2006 wurde sein jüngerer Sohn Gidon im Libanonkrieg an die Front verlegt. Der damals 20jährige, der momentan eine mehrmonatige Reise durch Indien macht, rief den Vater an und fragte verängstigt: „Papa, was soll ich tun?“. Arieh blieb ruhig: „Ab jetzt darfst Du keine Barmherzigkeit mehr zeigen. Ich will, dass du überlebst!“. In Ariehs Leben herrschte immer eine Spannung zwischen dem kreativen Wunsch, als Künstler in Frieden zu leben, und der nüchternen Sichtweise eines erfahrenen Offiziers auf den Krieg. Doch je mehr sich die Lage in Israel in den letzten Jahren verschlechterte, desto mehr rückte der Offizier in den Hintergrund.
In Gaza seine Gurus gefeunden
Seine Gurus fand der hochdekorierte Veteran nach dem Krieg nicht in Indien, sondern im Gazastreifen. Nach dem Militärdienst, Anfang der 1980er Jahre zog Ben Arieh mit seiner Frau Dina in das Kibbuz Kiryat Schmoneh, wo er kurze Zeit später zum Vorsitzenden gewählt wurde. Bereits als kritischer Offizier glaubte er daran, dass er die palästinensischen Nachbarn genau kennen lernen müsse, um in Friedenszeiten mit ihnen kommunizieren zu können. Die Arbeit im Kibbuz als Entwickler für landwirtschaftliche Geräte bot ihm diese Gelegenheit. Sie führte Ben Arieh oft in den nahegelegenen Gazastreifen. Dort traf er auf die palästinensischen Handwerksmeister Abu Ibrahim und Abu Schaufik, die traditionelle landwirtschaftliche Werkzeuge und Gebrauchsgegenstände aus Holz und Ton herstellten und von denen er fünf Jahre lang lernte.
Handwerker Abu Ibrahim in den 1980er Jahren – Ben Ariehs Lehrmeister für Holzverarbeitung
„Abu Ibrahim und Abu Schaufik waren selbst Außenseiter, da sie Kunst und Spiritualität über Tradition oder politische Ideologie stellten. Ich habe bewusst versucht, dieses tiefe Erlebnis in Israel zu vermitteln. Doch ich wurde nie ernst genommen. Heute stehen meine Kunstwerke in ganz Israel, einschließlich einiger Siedlungen, und keiner weiß, dass mein Schaffen auf dem basiert, was ich in Gaza lernte. Ihre Handfertigkeit und Geschicklichkeit, gepaart mit Bescheidenheit, innerer Ruhe, Freundlichkeit und Würde faszinierten mich. Sie waren wie Zen-Meister, ohne jemals von Zen gehört zu haben. Einfache, würdevolle Menschen, die voller Hilfsbereitschaft und Demut ganz im Moment lebten.“
Sich selbst und anderen helfen
Ben Arieh hat seine Lehrmeister seit dem Ausbruch der ersten Intifadah 1987 nicht mehr gesehen. Er sitzt zu Hause vor dem Computerbildschirm und schaut sich alte Schwarzweiss-Bilder an. Plötzlich hat er Tränen in den Augen, fängt an zu schwitzen und fühlt sich unwohl. So viel habe er seit langem nicht mehr über die Vergangenheit geredet, sagt er und bittet darum, das Interview am nächsten Morgen fortzusetzen.
Abu Shaufik in seiner Tonwerkstatt in
Khan Younis im Gazastreifen
Es ist sechs Uhr morgens. Die ersten Sonnenstrahlen kitzeln den Nordwesthang von Moshav Zafririm, das auf halbem Wege zwischen Tel Aviv und Jerusalem liegt. Ben Arieh ist bereits wach und befindet sich in der großzügigen Werkstatt unterhalb des Wohnhauses. Überall stehen Miniaturmodelle seiner Projekte, eine Mischung aus Verzierung und Nüchternheit, Kunst und Gerät, Spiel und Objekt: Ben Arieh erklärt „ Der Ansatz, den ich von Abu Ibrahim lernte, ist eigentlich die klassische Lehre der Kunst – nämlich die richtige Verwendung von Werkzeugen und Material, mit maximaler Schlichtheit und Effektivität.“ Zwischen Praxis und Theorie besteht bei dem israelischen Künstler keine große Diskrepanz, er hat die Vision, sich selbst und anderen helfen. Doch die Verarbeitung der Vergangenheit ist bisweilen sehr schwierig.
