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Lokales
Pappnasen - Folge 2
Die Brööder
Von Charlie Schulze

Sie wären nicht die Nachfolger von BAP, stellten sie gleich bei ihren ersten Interviews klar. Zwar war der damalige Kapellmeister von BAP ihr Produzent, aber diese galten 1991 schon als seichtes Auslaufmodell und die junge Kölsch-Band wollte härter sein als alles bisher Dagewesene, was vor allem ihr Sänger mit permanentem, bei manchem Zuhörer Halsweh erzeugendem Geschrei dokumentierte. Ansonsten tat sich Peter Brings neben einer gepflegten Schläger-Attitüde durch eher schlichte Formulierungen hervor, seinen Bruder Stefan im Schlepptau, letzterer harmloser scheinend und in seinen verbalen Äußerungen wenn möglich noch eine Spur schlichter.

Ein nicht ganz neues Melodiechen
Ein nicht ganz neues Melodiechen
Cover-Foto: Brings



Das wundert nur diejenigen, denen auch der Vater der beiden, Rolly Brings, ein Begriff ist. Der Gymnasiallehrer a.D. und Liedermacher ist für inhaltlichen Tiefgang sowie eine glänzende Rhetorik bekannt und geht überall als Intellektueller durch. Unter seiner Regie hatten die Brüder musiziert, bevor sie vermutlich als Akt der Emanzipation ihre Rockband gründeten. Dass sie dabei einige Lieder des Vaters mitschleiften und in verrockten Versionen zu eigenen umdeklarierten, störte offenbar niemanden und soll auch unser Problem nicht sein (dass es beim Kölschrocker Diskrepanzen zwischen schriftlichem und verbalem Vermögen geben kann, kannte das Publikum bereits von anderen Vertretern).

In diesem Familienerbe liegt auch die Nähe zur Antifa- und Rock-gegen-rechts-Szenerie begründet, in der sich die Brüder tummelten und dort recht peinlich und flach wirkten, aber dem Kölner ist alles eins, solange die Stimmung stimmt - und so waren sie dann auch beim unsäglichen Arsch-Huh-Zirkus volle Röhre dabei, gleichsam der kölsche Kleister zwischen ihrem Vater Rolly, der die ganze Sache einmal gut gemeint haben mag, und der Absahner-Fraktion vom Schlage Niedecken, die ein weiteres Event der allgemeinen lokalen Selbstzufriedenheit mit Bierbuden und Großbühnen daraus schmiedete. Gerne und regelmäßig wurde die Band dann auch vom DGB gebucht, und selbst hier waren sie nicht wirklich deplaziert, denn die Gebrüder Brings entsprechen vermutlich ziemlich genau dem, was sich ein bräsiger Gewerkschafts-Funktionär unter echten Proletariern vorstellen mag.

Kaum thematisiert, aber nicht uninteressant sind zwei andere Mitspieler der Gruppe, die fortan unter dem Namen Brings firmierte, und deren familiäre Hintergründe. Zum einen spielt Kay Engel, Sohn des großen Tommy, die Keyboards, zum anderen sitzt Christian Blüm am Schlagzeug, ein Sohn auch er. Das ist für sich genommen nichts Unlauteres und schmälert nicht das Können des betreffenden Musikers - im Zusammenhang bröckelt aber etwas der Nimbus der knallharten Arbeiterklasse-Kapelle von ganz unten, via Demotape entdeckt, die Legende vom kreativen Köln nährend - es könnte auch der reine Klüngel gewesen sein, um ein anderes Klischee dagegen zu halten.

Skandälchen - vom EXPRESS mitinszeniert
Skandälchen - vom EXPRESS mitinszeniert
Cover-Foto: Brings



Dennoch, grob über den Daumen und die üblichen Showbiz-Lügen außer Acht gelassen, wirkten die Brüder durchaus glaubwürdig, sie rockten und brüllten sich ein beachtliches Publikum zusammen, wurden sogar über Köln hinaus bekannt und mit ihren Fans älter: zwei einfache Jungs, die nicht viel auf dem Kasten haben, aber "es" trotzdem "geschafft", so provinziell-legendär, so bundesweit tourend, so wunderbar.

Aber dann, ob gezielt oder zufällig, werden wir nicht endgültig klären können, landeten die härtesten aller Kölschrocker im zehnten Jahr ihrer Karriere mit einer Polka einen Hit im Karneval und wurden damit wirklich reich und berühmt - was ihnen persönlich gegönnt sei, sie aber auch endgültig als profil- und schamlose Ranschmeißfliegen und einzig karriereorientierte, beliebig einsetzbare Stimmungskanonen, Dumpf- und Pappnasen outete. Auch das ist nicht mehr als gerecht - wirklich verbrochen haben sie allerdings einen Horror, der auf den Namen "Moderner Karneval" hört.

