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Globales
Mafiös: über Ausbeutung mit Todesfolge im Süden Italiens
Sklavenarbeit in Europa
Von Jürgen Roth

„La terra promessa“ – das gelobte Land schien für viele Wanderarbeiter und Erntehelfer aus Polen dort zu sein, wo die Tomaten reifen, die zu den besten der Welt gehören, die aus Foggia. La terra promessa liegt in Apulien, am Stiefelabsatz Italiens, Hoheitsgebiet der Sacra Corona Unita, der apulischen Mafia. Die Gegend gilt als das Gemüseanbaugebiet Nummer eins in Italien. Nachdem einheimische Arbeitskräfte entweder nicht vorhanden oder für die Landwirte und Großgrundbesitzer zu kostspielig waren, öffnete Italien – wie andere europäische Länder – seine Grenzen, um billige Arbeitskräfte anzulocken.

Seitdem herrscht ein grenzenloser und teilweise tödlicher Arbeitsvermittlungsmarkt. Die Ernte läuft unter unmensch­lichen Bedingungen ab und mehr als jeder zweite Landwirt rund um Foggia beschäftigt illegale Erntehelfer. „Die Arbeiter werden wie Sklaven gehalten und zwar von denjenigen Landwirten, die gleichzeitig EU-Subventionen erhalten“, klagte Stephen Huges, ein britischer EU-Abgeordneter. „Aber es ist nicht alleine ein itali­enisches Problem.“

Tomatenfabrik Foto: Goldlocki
In der Tomatenfabrik | Foto: Goldlocki

Am Straßenrand liegt die verkohlte Leiche eines 45-jährigen Mannes, nicht weit davon entfernt stirbt ein 25jähriger Pole an seinen Kopfverletzungen, nachdem er von einem Auto überfahren wurde. In einem verlassenen Schweinestall wird die Leiche eines verbrannten Mannes entdeckt. Um seinen Hals hängt sein Pass. Er kam aus Polen. Ein 35jähriger Litauer stirbt durch Er­stickung, andere Erntehelfer aus Polen sind wegen unbehandelter Krankheiten elend krepiert. „Vielleicht hängt diese Krankheit mit schlechten Arbeitsbe­dingungen zusammen“, meinte ein Carabinieri. Geschätzt wird, dass jährlich rund Tausend in Polen oder in ande­ren osteuropäischen Ländern angewor­bene Erntehelfer Sklavenarbeit auf süditalienischen Plantagen leisten. Untergebracht sind sie in primitiven Unterkünften, die von der Staatsanwaltschaft in Bari als „Lager sowjetischen Charakters“ be­zeichnet wurden.

Die Arbeiter und Arbeiterinnen mussten auf der nackten Erde schlafen oder in primitiven Zelten. Flüchten konn­ten sie nicht, da bewaffnete „Capos“, häufig Polen oder Ukrainer, sie stän­dig im Auge behielten. Wer zu flüch­ten versuchte, wurde erschossen oder brutal zusammengeschlagen. Als ein Arbeiter es wagte, unerlaubt in der Stadt einzukaufen, wurde ihm mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen, einem anderen „unbotmäßigen“ Arbeiter wurden beide Arme gebrochen. Andere sind an Erschöpfung gestorben und wurden irgendwo auf den Feldern ver­scharrt. Frauen wurden vergewaltigt und teilweise zur Prostitution gezwungen. Und noch immer werden polnische Arbeiter vermisst.

Tomatenernte ist Akkordarbeit...
Tomatenernte im Akkord und unter Bewachung

Befürchtet wird, dass sie ermordet wurden. In einem abgehörten Telefongespräch ist folgendes protokolliert: „Ich gehe jetzt ins Feld. Ich lasse nicht zu, dass sie sich so verhalten. Ich habe gesagt, dass ich heute einen oder zwei töten werde, um ein Exempel zu statuieren,“ Der Capo hatte erfahren, dass einige Arbeiter flüchten wollten.

Ein Vertreter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen sagte zu diesen Zuständen: „Ich habe nicht erwartet, so etwas in Italien anzutreffen. Die Situation bewegt sich am Rand einer Notlage, wie wir sie zum Beispiel im Kongo oder in Angola antreffen.“ Der Einsatz osteuropäischer Erntehelfer ist ein blühendes Geschäft in einer Region, in der nichts ohne die Duldung durch die regionalen Mafiafürsten der Sacra Corona Unita möglich ist. Die Capos sind häufig – wie ihre Opfer – Osteuropäer, Caporali genannt. Sie leisten die Schmutzarbeit für die italienischen Landwirte. Ein bestimmter Prozentsatz ihrer Einnahmen muss an die örtlichen Mafiafamilien abgefüh­rt werden.

