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Globales
Was die üblichen Medien und Politiker zum Thema Iran lieber verschweigen
Graue Eminenz im Hintergrund
Von Jens Berger
Nach den Präsidentschaftswahlen in Iran befindet sich das Land in einem gefährlichen Schwebezustand. Nach der Wahlniederlage sammelt die Opposition ihre Kräfte und demonstriert seit Samstag in den Großstädten des Landes für Neuwahlen. Die Regierung und die Unterstützer Ahmadinedschads halten mit aller Kraft – und teilweise auch mit aller Brutalität – dagegen. Die Unruhen sind die schlimmsten, die das Land seit der Revolution 1979 erlebt. Auch hinter den Kulissen spitzt sich der Machtkampf zwischen den rivalisierenden Machtblöcken zu. Sollte die Opposition nicht in die Gestaltung des Landes mit einbezogen werden, stehen Iran blutige Tage bevor.
Unruhen in Teheran bei Protesten gegen den Wahlausgang
Foto: Sharam Sharif
Die Revolution frisst ihre Kinder
Der Machtblock rund um Präsident Ahmadinedschad scheint nach den Wahlen endgültig zum allmächtigen Staat im Staate geworden zu sein. Ahmadinedschad steht für die zweite Generation der iranischen Revolution. Er steht damit für die Männer, die bei der islamischen Revolution 1979 die Straßen stürmten, im Golfkrieg abgehärtet wurden und in den Revolutionsgarden, dem Militär, dem Innenministerium oder den Geheimdiensten Karriere gemacht haben.
Seit Ahmadinedschad vor vier Jahren ins Amt gewählt wurde, platzierte er seine Männer sukzessive in den Schlüsselpositionen des Sicherheitsapparates. Seit vier Jahren eignet sich diese Clique unter dem Deckmäntelchen der Korruptionsbekämpfung auch Stück für Stück die ökonomische Macht in Iran an.
Im Westen nicht gerade beliebt: Ahmadinedschad und der russische Präsident Putin 2007 | Foto: Präsidentenamt/russ. Regierung
Für die „alten Eliten“ rund um den ehemaligen Präsidenten Rafsandschani ist dies nicht weniger als eine Kriegserklärung. Anders als sie hat es ihr Konterpart verstanden, mit populistischen Sprüchen die Landbevölkerung und die ärmeren Schichten für sich zu gewinnen. Die korrupten Kleptokraten des Establishments hier, die aufstrebenden Apparatschiks dort. Die einen wollen ihren eigenen Reichtum sichern und ihre Macht verteidigen, die anderen wollen den Sicherheitsapparat zum mächtigen Staat im Staate ausbauen und bedienen dabei die antikapitalistischen Ressentiments der Bevölkerung. Bei der Staatskrise in Iran geht es nicht um links oder rechts, nicht um religiös oder weltlich und auch nicht um fundamentalistisch oder reformatorisch – die Krise ist mehr die extreme Zuspitzung des Machtkampfs zweier Interessengruppen.
Reformer oder Kleptokraten?
Wer sind eigentlich die „Reformer“, die von einem Großteil der westlichen Medien als Hoffnung für Iran angepriesen werden? Als Graue Eminenz zieht Ajatollah Hashemi Rafsandschani die Fäden hinter den Kulissen der „Reformer“. Rafsandschani gehörte bereits vor der Revolution zum inneren Zirkel rund um Ajatollah Chomeini. Als einflussreicher Politiker und geschickter Geschäftsmann legte er Insidern zufolge nach der Revolution durch Öl- und Waffengeschäfte den Grundstock für seinen Reichtum. Heute gilt er als reichster Mann des Landes und als iranischer Machiavelli, der die Geschicke Irans seit der Revolution aus dem Hintergrund lenkt. Dies änderte sich erst abrupt, als Mahmud Ahmadinedschad Präsident wurde. Rafsandschani war selbst zweimal Präsident und hat heute als Vorsitzender des Expertenrates die – protokollarisch – zweithöchste Position im Staate inne.
Die graue Eminenz im Hintergrund:
Hashemi Rafsandschani bei Wahl 2005
Foto: Sharam Sharif
Im Jahre 2005 unterlag Rafsandschani im zweiten Wahlgang bei den Präsidentschaftswahlen klar gegen Mahmud Ahmadinedschad. Schon damals streuten sein Umfeld Gerüchte über massive Wahlmanipulationen. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass der Populist Ahmadinedschad beim iranischen Volk ganz einfach beliebter war als der korrupte Milliardär Rafsandschani. Um vier Jahre später Ahmadindeschad wieder loszuwerden und aus dem Hintergrund die Strippen ziehen zu können, organisierte Rafsandschani ein breites oppositionelles Bündnis, das sich hinter den ehemaligen Premierminister Mir Hossein Mussawi als Präsidentschaftskandidaten stellte.
