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Aktuelles
Rückkehr des Feudalismus - Richter als Marketinginstrumente?
Justiz nach Gutsherrenart
Von Klaus Lindner und Michael Krämer
Roswitha Müller-
Piepenkötter –
CDU-Justiz-
ministerin NRW
Quelle: www.
justiz.nrw.de
Das Problem
Neben merkwürdigen, fast neofeudalistisch anmutenden Marketingaktivitäten wie "Tradition und Kooperation im Stiftungsland Niedersachsen" (HAZ-Beilage v. 05.05.2009) wird seit Jahren ohne gesetzliche Grundlage die "Gerichtliche Mediation nach dem Braunschweiger/Göttinger Modell" propagiert - und in Göttingen auch praktiziert: Jede zivilrechtliche Klage geht - ohne dass die Parteien vorher gefragt werden - an einen "Richtermediator", der den Parteien nahelegt, sie sollten ihren Konflikt doch selbst gütlich lösen, das sei doch sinnvoller und billiger. Im Klartext: "Vertragt Euch gefälligst, der Rechtsstaat ist uns zu teuer" (1a).
Die Rechtslage
Feststeht, dass es bis heute eine Rechtsgrundlage für die gerichtliche Mediation (lat. Vermittlung) nach dem genannten Modell nicht gibt: Die Arbeiten von Spindler, Wimmer sowie der Kommentar von Kissel zum Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) (1b) geben einen Überblick über den Stand der rechtspolitischen Diskussion. Sogar Masterarbeiten und Dissertationen zu dem Thema schießen wie Pilze aus dem Boden, werfen nach Lektüre jedoch teilweise die Frage auf, ob sie den Kriterien neutraler ergebnisoffener wissenschaftlicher Arbeiten standhalten(2). Auf der Basis traditioneller juristischer Methodenlehre ist von dem durch das Grundgesetz vorgegebenen Richterberufsbild auszugehen. Unter seriösen Volljuristen kann es eigentlich auch keine Diskussion darüber geben, dass die ohnehin schon nachgebesserte Verfahrensvorschrift des § 278 II, V ZPO, mithin einfaches Recht nicht höherrangiges Verfassungsrecht ändern kann. Ohne entsprechende Verfassungsänderung kann der gesetzliche Richter nicht partiell im Rahmen der „Gerichtlichen Mediation“ von der Bindung an Gesetz und Recht freigestellt werden.
Kein Fallmanager nach Gutsherrenart
Erst recht darf er die Verfahrensmodalitäten nicht nach soziologischen, psychologischen, esoterischen und sonstigen, völlig unbestimmten Kriterien außerhalb einer öffentlichen Kontrolle selber festlegen, die er ggf. in Verbindung mit Mediationshelfern „bei Kaffee und Keksen“ unter Ausschluß der Öffentlichkeit in der Art eines "Fallmanagers nach Gutsherrenart" moderiert. (3) Bei Doktorandin Lucia Beck (4) liest sich dies etwa so: Die Mediation lebt vom Ungeregelt-Sein, vom Im-Fluß-Sein, von der kybernetischen Art und Weise, Probleme anzupacken; das würde, wenn man dies wieder einschnürt in einem Gesetzestext, eher verlorengehen oder geringer werden. - Derartige gerichtsinterne „kybernetische Schlichtertätigkeiten“ des Richters ohne Bindung an Recht und Gesetz sind auch nach § 4 II Deutsches Richtergesetz (DRiG) verboten und nicht genehmigungsfähig. Ohne Verfassungsänderung darf ein Richter nicht einmal die Bezeichnung „Richtermediator“, „Gerichtsmediator“ o. ä. führen, weil § 19 a DRiG dem Richter - entsprechend seinem verfassungsrechtlichen Berufsbild - auch die Berufsbezeichnung „Richter“ vorschreibt und keine zusätzliche gestattet, die suggeriert, er habe eine weitere außergesetzliche Schlichterfunktion, die gerade nicht zulässig ist. Dem „Deal“ im stillen Kämmerlein unter Ausschluß der Öffentlichkeit steht nicht nur im Strafprozeß, sondern auch in allen anderen prozessualen Verfahrensarten (ZPO, VwGO, SGG, FGO, ArbGG usw.) das aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 I GG) folgende Prinzip der Sicherstellung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung entgegen, welches von den oberen Gerichtshöfen garantiert werden soll. Die Umgehung dieser in Deutschland verfassungs- und richterrechtlich eindeutigen Regelungen ausgerechnet durch eine kleine Gruppe von Gerichtspraktikern, die sich verbotenerweise "Richtermediatoren" nennen, mittels Mediationsaktivitäten aus dem wenig vorbildlichen Rechtssystem der USA ist verfassungsrechtlich verboten und dürfte mindestens dienstrechtlich, möglicherweise aber auch strafrechtlich zu ahnden sein. Selbst eine sog. Rechtsfortbildung im Hinblick auf die Einführung einer „neuen“, US- amerikanischen Streitkultur contra legem hätte Art. 100 GG - Vorlagepflicht an das deutsche Bundesverfassungsgericht - zu beachten (5) Den Ansinnen weniger Justizministerien und Gerichtspräsidenten, die - aus zweifelhaften Gründen (dazu mehr weiter unten) - ohne gesetzliche Grundlage die Gerichtliche Mediation teilweise bereits eingeführt haben (z.B. in Göttingen), muß die deutsche Richterschaft im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Bindung an Gesetz und Recht entgegentreten und ihre Mitwirkung remonstrierend verweigern. Eine als Organ der Rechtspflege ebenfalls dem deutschen Rechtsstaat verpflichteter Anwalt darf ebenfalls Änderungen der Streitkultur a la USA nicht unterstützen. Letzeres umso mehr, als in aufwändiger Werbeaktion der Deutsche Anwaltsverein z. Zt. dafür wirbt, den Einfluß angloamerikanischer Vertragsgestaltung in Deutschland wieder zurückzudrängen, nachdem mit sog. Crossborderleasing-Verträgen im Rahmen von PPP-Projekten bundesweit die Kommunen auf die Nase gefallen sind. Denn sie hatten die dicken englischsprachigen Vertragswerke weder lesen noch verstehen können.
Warum soll die deutsche Streitkultur in eine amerikanische geändert werden, und wem nützt das?
Gebetsmühlenartig wird von denselben, medienbeeinflussenden Kreisen verbreitet, man brauche eine "Änderung der Streitkultur". Hierfür werden sogar teure Seminare in Luxushotels abgehalten mit vielen Adeligen und Prominenten als Förderern der "Neuen Streitkultur", http://www.fernuni-hagen.de/oerv/institute/webseite/index.html, (6). Eine politische Diskussion in den dafür zuständigen deutschen Verfassungsorganen hat dagegen nicht stattgefunden, geschweige denn eine neutrale, ergebnisoffene Rechtstatsachenforschung, sowie darauf basierend eine rechtswissenschaftliche verfassungsrechtliche Überprüfung gegeben.
Vorstoß von Niedersachsens Ministerin Heister-Neumann
Nur das Land Niedersachsen, aus welchem initiativ auch die „Gerichtliche Mediation nach dem Braunschweiger/Göttinger Modell“ kommt (7), hat im Jahre 2007 versucht, durch den niedersächsischen Landtag mittels eines entsprechenden Gesetzesentwurfs die außergerichtliche Mediation auf eine bis heute nicht vorhandene gesetzliche Grundlage zu stellen (8). Der Versuch der bis heute umstrittenen Ministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) (9) ist jedoch im Landtag über das Entwurfstadium nicht hinausgekommen, weil das Land Niedersachsen für Bundesgesetzgebung gar nicht zuständig ist. Gleichwohl propagieren und praktizieren die OLG-Präsidenten Braunschweig, Isermann, und Celle, Götz von Olenhusen, ihr Modell der gerichtsinternen Mediation, als ob es den verfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt (10) nicht gebe und versuchen damit, Fakten zu schaffen. Das Göttinger Tageblatt berichtete bereits am 28.04.2006 "Gerichtsmediation vom Land verkannt/Isermann: Göttinger Erfolgsmodell nimmt Lauf durch deutsche Justiz!" (11) Isermann und Wimmer (12) beschreiben diese besondere Art des Faktenschaffens als „kleine Justizreform von Gerichtspraktikern“, ohne allerdings zu sagen, auf welcher Rechtsgrundlage diese Aktivitäten außerhalb der dritten Gewalt und im Zuständigkeitsbereich des Bundesgesetzgebers erfolgt ist. Einer Pressemitteilung des OLG Braunschweig vom 27.02.2009 zufolge, die gleichlautend mit der des niedersächsischen Justizministeriums im Internet steht, haben angeblich von 24 Oberlandesgerichten bereits 16 das Mediationsmodell übernommen/eingeführt. Dies alles ohne hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage. Es scheint sich daher eine Art "Justizoligarchie" durch kybernetisch agierende Gerichtspräsidenten etabliert zu haben.