Die großen Skulpturen, die sich wie natürlich gewachsene Gebilde in die Landschaft einfügen, wirken Vertrauen einflössend und vermitteln gleichzeitig Respekt vor dem Unbekannten. Als Inspiration dienen Wesen aus dem Tierreich und Formen der Pflanzenwelt, enthalten sind aber auch Elemente traditioneller landwirtschaftlicher Arbeitsgeräte, aus denen merkwürdige Spielzeuge entstehen. Sie wecken das Kind im Erwachsenen und bringen Kinder zum intuitiven Spielen und Nachdenken.
Zu Toleranz inspirieren
„Als Künstler spüre ich den Drang, eine konstruktive Perspektive anzubieten. Ich möchte einen Raum in der Umwelt schaffen, dessen Gebrauch die Erfahrung, lebendig zu sein, intensiviert, und zu Glück, Toleranz und Verständnis inspiriert. Neben den Aspekten gemeinsamer deutsch-jüdisch-palästinensischer Erinnerung und Zukunft glaube ich, dass dies das Potential bietet, als Beispiel für Versöhnung zwischen Menschen ganz gleich welcher Herkunft dazustehen, selbst dann, wenn sie sich auf gegenüberliegenden Seiten einer gewaltsamen und auch grausamen Erinnerung befinden.“
In Israel hatte Ben Arieh Erfolg mit seinen Skulpturenparks, halb Kunst, halb Spielplätze, die in zahlreichen Städten wie Tel Aviv, Cholon, Beersheba, Modiin und Jerusalem zu finden sind. Er baute unter anderem auch Kunst-Spielplätze an sozialen Brennpunkten wie Jaffa und Lod. Jedoch hütete er sich davor, kontroverse Themen wie Konflikt- und Holocaust-Erinnerung anzusprechen. „Die israelische Gesellschaft ist noch nicht bereit dafür“ sagt Ben Arieh. „Mit solch einem, recht politischen, Ansatz hätte ich mir während der letzten Jahre in Israel viele Türen verschlossen. Doch in Deutschland herrscht Offenheit, und ich möchte die Idee später zurück nach Israel holen.“
Interesse jetzt auch in Deutschland
Nun beginnen auch deutsche Gemeinden und Sponsoren, sich für seine Ideen zu interessieren. Der Oberbürgermeister von Stuttgart, Dr. Wolfgang Schuster, hat Ben Arieh zum 7. März 2009 zu einer detaillierten Präsentation eingeladen. Die Stuttgarter Kulturbürgermeisterin Dr. Susanne Eisenmann begründet: „Uns hat Ben Ariehs Konzept vom „Park des Lebens“, einem interaktiven Spiel- und Skulpturenpark, sehr beeindruckt. Kunst, Erholung, Spiel und Austausch passen hervorragend zum Modernisierungsprojekt Stuttgart 21.“ Auch die Stadt Weimar, zuständig für die Gedenkstätte Buchenwald, hat Interesse daran geäußert, Ben Arieh zu treffen, was der beharrlichen Vorarbeit seiner UnterstützerInnen in Deutschland zu verdanken ist.
Die Stuttgarter Managementberaterin Christa von Winsen und die Esslinger Galeristin Dr. Susanne Lüdkte werden Anfang 2009 einen Förderverein gründen, um die Entwürfe von Ben Arieh zu finanzieren. Einflussreiche Schwaben aus Wirtschaft und Politik haben bereits zugesagt, für das nötige Startgeld von 25.000 Euro zu sorgen. Bislang werden Ideen zu „interreligiösen“ Spielkunst-Plätzen an zwei Orten in Stuttgart eruiert: Am Neckarufer gegenüber der Wilhelma, und auf der Grünfläche am Stuttgarter Max-Eith-See, einem problematischen Stadtteil.
