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Arbeit und Soziales
Der Super-Retter kommt nie
Krise! – Und der Protest?
Von Tom Adler

Überkapazitäten, Lohnkürzungen, Entlassungen – die Automobilindustrie steckt im Schlamassel. Der Ausweg wäre einfach: Weg von der Fixierung auf das Auto, hin zur Herstellung von sozial- und umweltverträglichen Produkten.

„Eine Region steht auf!“ hieß die Parole am 13. Mai, als rund 18.000 Personen in der Region Stuttgart gegen Lohnabbau und Entlassungen in den Autowerken von Daimler demonstrierten. Am Daimler-Konzernsitz in Stuttgart-Untertürkheim waren nur 3.000 vor das Werkstor gekommen. Dabei arbeiten über 20.000 Personen in diesem Werk – keine überzeugende Machtdemonstration. Warum ist das so? Müsste die Krisensituation  im  Autobau  nicht  wenigstens die Daimler-Angestellten in Massen vors Tor treiben? Greifen  die Parolen nicht genau deren Gefühlslage und Bedürfnisse auf? Das  tun sie zwar. Aber der Kontrast der Parolen zur tatsächlichen  Politik der Daimler-Betriebsratsspitzen ist so krass,  dass  die besten Parolen ihre Wirkung verfehlen.

Denn die Gewerkschaft IG Metall und die  Betriebsratsspitzen, die eigentlich die Interessen der Angestellten vertreten sollten, unterschätzen nach wie vor die  Bedeutung der Glaubwürdigkeit. So verwendete Helmut Lense, der Vorsitzende  des  Untertürkheimer Daimler-Betriebsrats, den Grossteil seiner Redezeit an der Kundgebung dafür, die Vereinbarung zur Arbeitskostensenkung zu rechtfertigen, die wenige Tage vorher mit dem Vorstand abgeschlossen worden war. Diese verordnet der Belegschaft einen Lohnverzicht in Höhe von zwei Milliarden Euro. Genau  dagegen aber  sollte die Region eigentlich am Werkstor demonstrieren ...

Lohnverzicht für Dividende

Mit der Vereinbarung zur Arbeitskostensenkung wurde festgelegt, dass  die Auszahlung der Gewinnbeteiligung fürs Geschäftsjahr  2008  auf  unbestimmte Zeit verschoben wird. Weiter wird allen MitarbeiterInnen, die nicht in Kurzarbeit sind, Lohn und Arbeitszeit um 8,75 Prozent  gekürzt.  Entsprechend  niedriger fällt auch das tariflich festgelegte Urlaubs- und Weihnachtsgeld aus. Für viele Entwicklungs-,  Dienstleistungs- und Verwaltungsbereiche bedeutet das: weniger  Lohn  für  mindestens  die  gleiche Menge Arbeit. Denn Projekte werden kaum gestrichen. Im Gegenzug verzichtet  das  Unternehmen  vorläufig bis Ende Jahr auf betriebsbedingte Kündigungen.


Daimler - Untertürkheim
Foto: Volker Zintgraf / Pixelio

2004  hatte  der  Betriebsrat  schon einmal einem Lohnkostensenkungspaket von 500 Millionen Euro zugestimmt und damit Kündigungen bis 2011 ausschließen wollen. Aber jetzt, wo dieser Kündigungsschutz  gebraucht würde, gilt er doch  nicht  für  die  gesamte  Belegschaft. Damals hatte es bundesweite Protest- und Aktionstage aller Daimler-Belegschaften gegeben. Heute hingegen stellen Gesamtbetriebsrat und Vorstand gemeinsam die Lage des Daimler-Konzerns  als  existenzbedrohlich  dar.  Kein Vorstand konnte die Situation schwärzer malen als die Betriebsratsvorsitzen - den auf den Betriebsversammlungen. Die „Operation Verunsicherung“ hat ihre Wirkung  getan:  Spontane  Gegenwehr gegen die Lohnkürzung ist ausgeblieben. Die breite Ablehnung bis weit in Angestelltenkreise hinein drückt sich bisher  eher  grummelnd  aus als aktiv und kämpferisch.

Die Argumentation der Verunsicherungsstrategen in der Betriebsratsmehrheit offenbart eine  tiefe  Hilflosigkeit. Die Vereinbarung sei wertvoll,  schreiben sie, denn sie organisiere  „wenige Monate Zeit,  um überhaupt die Chance zu haben, das Licht am Ende des Tunnels zu  sehen“. Wäre da ein Licht zu sehen, gäbe es einen Grund für eine Zwei-Milliarden-Lohnkürzung? Hätte man nicht vielleicht über eine spätere Rückzahlung diskutieren können? Stattdessen  stimmte  der  Aufsichtsrat der Ausschüttung einer Dividende von insgesamt  600  Millionen  Euro  an  die Aktionäre zu. Ein Verzicht auf  Dividendenausschüttung war in der Vergangenheit in Unternehmen mit existenziellen Problemen ein unbeliebter, aber logischer Vorgang. Damit blieb immerhin der Schein eines unternehmerischen Risikos „für die Aktionäre gewahrt.