Justizministerin
Niedersachsens -
Elisabeth Heister-
Neumann (CDU)
Quelle: www.
justizportal.
niedersachsen.de
Spätestens jetzt stellt sich die Frage, ob und ggf. welcher Bedarf überhaupt für die „Gerichtliche Mediation nach dem Braunschweiger/Göttinger Modell“ bestand/besteht bzw., ob ein solcher erst erzeugt werden soll: Die Geschäftsführerin des Deutschen Anwaltvereins, Angelika Rüstow, hat sich in einem aktuellen Beitrag dazu geäußert, dass - unabhängig vom Fehlen der gesetzlichen Grundlage - der Bedarf für gerichtliche Mediationslösungen nach Eintritt der Rechtshängigkeit sehr gering ist und ohne weiteres durch die vorhandene Regelung de § 278 II ZPO - gütlicher Einigungsversuch in jeder Lage des Verfahrens durch den Streitrichter - erledigt werden kann(13). Härting (14) bezeichnet zutreffend das Modell als „alten Wein in neuen Schläuchen“. Die Absurdität der geforderten "Änderung der Streitkultur" in der Arbeitsgerichtsbarkeit, in der seit Jahren die Güteverhandlung vor dem Vorsitzenden obligatorisch und oft erfolgreich ist, bringt der VorsRiLAG Andreas Busemann auf den Punkt: Schon objektiv besteht dort für die Einführung der gerichtsinternen Mediation kein Handlungsbedarf (15). Wer hat also ein Interesse daran, gleichwohl rechtspolitische Änderungen - „Einführung einer neuen Streitkultur“ - am Gesetzgeber vorbei durch einen kleinen Kreis von Gerichtspraktikern durch Faktenschaffen durchzusetzen?
Gerichtliche Mediation als Marketingkonzept?
Gibt man im Rahmen einer google-Recherche als Suchwort etwa ein „centrale – für- mediation“ oder ähnliches, erscheinen umfangreich Privatfirmen, die Aus- und Fortbildungsseminare mit zugehörigem Begleitmaterial anbieten. Weitere Recherchen der Autoren haben ergeben, dass sich in den letzten Jahren Strukturen gebildet haben, die offenkundig dazu dienen, nicht nur einen Markt für derartige Aus- und Fortbildungsseminare für Richter- und Anwaltsmediatoren zu schaffen, sondern auch durch ein sogenanntes Netzwerk von Richtermediatoren im Wege mutmaßlich abgestimmten Verhaltens die Einführung des Modells durch Faktenschaffen/Umsetzung in der gerichtlichen Praxis am Bundesgesetzgeber vorbei durchzusetzen(16).
Federführend nun Justizministerium NRW
Organisatorisch federführend im Rahmen dieses Netzwerks scheint nunmehr das Justizministerium NRW zu sein. Auf dessen Webseite finden sich aufschlussreiche Hinweise darauf, dass die Gerichtliche Mediation zumindest teilweise Bestandteil einer privatwirtschaftlichen Marketingstrategie ist mit dem Ziel, einen "Markt für freie Mediatoren" zu schaffen, für den es bis dato keine nennenswerte Nachfrage gibt. In der sogenannten Masterarbeit von Vanessa Sepke "Mediatoren im Wettbewerb - Unter welchen Voraussetzungen sich ein Markt für freie Mediatoren entwickeln kann" (2008) (17) finden sich so aufschlussreiche Erkenntnisse wie, ein echter Mediationsmarkt (Angebot und Nachfrage von Mediationsleistungen gegen Entgelt) habe sich noch nicht etabliert; ferner nehme die Justiz die Rolle eines Katalysators bei der Etablierung eines Mediationsmarktes ein, und eine gesetzliche Regelung würde "diese Problematik mit einem Federstrich beseitigen"(18). Hierzu beruft sich die Arbeit auf einen Vortrag des Präsidenten des LG Göttingen Klaus Henning "Mediation im Gericht - Irrtum oder ideale Idee?“ (19) Als spiritus rector dieser zweifelhaften Marktschaffungstrategien hinter dem Justizministerium NRW kann derzeit die Ostwestfalen Lippe Marketing GmbH, Bielefeld, ausgemacht werden, zu deren Förderkreis illustre Wirtschaftsunternehmen wie die Bertelsmann AG, die Dr. August Oetker KG, die E.ON Westfalen Weser AG, die KPMG AG u.a. gehören.
Es scheint also derzeit so zu sein, dass von Privatfirmen im Profitinteresse eine Art Durchgangsmarkt für die eigentlich überflüssige Aus- und Fortbildung von Richtermediatoren geschaffen wurde/wird, die eigentlich nur Marktöffnungsfunktion haben sollen, um einen neuen Markt für freie Mediatoren zu schaffen. Dies soll erfolgen, obwohl weder eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage vorhanden ist, noch auch nur die Lerninhalte der Ausbildungsmethoden in einem politischen Diskurs erörtert worden sind, und die Justiz zweifelsfrei kraft Verfassung nicht dazu instrumentalisiert werden darf, neue Absatzmärkte zu schaffen.
Einflussnahme von Serviceclubs
Naheliegend ist auch, dass mit der Instrumentalisierung der Justiz zu Marketingzwecken, insbesondere der zivilen Spruchrichter und deren Umfunktionieren zu Richtermediatoren als Marktöffner für "freie Mediatoren" noch ein weiteres, politisches Ziel verfolgt wird: Maßgebliche Initiatoren der Gerichtsinternen Mediation sind auch sogenannte Serviceclubs wie Rotary, Lions u. ä., denen die mediationsforderenden Gerichtspraktiker angehören, z. B. der frühere OLG-Präsident Braunschweig Manfred Flotho (Mitglied RotaryClub Wolfenbüttel), als (Mit-) Schöpfer der "Gerichtsinternen Mediation nach dem Braunschweiger/Göttinger Modell", ferner sein Mitstreiter OLG-Präsident Celle, Götz von Olenhusen (Mitglied RotaryClub Göttingen). In Thüringen sind der Präsident des Landgerichts Gera, Granderath Mitglied eines Rotary -Clubs, der Präsident des Landesarbeitsgerichts Kotzian-Marggraf Mitglied eines Lions-Clubs. Spätestens seit der "Zumwinkel-Affäre“ um die Verwendung der Millionenauflagen, in deren Rahmen sich der Bochumer Ltd. Ober-/Generalstaatsanwalt dienstlich für die Verwendung der Gelder im Sinne (s)eines Rotary-Clubs stark gemacht hatte (20), stellt sich die Frage der Vereinbarkeit richterlicher/staatsanwaltlicher leitender Tätigkeit mit einer Mitgliedschaft in solchen Serviceclubs. Kraft Vereinsverfassung schreiben diese Clubs den Mitgliedern nämlich auch im beruflichen Bereich "freundschaftliches Verhalten" gegenüber anderen Mitgliedern vor. Dies dürfte mit dem Neutralitätsgebot der Justiz (Staatsanwaltschaften, Gerichte) unvereinbar sein.
Feudale Förderung ?
Nicht uninteressant ist schließlich, wer sich sonst noch für die Gerichtsinterne Mediation stark macht, insbesondere welche Prominente den "Einzug einer neuen Streitkultur" anläßlich eines Symposions des Contarini -Instituts der privaten Fernuniversität Hagen unterstützen (21): Ihre Hoheit Dr. Gabriele Inaara Begum Aga Khan, neben ihr auf dem Sofa der niedersächsische Justizstaatsekretär Dr. Oehlerking, ferner die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch. Die Direktorin des Contarini-Instituts für Mediation, Prof. Dr. Katharina von Schlieffen, rundet das Bild dieser Prominenz ab, der sich die bayrische Justizministerin Dr. Merk prompt in einer Pressemitteilung angeschlossen hat - immerhin mit der Einsicht, dass es derzeit keine Rechtsgrundlage für die Gerichtsinterne Mediation gibt, dass aber in der neuen Legislaturperiode ab 10/2009 eine bayrische Bundesratsinitiative erfolgen soll (22).