Bereits im April 2007 stellte Dr. Lüdtke in der Galerie „Kunst im Heppächer“, der ehemaligen Synagoge von Esslingen am Neckar, die heute als Galerie und Ort des Austausches dient, Ben Ariehs Modelle aus. Im Sommer 2007 organisierte sie den Workshop „Kunst spricht alle Sprachen“, gefördert von der Stadt Esslingen, für Kinder mit Migrationshintergrund. Dort baute Ben Arieh zusammen mit den Kindern Modelle für einen Spielplatzentwurf, was so erfolgreich war, dass Dr. Lüdtke sich kurze Zeit später mit von Winsen zusammentat: „Wir hoffen, dass Ben Arieh seine Vision vom Park des Lebens in Deutschland in Kürze verwirklichen wird!“ (PK)
Fotos: Archiv Ben Arieh
Online-Flyer Nr. 181 vom 21.01.2009
Druckversion
Kultur und Wissen
Israelischer Künstler will "Parks des Lebens" schaffen
„Mein geliebtes Gaza“
Von Philipp Holtmann
Aarale Ben Arieh beim Bau eines "Wüstenwal-Labyrinths" im "Australischen Park" von Beersheva
Im Zuge der blutigen israelischen Militäroffensive im Gazastreifen, der bislang mehr als tausend palästinensische Kinder, Frauen und Männer zum Opfer gefallen sind und gegen die in der israelischen Zivilgesellschaft nur spärlich protestiert wurde, stellt sich die Frage: Hat die Jahrzehnte währende Besatzung - so der israelische Journalist Gideon Levy - eine Art Sucht nach Stärke erzeugt?
Hat sich auch die israelische Volksseele unbewusst an eine „Herrenrolle“ gewöhnt, in der Akte ausufernder Gewalt stets als Verteidigung gerechtfertigt werden, als Recht, den „anderen“ zurechtzustutzen? Viele Politiker klopfen sich dieser Tage in Israel zufrieden gegenseitig auf die Schultern. Doch es herrscht auch ohnmächtige Benommenheit gegenüber dem Staatsapparat und den Medien; und nicht alle Israelis unterstützen das rücksichtslose Vorgehen des eigenen Staates. Für den jüdischen Israeli Aarale Ben Arieh ist der Gazastreifen kein „Terroristennest“, sondern erweckt Erinnerungen an einen Ort der Wärme, der Gastfreundschaft und Inspiration.
Das Schweigen brechen
Der Skulpturenkünstler Aarale Ben Arieh, 53, Kriegsveteran und Sohn europäischer Holocaustüberlebender, sitzt im Wohnzimmer seines Hauses im Moshav Zafririm auf halbem Wege zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Der Blick erstreckt sich über das malerische Ellah-Valley, wo David der biblischen Legende nach über Goliath triumphierte. Mit im Haus leben zurzeit seine Schwester, ihr Mann und ihre Kinder, weil es im Kibbutz Kiryat Shmoneh an der Grenze zum Gazastreifen zu gefährlich ist.
Modelle für ein neues Großskulpturenprojekt in Ashkelon
Ben Arieh, der meist ausgeglichen und zufrieden wirkt, auch wenn einmal wieder eine politische Katastrophe das Land erschüttert, ist blass. Seine Augen sind glanzlos, leuchten nicht wie sonst hellblau . In den letzten Monaten durchlief er eine anstrengende und intensive Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit. Höhepunkt war die israelische Offensive in Gaza. Er hat sich entschlossen, das Schweigen und die Passivität zu brechen: „Ich versuchte sofort, meine alten Freunde in Khan Younis im Gazastreifen zu erreichen, die ich lange Jahre nicht gesehen habe, aber es war unmöglich. Dann haben ein Freund aus Jerusalem und ich versucht etwas Geld nach Khan Younis zu schicken. Aber es war zu gefährlich. Der Vermittler, den wir darum baten, wurde fast getötet. Jetzt warte ich einfach darauf, dass es aufhört. Mein geliebtes Gaza ...“, seufzt Arieh.
Mit Spiel und Kunst gegen den Konflikt
Doch er lässt sich nicht entmutigen. Seit Jahrzehnten arbeitet er an der Entwicklung einer Kunstform gegen den Konflikt. Seine Hauptfragen: Wie kann man kollektives Gedächtnis positiv beeinflussen? Und wie kann man mit Konflikterinnerung so umgehen, dass sie das genaue Gegenteil einer deprimierenden und drohenden Mahnung ist? Diese Fragen haben Ben Arieh, der bei palästinensischen Lehrmeistern studierte, ein halbes Leben lang beschäftigt. Seine Antwort ist, Spiel und Kunst zu verbinden. Er will „Parks des Lebens“ schaffen, die Menschen verschiedener Kultur und Religion nach universellen Prinzipien zusammenführen. „Spielkunst“ wirkt heilsam, so Ben Arieh. Nun interessieren sich auch deutsche Gemeinden für sein Konzept.