Mussawi, der zwanzig Jahre in der politischen Versenkung verbrachte, galt zu seiner aktiven Zeit von 1981 bis 1989 keineswegs als Reformer, sondern eher als Hardliner. Dennoch gilt Mussawi als Kompromisskandidat, der – anders als Rafsandschani selbst – auch glaubhaft als Mann des Volkes verkauft werden kann. Ironischerweise haben es die „alten Eliten“ geschafft, mit ihrem Pragmatismus die gebildeten und vermögenden Schichten, die nach Reformen lechzen, mit ins Boot zu holen. Mussawi ist damit auch der Kandidat der weltoffenen Studenten, der gebildeten Frauen und der städtischen Intelligenzija. Aber Iran ist mehr als die „Gucci-Gesellschaft“ Nord-Teherans.
„Gucci-Gesellschaft“: Proteste im Norden Teherans | Foto: Sharam Sharif
Wahlergebnis entspricht unabhängiger US-Umfrage
Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass es bei den iranischen Präsidentschaftswahlen mit rechten Dingen zuging. Da das Ahmadinedschad-Lager über das Innenministerium den nötigen Einfluss besitzt, die Wahlen manipulieren zu können, kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass hier und da auch manipuliert wurde.
Mussawi (auf Werbefahne) und Demonstrant
auf dem Weg nach Hause | Foto: S. Sharif
Die Frage ist aber, in welchem Umfang dies geschah. Wenn deutsche und andere westliche Medien von einer Wahlfarce und komplett manipulierten Wahlen schreiben, so machen sie sich – gewollt oder ungewollt – zu Handlangern der Opposition.
Das Ergebnis spiegelt jedenfalls ziemlich genau die Umfrageergebnisse wider, die das unabhängige amerikanische „Center for Public Opinion“ Anfang Mai in Iran durchführte. Landesweit hatte Ahmadinedschad demnach einen Vorsprung von 33 Prozent. Die stärkste Zustimmung hat er demnach bei der Gruppe der 18 bis 24jährigen – wenn in den „unseren“ Medien erzählt wird, dass die jungen Iraner Mussawi haben wollen, so ist dies schlichtweg falsch. Die einzigen Gruppen, die in den Umfragen mehrheitlich Mussawi bevorzugten, sind Studenten, Akademiker und die Reichen des Landes – aber diese Gruppen sind im Iran, wie auch überall sonst auf der Welt, nicht die Bevölkerungsmehrheit. Es ist also wahrscheinlich, dass Ahmadinedschad allen Unregelmäßigkeiten und Indizien auf Wahlfälschungen zum Trotz, die Wahlen auch tatsächlich gewonnen hat.
Unterstützer Ahmadinedschads im Wahlkampf 2009 | Foto: Sharam Sharif
Was ist Demokratie?
Der Westen sollte sich also mit Wertungen generell zurückhalten – Demokratie ist nun einmal die Herrschaft des Volkes, ob einem dies passt oder nicht. Die Präsidentschaftswahlen im Iran stehen diesbezüglich in einer gewissen Tradition. Auch die Wahlergebnisse im Libanon und in den Palästinensergebieten fielen ganz und gar nicht nach den Vorstellungen des Westens aus. „Dummerweise“ waren dies aber die einzigen Wahlen in islamischen Nahen und Mittleren Osten, die wirklich halbwegs frei waren. Wenn der Muslim nicht so wählt, wie es der Christ gerne hätte, dann sollte es zur demokratischen Etikette gehören, dies als Willensbekundung zu akzeptieren. Die Alternative wären prowestliche Diktaturen, wie sie im Nahen Osten zahlreich vorhanden sind und die zu den besten Freunden des Westens zählen.
In ersten Reaktionen sprach Mahmud Ahmadinedschad bereits von einer zweiten Revolution – dass dies dem Establishment nicht gefällt, dürfte verständlich sein. Hinter den Kulissen hat Ajatollah Hashemi Rafsandschani unbestätigten Meldungen zufolge bereits reagiert. Er berief den Expertenrat ein, sprach beim obersten Rechtsgelehrten und dem eigentlichen Staatsoberhaupt Ajatollah Khamenei vor.