Zweifelhafte neofeudale Wissenschaft
Vor diesem Hintergrund ist auch nicht mehr verwunderlich, wenn der Sohn des früheren Präsidenten des VG Freiburg Joachim von Bargen, eines langjährigen Verfechters der Gerichtsinternen Mediation (23), Jan Malte von Bargen in seiner Dissertation aus 2008 "Gerichtsinterne Mediation - Eine Kernaufgabe der rechtsprechenden Gewalt“ im Vorwort zu seinem Werk namentlich aufführt, welche Praktiker einschließlich seines Vaters - allesamt bekannte Verfechter der ungesetzlichen Gerichtsinternen Mediation - ihm - Zitat - als unerfahrenem juristischen Theoretiker bei seiner "wissenschaftlichen" Arbeit geholfen haben (24). Diese neue Art von Wissenschaft könnte zum aktuellen Skandal aus der Stadt die Wissen schafft - Göttingen - passen. Dort sollen mit Scheinprojekten Forschungssubventionen erschwindelt worden sein (25).
Gesetzwidrige Gerichtspraxis am Göttinger Modellgericht
Vor diesem - ebenso ungesetzlichen wie wenig wissenschaftlichen, fast neofeudalen - Hintergrund erklärt sich auch die nachstehend beispielhaft nach einem aktuellen Anwaltsbericht aus erster Hand geschilderte Gerichtspraxis beim „Modellgericht“, dem Landgericht Göttingen, welches angeblich so erfolgreich im Rahmen der Gerichtsinternen Mediation sein soll:
In allen Zivilprozessen (AG, LG) meldet sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit ein sog. Richtermediator per Formschreiben bei den Parteien/RAen und teilt mit, der Streitrichter habe ihm, dem Mediator, die Prozeßakte zwecks Prüfung eines Mediationsverfahrens zugeleitet. Eine vorherige Rückfrage des Streitrichters bei den Parteien, ob man mit der Weitergabe der Akte an den Richtermediator einverstanden sei, findet idR – so auch im Beispielsfall - nicht statt. Stimmt eine Partei der Mediation zu, lehnt die andere aber ab, weil sie rechtlich die bessere Position zu haben glaubt und eine streitige Entscheidung wünscht, passiert folgendes: Weil die Mediation nicht zustandekommt, beraumt der Streitrichter Verhandlungstermin an und kritisiert den Anwalt, der die Mediation abgelehnt hat, im Beisein seiner Partei: Er werde schon sehen, was er davon habe. Am Anwalt vorbei redet der Streitrichter alsdann auf die Partei ein, jetzt müsse im Streitverfahren ein viel teurer Vergleich abgeschlossen werden. Wenn dies nicht geschehe, werde dies für die Partei durch ein für sie negatives Urteil noch viel teurer. So bedrängt und stocksauer auf den eigenen Anwalt, der die Mediation abgelehnt hat, lässt sich die Partei zur gerichtlichen Vergleichsprotokollierung "bewegen". Welche massiven, auch strafrechtlichen und zivilrechtlichen Haftungsprobleme sich aus diesem nicht untypischen Ablauf ergeben, liegt auf der Hand.
Staatshaftung für Duldung gesetzwidriger Gerichtspraxis ?
Die Weitergabe der Prozeßakte durch den Streitrichter an den „Richtermediator“ ohne vorheriges Einverständnis der Parteien dürfte den Straftatbestand des § 203 Abs. 2 Nr.1 StGB erfüllen, da der Streitrichter Amtsträger i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 2 a) StGB ist, dem mit dem Prozeßstoff private Geheimnisse anvertraut sind. Einem rechtlichen Nullum, dem ungesetzlichen Richtermediator, darf er jedenfalls ohne vorherige Zustimmung der Partei aber deren Privatangelegenheiten nicht offenbaren (26).
Zivilrechtlich kommen auf das Land, welches derartige gesetzwidrige Verfahrensweise auch nur duldet, erhebliche Schadensersatzansprüche unter dem Gesichtspunkt unterlassener Complianceprüfung/-überwachung zu (27). Der Anwalt, der sich – wie im Beispielsfall - nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage in der besseren Position für seine Partei glaubt, muß ihr zu einer streitigen Entscheidung raten, andernfalls er sich nach der Rechtsprechung des BGH schadensersatzpflichtig macht. Der Anwalt darf deshalb vom Streitrichter nicht für sein pflichtgemäßes Verhalten, d.h. die Ablehnung der Mediation, abgestraft werden. Die Partei, die ohne hinreichende Belehrung vom Streitrichter in einem solchen rechtsstaatswidrigen, weil auch unfairen Verfahren zum Vergleich gezwungen wird, kann diesen nach §§ 119, 123, 839 I, III BGB anfechten und nachträglich ein ordnungsgemäßes Verfahren und Schadensbeseitigung aus dem Gesichtspunkt der Staatshaftung verlangen.
Zwischenergebnis:
Die gerichtliche Mediation ohne hinreichend bestimmte gesetzliche Regelung schafft nach alledem mehr Rechtsprobleme, als sie der Rechtspflege nützt. Sie ist schon deshalb gemeinwohlschädlich, mithin verfassungswidrig.
Personalpsychologische Probleme
Gänzlich unerörtert geblieben sind bisher die personalpsychologischen, den Arbeitsplatz des Richters, seine Fortbildung und last but not least die Bewertung seiner Arbeit durch die Justizverwaltung unter diesen Umständen der „neuen Streitkultur“ betreffenden Probleme:
Unlauterer Karrierewettbewerb
Erfahrene ältere Richter dürften wissen, dass sie sich ohne gesetzliche Grundlage nicht einmal Richtermediator, Gerichtsmediator oder ähnlich nennen (§ 19 a DRiG) und wegen § 4 II DRiG auch nicht losgelöst von der Bindung an Gesetz und Recht gerichtsintern als Schlichter o. ä. fungieren dürfen. Sie müssten gegenüber dem Dienstherrn remonstrieren und die Mitwirkung an derartigen gesetzwidrigen Justizaktivitäten verweigern. Wie Befragungen der Autoren ergeben haben, ist die Richterschaft in der Frage der „neuen Streitkultur“ gespalten, entsprechend ist auch das Betriebsklima.
Zu recht hat Aring (28)darauf aufmerksam gemacht, dass mit der Gerichtsinternen Mediation und der Teilnahme daran gesetzwidrige Beförderungsanreize z. B. gegenüber jüngeren, karrierebewußten Richtern geschaffen werden, wenn die Teilnahme mit Beförderung belohnt wird.
Blitzkarriere mit Signalwirkung
In Niedersachsen wird dies besonders deutlich: Als (Mit-)Erfinder der bis heute gesetzwidrigen „Gerichtlichen Mediation nach dem Braunschweiger/Göttinger Modell“ wird öffentlich in den Medien immer wieder seit Jahren der vormalige Richter am Landgericht Göttingen, Wolfgang Scheibel, herausgestellt, der erklärtermaßen wegen seines Engagements für das gesetzwidrige Modell eine erstaunliche Karriere gemacht hat: Geburtsjahrgang 1959, bis 2/2006 Richter am LG Göttingen, ab 01.03.2006 Direktor des Amtsgerichts Göttingen, ab 01.09.2008 Präsident des Landgerichts Braunschweig. Im Programm des Anwaltsblatts für den Anwaltstag ist Scheibel wieder als Leiter der Diskussionsgruppe "Mediation" herausgestellt (29). Wann wird er OLG-Präsident in Braunschweig? Die Parallele zu Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen drängt sich in diesem Zusammenhang auf. Die Vorbildwirkung der Justiz ist die einer Bananenrepublik.
Diskriminierung gesetzestreuer Richter
Die Signalwirkung der karrieremäßigen Belohnung des Engagements für ein gesetzwidriges Projekt schadet nicht nur dem Ansehen der Justiz, sondern schafft auch böses Blut zwischen der älteren und der jüngeren Richterschaft. Was soll ein altgedienter gesetzestreuer Richter davon halten, wenn jüngere Richterkollegen wegen der Teilnahme an der gesetzwidrigen Gerichtsinternen Mediation im Schnellverfahren an ihm vorbeibefördert werden? Es wird dadurch ein psychischer Mitmachzwang erzeugt, sich an dem Modell zu beteiligen, wenn man nicht karrieremäßig ins Hintertreffen geraten will. Dadurch entsteht eine Frust erzeugende Zweiklassen-Richterschaft: Streitrichter mit Zugehörigkeit als Richtermediator zum Mediationspool und Nur-Streitrichter. Letztere werden personalpsychologisch unter Verstoß gegen Art. 3 I GG durch diese Situation diskriminiert, weil sie de facto wegen ihrer Gesetzestreue abgestraft werden.
Bewertungskriterien richterlicher Arbeit
Nach welchen - kaum faßbaren, kybernetischen, im Fluß befindlichen - Kriterien unter diesen Umständen noch die Bewertung der richterlichen Arbeit durch die Justizverwaltung erfolgen soll, ist völlig ungeklärt. Da es keine greifbaren Kriterien gibt, unter welchen Voraussetzungen Streitfälle überhaupt als mediationsgeeignet beurteilt werden, ferner für das Mediationsverfahren Regeln überhaupt fehlen (sollen), käme als Bewertungskriterium lediglich das Ergebnis - „Verfahrenserledigung, egal wie“ im Wege des Benchmarkings a la Bertelsmannstiftung - in Betracht oder eine Supervision durch einen weiteren Richter/Beamten der Justizverwaltung. Auch insoweit ist alles - auch beamtenrechtlich - ungeklärt.