Spielvögel aus einer Serie in Erinnerung an die Zeit in Gaza
Nicht immer widmete sich Ben Arieh, Vater von drei Kindern, der Kunst. Der kräftige Mann mit den gutmütigen blauen Augen war fünf Jahre lang Soldat, von 1973 bis 1978. Eine Zeit, die wie ein Comicfilm in Zeitraffer an ihm vorbeirauscht, wenn er daran denkt. Im Jom-Kippur Krieg 1973 musste er als 18 Jahre junger Rekrut mit nur halb abgeschlossener Grundausbildung mit ansehen, wie viele Gleichaltrige starben. Mit 23 diente er als Offizier an einem Abschnitt der umstrittenen Grenze zu Syrien auf dem Golan. Bei einem Sondereinsatz zum Aufspüren einer feindlichen Raketenstellung wurde er schwer verletzt. Als er 1978 mit 24 Jahren die Armee verließ, hörte er auf dem rechten Ohr kaum noch. Heute piepst es von den Splittern in seinem Körper, wenn er durch einen Metalldetektor am Flughafen hindurchgeht. Die Vergangenheit ließ ihn nicht los. 2006 wurde sein jüngerer Sohn Gidon im Libanonkrieg an die Front verlegt. Der damals 20jährige, der momentan eine mehrmonatige Reise durch Indien macht, rief den Vater an und fragte verängstigt: „Papa, was soll ich tun?“. Arieh blieb ruhig: „Ab jetzt darfst Du keine Barmherzigkeit mehr zeigen. Ich will, dass du überlebst!“. In Ariehs Leben herrschte immer eine Spannung zwischen dem kreativen Wunsch, als Künstler in Frieden zu leben, und der nüchternen Sichtweise eines erfahrenen Offiziers auf den Krieg. Doch je mehr sich die Lage in Israel in den letzten Jahren verschlechterte, desto mehr rückte der Offizier in den Hintergrund.
In Gaza seine Gurus gefeunden
Seine Gurus fand der hochdekorierte Veteran nach dem Krieg nicht in Indien, sondern im Gazastreifen. Nach dem Militärdienst, Anfang der 1980er Jahre zog Ben Arieh mit seiner Frau Dina in das Kibbuz Kiryat Schmoneh, wo er kurze Zeit später zum Vorsitzenden gewählt wurde. Bereits als kritischer Offizier glaubte er daran, dass er die palästinensischen Nachbarn genau kennen lernen müsse, um in Friedenszeiten mit ihnen kommunizieren zu können. Die Arbeit im Kibbuz als Entwickler für landwirtschaftliche Geräte bot ihm diese Gelegenheit. Sie führte Ben Arieh oft in den nahegelegenen Gazastreifen. Dort traf er auf die palästinensischen Handwerksmeister Abu Ibrahim und Abu Schaufik, die traditionelle landwirtschaftliche Werkzeuge und Gebrauchsgegenstände aus Holz und Ton herstellten und von denen er fünf Jahre lang lernte.
Handwerker Abu Ibrahim in den 1980er Jahren – Ben Ariehs Lehrmeister für Holzverarbeitung
„Abu Ibrahim und Abu Schaufik waren selbst Außenseiter, da sie Kunst und Spiritualität über Tradition oder politische Ideologie stellten. Ich habe bewusst versucht, dieses tiefe Erlebnis in Israel zu vermitteln. Doch ich wurde nie ernst genommen. Heute stehen meine Kunstwerke in ganz Israel, einschließlich einiger Siedlungen, und keiner weiß, dass mein Schaffen auf dem basiert, was ich in Gaza lernte. Ihre Handfertigkeit und Geschicklichkeit, gepaart mit Bescheidenheit, innerer Ruhe, Freundlichkeit und Würde faszinierten mich. Sie waren wie Zen-Meister, ohne jemals von Zen gehört zu haben. Einfache, würdevolle Menschen, die voller Hilfsbereitschaft und Demut ganz im Moment lebten.“
Sich selbst und anderen helfen
Ben Arieh hat seine Lehrmeister seit dem Ausbruch der ersten Intifadah 1987 nicht mehr gesehen. Er sitzt zu Hause vor dem Computerbildschirm und schaut sich alte Schwarzweiss-Bilder an. Plötzlich hat er Tränen in den Augen, fängt an zu schwitzen und fühlt sich unwohl. So viel habe er seit langem nicht mehr über die Vergangenheit geredet, sagt er und bittet darum, das Interview am nächsten Morgen fortzusetzen.
Abu Shaufik in seiner Tonwerkstatt in
Khan Younis im Gazastreifen
Die großen Skulpturen, die sich wie natürlich gewachsene Gebilde in die Landschaft einfügen, wirken Vertrauen einflössend und vermitteln gleichzeitig Respekt vor dem Unbekannten. Als Inspiration dienen Wesen aus dem Tierreich und Formen der Pflanzenwelt, enthalten sind aber auch Elemente traditioneller landwirtschaftlicher Arbeitsgeräte, aus denen merkwürdige Spielzeuge entstehen. Sie wecken das Kind im Erwachsenen und bringen Kinder zum intuitiven Spielen und Nachdenken.