Ajatollah Khamenei | Foto: DragonFire1024
Khamenei, der Ahmadinedschads Kreisen nahe steht, taktiert derweil und lässt die Stimmen nachzählen. Dies wird sicherlich kein anderes Ergebnis bringen, aber es wird ihm und der Regierung Zeit verschaffen. Die Zeit spielt nämlich gegen die „Reformer“. Sie müssen die Gunst der Stunde und der westlichen Medien nutzen, wollen sie, ohne einen Bürgerkrieg anzuzetteln, Zugeständnisse erreichen. Ihre Maximalforderung „Neuwahlen“ werden sie allerdings nicht durchsetzen können. Es entspricht nicht Rafsandschanis Stil, seine Ziele über blutige Straßenkämpfe durchzusetzen. Wahrscheinlich wird er nun aber die Geister, die er rief, nicht mehr los. Während der Staat die hässliche Fratze der Gewalt zeigt und die Demonstranten niederknüppelt, verschwindet die Hoffnung auf sanfte Reformen – es steht Spitz auf Knopf in Iran und die nächsten Tage werden dort die Weichen für die nächsten Jahre stellen. (PK) (CH)
Online-Flyer Nr. 202 vom 18.06.2009
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Was die üblichen Medien und Politiker zum Thema Iran lieber verschweigen
Graue Eminenz im Hintergrund
Von Jens Berger
Nach den Präsidentschaftswahlen in Iran befindet sich das Land in einem gefährlichen Schwebezustand. Nach der Wahlniederlage sammelt die Opposition ihre Kräfte und demonstriert seit Samstag in den Großstädten des Landes für Neuwahlen. Die Regierung und die Unterstützer Ahmadinedschads halten mit aller Kraft – und teilweise auch mit aller Brutalität – dagegen. Die Unruhen sind die schlimmsten, die das Land seit der Revolution 1979 erlebt. Auch hinter den Kulissen spitzt sich der Machtkampf zwischen den rivalisierenden Machtblöcken zu. Sollte die Opposition nicht in die Gestaltung des Landes mit einbezogen werden, stehen Iran blutige Tage bevor.
Unruhen in Teheran bei Protesten gegen den Wahlausgang
Foto: Sharam Sharif
Die Revolution frisst ihre Kinder
Der Machtblock rund um Präsident Ahmadinedschad scheint nach den Wahlen endgültig zum allmächtigen Staat im Staate geworden zu sein. Ahmadinedschad steht für die zweite Generation der iranischen Revolution. Er steht damit für die Männer, die bei der islamischen Revolution 1979 die Straßen stürmten, im Golfkrieg abgehärtet wurden und in den Revolutionsgarden, dem Militär, dem Innenministerium oder den Geheimdiensten Karriere gemacht haben.
Seit Ahmadinedschad vor vier Jahren ins Amt gewählt wurde, platzierte er seine Männer sukzessive in den Schlüsselpositionen des Sicherheitsapparates. Seit vier Jahren eignet sich diese Clique unter dem Deckmäntelchen der Korruptionsbekämpfung auch Stück für Stück die ökonomische Macht in Iran an.
Im Westen nicht gerade beliebt: Ahmadinedschad und der russische Präsident Putin 2007 | Foto: Präsidentenamt/russ. Regierung
Für die „alten Eliten“ rund um den ehemaligen Präsidenten Rafsandschani ist dies nicht weniger als eine Kriegserklärung. Anders als sie hat es ihr Konterpart verstanden, mit populistischen Sprüchen die Landbevölkerung und die ärmeren Schichten für sich zu gewinnen. Die korrupten Kleptokraten des Establishments hier, die aufstrebenden Apparatschiks dort. Die einen wollen ihren eigenen Reichtum sichern und ihre Macht verteidigen, die anderen wollen den Sicherheitsapparat zum mächtigen Staat im Staate ausbauen und bedienen dabei die antikapitalistischen Ressentiments der Bevölkerung. Bei der Staatskrise in Iran geht es nicht um links oder rechts, nicht um religiös oder weltlich und auch nicht um fundamentalistisch oder reformatorisch – die Krise ist mehr die extreme Zuspitzung des Machtkampfs zweier Interessengruppen.
Reformer oder Kleptokraten?
Wer sind eigentlich die „Reformer“, die von einem Großteil der westlichen Medien als Hoffnung für Iran angepriesen werden? Als Graue Eminenz zieht Ajatollah Hashemi Rafsandschani die Fäden hinter den Kulissen der „Reformer“. Rafsandschani gehörte bereits vor der Revolution zum inneren Zirkel rund um Ajatollah Chomeini. Als einflussreicher Politiker und geschickter Geschäftsmann legte er Insidern zufolge nach der Revolution durch Öl- und Waffengeschäfte den Grundstock für seinen Reichtum. Heute gilt er als reichster Mann des Landes und als iranischer Machiavelli, der die Geschicke Irans seit der Revolution aus dem Hintergrund lenkt. Dies änderte sich erst abrupt, als Mahmud Ahmadinedschad Präsident wurde. Rafsandschani war selbst zweimal Präsident und hat heute als Vorsitzender des Expertenrates die – protokollarisch – zweithöchste Position im Staate inne.