Richterliche Fortbildung
Problematisch ist auch, wie Streitrichter und „Mediationsrichter“ sich pflichtgemäß und sachgerecht fortbilden sollen. Die einfachste Lösung dürfte sein, dass nur noch Fortbildung im Hinblick auf gerichtliche Mediation stattfindet, weil dies vordergründig die höchste Arbeitsentlastung und Kosteneinsparung verspricht. Die fachliche Fortbildung auf speziellen und/oder neuen Rechtsgebieten bliebe auf der Strecke - es sei denn, es wird zweispurig ausgebildet mit entsprechender Kostensteigerung. Abgesehen davon ist kein Richter in der Lage, ständig zwischen rechtlich sauber subsumierendem Streitrichter und Mediationsrichter, bei dem „alles im Fluß“ ist, mental hin und herzuschalten - mit der Folge, dass Rechtsanwendungsfehler vorprogrammiert sind. Mit verfassungsgemäßer Justizgewährung nach Gesetz und Recht hat dies nichts mehr zu tun. Mediation ist deshalb historisch betrachtet ein Rückschritt hin zu materiell-irrationaler Rechtschöpfung durch "erwählte" Fallmanager, die das ihnen zugewiesene Budget nach Gutsherrenart verteilen, ohne an rechtliche Vorgaben gebunden zu sein (30).
Gesundheitsschädliches Grauzonenklima
Dieser Zustand schafft weitere Probleme, die das Modell bei Licht besehen auch als personalpsychologisch untauglich und deshalb beamtenrechtswidrig erscheinen lassen. Ein von Marketing - und/oder Karrieregesichtspunkten freies, unabhängiges richterliches Arbeiten erscheint unmöglich, wenn sich die Richterschaft - wie oben dargelegt - zum Marketinginstrument für einen freien Mediatoren- und entsprechenden Ausbildungsmarkt umfunktionieren lässt. Die medizinpsychologischen Auswirkungen dieses Grauzonenklimas in einer eigentlich der Neutralität und Rechtsicherheit verpflichteten Justiz sind bis dato weder hinreichend erforscht/dokumentiert, noch zuverlässig abzusehen. Feststeht, dass die Grauzone „Gerichtsinterne Mediation“ sehr viel Streß produzieren wird.
Ergebnis:
Die Frage „cui bono“ - wem nützt es? - stammt zwar aus dem Sprachschatz der Kriminalisten, passt hier aber durchaus. Denn wie aufgezeigt werden so mutmaßlich strafrechtlich relevante Verhaltensweisen ausgerechnet in der Justiz praktiziert, die zur Aushebelung der Gewaltenteilung, d.h. der Demokratie führen. Wenn uns angesichts der aufkeimenden sozialen Spannungen nicht auch die Justiz um die Ohren fliegen soll, muß das Modell "Gerichtsinterne Mediation" von Privatisierungstendenzen im neofeudalen Profitinteresse befreit und bis zur Vorlage eines Parlamentsgesetzes bundesweit ausgesetzt werden. Deshalb zur Vertiefung zwei Buchempfehlungen (Neuerscheinungen): "Trojanisches Marketing – Mit unkonventioneller Werbung zum Markterfolg“ (31) und "Die verblödete Republik – Wie uns Medien, Wirtschaft und Politik für dumm verkaufen“. (32). Marketing ist jedoch keinesfalls Kernaufgabe der rechtsprechenden Gewalt! (PK)
Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung, Verbreitung oder Veröffentlichung nur mit vorheriger Erlaubnis der Autoren.
Klaus Lindner betreibt in Rosdorf/Göttingen eine Kanzlei für Mediation, Controlling u. Korruptionsermittlung; Michael Krämer ist Vorsitzender einer Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Mühlhausen
1 a) vgl. Jan Precht, Justizcontrolling, Diss.Hamburg, 2007, S.179 ff.
1 b) Zuletzt Spindler, Mediation – Alternative zur justizförmigen Streiterledigung und rechtspolitischer Handlungsbedarf, DVBl. 2008, 1016 m. Nachw.; Wimmer/Wimmer, Verfassungsrechtliche Aspekte richterlicher Mediation, NJW 2007, 3243 m. Nachw.; Kissel, GVG, 5. Aufl., 2008, Einl. Rdr. 137 f.
2) vgl. von Bargen, Malte, Gerichtsinterne Mediation; Eine Kernaufgabe der rechtsprechenden Gewalt: Diss. Freiburg 2008; Volkmann, Judith, Mediation im Zivilprozeß, Diss. Göttingen 2006; Beck, Lucia, Mediation und Vertraulichkeit, Diss. München, 2008;
3) vgl. Schmidt – Räntsch, DRiG, 6. Aufl., 2008, § 4 Rdr. 34 m. Nachw.
4) so auch Mayen, Kernaufgaben der Justiz, DRiZ 2005, 223 ff.; Aring, Gerichtsnahe Mediation – Gesetzesgehorsam oder Kotau vor dem Zeitgeist?, Mitt.Blatt Nds. Richterbund, 2006, S. 59 ff.
5) vgl. Beck, aaO. S. 319
6) vgl. Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl., Art. 20, Rdr. 42 m. Nachw.; BVerfGE 84, 212/266 f.; 88, 103/116; 96, 375/394;
7) vgl. aaO. Rdr. 137 m. Nachw.
8) Der frühere niedersächsische Justizminister u. Kriminologieprofessor Christian Pfeiffer hatte die Mediation aus dem US -amerikanischen caselaw -System mitgebracht und mit Hilfe seines Büroleiters RiLG Wolfgang Scheibel politisch forciert; Göttinger Tageblatt v. 14.03.2007: "Streitschlichtung per Mediation ist bald Gesetz"; Susanne Kirchhoff, ZKM 2007, 138 ff.
9) Landtags Drucksache 15/3708 v. 17.04.2007
10)vgl. Göttinger Tageblatt, aaO.
11) Nach Wikipedia: Der verfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt besagt, dass alle Entscheidungen, die von substantiellem Gewicht für das Gemeinwesen sind, eine direkte parlamentarische Zustimmung brauchen und nicht der Entscheidung anderer Organe der Staatsgewalt anvertraut werden dürfen.
12) vgl. Göttinger Tageblatt v. 28.04.2006
13) vgl. Buchrezension zur Dissertation Malte von Bargen, aaO: Wimmer, NJW aktuell Heft 9/2008, S. XXII; dazu kritisch: Krämer, NJW aktuell Heft 12/2009, S. XX; Lindner NJW aktuell Heft 12, S, XX
14) vgl. Rüstow, Neue Justiz, 2008, 385 ff., ähnlich auch Greger, in ZKM 2007, 142 f.
15 ) vgl. Härting, Für eine mediationsferne Justiz, AnwBl. 2007, S. 700: "This is not Amerika: Jeglicher Vergleich zu den Erfahrungen in den USA hinkt…"; 16) vgl. Busemann, Überlegungen zur gerichtsinternen Mediation im arbeitsgerichtlichen Verfahren, Arbeit und Recht 2009, S. 118 ff.
16)vgl.www.justiz.nrw.de/Online_verfahren_projekte/projekte/modelle_Owl/Netzwerk.de
17) Zu diesem Netzwerk gehört auch die Firma a.s.k.- Osnabrück, die für Mecklenburg-Vorpommern eine Evaluationsstudie erstellt hat, welche von der ThyssenStiftung bezahlt wurde, weil das Land dazu nicht die Mittel hatte!
18)vgl.www.justiz.nrw.de/Online_verfahren_projekte/projekte/modelle_Owl/Netzwerk.de
19)vgl. Sepke, aaO., S. VII
20)vgl. Henning, http://cdl.niedersachsen.d/blob/images/C34883173_L20pdf
21)vgl. FOCUS Heft 4/2009, S.27 ff.; SPIEGEL, Heft 3/2009, S.30 ff.;
22)vgl. www.fernuni-hagen.de/oerv/institute/webseite/body_index.html
23)vgl. PresseMitt. Bayr. Justizministerium vom 28.03.2009: www2.justiz.bayern.de; www.karriere-jura.de/newsletter/bericht272.htm
24)vgl.nur von Bargen, Joachim, NVBl. 2004, 475; dazu auch von Olenhusen, ZKM 2004, 105; Koch, NJ 2005, 99
25) vgl. von Bargen, Jan Malte, aaO., S.VII/VIII
26)Im Einzelnen dazu: Beck, aaO., S. 120 ff, die auch eine evtl. Strafbarkeit nach § 353 b StGB sieht; daneben könnten die Tatbestände der §§ 266, 339 iVm. § 129 StGB in Betracht kommen.