Eines dieser Arbeitslager bei Foggia, in denen sie quasi Gefangene waren, um Tomaten zu ernten, wurde im Sommer 2006 von der Polizei gestürmt – aber erst nachdem der polnische Honorarkonsul massiv Druck auf die örtlichen Behörden ausgeübt hatte. Auf die Frage, warum die Polizei in Foggia bislang nichts gegen die Sklavenhalter unternommen habe, erklärten Zeugen, dass sie bei der Polizei zwar um Hilfe nachsuchen wollten, aber Angst bekamen, als sie dort die gleichen Gesichter sahen, die mit den Capos ihres Arbeitslagers zusammengearbeiteten.

Villa comunale Foggia Foto: EttoreTimi
Verschlafenes Foggia: Werden absichtlich Augen zugedrückt?!
Foto: EttoreTimi

Die Carabinieri befreiten neunzig Po­len und fünfzehn Slowaken aus dem Arbeitslager. Das Gelände war mit Sta­cheldraht umzäunt und durch bewaffnete Capos bewacht. Bei ihrer Anwerbung in polnischen Zeitungen wurde ihnen ein Lohn von sechs bis sieben Euro pro 200 Kilo geernteter Tomaten ver­sprochen. Anstelle des versprochenen Lohns erhielten sie drei Euro pro Tag für Einkäufe in den umliegenden Ortschaften. Die Arbeitszeit reichte von vier Uhr am frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein. Wer nicht gehorchte, wurde brutal zusammengeschlagen. Flucht war unmöglich, auch weil ihnen die Reisepapiere abgenommen worden waren und sie kein Italienisch sprachen.

Für jede Kleinigkeit mussten die Arbei­terinnen und Arbeiter aus Polen zahlen. Die Fahrt zum Tomatenfeld kostete 1,50 Euro, die Unterkunft in einer fensterlosen Baracke 5,50 Euro pro Tag, wahlweise 15 Euro pro Woche im Zelt. Als Nah­rung erhielten sie Wasser und Brot, für das sie ebenfalls bezahlen mussten. Bereits in Polen hatten die Arbeiter 50 Euro für die Vermittlung und 200 Euro für die Busfahrt von Warschau nach Süditalien gezahlt – sie wollten ihrer Armut ent­kommen. Im Juni 2007 griffen die Carabinieri erneut zu. Diesmal befreiten sie 113 polnische Arbeiterinnen und Arbeiter. Zeitgleich wurden fünfzehn Verdächtige, davon elf Polen verhaftet. Der itali­enische Untersuchungsrichter beschul­digt sie der Teilnahme an einer Verbrecherbande mafiösen Charakters.

Erdbeerplfücker in Griechenland Foto: Giannis Diakos
Anderswo: ganz ähnliche Verhältnisse unter Erdbeerplfückern
(in Griechenland) | Foto: Giannis Diakos

Der Run nach billigen Arbeitskräften, ihre Vermittlung, ob in Italien, Spanien oder anderswo, ist ein Geschäftsfeld sowohl skrupelloser Geschäftemacher wie der Mafia gleichermaßen. Nichts unterscheidet sie in ihrer Skrupellosigkeit. Werden diese kriminellen Machenschaf­ten aufgedeckt, greift der „demokratische Rechtsstaat“ ein. Der hat jedoch die­se Form der Ausbeutung durch die enthemmte Liberalisierung des gesam­ten Wirtschaftssystems erst ermög­licht. Das nutzen jene aus, die das archaische Klientelsystem der Mafia vielleicht nicht geklont, aber viel­mehr perfektioniert haben. (CH)


Jahrbuch Menschenrechte 2008 Suhrkamp Cover
                                          
Der Artikel erschien ursprünglich in „Business Crime Control“, Ausgabe 4-2008

Buchtipp zum Thema Sklavenarbeit in Europa:
Deutsches Institut für Menschenrechte:
Deile, Volkmar; Hutter, Franz-Josef; Kurtenbach, Sabi­ne; Tessmer, Carsten (Hrsg.):
„Jahrbuch Menschenrechte 2008.
Schwerpunkt: Sklaverei heute.“
Frankfurt: suhrkamp, 2008.
341 Seiten, 12 Euro



Startbild: Graphik von Christian Heinrici unter Verwendung von Fotos von Kurt F. Domnik und Damian Konietzny (pixelio.de)

Online-Flyer Nr. 189  vom 18.03.2009

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