Die graue Eminenz im Hintergrund:
Hashemi Rafsandschani bei Wahl 2005
Foto: Sharam Sharif
Mussawi, der zwanzig Jahre in der politischen Versenkung verbrachte, galt zu seiner aktiven Zeit von 1981 bis 1989 keineswegs als Reformer, sondern eher als Hardliner. Dennoch gilt Mussawi als Kompromisskandidat, der – anders als Rafsandschani selbst – auch glaubhaft als Mann des Volkes verkauft werden kann. Ironischerweise haben es die „alten Eliten“ geschafft, mit ihrem Pragmatismus die gebildeten und vermögenden Schichten, die nach Reformen lechzen, mit ins Boot zu holen. Mussawi ist damit auch der Kandidat der weltoffenen Studenten, der gebildeten Frauen und der städtischen Intelligenzija. Aber Iran ist mehr als die „Gucci-Gesellschaft“ Nord-Teherans.
„Gucci-Gesellschaft“: Proteste im Norden Teherans | Foto: Sharam Sharif
Wahlergebnis entspricht unabhängiger US-Umfrage
Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass es bei den iranischen Präsidentschaftswahlen mit rechten Dingen zuging. Da das Ahmadinedschad-Lager über das Innenministerium den nötigen Einfluss besitzt, die Wahlen manipulieren zu können, kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass hier und da auch manipuliert wurde.
Mussawi (auf Werbefahne) und Demonstrant
auf dem Weg nach Hause | Foto: S. Sharif
Das Ergebnis spiegelt jedenfalls ziemlich genau die Umfrageergebnisse wider, die das unabhängige amerikanische „Center for Public Opinion“ Anfang Mai in Iran durchführte. Landesweit hatte Ahmadinedschad demnach einen Vorsprung von 33 Prozent. Die stärkste Zustimmung hat er demnach bei der Gruppe der 18 bis 24jährigen – wenn in den „unseren“ Medien erzählt wird, dass die jungen Iraner Mussawi haben wollen, so ist dies schlichtweg falsch. Die einzigen Gruppen, die in den Umfragen mehrheitlich Mussawi bevorzugten, sind Studenten, Akademiker und die Reichen des Landes – aber diese Gruppen sind im Iran, wie auch überall sonst auf der Welt, nicht die Bevölkerungsmehrheit. Es ist also wahrscheinlich, dass Ahmadinedschad allen Unregelmäßigkeiten und Indizien auf Wahlfälschungen zum Trotz, die Wahlen auch tatsächlich gewonnen hat.
Unterstützer Ahmadinedschads im Wahlkampf 2009 | Foto: Sharam Sharif
Was ist Demokratie?
Der Westen sollte sich also mit Wertungen generell zurückhalten – Demokratie ist nun einmal die Herrschaft des Volkes, ob einem dies passt oder nicht. Die Präsidentschaftswahlen im Iran stehen diesbezüglich in einer gewissen Tradition. Auch die Wahlergebnisse im Libanon und in den Palästinensergebieten fielen ganz und gar nicht nach den Vorstellungen des Westens aus. „Dummerweise“ waren dies aber die einzigen Wahlen in islamischen Nahen und Mittleren Osten, die wirklich halbwegs frei waren. Wenn der Muslim nicht so wählt, wie es der Christ gerne hätte, dann sollte es zur demokratischen Etikette gehören, dies als Willensbekundung zu akzeptieren. Die Alternative wären prowestliche Diktaturen, wie sie im Nahen Osten zahlreich vorhanden sind und die zu den besten Freunden des Westens zählen.
In ersten Reaktionen sprach Mahmud Ahmadinedschad bereits von einer zweiten Revolution – dass dies dem Establishment nicht gefällt, dürfte verständlich sein. Hinter den Kulissen hat Ajatollah Hashemi Rafsandschani unbestätigten Meldungen zufolge bereits reagiert. Er berief den Expertenrat ein, sprach beim obersten Rechtsgelehrten und dem eigentlichen Staatsoberhaupt Ajatollah Khamenei vor.
Ajatollah Khamenei | Foto: DragonFire1024
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