27)vgl. Dölling, Handbuch der Korruptionsbekämpfung, 2007, S. 411 m. Nachw.
28) vgl. Aring, Gerichtsnahe Mediation – Gesetzesgehorsam oder Kotau vor dem Zeitgeist?, Mitt.Blatt Nds. Richterbund, 2006, S. 59 ff.
29) vgl. Programm - Beilage zum Anwaltsblatt 2009, Heft 3,
30)vgl. Spellbrink, VRiBSG, DRiZ 2006, 88 ff.
31) Anlanger/Engel, Trojanisches Marketing, 2008, Haufe-Verlag;
32) Wieczorek, Die verblödete Republik, 2009, Knaur
Online-Flyer Nr. 197 vom 16.05.2009
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Das Problem
Neben merkwürdigen, fast neofeudalistisch anmutenden Marketingaktivitäten wie "Tradition und Kooperation im Stiftungsland Niedersachsen" (HAZ-Beilage v. 05.05.2009) wird seit Jahren ohne gesetzliche Grundlage die "Gerichtliche Mediation nach dem Braunschweiger/Göttinger Modell" propagiert - und in Göttingen auch praktiziert: Jede zivilrechtliche Klage geht - ohne dass die Parteien vorher gefragt werden - an einen "Richtermediator", der den Parteien nahelegt, sie sollten ihren Konflikt doch selbst gütlich lösen, das sei doch sinnvoller und billiger. Im Klartext: "Vertragt Euch gefälligst, der Rechtsstaat ist uns zu teuer" (1a).
Die Rechtslage
Feststeht, dass es bis heute eine Rechtsgrundlage für die gerichtliche Mediation (lat. Vermittlung) nach dem genannten Modell nicht gibt: Die Arbeiten von Spindler, Wimmer sowie der Kommentar von Kissel zum Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) (1b) geben einen Überblick über den Stand der rechtspolitischen Diskussion. Sogar Masterarbeiten und Dissertationen zu dem Thema schießen wie Pilze aus dem Boden, werfen nach Lektüre jedoch teilweise die Frage auf, ob sie den Kriterien neutraler ergebnisoffener wissenschaftlicher Arbeiten standhalten(2). Auf der Basis traditioneller juristischer Methodenlehre ist von dem durch das Grundgesetz vorgegebenen Richterberufsbild auszugehen. Unter seriösen Volljuristen kann es eigentlich auch keine Diskussion darüber geben, dass die ohnehin schon nachgebesserte Verfahrensvorschrift des § 278 II, V ZPO, mithin einfaches Recht nicht höherrangiges Verfassungsrecht ändern kann. Ohne entsprechende Verfassungsänderung kann der gesetzliche Richter nicht partiell im Rahmen der „Gerichtlichen Mediation“ von der Bindung an Gesetz und Recht freigestellt werden.
Kein Fallmanager nach Gutsherrenart
Erst recht darf er die Verfahrensmodalitäten nicht nach soziologischen, psychologischen, esoterischen und sonstigen, völlig unbestimmten Kriterien außerhalb einer öffentlichen Kontrolle selber festlegen, die er ggf. in Verbindung mit Mediationshelfern „bei Kaffee und Keksen“ unter Ausschluß der Öffentlichkeit in der Art eines "Fallmanagers nach Gutsherrenart" moderiert. (3) Bei Doktorandin Lucia Beck (4) liest sich dies etwa so: Die Mediation lebt vom Ungeregelt-Sein, vom Im-Fluß-Sein, von der kybernetischen Art und Weise, Probleme anzupacken; das würde, wenn man dies wieder einschnürt in einem Gesetzestext, eher verlorengehen oder geringer werden. - Derartige gerichtsinterne „kybernetische Schlichtertätigkeiten“ des Richters ohne Bindung an Recht und Gesetz sind auch nach § 4 II Deutsches Richtergesetz (DRiG) verboten und nicht genehmigungsfähig. Ohne Verfassungsänderung darf ein Richter nicht einmal die Bezeichnung „Richtermediator“, „Gerichtsmediator“ o. ä. führen, weil § 19 a DRiG dem Richter - entsprechend seinem verfassungsrechtlichen Berufsbild - auch die Berufsbezeichnung „Richter“ vorschreibt und keine zusätzliche gestattet, die suggeriert, er habe eine weitere außergesetzliche Schlichterfunktion, die gerade nicht zulässig ist. Dem „Deal“ im stillen Kämmerlein unter Ausschluß der Öffentlichkeit steht nicht nur im Strafprozeß, sondern auch in allen anderen prozessualen Verfahrensarten (ZPO, VwGO, SGG, FGO, ArbGG usw.) das aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 I GG) folgende Prinzip der Sicherstellung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung entgegen, welches von den oberen Gerichtshöfen garantiert werden soll. Die Umgehung dieser in Deutschland verfassungs- und richterrechtlich eindeutigen Regelungen ausgerechnet durch eine kleine Gruppe von Gerichtspraktikern, die sich verbotenerweise "Richtermediatoren" nennen, mittels Mediationsaktivitäten aus dem wenig vorbildlichen Rechtssystem der USA ist verfassungsrechtlich verboten und dürfte mindestens dienstrechtlich, möglicherweise aber auch strafrechtlich zu ahnden sein. Selbst eine sog. Rechtsfortbildung im Hinblick auf die Einführung einer „neuen“, US- amerikanischen Streitkultur contra legem hätte Art. 100 GG - Vorlagepflicht an das deutsche Bundesverfassungsgericht - zu beachten (5) Den Ansinnen weniger Justizministerien und Gerichtspräsidenten, die - aus zweifelhaften Gründen (dazu mehr weiter unten) - ohne gesetzliche Grundlage die Gerichtliche Mediation teilweise bereits eingeführt haben (z.B. in Göttingen), muß die deutsche Richterschaft im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Bindung an Gesetz und Recht entgegentreten und ihre Mitwirkung remonstrierend verweigern. Eine als Organ der Rechtspflege ebenfalls dem deutschen Rechtsstaat verpflichteter Anwalt darf ebenfalls Änderungen der Streitkultur a la USA nicht unterstützen. Letzeres umso mehr, als in aufwändiger Werbeaktion der Deutsche Anwaltsverein z. Zt. dafür wirbt, den Einfluß angloamerikanischer Vertragsgestaltung in Deutschland wieder zurückzudrängen, nachdem mit sog. Crossborderleasing-Verträgen im Rahmen von PPP-Projekten bundesweit die Kommunen auf die Nase gefallen sind. Denn sie hatten die dicken englischsprachigen Vertragswerke weder lesen noch verstehen können.
Warum soll die deutsche Streitkultur in eine amerikanische geändert werden, und wem nützt das?
Gebetsmühlenartig wird von denselben, medienbeeinflussenden Kreisen verbreitet, man brauche eine "Änderung der Streitkultur". Hierfür werden sogar teure Seminare in Luxushotels abgehalten mit vielen Adeligen und Prominenten als Förderern der "Neuen Streitkultur", http://www.fernuni-hagen.de/oerv/institute/webseite/index.html, (6). Eine politische Diskussion in den dafür zuständigen deutschen Verfassungsorganen hat dagegen nicht stattgefunden, geschweige denn eine neutrale, ergebnisoffene Rechtstatsachenforschung, sowie darauf basierend eine rechtswissenschaftliche verfassungsrechtliche Überprüfung gegeben.
Vorstoß von Niedersachsens Ministerin Heister-Neumann
Nur das Land Niedersachsen, aus welchem initiativ auch die „Gerichtliche Mediation nach dem Braunschweiger/Göttinger Modell“ kommt (7), hat im Jahre 2007 versucht, durch den niedersächsischen Landtag mittels eines entsprechenden Gesetzesentwurfs die außergerichtliche Mediation auf eine bis heute nicht vorhandene gesetzliche Grundlage zu stellen (8). Der Versuch der bis heute umstrittenen Ministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) (9) ist jedoch im Landtag über das Entwurfstadium nicht hinausgekommen, weil das Land Niedersachsen für Bundesgesetzgebung gar nicht zuständig ist. Gleichwohl propagieren und praktizieren die OLG-Präsidenten Braunschweig, Isermann, und Celle, Götz von Olenhusen, ihr Modell der gerichtsinternen Mediation, als ob es den verfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt (10) nicht gebe und versuchen damit, Fakten zu schaffen. Das Göttinger Tageblatt berichtete bereits am 28.04.2006 "Gerichtsmediation vom Land verkannt/Isermann: Göttinger Erfolgsmodell nimmt Lauf durch deutsche Justiz!" (11) Isermann und Wimmer (12) beschreiben diese besondere Art des Faktenschaffens als „kleine Justizreform von Gerichtspraktikern“, ohne allerdings zu sagen, auf welcher Rechtsgrundlage diese Aktivitäten außerhalb der dritten Gewalt und im Zuständigkeitsbereich des Bundesgesetzgebers erfolgt ist. Einer Pressemitteilung des OLG Braunschweig vom 27.02.2009 zufolge, die gleichlautend mit der des niedersächsischen Justizministeriums im Internet steht, haben angeblich von 24 Oberlandesgerichten bereits 16 das Mediationsmodell übernommen/eingeführt. Dies alles ohne hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage. Es scheint sich daher eine Art "Justizoligarchie" durch kybernetisch agierende Gerichtspräsidenten etabliert zu haben.