Nehmen wir "Superjeile Zick". Ein nicht ganz neues Melodiechen, mit osteuropäischem Schwung umgesetzt, der Text zwar altbewährt-blöde, aber auch diffus neu: Ein auf den ersten Blick tatsächlich eher erfreulicher Karnevalshit, nimmt man die tranigen Mitklatscher der Konkurrenz zum Maßstab. Und genau hier liegt gleichzeitig das Grauen begründet: Diese Mischung aus irgendwie-folkloristischer Partymusik und den kölsch-beliebig vor sich hin blubbernden Phrasen in sentimental-resignativem Grundton (nä, wat wor dat fröher... träne in dä Aure... zoröck...), soweit ein harmloser Vertreter mundartlicher Stimmungsmusik. Aber der Text ist dadurch, dass am Anfang eine "Tüüt aan" geht und es gegen Ende zu "schneie" anfängt, mit einer urban-rebellodiden Tünche überzogen, die dem Song, seinem Sinn und Gebrauch widerspricht und einen zynischen Unterton anklingen lässt. Sollten die Brüder zu Satirikern gewachsen sein? Es ist eher zu vermuten, dass ihnen die Sache todernst war.

In der ersten Session waren sie noch völlig aufgescheucht vom eigenen Erfolg und verstiegen sich in entschuldigenden Erklärungsversuchen: ob es denn nicht die Revolution bedeuten würde, wenn karnevalistische Würdenträger Lieder mitsängen, die illegale Drogen zum Inhalt hätten? Gleichzeitig verwahrte sich der Schreihals vollmundig, das "Gerücht", er würde kiffen sei "Quatsch."

Was zunächst als bestverkäufliches Missverständnis daherkam, schnell wurde es zum Rezept: Peter Brings, bisher eher mit eingeöltem Oberkörper und finsterem Blick auf schön ausgeleuchteten Schwarzweißbildern zu sehen, posierte in vollem Jecken-Ornat mit Funkenmariechen, und schon waren die Rocker auf die Rolle der Nachwuchskarnevalisten abonniert, die nächste Polka wurde ins Rennen geschickt und der Rest sehr vorhersehbar: die Singleauskopplungen der folgenden Alben erschienen jeweils zum 11. 11., messerscharf durchkalkulierte Kleinskandälchen im Vorfeld ("darf man im Karneval "poppe" singen?") wurden vom EXPRESS begeistert mitinszeniert, wenn nicht der zuständige Redakteur sowieso schon beim Texten Pate stand... - Leichtfüßiger ist auch in Köln selten die Schamgrenze passiert worden.

Ein 32 Jahre alter Heuler
Ein 32 Jahre alter Heuler
Cover-Foto: Brings



Immerhin ihr erstes Versprechen, nicht die zweiten BAP zu werden, haben sie gehalten. In gewissem Sinn sind sie eher in den natürlich viel zu großen Stapfen der Bläck Fööss unterwegs: von der ambitionierten Rockkapelle zum routinierten Abschunkler, des Geldes wegen vielleicht zunächst, später dann nur noch, um irgendwie dabeizubleiben. In Köln darf man damit sehr alt werden und seinen jeweiligen Band-Kadaver alljährlich auf die Bühne hieven, man wird, wenn schon nicht gebraucht, dann aber wenigstens irgendwann mit allem durchgelassen... Und so spielen sie nun Polka und ziehen als freche moderne Karnevalskapelle durch die Säle. Der Schreihals schreit nicht mehr ganz so schlimm, dafür ist ihm das Armeschwenken zur Reflexgeste geworden, die er auch vor demonstrierenden Arbeitslosen und Rentnern nicht abgestellt bekommt.

Das Problem aller erfolgreichen Pappnasen ist, dass sie ab einem bestimmten Quantum Selbstbesoffenheit nicht nur gar nichts mehr mit-, sondern auch den Hals partout nicht mehr voll kriegen: Schon wurde zur Fußball-WM die nächste, diesmal möglichst bundesweite Schleimerei ausgeheckt: Brings haben den 32 Jahre alten Heuler "Fußball ist unser Leben" neu aufgenommen und sind damit schon für diverse TV-Spektakel gebucht. "Die Jungs" prophezeite der EXPRESS den satt 40jährigen Familienvätern, hätten nun die Chance, noch einmal wirklich und diesmal richtig "groß rauszukommen".


Online-Flyer Nr. 33  vom 28.02.2006

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