Zu Toleranz inspirieren
„Als Künstler spüre ich den Drang, eine konstruktive Perspektive anzubieten. Ich möchte einen Raum in der Umwelt schaffen, dessen Gebrauch die Erfahrung, lebendig zu sein, intensiviert, und zu Glück, Toleranz und Verständnis inspiriert. Neben den Aspekten gemeinsamer deutsch-jüdisch-palästinensischer Erinnerung und Zukunft glaube ich, dass dies das Potential bietet, als Beispiel für Versöhnung zwischen Menschen ganz gleich welcher Herkunft dazustehen, selbst dann, wenn sie sich auf gegenüberliegenden Seiten einer gewaltsamen und auch grausamen Erinnerung befinden.“
In Israel hatte Ben Arieh Erfolg mit seinen Skulpturenparks, halb Kunst, halb Spielplätze, die in zahlreichen Städten wie Tel Aviv, Cholon, Beersheba, Modiin und Jerusalem zu finden sind. Er baute unter anderem auch Kunst-Spielplätze an sozialen Brennpunkten wie Jaffa und Lod. Jedoch hütete er sich davor, kontroverse Themen wie Konflikt- und Holocaust-Erinnerung anzusprechen. „Die israelische Gesellschaft ist noch nicht bereit dafür“ sagt Ben Arieh. „Mit solch einem, recht politischen, Ansatz hätte ich mir während der letzten Jahre in Israel viele Türen verschlossen. Doch in Deutschland herrscht Offenheit, und ich möchte die Idee später zurück nach Israel holen.“
Interesse jetzt auch in Deutschland
Nun beginnen auch deutsche Gemeinden und Sponsoren, sich für seine Ideen zu interessieren. Der Oberbürgermeister von Stuttgart, Dr. Wolfgang Schuster, hat Ben Arieh zum 7. März 2009 zu einer detaillierten Präsentation eingeladen. Die Stuttgarter Kulturbürgermeisterin Dr. Susanne Eisenmann begründet: „Uns hat Ben Ariehs Konzept vom „Park des Lebens“, einem interaktiven Spiel- und Skulpturenpark, sehr beeindruckt. Kunst, Erholung, Spiel und Austausch passen hervorragend zum Modernisierungsprojekt Stuttgart 21.“ Auch die Stadt Weimar, zuständig für die Gedenkstätte Buchenwald, hat Interesse daran geäußert, Ben Arieh zu treffen, was der beharrlichen Vorarbeit seiner UnterstützerInnen in Deutschland zu verdanken ist.
Die Stuttgarter Managementberaterin Christa von Winsen und die Esslinger Galeristin Dr. Susanne Lüdkte werden Anfang 2009 einen Förderverein gründen, um die Entwürfe von Ben Arieh zu finanzieren. Einflussreiche Schwaben aus Wirtschaft und Politik haben bereits zugesagt, für das nötige Startgeld von 25.000 Euro zu sorgen. Bislang werden Ideen zu „interreligiösen“ Spielkunst-Plätzen an zwei Orten in Stuttgart eruiert: Am Neckarufer gegenüber der Wilhelma, und auf der Grünfläche am Stuttgarter Max-Eith-See, einem problematischen Stadtteil.
Bereits im April 2007 stellte Dr. Lüdtke in der Galerie „Kunst im Heppächer“, der ehemaligen Synagoge von Esslingen am Neckar, die heute als Galerie und Ort des Austausches dient, Ben Ariehs Modelle aus. Im Sommer 2007 organisierte sie den Workshop „Kunst spricht alle Sprachen“, gefördert von der Stadt Esslingen, für Kinder mit Migrationshintergrund. Dort baute Ben Arieh zusammen mit den Kindern Modelle für einen Spielplatzentwurf, was so erfolgreich war, dass Dr. Lüdtke sich kurze Zeit später mit von Winsen zusammentat: „Wir hoffen, dass Ben Arieh seine Vision vom Park des Lebens in Deutschland in Kürze verwirklichen wird!“ (PK)
Fotos: Archiv Ben Arieh
Online-Flyer Nr. 181 vom 21.01.2009
Druckversion
NEWS
KÖLNER KLAGEMAUER
FILMCLIP
FOTOGALERIE