Justizministerin
Niedersachsens -
Elisabeth Heister-
Neumann (CDU)
Quelle: www.
justizportal.
niedersachsen.de
Gerichtliche Mediation als Marketingkonzept?
Gibt man im Rahmen einer google-Recherche als Suchwort etwa ein „centrale – für- mediation“ oder ähnliches, erscheinen umfangreich Privatfirmen, die Aus- und Fortbildungsseminare mit zugehörigem Begleitmaterial anbieten. Weitere Recherchen der Autoren haben ergeben, dass sich in den letzten Jahren Strukturen gebildet haben, die offenkundig dazu dienen, nicht nur einen Markt für derartige Aus- und Fortbildungsseminare für Richter- und Anwaltsmediatoren zu schaffen, sondern auch durch ein sogenanntes Netzwerk von Richtermediatoren im Wege mutmaßlich abgestimmten Verhaltens die Einführung des Modells durch Faktenschaffen/Umsetzung in der gerichtlichen Praxis am Bundesgesetzgeber vorbei durchzusetzen(16).
Federführend nun Justizministerium NRW
Organisatorisch federführend im Rahmen dieses Netzwerks scheint nunmehr das Justizministerium NRW zu sein. Auf dessen Webseite finden sich aufschlussreiche Hinweise darauf, dass die Gerichtliche Mediation zumindest teilweise Bestandteil einer privatwirtschaftlichen Marketingstrategie ist mit dem Ziel, einen "Markt für freie Mediatoren" zu schaffen, für den es bis dato keine nennenswerte Nachfrage gibt. In der sogenannten Masterarbeit von Vanessa Sepke "Mediatoren im Wettbewerb - Unter welchen Voraussetzungen sich ein Markt für freie Mediatoren entwickeln kann" (2008) (17) finden sich so aufschlussreiche Erkenntnisse wie, ein echter Mediationsmarkt (Angebot und Nachfrage von Mediationsleistungen gegen Entgelt) habe sich noch nicht etabliert; ferner nehme die Justiz die Rolle eines Katalysators bei der Etablierung eines Mediationsmarktes ein, und eine gesetzliche Regelung würde "diese Problematik mit einem Federstrich beseitigen"(18). Hierzu beruft sich die Arbeit auf einen Vortrag des Präsidenten des LG Göttingen Klaus Henning "Mediation im Gericht - Irrtum oder ideale Idee?“ (19) Als spiritus rector dieser zweifelhaften Marktschaffungstrategien hinter dem Justizministerium NRW kann derzeit die Ostwestfalen Lippe Marketing GmbH, Bielefeld, ausgemacht werden, zu deren Förderkreis illustre Wirtschaftsunternehmen wie die Bertelsmann AG, die Dr. August Oetker KG, die E.ON Westfalen Weser AG, die KPMG AG u.a. gehören.
Es scheint also derzeit so zu sein, dass von Privatfirmen im Profitinteresse eine Art Durchgangsmarkt für die eigentlich überflüssige Aus- und Fortbildung von Richtermediatoren geschaffen wurde/wird, die eigentlich nur Marktöffnungsfunktion haben sollen, um einen neuen Markt für freie Mediatoren zu schaffen. Dies soll erfolgen, obwohl weder eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage vorhanden ist, noch auch nur die Lerninhalte der Ausbildungsmethoden in einem politischen Diskurs erörtert worden sind, und die Justiz zweifelsfrei kraft Verfassung nicht dazu instrumentalisiert werden darf, neue Absatzmärkte zu schaffen.
Einflussnahme von Serviceclubs
Naheliegend ist auch, dass mit der Instrumentalisierung der Justiz zu Marketingzwecken, insbesondere der zivilen Spruchrichter und deren Umfunktionieren zu Richtermediatoren als Marktöffner für "freie Mediatoren" noch ein weiteres, politisches Ziel verfolgt wird: Maßgebliche Initiatoren der Gerichtsinternen Mediation sind auch sogenannte Serviceclubs wie Rotary, Lions u. ä., denen die mediationsforderenden Gerichtspraktiker angehören, z. B. der frühere OLG-Präsident Braunschweig Manfred Flotho (Mitglied RotaryClub Wolfenbüttel), als (Mit-) Schöpfer der "Gerichtsinternen Mediation nach dem Braunschweiger/Göttinger Modell", ferner sein Mitstreiter OLG-Präsident Celle, Götz von Olenhusen (Mitglied RotaryClub Göttingen). In Thüringen sind der Präsident des Landgerichts Gera, Granderath Mitglied eines Rotary -Clubs, der Präsident des Landesarbeitsgerichts Kotzian-Marggraf Mitglied eines Lions-Clubs. Spätestens seit der "Zumwinkel-Affäre“ um die Verwendung der Millionenauflagen, in deren Rahmen sich der Bochumer Ltd. Ober-/Generalstaatsanwalt dienstlich für die Verwendung der Gelder im Sinne (s)eines Rotary-Clubs stark gemacht hatte (20), stellt sich die Frage der Vereinbarkeit richterlicher/staatsanwaltlicher leitender Tätigkeit mit einer Mitgliedschaft in solchen Serviceclubs. Kraft Vereinsverfassung schreiben diese Clubs den Mitgliedern nämlich auch im beruflichen Bereich "freundschaftliches Verhalten" gegenüber anderen Mitgliedern vor. Dies dürfte mit dem Neutralitätsgebot der Justiz (Staatsanwaltschaften, Gerichte) unvereinbar sein.
Feudale Förderung ?
Nicht uninteressant ist schließlich, wer sich sonst noch für die Gerichtsinterne Mediation stark macht, insbesondere welche Prominente den "Einzug einer neuen Streitkultur" anläßlich eines Symposions des Contarini -Instituts der privaten Fernuniversität Hagen unterstützen (21): Ihre Hoheit Dr. Gabriele Inaara Begum Aga Khan, neben ihr auf dem Sofa der niedersächsische Justizstaatsekretär Dr. Oehlerking, ferner die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch. Die Direktorin des Contarini-Instituts für Mediation, Prof. Dr. Katharina von Schlieffen, rundet das Bild dieser Prominenz ab, der sich die bayrische Justizministerin Dr. Merk prompt in einer Pressemitteilung angeschlossen hat - immerhin mit der Einsicht, dass es derzeit keine Rechtsgrundlage für die Gerichtsinterne Mediation gibt, dass aber in der neuen Legislaturperiode ab 10/2009 eine bayrische Bundesratsinitiative erfolgen soll (22).
Zweifelhafte neofeudale Wissenschaft
Vor diesem Hintergrund ist auch nicht mehr verwunderlich, wenn der Sohn des früheren Präsidenten des VG Freiburg Joachim von Bargen, eines langjährigen Verfechters der Gerichtsinternen Mediation (23), Jan Malte von Bargen in seiner Dissertation aus 2008 "Gerichtsinterne Mediation - Eine Kernaufgabe der rechtsprechenden Gewalt“ im Vorwort zu seinem Werk namentlich aufführt, welche Praktiker einschließlich seines Vaters - allesamt bekannte Verfechter der ungesetzlichen Gerichtsinternen Mediation - ihm - Zitat - als unerfahrenem juristischen Theoretiker bei seiner "wissenschaftlichen" Arbeit geholfen haben (24). Diese neue Art von Wissenschaft könnte zum aktuellen Skandal aus der Stadt die Wissen schafft - Göttingen - passen. Dort sollen mit Scheinprojekten Forschungssubventionen erschwindelt worden sein (25).