Bildung statt Autos

Zeit gewinnen, um das Licht am Ende des Tunnels sehen zu können» – was meinen die Betriebsratsspitzen mit dieser Formel? Die Autoindustrie hat weltweit Überkapazitäten von 25 bis 30 Prozent aufgebaut, auch im Luxussegment. Die  brachliegenden Kapazitäten verhindern Profitraten in den geforderten Größenordnungen, sorgen für schlechte  Performance, schlechte  Aktienkurse und schlechte Konditionen, um Geld zu leihen.  Bevor sich daran etwas ändert, müssen die Überkapazitäten vernichtet werden. Ist also „Zeit gewinnen“ nur eine wolkige Umschreibung für die Hoffnung,  dass  andere  schneller über die Klinge springen und es dann im „eigenen“ Laden wieder bergauf geht? Wofür  also  „Zeit  gewinnen“?  Und was tun in der Zwischenzeit? Denn die Situation wird sich voraussichtlich nicht verbessern,  die Konjunktur der Autoindustrie nicht so schnell  anspringen. Der deutsche Verband der Automobilindustrie rechnet sogar mit fünf Jahren Flaute, bis die Überkapazitäten und mit ihnen die Arbeitsplätze vernichtet sind. „Zeit  gewinnen“  müssten die Gewerkschaften also, um Konzepte gegen die Arbeitsplatzvernichtung  zu  formulieren und vertraglich zu verankern. Denn die wird auf die Tagesordnung gesetzt werden. Und die Gewerkschaften sind mit ihrer bisherigen Orientierung dafür denkbar schlecht gewappnet. Da ist  zu  viel  falsche  Annäherung  an  die SPD  im  Polit-Casting  „Deutschland sucht den Super-Retter“.

Die Gewerkschaften  hoffen auf  deren Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl im  Herbst. Tatsächlich setzt die SPD politisch  auf  ein  „Weiter  so!“ und  hat als Regierungspartei seit 1994 maßgeblich dazu beigetragen, die Zustände herbeizuführen, die sie jetzt angeblich bekämpfen will. Bei allen strategisch  wichtigen Themen führt die Orientierung an der SPD die Gewerkschaften in die  Sackgasse: Arbeitszeitverkürzung   mit Lohnausgleich  –  kein  Thema. Umverteilung von oben nach  unten  –  kein  Thema. 100-Milliarden-Konversionsfonds  zum  ökologischen Umbau von Produkten und Produktion, wie von der Partei Die.Linke gefordert  –  kein Thema. Gerade  weil  die  Autounternehmen  selbst  die  massenhafte   Vernichtung   von Arbeitsplätzen auf  die Tagesordnung setzen,  müssen gewerkschaftliche Konzepte ein Umsteuern weg vom dominierenden  Individualverkehr  mitdenken. Denn schrumpfen  wird  die  Branche  sowieso. Und etliche Beispiele  belegen, dass Arbeitsplätze in gesellschaftlich nützlichen  Bereichen eine Schrumpfung der Autobranche auffangen können, wenn politisch  entsprechende Prioritäten gesetzt werden. Denn die Investitionen für einen Arbeitsplatz sind  im Autobau viel höher als im sozialen Bereich. Würden beispielsweise  Klassen-  und Gruppengrößen in Deutschland auf zwanzig Kinder in Schule und Kindergarten festgelegt,  entstünde ein Mehrbedarf von rund 700.000 Erzieherinnen und Lehrern.

Arbeit sichern

Ein  Umbau der Produktion in der Autoindustrie hin zu sozial-  und  umweltverträglichen  Produkten  kann  nur dann  eine Chance haben, wenn  damit eine Perspektive verbunden ist, die Arbeit  und Einkommen sichert.  Und  das Problem  ist  einfacher zu lösen,  als oft behauptet  wird. Das  Totschlagargument der Auto- und Erdöllobby und der wahlkämpfenden  SPD-KandidatInnen ist  falsch:  Es  hängt eben nicht  jeder siebte  Arbeitsplatz  von  der  Autoindustrie ab. Der Verband der Autoindustrie verankerte dies erfolgreich in fast allen Köpfen – mit einem Rechentrick. Ohne Trickserei hat das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung im Jahr 2000 errechnet, dass tatsächlich nur jeder zwanzigste Arbeitsplatz autoabhängig ist. (HDH)

Tom Adler ist IG-Metall-Betriebsrat der Alternativen Liste im Daimler-Werk
Stuttgart-Untertürkheim. Der Artikel erschien am 11.6.09 in der Schweizer "WOZ – Die Wochenzeitung".
Unser Anreißerfoto stammt von petetgif / pixelio.


Online-Flyer Nr. 202  vom 17.06.2009

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