Gesetzwidrige Gerichtspraxis am Göttinger Modellgericht
Vor diesem - ebenso ungesetzlichen wie wenig wissenschaftlichen, fast neofeudalen - Hintergrund erklärt sich auch die nachstehend beispielhaft nach einem aktuellen Anwaltsbericht aus erster Hand geschilderte Gerichtspraxis beim „Modellgericht“, dem Landgericht Göttingen, welches angeblich so erfolgreich im Rahmen der Gerichtsinternen Mediation sein soll:
In allen Zivilprozessen (AG, LG) meldet sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit ein sog. Richtermediator per Formschreiben bei den Parteien/RAen und teilt mit, der Streitrichter habe ihm, dem Mediator, die Prozeßakte zwecks Prüfung eines Mediationsverfahrens zugeleitet. Eine vorherige Rückfrage des Streitrichters bei den Parteien, ob man mit der Weitergabe der Akte an den Richtermediator einverstanden sei, findet idR – so auch im Beispielsfall - nicht statt. Stimmt eine Partei der Mediation zu, lehnt die andere aber ab, weil sie rechtlich die bessere Position zu haben glaubt und eine streitige Entscheidung wünscht, passiert folgendes: Weil die Mediation nicht zustandekommt, beraumt der Streitrichter Verhandlungstermin an und kritisiert den Anwalt, der die Mediation abgelehnt hat, im Beisein seiner Partei: Er werde schon sehen, was er davon habe. Am Anwalt vorbei redet der Streitrichter alsdann auf die Partei ein, jetzt müsse im Streitverfahren ein viel teurer Vergleich abgeschlossen werden. Wenn dies nicht geschehe, werde dies für die Partei durch ein für sie negatives Urteil noch viel teurer. So bedrängt und stocksauer auf den eigenen Anwalt, der die Mediation abgelehnt hat, lässt sich die Partei zur gerichtlichen Vergleichsprotokollierung "bewegen". Welche massiven, auch strafrechtlichen und zivilrechtlichen Haftungsprobleme sich aus diesem nicht untypischen Ablauf ergeben, liegt auf der Hand.
Staatshaftung für Duldung gesetzwidriger Gerichtspraxis ?
Die Weitergabe der Prozeßakte durch den Streitrichter an den „Richtermediator“ ohne vorheriges Einverständnis der Parteien dürfte den Straftatbestand des § 203 Abs. 2 Nr.1 StGB erfüllen, da der Streitrichter Amtsträger i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 2 a) StGB ist, dem mit dem Prozeßstoff private Geheimnisse anvertraut sind. Einem rechtlichen Nullum, dem ungesetzlichen Richtermediator, darf er jedenfalls ohne vorherige Zustimmung der Partei aber deren Privatangelegenheiten nicht offenbaren (26).
Zivilrechtlich kommen auf das Land, welches derartige gesetzwidrige Verfahrensweise auch nur duldet, erhebliche Schadensersatzansprüche unter dem Gesichtspunkt unterlassener Complianceprüfung/-überwachung zu (27). Der Anwalt, der sich – wie im Beispielsfall - nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage in der besseren Position für seine Partei glaubt, muß ihr zu einer streitigen Entscheidung raten, andernfalls er sich nach der Rechtsprechung des BGH schadensersatzpflichtig macht. Der Anwalt darf deshalb vom Streitrichter nicht für sein pflichtgemäßes Verhalten, d.h. die Ablehnung der Mediation, abgestraft werden. Die Partei, die ohne hinreichende Belehrung vom Streitrichter in einem solchen rechtsstaatswidrigen, weil auch unfairen Verfahren zum Vergleich gezwungen wird, kann diesen nach §§ 119, 123, 839 I, III BGB anfechten und nachträglich ein ordnungsgemäßes Verfahren und Schadensbeseitigung aus dem Gesichtspunkt der Staatshaftung verlangen.
Zwischenergebnis:
Die gerichtliche Mediation ohne hinreichend bestimmte gesetzliche Regelung schafft nach alledem mehr Rechtsprobleme, als sie der Rechtspflege nützt. Sie ist schon deshalb gemeinwohlschädlich, mithin verfassungswidrig.
Personalpsychologische Probleme
Gänzlich unerörtert geblieben sind bisher die personalpsychologischen, den Arbeitsplatz des Richters, seine Fortbildung und last but not least die Bewertung seiner Arbeit durch die Justizverwaltung unter diesen Umständen der „neuen Streitkultur“ betreffenden Probleme:
Unlauterer Karrierewettbewerb
Erfahrene ältere Richter dürften wissen, dass sie sich ohne gesetzliche Grundlage nicht einmal Richtermediator, Gerichtsmediator oder ähnlich nennen (§ 19 a DRiG) und wegen § 4 II DRiG auch nicht losgelöst von der Bindung an Gesetz und Recht gerichtsintern als Schlichter o. ä. fungieren dürfen. Sie müssten gegenüber dem Dienstherrn remonstrieren und die Mitwirkung an derartigen gesetzwidrigen Justizaktivitäten verweigern. Wie Befragungen der Autoren ergeben haben, ist die Richterschaft in der Frage der „neuen Streitkultur“ gespalten, entsprechend ist auch das Betriebsklima.
Zu recht hat Aring (28)darauf aufmerksam gemacht, dass mit der Gerichtsinternen Mediation und der Teilnahme daran gesetzwidrige Beförderungsanreize z. B. gegenüber jüngeren, karrierebewußten Richtern geschaffen werden, wenn die Teilnahme mit Beförderung belohnt wird.
Blitzkarriere mit Signalwirkung
In Niedersachsen wird dies besonders deutlich: Als (Mit-)Erfinder der bis heute gesetzwidrigen „Gerichtlichen Mediation nach dem Braunschweiger/Göttinger Modell“ wird öffentlich in den Medien immer wieder seit Jahren der vormalige Richter am Landgericht Göttingen, Wolfgang Scheibel, herausgestellt, der erklärtermaßen wegen seines Engagements für das gesetzwidrige Modell eine erstaunliche Karriere gemacht hat: Geburtsjahrgang 1959, bis 2/2006 Richter am LG Göttingen, ab 01.03.2006 Direktor des Amtsgerichts Göttingen, ab 01.09.2008 Präsident des Landgerichts Braunschweig. Im Programm des Anwaltsblatts für den Anwaltstag ist Scheibel wieder als Leiter der Diskussionsgruppe "Mediation" herausgestellt (29). Wann wird er OLG-Präsident in Braunschweig? Die Parallele zu Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen drängt sich in diesem Zusammenhang auf. Die Vorbildwirkung der Justiz ist die einer Bananenrepublik.
Diskriminierung gesetzestreuer Richter
Die Signalwirkung der karrieremäßigen Belohnung des Engagements für ein gesetzwidriges Projekt schadet nicht nur dem Ansehen der Justiz, sondern schafft auch böses Blut zwischen der älteren und der jüngeren Richterschaft. Was soll ein altgedienter gesetzestreuer Richter davon halten, wenn jüngere Richterkollegen wegen der Teilnahme an der gesetzwidrigen Gerichtsinternen Mediation im Schnellverfahren an ihm vorbeibefördert werden? Es wird dadurch ein psychischer Mitmachzwang erzeugt, sich an dem Modell zu beteiligen, wenn man nicht karrieremäßig ins Hintertreffen geraten will. Dadurch entsteht eine Frust erzeugende Zweiklassen-Richterschaft: Streitrichter mit Zugehörigkeit als Richtermediator zum Mediationspool und Nur-Streitrichter. Letztere werden personalpsychologisch unter Verstoß gegen Art. 3 I GG durch diese Situation diskriminiert, weil sie de facto wegen ihrer Gesetzestreue abgestraft werden.
Bewertungskriterien richterlicher Arbeit
Nach welchen - kaum faßbaren, kybernetischen, im Fluß befindlichen - Kriterien unter diesen Umständen noch die Bewertung der richterlichen Arbeit durch die Justizverwaltung erfolgen soll, ist völlig ungeklärt. Da es keine greifbaren Kriterien gibt, unter welchen Voraussetzungen Streitfälle überhaupt als mediationsgeeignet beurteilt werden, ferner für das Mediationsverfahren Regeln überhaupt fehlen (sollen), käme als Bewertungskriterium lediglich das Ergebnis - „Verfahrenserledigung, egal wie“ im Wege des Benchmarkings a la Bertelsmannstiftung - in Betracht oder eine Supervision durch einen weiteren Richter/Beamten der Justizverwaltung. Auch insoweit ist alles - auch beamtenrechtlich - ungeklärt.
Richterliche Fortbildung
Problematisch ist auch, wie Streitrichter und „Mediationsrichter“ sich pflichtgemäß und sachgerecht fortbilden sollen. Die einfachste Lösung dürfte sein, dass nur noch Fortbildung im Hinblick auf gerichtliche Mediation stattfindet, weil dies vordergründig die höchste Arbeitsentlastung und Kosteneinsparung verspricht. Die fachliche Fortbildung auf speziellen und/oder neuen Rechtsgebieten bliebe auf der Strecke - es sei denn, es wird zweispurig ausgebildet mit entsprechender Kostensteigerung. Abgesehen davon ist kein Richter in der Lage, ständig zwischen rechtlich sauber subsumierendem Streitrichter und Mediationsrichter, bei dem „alles im Fluß“ ist, mental hin und herzuschalten - mit der Folge, dass Rechtsanwendungsfehler vorprogrammiert sind. Mit verfassungsgemäßer Justizgewährung nach Gesetz und Recht hat dies nichts mehr zu tun. Mediation ist deshalb historisch betrachtet ein Rückschritt hin zu materiell-irrationaler Rechtschöpfung durch "erwählte" Fallmanager, die das ihnen zugewiesene Budget nach Gutsherrenart verteilen, ohne an rechtliche Vorgaben gebunden zu sein (30).
Gesundheitsschädliches Grauzonenklima
Dieser Zustand schafft weitere Probleme, die das Modell bei Licht besehen auch als personalpsychologisch untauglich und deshalb beamtenrechtswidrig erscheinen lassen. Ein von Marketing - und/oder Karrieregesichtspunkten freies, unabhängiges richterliches Arbeiten erscheint unmöglich, wenn sich die Richterschaft - wie oben dargelegt - zum Marketinginstrument für einen freien Mediatoren- und entsprechenden Ausbildungsmarkt umfunktionieren lässt. Die medizinpsychologischen Auswirkungen dieses Grauzonenklimas in einer eigentlich der Neutralität und Rechtsicherheit verpflichteten Justiz sind bis dato weder hinreichend erforscht/dokumentiert, noch zuverlässig abzusehen. Feststeht, dass die Grauzone „Gerichtsinterne Mediation“ sehr viel Streß produzieren wird.
Ergebnis:
Die Frage „cui bono“ - wem nützt es? - stammt zwar aus dem Sprachschatz der Kriminalisten, passt hier aber durchaus. Denn wie aufgezeigt werden so mutmaßlich strafrechtlich relevante Verhaltensweisen ausgerechnet in der Justiz praktiziert, die zur Aushebelung der Gewaltenteilung, d.h. der Demokratie führen. Wenn uns angesichts der aufkeimenden sozialen Spannungen nicht auch die Justiz um die Ohren fliegen soll, muß das Modell "Gerichtsinterne Mediation" von Privatisierungstendenzen im neofeudalen Profitinteresse befreit und bis zur Vorlage eines Parlamentsgesetzes bundesweit ausgesetzt werden. Deshalb zur Vertiefung zwei Buchempfehlungen (Neuerscheinungen): "Trojanisches Marketing – Mit unkonventioneller Werbung zum Markterfolg“ (31) und "Die verblödete Republik – Wie uns Medien, Wirtschaft und Politik für dumm verkaufen“. (32). Marketing ist jedoch keinesfalls Kernaufgabe der rechtsprechenden Gewalt! (PK)
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Klaus Lindner betreibt in Rosdorf/Göttingen eine Kanzlei für Mediation, Controlling u. Korruptionsermittlung; Michael Krämer ist Vorsitzender einer Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Mühlhausen
1 a) vgl. Jan Precht, Justizcontrolling, Diss.Hamburg, 2007, S.179 ff.
1 b) Zuletzt Spindler, Mediation – Alternative zur justizförmigen Streiterledigung und rechtspolitischer Handlungsbedarf, DVBl. 2008, 1016 m. Nachw.; Wimmer/Wimmer, Verfassungsrechtliche Aspekte richterlicher Mediation, NJW 2007, 3243 m. Nachw.; Kissel, GVG, 5. Aufl., 2008, Einl. Rdr. 137 f.
2) vgl. von Bargen, Malte, Gerichtsinterne Mediation; Eine Kernaufgabe der rechtsprechenden Gewalt: Diss. Freiburg 2008; Volkmann, Judith, Mediation im Zivilprozeß, Diss. Göttingen 2006; Beck, Lucia, Mediation und Vertraulichkeit, Diss. München, 2008;
3) vgl. Schmidt – Räntsch, DRiG, 6. Aufl., 2008, § 4 Rdr. 34 m. Nachw.
4) so auch Mayen, Kernaufgaben der Justiz, DRiZ 2005, 223 ff.; Aring, Gerichtsnahe Mediation – Gesetzesgehorsam oder Kotau vor dem Zeitgeist?, Mitt.Blatt Nds. Richterbund, 2006, S. 59 ff.
5) vgl. Beck, aaO. S. 319
6) vgl. Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl., Art. 20, Rdr. 42 m. Nachw.; BVerfGE 84, 212/266 f.; 88, 103/116; 96, 375/394;
7) vgl. aaO. Rdr. 137 m. Nachw.
8) Der frühere niedersächsische Justizminister u. Kriminologieprofessor Christian Pfeiffer hatte die Mediation aus dem US -amerikanischen caselaw -System mitgebracht und mit Hilfe seines Büroleiters RiLG Wolfgang Scheibel politisch forciert; Göttinger Tageblatt v. 14.03.2007: "Streitschlichtung per Mediation ist bald Gesetz"; Susanne Kirchhoff, ZKM 2007, 138 ff.
9) Landtags Drucksache 15/3708 v. 17.04.2007
10)vgl. Göttinger Tageblatt, aaO.
11) Nach Wikipedia: Der verfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt besagt, dass alle Entscheidungen, die von substantiellem Gewicht für das Gemeinwesen sind, eine direkte parlamentarische Zustimmung brauchen und nicht der Entscheidung anderer Organe der Staatsgewalt anvertraut werden dürfen.
12) vgl. Göttinger Tageblatt v. 28.04.2006
13) vgl. Buchrezension zur Dissertation Malte von Bargen, aaO: Wimmer, NJW aktuell Heft 9/2008, S. XXII; dazu kritisch: Krämer, NJW aktuell Heft 12/2009, S. XX; Lindner NJW aktuell Heft 12, S, XX
14) vgl. Rüstow, Neue Justiz, 2008, 385 ff., ähnlich auch Greger, in ZKM 2007, 142 f.
15 ) vgl. Härting, Für eine mediationsferne Justiz, AnwBl. 2007, S. 700: "This is not Amerika: Jeglicher Vergleich zu den Erfahrungen in den USA hinkt…"; 16) vgl. Busemann, Überlegungen zur gerichtsinternen Mediation im arbeitsgerichtlichen Verfahren, Arbeit und Recht 2009, S. 118 ff.
16)vgl.www.justiz.nrw.de/Online_verfahren_projekte/projekte/modelle_Owl/Netzwerk.de
17) Zu diesem Netzwerk gehört auch die Firma a.s.k.- Osnabrück, die für Mecklenburg-Vorpommern eine Evaluationsstudie erstellt hat, welche von der ThyssenStiftung bezahlt wurde, weil das Land dazu nicht die Mittel hatte!
18)vgl.www.justiz.nrw.de/Online_verfahren_projekte/projekte/modelle_Owl/Netzwerk.de
19)vgl. Sepke, aaO., S. VII
20)vgl. Henning, http://cdl.niedersachsen.d/blob/images/C34883173_L20pdf
21)vgl. FOCUS Heft 4/2009, S.27 ff.; SPIEGEL, Heft 3/2009, S.30 ff.;
22)vgl. www.fernuni-hagen.de/oerv/institute/webseite/body_index.html
23)vgl. PresseMitt. Bayr. Justizministerium vom 28.03.2009: www2.justiz.bayern.de; www.karriere-jura.de/newsletter/bericht272.htm
24)vgl.nur von Bargen, Joachim, NVBl. 2004, 475; dazu auch von Olenhusen, ZKM 2004, 105; Koch, NJ 2005, 99
25) vgl. von Bargen, Jan Malte, aaO., S.VII/VIII
26)Im Einzelnen dazu: Beck, aaO., S. 120 ff, die auch eine evtl. Strafbarkeit nach § 353 b StGB sieht; daneben könnten die Tatbestände der §§ 266, 339 iVm. § 129 StGB in Betracht kommen.
27)vgl. Dölling, Handbuch der Korruptionsbekämpfung, 2007, S. 411 m. Nachw.
28) vgl. Aring, Gerichtsnahe Mediation – Gesetzesgehorsam oder Kotau vor dem Zeitgeist?, Mitt.Blatt Nds. Richterbund, 2006, S. 59 ff.
29) vgl. Programm - Beilage zum Anwaltsblatt 2009, Heft 3,
30)vgl. Spellbrink, VRiBSG, DRiZ 2006, 88 ff.
31) Anlanger/Engel, Trojanisches Marketing, 2008, Haufe-Verlag;
32) Wieczorek, Die verblödete Republik, 2009, Knaur
Online-Flyer Nr. 197 vom 16.05.2009
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